Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.268/2002
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5P.268/2002 /bnm

Sitzung vom 21. November 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichterin Escher,
Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Schett.

A. ________ (Ehemann),
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Peter Sorg, Vordergasse
31/33, Postfach, 8201 Schaffhausen,

gegen

B.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
Werner Brandenberger, Pfrundhausgasse 9, Postfach 3196, 8201 Schaffhausen,
Obergericht des Kantons Schaffhausen, Postfach 568, 8201 Schaffhausen.

Art. 9 BV (vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungs-
verfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Schaffhausen vom 28. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Ehemann) und B.________ (Ehefrau) reichten am 11. Oktober 2001
beim Kantonsgericht Schaffhausen das gemeinsame Scheidungsbegehren ein. Auf
Ersuchen der Ehefrau verpflichtete der Einzelrichter des Kantonsgerichts
Schaffhausen am 25. März 2002 den Ehemann, ihr ab 1. Juli 2001 einen
monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'668.-- zu bezahlen. Die von
A.________ dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obergericht des
Kantons Schaffhausen am 28. Juni 2002 abgewiesen.

B.
B.aA.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichts aufzuheben. B.________ schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

B.b Mit Verfügung vom 19. August 2002 hat der Präsident der II.
Zivilabteilung der staatsrechtlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung
begrenzt auf die bis und mit Juni 2002 aufgelaufenen Unterhaltsbeiträge
zuerkannt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der im vorsorglichen Massnahmeverfahren ergangene Entscheid der oberen
kantonalen Instanz gilt nicht als Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG
und ist daher nicht mit Berufung anfechtbar. Hingegen ist die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte in
einem solchen Falle gegeben (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG; BGE 126 III 261 E. 1).

2.
2.1 Gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG hat sich der Beschwerdeführer mit den
Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinander zu setzen und im
Einzelnen darzustellen, worin die Verletzung der angerufenen
Verfassungsrechte bestehen soll. Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren
prüft das Bundesgericht nur klar und einlässlich erhobene Rügen. Auf
ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen
Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 127 III 279 E. 1c S. 282;
125 I 492 E. 1b S. 495, je mit Hinweisen). Rügt der Beschwerdeführer eine
Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV), so reicht es - anders als bei
einem appellatorischen Rechtsmittel - nicht aus, die Rechtslage aus Sicht des
Beschwerdeführers darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen
Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist anhand der
angefochtenen Subsumtion im Einzelnen darzustellen, inwiefern das kantonale
Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid
deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 117
Ia 10 E. 4b S. 11/12).

2.2 Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde sind neue tatsächliche und
rechtliche Vorbringen grundsätzlich unzulässig  (BGE 118 Ia 20 E. 5a S. 26;
124 I 208 E. 4b S. 212).

3.
3.1 Das Obergericht führt aus, gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB treffe das Gericht
die nötigen vorsorglichen Massnahmen. Die Höhe des Unterhaltsbeitrages richte
sich nach den Bedürfnissen der Ehegatten sowie nach den persönlichen
Umständen, d.h. der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit (Art. 163 Abs. 3
ZGB). Dabei sei vom erzielbaren Einkommen beider Ehegatten auszugehen.
Massgebend sei, was in guten Treuen beziehungsweise bei gutem Willen als
Einkommen erzielt werden könne. Auf ein entsprechendes hypothetisches
Einkommen  abzustellen, rechtfertige sich insbesondere, wenn eine Partei ihr
Einkommen freiwillig vermindert habe. Wo jedoch die reale Möglichkeit fehle,
das Einkommen wieder zu steigern beziehungsweise die bisherige höhere
Leistungskraft wieder zu erreichen, müsse eine entsprechende
Einkommenssteigerung ausser Betracht bleiben (BGE 117 II 16 ff.; 119 II 314
E. 4a). Für die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens sei folglich
Voraussetzung, dass die Einkommenssteigerung möglich und zumutbar sei. Diese
Auffassung könne jedoch zu stossenden Ergebnissen führen, welche durch das
Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB zu korrigieren seien
(Bräm/Hasenbohler, Zürcher Kommentar, N. 97 zu Art. 163 ZGB).

In tatsächlicher Hinsicht wird im angefochtenen Urteil festgehalten, der
Beschwerdeführer habe sich vom 13. Juni bis 23. Juli 2001 im
Psychiatriezentrum Z.________ aufgehalten. Danach sei er nicht mehr in die
eheliche Wohnung zurückgekehrt. Am 10. Oktober 2001 hätten die Parteien beim
Kantonsgericht Z.________ das gemeinsame Scheidungsbegehren eingereicht. Der
Beschwerdeführer sei bei der Versicherung C.________ gegen Erwerbsausfall
versichert gewesen und habe eine monatliche Erwerbsausfallrente (Ablauf 31.
Dezember 2004) von Fr. 5'833.-- erhalten. Auf Verlangen des Beschwerdeführers
habe ihm die Versicherung C.________ eine einmalige Auszahlung von Fr.
203'000.-- offeriert, welche er am 30. August 2001 akzeptiert habe; und tags
darauf habe er sich in Z.________ abgemeldet. Mit der ihm ausbezahlten Summe
habe er in Österreich am 5. Oktober 2001 eine 4 1/2 - Zimmerwohnung gekauft.
Damit habe der Beschwerdeführer freiwillig auf die ihm monatlich zustehende
Rente von Fr. 5'833.-- verzichtet. Durch den Wohnungskauf habe er auch
verunmöglicht, aus dem Kapital einen Vermögensertrag zu erwirtschaften,
obwohl er habe wissen müssen, dass er seinen Teil an den Unterhalt der
Familie zu leisten habe. Das Obergericht schliesst, der Massnahmenrichter
habe deshalb keine Ermessensüberschreitung begangen, wenn er das Verhalten
des Beschwerdeführers als rechtsmissbräuchlich beurteilt und ihm ein
hypothetisches Einkommen von Fr. 8'188.-- aufgerechnet habe.

3.2 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht in mehrfacher Hinsicht Willkür
vor:
3.2.1Er rügt vorerst, das Obergericht habe sein Verhalten als
rechtsmissbräuchlich angesehen, obwohl er nachweislich im rechtlich
relevanten Zeitraum in psychiatrischer Behandlung, ja sogar in der Klinik
gewesen sei. Ein solcher Schluss sei angesichts der bekannten
Krankheitsgeschichte offensichtlich unhaltbar.

Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich jedoch nicht, dass der
Beschwerdeführer krankheitsbedingt die Folgen seines Handelns nicht hätte
erkennen können. Darin wird - wie erwähnt - lediglich festgehalten, der
Beschwerdeführer habe sich vom 13. Juni bis 23. Juli 2001 im
Psychiatriezentrum Z.________ aufgehalten. Das Schreiben des Kantonsspitals
Z.________ vom 10. Juni 2001 an Dr. D.________, das auch dem Obergericht
vorgelegen hat, lässt keineswegs auf eine Einschränkung der Urteilsfähigkeit
im kritischen Zeitpunkt schliessen. Wenn der Beschwerdeführer trotzdem daraus
sinngemäss ableiten will, er sei nicht in der Lage gewesen, überlegt und
rational zu handeln, ohne jedoch den wesentlichsten Inhalt des Schreibens in
der Beschwerdeschrift selber wiederzugeben (vgl. dazu BGE 115 Ia 27 E. 4a S.
30; 109 Ia 217 E. 2b S. 226), so übt er lediglich unzulässige appellatorische
Kritik am angefochtenen Entscheid. Denn er legt nicht dar, inwiefern das
Obergericht gestützt auf dieses Schreiben den  Gesundheitszustand willkürlich
gewürdigt haben soll. Auf die Rüge kann somit nicht eingetreten werden (E 2.1
hiervor).

3.2.2 Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, das Obergericht habe nicht
dargelegt, dass der Vermögensverlust rückgängig gemacht werden könnte oder
dass der Beschwerdeführer den angerechneten Vermögensertrag auf andere Weise
zu erzielen vermöchte. Es stehe daher fest, dass es ihm unmöglich sei, das
ihm aufgerechnete Einkommen zu erzielen. Diese Vorbringen genügen den
Begründungsanforderungen des Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht.

Die Anrechnung eines hypothetischen, höheren Einkommens hat keinen pönalen
Charakter. Es geht vielmehr darum, dass der Unterhaltspflichtige das
Einkommen zu erzielen hat, das ihm zur Erfüllung seiner Pflichten tatsächlich
möglich und zumutbar ist. Selbst bei Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit
in Schädigungsabsicht darf dem rechtsmissbräuchlich handelnden Ehegatten ein
hypothetisches Einkommen nur angerechnet werden, wenn er die Verminderung
seiner Leistungskraft rückgängig machen kann (BGE 128 III 4 E 4a S. 6). Ob an
der Bedingung der Rückgängigmachung der Verminderung der Leistungskraft bei
Böswilligkeit festgehalten werden soll, hat das Bundesgericht in diesem
Entscheid offen gelassen (E. 4a in fine). Und mangels hinreichender
Begründung, welche sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, ist auch hier
nicht darüber zu befinden.

Der vorliegende Fall ist nicht vergleichbar mit jenem des Ehemannes, der sein
Vermögen verbraucht oder beispielsweise an seine Kinder verschenkt hat und
infolgedessen objektiv nicht mehr darauf greifen kann. Der Beschwerdeführer
ist Eigentümer der Liegenschaft und behauptet nicht, diese sei unverkäuflich.
Es könnte unter den gegebenen Umständen aber auch nicht darauf ankommen, ob
der Beschwerdeführer mit einem Verkauf das ursprünglich investierte Kapital
wieder vollumfänglich erzielt oder nicht. Im Übrigen ist es nicht einmal
notwendig, den Kauf rückgängig zu machen und kommt es infolgedessen auch gar
nicht darauf an. Denn zweifellos könnte der Beschwerdeführer die Liegenschaft
in einem gewissen Umfang belehnen, um daraus die Alimente zu bezahlen.
Jedenfalls behauptet er nicht, dass eine solche - auf der Hand liegende -
Lösung ausgeschlossen wäre. Ist der aus dem Verkauf erzielte Erlös aufgezehrt
oder die Limite für eine hypothekarische Belehnung erreicht, kann eine
Abänderung der Massnahme verlangt werden. Die Ehegatten haben aber keinen
Anspruch darauf, ihr Vermögen zu schonen, und unter Umständen muss eben auch
nicht liquides Vermögen zur Ausschöpfung von Kreditmöglichkeiten eingesetzt
werden.

3.2.3Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, das Obergericht sei
auch deshalb in Willkür verfallen, weil es den Grundsatz missachtet habe,
wonach einem Unterhaltsschuldner bei engen finanziellen Verhältnissen
zumindest das betreibungsrechtliche Existenzminimum zu belassen sei (BGE 127
III 68 ff.). Dieses Vorgehen sei in casu schon deshalb unhaltbar, weil die
Beschwerdegegnerin nachgewiesenermassen ihren Unterhalt aus eigenen Mitteln
bestreiten könne, und zwar nicht nur im Umfang des Existenzminimums, sondern
in demjenigen des erweiterten Notbedarfs.

Auch auf diese Vorwürfe kann nicht eingetreten werden. Der erste Einwand wird
nicht ansatzweise begründet (E. 2.1 hiervor); und mit dem Existenzminimum der
Beschwerdegegnerin hat sich das Obergericht weder in tatsächlicher noch in
rechtlicher Hinsicht befasst (E. 2.2 hiervor).

4.
Nach dem Ausgeführten kann auf die staatsrechtliche Beschwerde insgesamt
nicht eingetreten werden. Der Beschwerdeführer wird somit kostenpflichtig
(Art. 156 Abs. 1 OG) und hat die Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. November 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: