Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.182/2002
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5P.182/2002 /min
Urteil vom 21. Juni 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Möckli.

A. ________ (Ehemann),
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Jürg Raidt,
Seminarstrasse 44, 5400 Baden,

gegen

B.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecherin Mirjam Egloff-Buner,
Stadtturmstrasse 19, 5401 Baden,
Obergericht des Kantons Aargau, 5. Zivilkammer, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Art. 8,9,29 u. 30 Abs. 1 BV (Eheschutz),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 5. Zivilkammer, vom 4. März 2002.

Sachverhalt:

A.
Mit Gesuch um vorsorgliche Massnahmen während hängigem Scheidungsverfahren
vom 5. Februar 1999 verlangte A.________ (Ehemann) Unterhaltsbeiträge von je
Fr. 1'500.-- für November und Dezember 1998 und von Fr. 4'400.-- pro Monat ab
Januar 1999. Mit Urteil vom 30. Juni 1999 sprach das Gerichtspräsidium Baden
A.________ die verlangten Unterhaltsbeiträge für die Monate November und
Dezember 1998 zu und verneinte im Übrigen einen Unterhaltsanspruch. Mit
Urteil vom 10. Dezember 1999 gewährte das Obergericht des Kantons Aargau, 5.
Zivilkammer, zusätzlich für die Zeit von Januar bis April und Juli bis Mitte
August 1999 einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 885.-- pro Monat.

Mit Urteil vom 24. August 1999 schied das Bezirksgericht Baden die Ehe der
Parteien gestützt auf Art. 142 aZGB. Auf Appellation des A.________ hin wies
das Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, die Scheidungsklage mit
Urteil vom 15. September 2000 ab, nachdem per 1. Januar 2000 das neue
Scheidungsrecht in Kraft getreten war.

B.
Am 22. Dezember 2000 stellte A.________ beim Gerichtspräsidium Baden ein
Eheschutzgesuch, mit welchem er u.a. Unterhaltsbeiträge ab Dezember 1999,
eine Schuldneranweisung gemäss Art. 177 ZGB sowie einen
Prozesskostenvorschuss verlangte. Am 3. Oktober 2001 wurden die betreffenden
Begehren erstinstanzlich abgewiesen. Mit Urteil vom 4. März 2002 berichtigte
das Obergericht des Kantons Aargau, 5. Zivilkammer, den erstinstanzlichen
Entscheid von Amtes wegen insofern, als es auf das Unterhaltsbegehren für die
Zeit von Dezember 1999 bis Oktober 2000 nicht eintrat; im Übrigen wies es
sämtliche Begehren ab.

C.
Gegen diesen Entscheid hat A.________ am 7. Mai 2002 staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht. Er verlangt die Aufhebung des angefochtenen Urteils,
die Rückweisung an die Vorinstanz sowie die unentgeltliche Rechtspflege. Es
sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen
abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 125 I 104 E. 1b S. 107; 127 II 1 E.
2c S. 5). Soweit der Beschwerdeführer mehr verlangt als die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides, ist auf seine Begehren nicht einzutreten.

1.2 Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde sind neue tatsächliche und
rechtliche Vorbringen grundsätzlich unzulässig (BGE 114 Ia 204 E. 1a S. 205;
118 Ia 20 E. 5a S. 26) und es können auch keine neuen Beweismittel
eingereicht werden (BGE 108 II 69 E. 1 S. 71). Im Übrigen prüft das
Bundesgericht bei der staatsrechtlichen Beschwerde nur klar und detailliert
erhobene Rügen (Rügeprinzip), die soweit möglich zu belegen sind.
Demgegenüber tritt es auf ungenügend begründete Rügen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht ein (BGE 125 I 492 E.
1b S. 495; 127 III 279 E. 1c S. 282).

Nach dem Gesagten ist auf die allgemeinen Ausführungen zum neuen
Scheidungsrecht, zum Verfahrensgang sowie zur angeblich ungebührlichen
Behandlung durch die kantonalen Behörden nicht einzutreten, und die neu
eingereichten Beweismittel sind nicht zu berücksichtigen.

2.
Der Beschwerdeführer behauptet eine Verletzung des Anspruches auf ein
unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV).

Ungeachtet der Frage, ob die Rüge nicht verspätet erhoben worden ist,
scheitert sie bereits an mangelnder Substanziierung (Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG). Mit dem blossen Hinweis, die Richter seien bereits "im brisanten
1999er-Verfahren ... am Zug" gewesen, ist kein Ausschlussgrund dargetan; dass
ein Richter bereits in einem Scheidungsverfahren mitgewirkt hat, begründet
keine Befangenheit in einem späteren Eheschutzverfahren (vgl. BGE 114 Ia 50
E. 3d S. 57; Urteil 1P.208/1996 vom 26. Juni 1996, E. 3b, publ. in: ZBl 1997,
S. 515 ff.). Nicht nachvollziehbar ist schliesslich, inwiefern die Richter an
der Sache "eigene Interessen" haben sollen. Darauf ist nicht einzutreten.

3.
Das Obergericht hat im Wesentlichen erwogen, der Eheschutzrichter sei zwar
nicht an den mit der Abweisung der Scheidungsklage dahinfallenden
Massnahmeentscheid gebunden, aber die Bemessung der Unterhaltsbeiträge richte
sich weitgehend nach den gleichen Regeln und der Eheschutzrichter habe bei
unveränderten Verhältnissen keine Veranlassung für eine abweichende
Beurteilung. Die Möglichkeit, mit einem Eheschutzgesuch rückwirkend auf ein
Jahr Unterhaltsbeiträge zu verlangen, entfalle, wenn für diese Zeit über die
Unterhaltsfrage bereits entschieden worden sei. Im vorliegenden Fall hätten
die Parteien am 22. Dezember 1997 nach einer Bekanntschaftszeit von drei
Monaten geheiratet und sich am 5. Mai 1998 bereits wieder getrennt. Während
der viereinhalb Monate des Zusammenlebens hätten die Parteien vom Einkommen
der Beschwerdegegnerin gelebt. Nach Abzug des gemeinsamen Existenzminimums
sei ein Überschuss von Fr. 2'000.-- verblieben. An diesen Lebensstandard
könne der Beschwerdeführer heute anknüpfen, da er durchschnittlich ein
Einkommen von etwas über Fr. 3'000.-- und ein Existenzminimum in der
Grössenordnung von Fr. 2'000.-- habe. Ohnehin sei es fraglich, ob der
Beschwerdeführer aus einem allfällig höheren Lebensstandard während des
Zusammenlebens etwas für sich ableiten könnte. Dieses sei angesichts der
kurzen Dauer nicht lebensprägend gewesen, weshalb es sachgerecht erscheine,
die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien mit einzubeziehen.
Hierfür sei unter den gegebenen Umständen an der vorehelichen Lebenshaltung
anzuknüpfen, als der Kläger als Asylbewerber im Gastgewerbe gearbeitet habe
und während längeren Phasen arbeitslos gewesen sei. Demgegenüber gestalte
sich seine heutige wirtschaftliche Situation erheblich günstiger, verfüge er
doch über eine feste Anstellung und ein gesichertes Einkommen.

4.
In dieser Begründung erblickt der Beschwerdeführer in mehrfacher Hinsicht
eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV).

4.1 Zum ersten hält der Beschwerdeführer die Erwägung, im vorliegenden Fall
könnten keine rückwirkenden Unterhaltsbeiträge gesprochen werden, für
willkürlich. Im Massnahmeverfahren habe er nämlich vor Obergericht
ausgeführt, er sei seit dem 16. August 1999 im Stundenlohn angestellt, habe
aber noch keinen Lohn erhalten, könne folglich den Unterhaltsanspruch noch
nicht beziffern und behalte sich deshalb entsprechende Ergänzungen vor. Aus
diesem Grund habe der Massnahmeentscheid des Obergerichts vom 10. Dezember
1999 gar nicht bis zur Rechtskraft des abweisenden Scheidungsurteils wirken
können.

Weder macht der Beschwerdeführer geltend, nach Auszahlung des Lohns seine
Ansprüche je beziffert zu haben, noch behauptet er, dazu nicht in der Lage
gewesen zu sein. Zudem hat der Beschwerdeführer gegen den Massnahmeentscheid,
in welchem ihm ein bestimmter (später als zu niedrig empfundener) bzw. kein
Betrag zugesprochen worden ist, kein Rechtsmittel ergriffen, womit dieser in
Rechtskraft erwachsen ist. Er hat in der Folge auch keine veränderten
Verhältnisse geltend gemacht. Damit wären weitergehende Ansprüche ohnehin
verwirkt, und es kann offen bleiben, ob die Vorinstanz im vorliegenden Fall
einen rückwirkenden Unterhaltsanspruch willkürfrei verneinen durfte.

4.2 Der Beschwerdeführer hält dafür, die Annahme, er könne einen ähnlichen
Lebensstandard wie die Beschwerdegegnerin führen, sei willkürlich und
Verstosse gegen das Gleichheitsgebot (Art. 8 BV).

Das Obergericht hat mit einer selbständigen Alternativbegründung unter
Hinweis auf die sehr kurze Dauer des ehelichen Zusammenlebens erwogen, es
wären die Kriterien des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen und der
Beschwerdeführer befinde sich nunmehr in einer günstigeren Situation als vor
der Ehe.

Beruht der angefochtene Entscheid auf zwei selbständigen Begründungen, so
müssen beide angefochten werden, und zwar mit dem jeweils richtigen
Rechtsmittel (BGE 105 Ib 221 E. 2c S. 224; 107 Ib 264 E. 3b S. 268; 113 Ia 94
E. 1a/bb S. 95 f.; analog für die Berufung: BGE 111 II 397 E. 2b; 115 II 300
E. 2a S. 302). Ficht der Beschwerdeführer nur eine von zwei selbständigen
Begründungen an, bleibt der angefochtene Entscheid gestützt auf die
unangefochtene Begründung im Ergebnis auch dann bestehen, wenn die in der
Beschwerde erhobenen Einwände begründet sind.

Der Beschwerdeführer setzt sich mit der alternativen Begründung überhaupt
nicht auseinander. Auf die Rüge ist demnach nicht einzutreten.

4.3 Des Weiteren macht der Beschwerdeführer geltend, in willkürlicher Weise
habe das Obergericht die rechtlich und moralisch geschuldeten
Unterhaltszahlungen von Fr. 500.-- pro Monat an die in Syrien lebenden Eltern
nicht berücksichtigt, obwohl eine Bestätigung über die erfolgten Zahlungen
vorliege.

Mit den in diesem Zusammenhang vorgebrachten, weitgehend appellatorischen
Ausführungen ist Willkür nicht darzutun. Der Beschwerdeführer setzt sich
weder mit dem Argument, die Beschwerdegegnerin treffe keine Unterstützungs-
und Beistandspflicht, noch mit den Zweifeln des Gerichts an den Zahlungen
auseinander. Der Hinweis auf einen Entscheid des Bundesgerichts, wonach eine
Ehefrau verpflichtet wurde, ihren Ehemann, der seinem ausserehelichen Kind
Unterhalt schuldet, zu unterstützen, geht darüber hinweg, dass es vorliegend
allenfalls um moralisch, nicht aber um rechtlich geschuldete Leistungen geht.
Die Bemerkung, vor erster Instanz glaubhaft erklärt zu haben, wie die
Zahlungen vorgenommen würden und weshalb keine Quittungen vorlägen, verletzt
den Grundsatz, wonach die Begründung in der staatsrechtlichen Beschwerde
selbst zu erfolgen hat und der (sinngemässe) Verweis auf kantonale Akten
unzulässig ist (BGE 114 Ia 317 E. 2b S. 318).

Die Rüge bleibt somit unsubstanziiert (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), weshalb auf
sie nicht einzutreten ist.

5.
Der Beschwerdeführer macht abschliessend eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3
BV geltend, da ihm die unentgeltliche Rechtspflege nicht gewährt worden sei.

Das Obergericht hat den abweisenden Entscheid damit begründet, dass dem
Beschwerdeführer unter Berücksichtigung eines 20%-igen Zuschlages zum
Existenzminimum ein genügender Überschuss zur Deckung der anfallenden Kosten
verbleibe. Selbst unter Berücksichtigung der angeblichen Zahlungen an die
Eltern könnte er mit dem noch resultierenden Überschuss von Fr. 478.50 die
mutmasslichen Prozesskosten von Fr. 4'500.-- binnen zehn Monaten tilgen.

Was der Beschwerdeführer diesbezüglich vorbringt (rückzahlbarer
Sozialhilfebeitrag; die ihm zugesprochenen Unterhaltsleistungen habe er nie
erhalten; Aufwand für Fahrstunden), ist neu und damit unzulässig (BGE 114 Ia
204 E. 1a S. 205; 118 Ia 20 E. 5a S. 26). Was die bemängelte
Nichtberücksichtigung der
Steuern anbelangt, behauptet er nicht einmal, solche bezahlt zu haben. Die
Verhältnisse bei der Beschwerdegegnerin sind für die Frage der
unentgeltlichen Rechtspflege irrelevant und  entsprechende Hinweise gehen an
der Sache vorbei. Schliesslich ist der Hinweis auf die zögerliche Behandlung
des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege durch den erstinstanzlichen
Richter nicht geeignet, eine Verfassungswidrigkeit des abweisenden
oberinstanzlichen Entscheides nachzuweisen. Nachdem der Beschwerdeführer das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zusammen mit der Sache selbst
eingereicht hat, behauptet er im Übrigen zu Recht nicht, bei einer frühzeitig
erfolgten Abweisung des Gesuchs hätte er den Prozess nicht geführt.

Die Beschwerde ist demnach auch in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

6.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen
ist, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Wie die vorstehenden
Erwägungen zeigen, war sie offensichtlich von Anfang an aussichtslos. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist folglich abzuweisen (Art. 152 Abs.
1 OG).

7.
Die Gerichtsgebühr ist dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1
OG). Es ist keine Vernehmlassung eingeholt worden, weshalb der
Beschwerdegegnerin keine Parteientschädigung zuzusprechen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 5.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Juni 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: