Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.33/2002
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5P.33/2002/min

              II.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                        7. März 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der II. Zi-
vilabteilung, Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer
und Gerichtsschreiber von Roten.

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                          In Sachen

Ausgleichskasse  L u z e r n,  Würzenbachstrasse 8, Postfach,
6000 Luzern 15, Beschwerdeführerin,

                            gegen

X.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechts-
anwalt Josef Ulrich, Morgartenstrasse 17, 6003 Luzern,
Obergericht des Kantons  L u z e r n,
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als Rekursinstanz,

                         betreffend
  Art. 9 BV (Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung),

         wird festgestellt und in Erwägung gezogen:

     1.- Auf Antrag der Ausgleichskasse Luzern wurde über die
X.________ AG am 16. August 2001 der Konkurs wegen Zahlungs-
einstellung eröffnet. Das kantonale Obergericht hiess den
Rekurs der Schuldnerin gut und hob das angefochtene Konkurs-
dekret auf (Entscheid vom 10. Dezember 2001). Mit staats-
rechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV (Schutz
vor Willkür) beantragt die Ausgleichskasse Luzern zur Haupt-
sache den obergerichtlichen Entscheid aufzuheben. Es sind
keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

     2.- Ohne vorgängige Betreibung kann ein Gläubiger beim
Gericht die Konkurseröffnung verlangen gegen einen der Kon-
kursbetreibung unterliegenden Schuldner, der seine Zahlungen
eingestellt hat (Art. 190 Abs. 1 Ziffer 2 SchKG). Der kanto-
nal letztinstanzliche Entscheid über die beantragte Konkurs-
eröffnung ohne vorgängige Betreibung unterliegt auf Bundes-
ebene einzig der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 107 III 53
E. 1 S. 55 und weitere Nachweise bei Braconi, Les voies de
recours au Tribunal fédéral dans les contestations de droit
des poursuites, FS Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel,
Basel 2000, S. 249 ff., S. 253 bei/in Anm. 36-40).

     3.- Die Beschwerdeführerin will die Zahlungseinstellung
der Schuldnerin durch einen Auszug aus dem Betreibungsregis-
ter per 25. Januar 2002 belegen. Die Vorgehensweise ist unzu-
lässig, zumal das Bundesgericht im Rahmen einer Willkürbe-
schwerde gegen die Verweigerung der Konkurseröffnung neue Be-
lege nicht berücksichtigt (BGE 118 III 37 E. 2a S. 39) und
auf die tatsächlichen Verhältnisse abstellt, wie sie im Zeit-
punkt des angefochtenen Entscheids, d.h. hier am 10. Dezember
2001, gegeben waren (BGE 121 I 279 E. 3a S. 283/284). Die Be-

schwerdeführerin bezeichnet es ferner als aktenwidrig, dass
die Beschwerdegegnerin im Mai 2001 Fr. 24'000.-- an sie be-
zahlt haben wolle. Die Aktenwidrigkeitsrüge ist unbegründet.
Die behauptete Feststellung findet sich im angefochtenen Ur-
teil nicht. Es heisst, die Beschwerdegegnerin habe "im April
2001 und im Mai 2001 Zahlungen im Umfang von Fr. 91'935.35
geleistet, darunter Fr. 11'197.05 an die Klägerin (scil. Be-
schwerdeführerin) persönlich" (E. 3.3. S. 6). Die Bezahlung
dieses Betrags lässt sich dem von der Beschwerdeführerin an-
gerufenen Beleg Nr. 4 entnehmen (Einzahlungen vom 12. April
2001 über Fr. 5'515.20 und Fr. 46.65, beide eingegangen am
17. ds., und vom 16. Mai 2001 über Fr. 5'635.20, eingegangen
am 17. ds.). Weitere auf den Sachverhalt bezogene Vorbringen
der Beschwerdeführerin erfüllen die gesetzlichen Anforderun-
gen an die Begründung nicht (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG); ein
klarer Widerspruch zu den Akten ist anhand der beanstandeten
Feststellung und der Aktenstelle genau zu belegen, und wo
willkürliche Beweiswürdigung gerügt wird, muss dargelegt wer-
den, worin die qualifiziert falsche Wertung des Beweisergeb-
nisses liegt (vgl. dazu Galli, Die rechtsgenügende Begründung
einer staatsrechtlichen Beschwerde, SJZ 81/1985 S. 121 ff.,
S. 127 Ziffer 2.2). In tatsächlicher Hinsicht ist nach dem
Gesagten vom obergerichtlichen Entscheid auszugehen.

     4.- Zahlungseinstellung im Sinne von Art. 190 Abs. 1
Ziffer 2 SchKG liegt vor, wenn der Schuldner unbestrittene
und fällige Forderungen nicht mehr bezahlt, Betreibungen ge-
gen sich auflaufen lässt u.a.m.; der Konkursgrund setzt nicht
voraus, dass der Schuldner sämtliche Zahlungen eingestellt
hat, sondern es genügt, wenn sich die Zahlungseinstellung auf
einen wesentlichen Teil des Geschäftsbetriebs bezieht. Auf
die zutreffende Darstellung des Obergerichts kann verwiesen
werden (E. 3.2. S. 4 ff.; zuletzt: Urteile des Bundesgerichts
5P.412/1999 vom 17. Dezember 1999, E. 2b, in: SJ 2000 I
S. 250 f., und 5P.442/1993 vom 15. Dezember 1993, E. 3a, in:

SJ 1994 S. 435). Dass die Beschwerdegegnerin ihren anerkann-
ten Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachgekommen ist, dass
sie eine Vielzahl erfolgloser Betreibungen gegen sich hat
durchführen lassen und dass sie namentlich die Beschwerde-
führerin als eine ihrer Hauptgläubigerinnen nicht befriedigt
hat, ist im Grundsatz unbestritten und rechtfertigte an sich
die Annahme des erwähnten Konkursgrundes.

        Für das Obergericht ist indessen entscheidend gewe-
sen, dass die Zahlungseinstellung dauerhaft sein muss; es
darf nicht erwiesenermassen bloss eine vorübergehende Zah-
lungsschwierigkeit vorliegen, sondern der Schuldner muss sich
auf unabsehbare Zeit in dieser Lage befinden (BGE 23 I 181
E. 5 S. 187; 85 III 146 E. 4b S. 155 und die seitherige
Rechtsprechung). Dass eine Zahlungseinstellung auf unbestimm-
te Zeit ("dauernd" bzw. "durable") notwendig ist, folgt aus
dem Konkursgrund selbst, wie das Obergericht zutreffend her-
vorgehoben hat (E. 3.2. S. 4). Denn die sofortige Konkurser-
öffnung ist im Grunde genommen nur bei Zahlungsunfähigkeit
gerechtfertigt, deren äusserlich erkennbares Merkmal in der
Zahlungseinstellung besteht; diese statt eigentlicher Zah-
lungsunfähigkeit nachzuweisen, fällt dem Gläubiger leichter
(Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schwei-
zerischem Recht, II, 3.A. Zürich 1993, § 38 N. 10, S. 91;
Gilliéron, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite
pour dettes et la faillite, III, Lausanne 2001, N. 28 zu
Art. 190 SchKG, mit Nachweisen). Zur Bestimmung des Zeitmas-
ses, ab welchem die Zahlungseinstellung als dauernd geltend
kann, müssen stets die Begleitumstände des Einzelfalls mitbe-
rücksichtigt werden (vgl. dazu Werner Baumann, Die Konkurser-
öffnung nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Kon-
kurs, Zürich 1978, Druck 1979, S. 50 ff.). Dies und die Unbe-
stimmtheit des Rechtsbegriffs der Zahlungseinstellung eröff-
nen dem Konkursgericht einen weiten Spielraum des Ermessens
(Gilliéron, N. 27 zu Art. 190 SchKG, mit Nachweisen).

        Das Obergericht hat der Beschwerdegegnerin geglaubt,
sie habe ihre Geschäftstätigkeit nur vorübergehend einge-
stellt, diese jedoch im April 2001 wieder aufgenommen. Es ist
davon ausgegangen, die Darstellung werde durch die Zahlungen
von mehr als Fr. 90'000.-- innerhalb zweier Monate belegt,
zumal die Beschwerdegegnerin im Januar 2001 laut Verlust-
schein keine pfändbaren Aktiven besessen habe. Den Einwand
der Beschwerdeführerin, die offenen Monatspauschalen vom Mai
2001 bis August 2001 dokumentierten die Zahlungseinstellung
zusätzlich, hat das Obergericht mit der Begründung verworfen,
die Zeitspanne sei zu kurz, um eine dauernde Zahlungsein-
stellung annehmen zu können (E. 3.3. S. 6 f.). Es ist vor
Art. 9 BV haltbar, die Zahlungseinstellung als Ausdruck von
Zahlungsunfähigkeit zu verneinen, wenn Gläubiger im Umfang
von über Fr. 90'000.-- befriedigt werden können. Davon durfte
das Obergericht willkürfrei ausgehen, und entgegen der Be-
hauptung der Beschwerdeführerin ist in Anbetracht dieses Be-
trags eine Zahlungseinstellung auf unbestimmte Zeit nicht
erwiesen. Unter dem eingeschränkten Blickwinkel der Willkür
(Art. 9 BV) in den obergerichtlichen Ermessensentscheid ein-
zugreifen, besteht kein Grund (BGE 109 Ia 107 E. 2c S. 109;
126 III 8 E. 3c S. 10).

        Die Beschwerdeführerin erhebt schliesslich den Ein-
wand, die Zahlungen der Beschwerdegegnerin von April und Mai
2001 dienten offensichtlich lediglich dazu, um behaupten zu
können, die Zahlungen seien nicht eingestellt bzw. der Be-
trieb sei wieder aufgenommen worden. Die erwähnten Zahlungen
hatte die Beschwerdegegnerin in ihrem Rekurs an das Oberge-
richt behauptet, um ihre Zahlungseinstellung zu widerlegen
(S. 4 f. Ziffer 6 der Rekurseingabe, amtl.Bel. 1). In ihrer
dreiseitigen Vernehmlassung erhob die Beschwerdeführerin kei-
nen mit ihrem heutigen inhaltlich übereinstimmenden Einwand
(amtl.Bel. 6). Das rechtliche Vorbringen ist insoweit neu und
im Rahmen der Willkürbeschwerde gegen ein Konkursdekret unzu-
lässig (BGE 118 III 37 E. 2a S. 39), zumal auch nicht erst

der angefochtene Entscheid dazu Anlass gegeben hat, sondern
bereits die Rekurseingabe der Beschwerdegegnerin im kantona-
len Verfahren (vgl. zu den Ausnahmen vom Novenverbot: BGE 99
Ia 113 E. 4a S. 122; 102 Ia 7 E. 3a S. 10). Im angefochtenen
Entscheid fehlen zudem die tatsächlichen Feststellungen, die
die rechtliche Beurteilung gestatteten, die Beschwerdegegne-
rin habe mit ihren Zahlungen bloss den drohenden Konkurs ab-
zuwenden beabsichtigt; auch die Erfüllung des Rechtsmiss-
brauchstatbestandes bedarf der Tatsachengrundlage (BGE 121
III 60 E. 3d S. 63). Ob die Vorgehensweise der Beschwerdegeg-
nerin ihre Zahlungseinstellung dokumentiert und deshalb der
Konkurs wegen offenbaren Rechtsmissbrauchs eröffnet werden
könnte, mag somit dahingestellt bleiben (vgl. dazu Brunner,
in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Kon-
kurs, II, Basel 1998, N. 17 zu Art. 190 SchKG).

        Aus den dargelegten Gründen kann nicht gesagt wer-
den, das Obergericht habe die Zahlungseinstellung im Sinne
von Art. 190 Abs. 1 Ziffer 2 SchKG willkürlich verneint. Bei
diesem Ergebnis stellt sich die Frage nicht mehr, ob die Her-
beiführung eines Konkurses gestützt auf Art. 190 SchKG auch
für öffentlich-rechtliche Forderungen möglich ist (vgl. Ur-
teil des Bundesgerichts 5P.114/1999 vom 25. Mai 1999, E. 3,
zusammengefasst in: SJ 1999 I 497).

     5.- Die unterliegende Beschwerdeführerin wird kosten-
pflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG; BGE 97 V 124 Nr. 30).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, so-
weit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht
des Kantons Luzern (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission
als Rekursinstanz) schriftlich mitgeteilt.

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Lausanne, 7. März 2002

               Im Namen der II. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: