Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.329/2002
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2002
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2002


5P.329/2002 /bnm

Urteil vom 23. Dezember 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Möckli.

Greenfee GmbH, Hornergasse 15, 8001 Zürich,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Reto B. Känzig, Ämtlerstrasse 110, 8003 Zürich,

gegen

Zürcher Kantonalbank, Bahnhofstrasse 9, Postfach, 8022 Zürich,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechts-
anwalt lic. iur. Rolf Weber, Stünzi & Weber, Seestrasse 162a, Postfach, 8810
Horgen,
Obergericht des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, Postfach, 8023 Zürich.

Art. 9 BV usw. (Kollokation),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Zivilkammer, vom 11. Juli 2002.

Sachverhalt:

A.
Im Konkurs des René Karl Neuburger ist dessen Liegenschaft an der
Stauffacherstrasse 37 in Zürich zu verwerten. Als Grundpfandgläubigerinnen
treten die Zürcher Kantonalbank (ZKB) im 1.-6., die Credit Suisse (CS) im 7.
und die Greenfee GmbH (Greenfee) im 8. Rang auf. Die Greenfee ist Mieterin in
der zu versteigernden Liegenschaft, wobei die Mietverträge bis 30. August
2008 im Grundbuch vorgemerkt sind.

B.
Mit Kollokationsklage gemäss Art. 250 SchKG verlangte die Greenfee in ihrer
Eigenschaft als nachrangige Grundpfandgläubigerin, es sei lediglich eine
grundpfandrechtlich gesicherte Forderung der ZKB in der Höhe von Fr.
5'050'114.50 nebst Zins zu kollozieren und die darüber hinausgehenden
Forderungen seien zu streichen. Der Einzelrichter im beschleunigten Verfahren
am Bezirksgericht Zürich trat auf die Klage mit Verfügung vom 12. März 2002
mangels eines Rechtsschutzinteresses nicht ein, da kein Verwertungserlös zu
Gunsten der Greenfee zu erwarten sei. Die dagegen erhobene Nichtigkeitsklage
wies das Obergericht des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, mit Beschluss vom
11. Juli 2002 ab.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 16. September 2002 verlangt die Greenfee
im Wesentlichen die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids. Die
Beschwerdegegnerin schliesst mit Vernehmlassung vom 28. November 2002 auf
Abweisung der Beschwerde, die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz sei der Willkür
verfallen (Art. 9 BV) und habe ihr rechtliches Gehör verletzt (Art. 29 Abs. 2
BV); es wird demnach die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt (Art.
84 Abs. 1 lit. a OG). Die kantonalen Instanzen sind von einem Streitwert von
Fr. Null ausgegangen, womit die Berufung ausser Betracht fiele (Art. 46 OG).
Wie es sich damit verhält, kann letztlich offen gelassen werden, weil der
angefochtene Entscheid selbst vor der Willkürprüfung nicht standhält (dazu E.
3). Im Übrigen richtet sich die Beschwerde gegen einen kantonal
letztinstanzlichen Entscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Auf sie ist demnach
einzutreten.

2.
2.1 Dem Obergericht lagen drei Schätzwerte für die Liegenschaft
Stauffacherstrasse 37 sowie weitere Dokumente vor, darunter namentlich ein
Kaufvertrag vom 30. Juni 1998 über die Liegenschaft Stauffacherstrasse 33.

Das Obergericht hat dazu erwogen, die Schätzung der Konkursverwaltung vom 22.
November 2000 beziffere den Wert der Liegenschaft auf Fr. 4 Mio., wobei sich
diese Angabe allerdings nur dem Lastenverzeichnis entnehmen lasse (5a). Im
Jahr 1994 sei der Verkehrswert auf Fr. 5,2 Mio. festgesetzt worden; dieses
Gutachten sei an sich überzeugend, erweise sich jedoch als wenig tauglich,
weil seinerzeit die im Grundbuch vorgemerkten Mietverträge noch nicht
bestanden hätten (5c). Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Schätzung
vom 15. Februar 2001, die von einem Verkehrswert von über Fr. 6 Mio. ausgehe,
sei mangelhaft, da dem Gutachter die Gebäudeversicherungsschätzung und ein
vollständiger Grundbuchauszug gefehlt hätten; überdies habe er sich auf eine
Realwertschätzung beschränkt (5d). Die weiteren Unterlagen seien untauglich,
da vergleichserhebliche Angaben in Bezug auf die Liegenschaft
Stauffacherstrasse 37 fehlten (5e). Für diese sei, namentlich wegen der
vorgemerkten Mietverträge, von einem Schätzwert zwischen Fr. 4 und 5 Mio.
auszugehen. Diesem Wert stünden im Vorgang zur Beschwerdeführerin
pfandgesicherte Forderungen der Beschwerdegegnerin und der CS von über Fr. 6
Mio. gegenüber (Kapitalforderungen nebst Zinsen bis zum erstinstanzlichen
Entscheid), weshalb kein Verwertungserlös zu Gunsten der Beschwerdeführerin
zu erwarten sei. Ihr fehle damit ein rechtliches Interesse an der
Kollokationsklage.

2.2 Die Beschwerdeführerin hält diese Begründung für willkürlich und
gehörsverletzend. Es gehe nicht an, für die Eintretensfrage ohne eigene
Schätzung auf diejenige des Konkursamtes abzustellen, umso weniger als die
amtliche Schätzung vom 22. November 2000 gar nicht auf einem Gutachten,
sondern einer blossen Protokollnotiz eines Mitarbeiters des Konkursamtes
Zürich-Aussersihl beruhe, wie das Amt auf telefonische Anfrage hin bestätigt
habe. Ebenso sei es willkürlich, auf eine Schätzung aus dem Jahr 1994, dem
Höhepunkt der Immobilienkrise, abzustellen, denn seither hätten die
Liegenschaftspreise wieder stark angezogen. Angesichts der Möglichkeit des
Doppelaufrufes sei im Übrigen das Argument, die vorgemerkten Mietverträge
würden den zu erwartenden Erlös drücken, nicht stichhaltig. Dem
Steigerungserlös stünden nicht die vom Obergericht angenommenen, sondern
lediglich die von ihr (der Beschwerdeführerin) anerkannten
grundpfandgesicherten Forderungen der Beschwerdegegnerin von Fr. 5'050'114.50
und der CS von Fr. 382'322.95 gegenüber, mit Zins bis Klageeinleitung total
ausmachend Fr. 5'853'065.40. Schliesslich seien zwischen Konkurseröffnung und
Klageerhebung mehr als Fr. 150'000.-- anrechenbare Mietzinsen eingegangen. Es
sei keineswegs auszuschliessen, dass ein Steigerungserlös erzielt werde, der
die Differenz von Fr. 5,7 Mio. übersteige.

2.3 Die Beschwerdegegnerin bringt in ihrer Vernehmlassung vor, der Konkursit
habe die Beschwerdeführerin gegründet und mit dieser im Grundbuch vorgemerkte
Mietverträge zu marktunüblichen Konditionen abgeschlossen, um die
Liegenschaft für potentielle Käufer unattraktiv zu machen. Dieses Vorgehen
sei missbräuchlich und verdiene keinen Schutz. Die Behauptung, das Konkursamt
habe kein Gutachten erstellen lassen, sei erfunden; tatsächlich liege dieses
bei den erstinstanzlichen Akten. Es sei drei viertel Jahre vor
Konkurseröffnung von einer anerkannten Liegenschaftenschätzerin erstellt
worden und habe auch heute noch Gültigkeit.

3.
3.1 Im Prozess vorgetragene Begehren sind materiell nur zu beurteilen, wenn
sie auf einem hinreichenden und in der Regel aktuellen Interesse gründen.
Geht es um Ansprüche des Bundesrechts, beurteilt sich abschliessend danach,
ob ein hinreichendes Interesse an deren gerichtlichen Beurteilung besteht.
Ein solches fehlt im allgemeinen, wenn der streitige Anspruch bereits
befriedet ist oder überhaupt nicht befriedet werden kann. Erforderlich ist im
Regelfall ein persönliches Interesse des Petenten, welches in dem Sinn
rechtlicher Natur ist, als die anbegehrte Feststellung oder Gestaltung einer
Rechtslage ihm einen Nutzen eintragen muss (BGE 122 III 279 E. 3a S. 282
m.w.H.). Als Prozessvoraussetzung ist das Vorliegen des
Rechtsschutzinteresses von Amtes wegen zu überprüfen (Kummer, Grundriss des
Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 86).

Selbst wenn mit Sicherheit feststeht, dass ein (Grundpfand)gläubiger nicht
direkt vom Erlös des verwerteten Grundpfandes oder einer Konkursdividende
profitieren wird, kann ihm die Gutheissung einer Kollokationsklage unter
Umständen nutzbringend im erwähnten Sinne sein: Vermag er unberechtigte
(Grundpfand)- forderungen wegzuweisen, konkurriert er mit kleineren
Pfandausfällen bzw. weniger hohen Verlustscheinforderungen. Handelt es sich
beim Konkursiten wie vorliegend um eine natürliche Person, erhöht sich
dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Verluste wird einbringen
können, wenn der Konkursit beispielsweise erbt oder auf andere Weise wieder
zu Geld kommt. Dieser Gesichtspunkt muss jedoch nicht weiter verfolgt werden,
da im vorliegenden Fall keineswegs von vornherein auszuschliessen ist, dass
die Beschwerdeführerin mindestens teilweise am Steigerungserlös wird
partizipieren können.

3.2 Die Vorinstanz hat sowohl das von der Beschwerdeführerin ins Recht
gelegte Gutachten als auch dasjenige der Beschwerdegegnerin aus dem Jahr 1994
als untauglich verworfen und damit in einem gewissen Sinn die
betreibungsamtliche Schätzung zu ihrer eigenen gemacht. Wie den Erwägungen im
angefochtenen Entscheid zu entnehmen ist ("wobei sich diese Angabe lediglich
dem Lastenverzeichnis entnehmen lässt"), hat sie dabei das der
betreibungsamtlichen Schätzung zu Grunde liegende Gutachten gar nicht
beachtet und schon gar nicht gewürdigt. Zudem hat sie das - von der
Beschwerdegegnerin als Gläubigerbank zweifellos mit gewissenhafter
Zurückhaltung erstellte - Gutachten aus dem Jahr 1994 mit wenig stichhaltigen
Argumenten als untauglich qualifiziert, lassen sich doch allfällige negative
Auswirkungen der vorgemerkten Mietverträge ohne weiteres dadurch beseitigen,
dass eine der drei Grundpfandgläubigerinnen den Doppelausruf gemäss Art. 142
SchKG verlangt. In der Vernehmlassung wird diese Möglichkeit denn auch nicht
bestritten.

Wie es sich mit den Schätzungen im Detail verhält, braucht indes nicht
abschliessend erörtert zu werden, denn als willkürlich erweist sich die
Argumentationsweise des Obergerichts als solche: Es ist nicht
ausschlaggebend, ob die Gutachten einer akribischen Prüfung standhalten oder
nicht, sind doch Schätzungen bereits vom Begriff her keine mathematischen
Operationen, sondern blosse Hypothesen und Näherungen an die Wirklichkeit. Es
bestehen denn auch keine verbindlichen Formeln, wie Liegenschaften zu
schätzen sind (z.B. Verhältnis von Real- und Ertragswert sowie Art der
Berechnung dieser beiden Grössen); der effektive Marktwert einer Liegenschaft
erweist sich erst beim (Steigerungs)kauf. In diesem Zusammenhang ist
notorisch, dass die auf dem Markt tatsächlich erzielten Preise nicht nur
erheblichen Schwankungen unterliegen, sondern vielfach auch ausgesprochen
spekulative oder subjektive Preiskomponenten enthalten. Dies wird namentlich
durch den in der Erwägung 5c als untaugliche Vergleichsgrösse hingestellten
Kaufvertrag für die Liegenschaft Stauffacherstrasse 33 belegt, mit dem die
1988 von der Gebäudeversicherungsanstalt auf Fr. 4,95 geschätzte Liegenschaft
im Jahr 1998 für Fr. 8,6 Mio. verkauft worden ist. Wendete man den gleichen
Faktor auf die 1990 von der Gebäudeversicherungsanstalt auf Fr. 3,11 Mio.
geschätzte Liegenschaft Stauffacherstrasse 37 an, resultiert ein Wert im
kritischen Bereich. Nichts anderes lässt sich den aktenkundigen Gutachten,
namentlich demjenigen der Beschwerdegegnerin aus dem Jahr 1994, entnehmen. Es
ist zwar gut möglich, ja sogar überwiegend wahrscheinlich, dass der
Steigerungserlös die vorrangigen Grundpfandforderungen nicht vollumfänglich
decken wird, ausgeschlossen ist es aber nicht. Vor diesem Hintergrund erweist
es sich als willkürlich, ein Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an
der Kollokationsklage zu verneinen und auf diese nicht einzutreten.

3.3 Ob die Kollokationsklage allenfalls als rechtsmissbräuchlich anzusehen
und aus diesem Grund unzulässig wäre, wie dies die Beschwerdegegnerin in
ihrer Vernehmlassung sinngemäss behauptet, lässt sich vorliegend nicht
prüfen: Das Vorbringen geht an der Sache vorbei, nachdem die Vorinstanz keine
entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen getroffen und sich zu dieser Frage
nicht geäussert hat.

4.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist gutzuheissen und der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, vom 11. Juli 2002
aufzuheben. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin kosten-
und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). Mit dem
Entscheid in der Hauptsache wird im Übrigen das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, vom 11. Juli 2002 wird
aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Dezember 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: