Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.334/2002
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2002
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2002


5P.334/2002/sch

Urteil vom 21. Oktober 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________ AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Dominik Kumschick,
c/o Muri Rechtsanwälte, Schmidstrasse 9, 8570 Weinfelden,

gegen

Bezirksgericht Wil,
Altes Schützenhaus, Weiherstrasse 9, 9500 Wil SG,
Kantonsgericht St. Gallen, Präsident,
Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Art. 6 Ziff. 1 EMRK usw. (Ausstandsbegehren in einem
Rechtsöffnungsverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Präsidenten des
Kantonsgerichts St. Gallen vom 11. Juli 2002.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Aus einer Zivilstreitsache vor dem Bezirksgericht Wil und dem Kantonsgericht
St. Gallen, welche letztinstanzlich durch das Bundesgericht beurteilt worden
ist, schuldet die X.________ AG (Beschwerdeführerin) Gerichtskosten von Fr.
5'402.40. In der Betreibung erhob die Beschwerdeführerin Rechtsvorschlag,
worauf das Rechtsöffnungsverfahren eingeleitet wurde. An der
Gerichtsverhandlung vom 3. Juli 2002, die vom Gerichtspräsidenten E.
Schnellmann geleitet wurde, stellte die Beschwerdeführerin gegen das
Bezirksgericht Wil ein Ausstandsbegehren. Zur Begründung brachte sie vor,
dass ein Gericht nicht gleichzeitig Partei sowie Richter sein und nicht über
die Rechtmässigkeit der eigenen Forderung entscheiden könne. Der
Gerichtspräsident überwies das Ausstandsbegehren dem Präsidenten des
Kantonsgerichts St. Gallen, welcher das Gesuch am 11. Juli 2002 abwies. Gegen
diese Verfügung richtet sich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie von Art. 30 und 9 BV mit dem
Antrag, die angefochtene Verfügung sowie der Entscheid des Präsidenten des
Bezirksgerichts Wil vom 2. August 2002 betreffend Erteilung der definitiven
Rechtsöffnung seien aufzuheben.

2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die angefochtene Verfügung, mit der ihr
Ausstandsbegehren abgewiesen worden ist, verletze den verfassungsmässigen
Anspruch auf ein unbefangenes und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV
und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Als Folge davon sei auch der spätere
Rechtsöffnungsentscheid aufzuheben (BGE 117 Ia 157 E. 4a S. 165).

2.1 Nach der materiell unverändert von Art. 58 aBV in Art. 30 Abs. 1 BV
überführten, ebenfalls in Art. 6 Ziff. 1 EMRK (SR 0.101) enthaltenen Garantie
des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch auf ein durch
Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht.
Jeder kann insbesondere verlangen, dass seine Sache von einem
unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder
Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten
vor, die den Anschein der Befangenheit und der Gefahr der Voreingenommenheit
zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 127 I 196 E. 2b S.
198 mit zahlreichen Hinweisen).

2.2 Die Beschwerdeführerin verweist zunächst auf ihr Schreiben vom 3. April
2002, mit welchem sie sich bei den Bezirksgerichten Alttoggenburg und Wil
nach der Bedeutung der Solidarhaftung erkundigte und auf die Antwort von
Gerichtspräsident E. Schnellmann vom 6. Mai 2002, worin dieser den Begriff
der Solidarhaftung kurz erläuterte und eine Nachfrist zur Bezahlung der
Gebühr setzte. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, der
Gerichtspräsident habe mit diesem Schreiben gezeigt, dass er sich seine
Meinung bereits gebildet habe. Die Rüge ist verspätet und neu.
Ausstandsgründe sind sofort geltend zu machen; andernfalls verwirkt der
verfassungsmässige Anspruch (BGE 111 Ia 72 E. 2b S. 74 f.; 114 Ia 348 E. d S.
349 mit Hinweisen). Die Antwort des Gerichtspräsidenten datiert vom 6. Mai
2002. Die Beschwerdeführerin hat das Ausstandsbegehren erst am 3. Juli 2002
gestellt und dort ausschliesslich damit begründet, das Rechtsöffnungsgericht
habe seinerzeit den Zivilstreit mit der umstrittenen Gebührenforderung
entschieden und könne deswegen nicht wirken. Auf die Beschwerde ist deshalb
in diesem Punkt nicht einzutreten. Es kommt hinzu, dass das Verhalten der
Beschwerdeführerin gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. Dem
Gericht eine allgemeine Rechtsfrage zu stellen und nach der korrekten
allgemein gehaltenen Antwort ein Ablehnungsbegehren zu stellen ist
rechtsmissbräuchlich.

2.3 Es trifft zu, dass das Bezirksgericht Wil am 9. Dezember 1997 einen
Zivilstreit entschieden und der Beschwerdeführerin Verfahrenskosten auferlegt
hat. Ebenso trifft zu, dass der Präsident der Bezirksgerichte Alttoggenburg
und Wil, E. Schnellmann, die Beschwerdeführerin auf den 3. Juli 2002 zur
Verhandlung betreffend definitive Rechtsöffnung vorgeladen und am 2. August
2002 den entsprechenden Entscheid gefällt hat. Die Beschwerdeführerin macht
in diesem Zusammenhang nicht geltend, das Bezirksgericht Wil, bzw. die
Bezirksgerichte Alttoggenburg und Wil seien für die beiden Verfahren
(Zivilstreit und Rechtsöffnung) örtlich oder sachlich nicht zuständig
gewesen. Vielmehr ist unbestritten, dass die beiden Verfahren - wie es die
Verfassung vorschreibt (Art. 30 Abs. 1 BV) - vom gesetzlich zuständigen
Gericht behandelt worden sind. Die Beschwerdeführerin greift auch nicht die
kantonale gesetzliche Zuständigkeitsordnung als solche an und legt
insbesondere nicht dar, welche Zuständigkeitsvorschrift inwiefern
verfassungswidrig sein könnte. Tatsächlich ist nicht erkennbar, weshalb das
Gericht, das in der Sache entschied, nicht im Bereich der Vollstreckung
entscheiden könnte, insbesondere wenn sich - wie im Rechtsöffnungsverfahren -
keine materiellrechtliche Fragen des ursprünglichen Streits stellen. Dies
trifft um so mehr zu, als Art. 79 SchKG den Sachrichter ausdrücklich
ermächtigt, den Rechtsvorschlag zu beseitigen und damit selber definitive
Rechtsöffnung zu erteilen (BGE 107 III 60; 128 III 39 E. 2 mit Hinweisen). An
diesem Ergebnis ändert nichts, dass die Buchhaltung des Bezirksgerichts
Alttoggenburg und Wil die Gebührenforderung eintreiben musste. Ein
Ausstandsbegehren gegen einen Richter liesse sich ohnehin nicht damit
begründen, dass er im Dienste des Staatswesens steht, dessen Forderung mit
Hilfe des Rechtsöffnungsverfahrens der betreibungsrechtlichen Vollstreckung
zugeführt werden soll (vgl. BGE 97 III 105 E. 3 S. 106).

2.4 Die Beschwerdeführerin macht im Übrigen nicht einmal geltend,
Gerichtspräsident E. Schnellmann habe in der Zivilrechtsstreitigkeit aus dem
Jahre 1997 mitgewirkt oder er sei anderweitig vorbefasst gewesen. Tatsächlich
ergibt sich aus dem Rubrum des Entscheids aus dem Jahre 1997, dass dieser
Gerichtspräsident nicht mitgewirkt hat. Bloss die Tatsache, dass am gleichen
Gericht von andern Richtern im Jahre 1997 Gebühren erhoben worden sind,
welche später eingetrieben werden müssen, ergibt keinen objektiven
Anhaltspunkt dafür, dass der heutige Rechtsöffnungsrichter am gleichen
Gericht nicht unbefangen über die Rechtsöffnung entscheiden könnte. Aus
diesem Grund ist unerheblich, ob E. Schnellmann in seiner Eigenschaft als
Gerichtspräsident von Obertoggenburg oder Wil entschieden hat; die
diesbezüglichen Sachverhaltsrügen sind deshalb nicht zu prüfen.

3.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und muss abgewiesen werden,
soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
trägt die Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bezirksgericht Wil und dem
Kantonsgericht St. Gallen, Präsident, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Oktober 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: