Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.337/2002
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5P.337/2002 /bnm

Urteil vom 13. März 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Ersatzrichter Hasenböhler,
Gerichtsschreiber Gysel.

Z. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Hans Suter, Rümelinsplatz 14,
Postfach, 4001 Basel,

gegen

Appellationshof (1. Zivilkammer) des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17,
Postfach 7475, 3001 Bern.

Art. 9 BV (Absehen von der Zustimmung zur Adoption),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationshofes (1.
Zivilkammer) des Kantons Bern vom 12. August 2002.

Sachverhalt:

A.
Y. ________ gebar am 19. Januar 1997 in A.________ den Sohn X.________. Am
14. Januar 1997 hatte sie erklärt, das Kind zur Adoption frei geben und nicht
bekannt geben zu wollen, wer sein Vater sei. Am 3. März 1997 stimmte
Y.________ gegenüber der Vormundschaftsbehörde B.________ einer Adoption zu.
Die Erklärung wurde nicht widerrufen.

X. ________, über den die Vormundschaftsbehörde B.________ am 27. Januar 1997
eine Vormundschaft errichtet hatte, wurde im April 1997 im Hinblick auf eine
spätere Adoption in einer Pflegefamilie untergebracht.

Am 19. Februar 1999 anerkannte Z.________ vor dem Zivilstandsamt C.________
X.________ als sein Kind. Ein von ihm gestelltes Begehren um Einräumung eines
Besuchsrechts wies das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft mit
Urteil vom 21. März 2001 in letzter kantonaler Instanz ab.

B.
Am 20. Juni 1999 hatten die Pflegeeltern von X.________ beim Jugendamt des
Kantons Bern ein Adoptionsgesuch eingereicht. Die Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion des Kantons Bern verfügte am 22. Oktober 2001, dass von der
Zustimmung des leiblichen Vaters zur Adoption abgesehen werde.

Z. ________ appellierte, worauf der Appellationshof (1. Zivilkammer) des
Kantons Bern am 12. August 2002 den erwähnten Entscheid bestätigte
(Dispositiv-Ziffer 1).

C.
Gegen den Entscheid des Appellationshofes hat Z.________ sowohl
staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung erhoben. Mit der Beschwerde
beantragt er, Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids des Appellationshofes wegen
willkürlicher Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung aufzuheben. Ausserdem
ersucht er darum, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

Vernehmlassungen zur Beschwerde sind nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwieweit auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE 128 I 177
E. 1 S. 179 mit Hinweis). Von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen
abgesehen, ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche
kantonale Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 und 2 OG). Gerügt werden mit
der vorliegenden Beschwerde eine Missachtung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör und ein Verstoss gegen das Willkürverbot. Der Beschwerdeführer wirft
der kantonalen Appellationsinstanz vor, den Sachverhalt willkürlich
gewürdigt, willkürliche tatsächliche Feststellungen getroffen und seine
Einwände übergangen zu haben, wodurch sein Gehörsanspruch verletzt worden
sei. Der Rüge der Gehörsverweigerung, für die das bernische Prozessrecht noch
die Nichtigkeitsklage vorsieht (Art. 359 Ziff. 3 der Zivilprozessordnung
[ZPO]; dazu BGE 118 Ia 110 E. 3 S. 111 f.), kommt damit keine selbstständige
Bedeutung zu. Sie wird denn auch weiter nicht substantiiert. Der angefochtene
Entscheid ist demnach als letztinstanzlich zu betrachten. Aus dieser Sicht
ist auf die Beschwerde  ohne weiteres einzutreten.

2.
2.1 Nach Auffassung des Appellationshofes ist der Tatbestand von Art. 265c
Ziff. 2 ZGB gegeben, wonach von der Zustimmung eines Elternteils zur Adoption
abgesehen werden kann, wenn dieser sich um das Kind nicht ernstlich gekümmert
hat. Die Appellationsinstanz hat letztlich offen gelassen, ob der
Beschwerdeführer, wie er selbst vorbringe, vom Geburtstermin an davon
ausgegangen sei, das Kind sei tot, oder ob er erst an Weihnachten 1998 etwas
von einer angeblichen Totgeburt gehört habe. Stelle man auf die Version des
Beschwerdeführers ab, könne diesem nicht vorgeworfen werden, dass er in der
Zeitspanne zwischen der Geburt und der Anerkennung sich nicht um X.________
gekümmert habe. Dass während dieser Zeit kein Kontakt entstanden sei, reiche
nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung für sich allein nicht
aus, um von der Zustimmung zur Adoption abzusehen. Es sei vielmehr zu prüfen,
ob es in den Risikobereich des Beschwerdeführers falle, dass keine Beziehung
zum Kind habe aufgebaut werden können. Der Appellationshof verweist in diesem
Zusammenhang auf die Ausführungen der Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion, die in ihrem Entscheid klar zum Schluss gelangt sei, dass
der Beschwerdeführer die Ursachen für das Fehlen einer Beziehung zum Kind
gesetzt habe. Dass der Beschwerdeführer zu diesem keine Beziehung habe
aufbauen können, habe nicht an unbeeinflussbaren äusseren Umständen gelegen.
Sollte Y.________ die Lüge der Totgeburt tatsächlich bereits kurz nach der
Geburt vorgebracht haben, würde dieser Umstand angesichts des Verhaltens des
Beschwerdeführers in dessen Risikobereich fallen, so dass auch bei der
Annahme dieser Sachverhaltsvariante darauf zu schliessen sei, es könne von
der Zustimmung des leiblichen Vaters zur Adoption abgesehen werden.

Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion hatte an der vom Appellationshof
angerufenen Stelle geprüft, weshalb Y.________ dem Beschwerdeführer gesagt
haben könnte, das Kind lebe gar nicht. Akten aus einem Verfahren im Kanton
Basel-Landschaft entnahm sie, dass der Beschwerdeführer eine andere Frau
(W.________) und die drei gemeinsamen Kinder unzählige Male belästigt und
bedroht habe und ihnen gegenüber sogar tätlich geworden sei. Oftmals habe die
Polizei ausrücken müssen, weil der Beschwerdeführer nicht locker gelassen
habe und um seine Kinder habe kämpfen wollen. Wohl habe Y.________ im
Zeitpunkt, als sie sich vom Beschwerdeführer getrennt habe, von dessen
Verhalten gegenüber jener andern Familie wahrscheinlich nichts gewusst.
Indessen habe sie bei ihrer Einvernahme ausgesagt, W.________ habe ihr
später, anlässlich eines Telefongesprächs, die genau gleichen Dinge erzählt,
die sie selbst erlebt habe. Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion hatte
deshalb dafür gehalten, es sei anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer
auch Y.________ gegenüber bedrohlich und aggressiv verhalten habe. Deren
Aussagen, der Beschwerdeführer habe sie bedrängt und unaufhörlich versucht,
mit ihr in Kontakt zu kommen, seien absolut glaubhaft. Y.________ habe sich
und ihr Kind dadurch offenbar gefährdet gesehen und es sei anzunehmen, dass
sie in der Notlüge, das Kind sei tot, die einzige Möglichkeit gesehen habe,
den Beschwerdeführer von weiteren Belästigungen abzubringen. In Anbetracht
der dargelegten Umstände könne nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe
es nicht sich selbst zuzuschreiben, dass keine Beziehungen zu X.________
aufgebaut worden seien.

2.2 Der Beschwerdeführer bezeichnet es als willkürlich, dass die Justiz-,
Gemeinde- und Kirchendirektion und mit ihr der Appellationshof aus seinem
Verhalten gegenüber W.________, mit der die Auseinandersetzungen im Jahre
1998 begonnen hätten, zu schliessen, er habe sich auch gegenüber Y.________
aggressiv und bedrohlich verhalten. Es gehe nicht an, seine
Beziehungsprobleme mit Y.________ den schwerwiegenden Problemen
gleichzustellen, die sich - zu einem späteren Zeitpunkt - mit W.________
wegen des Besuchsrechts ergeben hätten.

Die Feststellungen der kantonalen Instanzen zum Verhalten des
Beschwerdeführers gegenüber Y.________ sind in der Tat unhaltbar: Es handelt
sich um Unterstellungen, die sich auf keine Äusserungen von Y.________ selbst
stützen lassen. Weder im angefochtenen noch in dem vom Appellationshof
angerufenen Entscheid der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion finden sich
Feststellungen über Aussagen von Y.________, wonach der Beschwerdeführer sie
konkret bedroht hätte. Gemäss dem Einvernahmeprotokoll des
Bezirksstatthalteramtes Waldenburg vom 12. Oktober 1999 hatte Y.________
ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sie um Weihnachten 1998 wieder zu
terrorisieren begonnen und ihr erklärt, er wolle mit ihr und dem Kind
zusammenleben; in diesem Zusammenhang dürfte sie geäussert haben, sie habe
das Kind verloren. Eine ausdrückliche Erklärung von Y.________, sie habe sich
und das Kind gefährdet gesehen und deshalb zur Notlüge, dieses lebe nicht
(mehr), gegriffen, ist den von den kantonalen Instanzen herangezogenen Akten
nicht zu entnehmen.

3.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten gutzuheissen, soweit darauf einzutreten
ist, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Bei diesem Ausgang ist
keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG), der Kanton Bern jedoch
zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu zahlen
(Art. 159 Abs. 2 OG). Da der Beschwerdeführer diese ohne Zweifel ausbezahlt
erhalten wird, ist sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist, und der Entscheid des Appellationshofes (1. Zivilkammer) des Kantons
Bern vom 12. August 2002 wird aufgehoben.

2.
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

3.
Der Kanton Bern wird verpflichtet, den Beschwerdeführer für seine Umtriebe im
bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationshof (1.
Zivilkammer) des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. März 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: