Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.142/2002
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5P.142/2002 /bie

Urteil vom 31. Juli 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer, Gerichtsschreiber von Roten.

B. ________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Hess,
Casa Sulegl, 7413 Fürstenaubruck,

gegen

C.K.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Schmid,
Hartbertstrasse 11, Postfach 180, 7002 Chur,
Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer,
Poststrasse 14, 7002 Chur.

Art. 8 f. und Art. 29 Abs. 1 BV
(Persönlichkeitsschutz; Verfahrenssistierung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Kantonsgerichts (Zivilkammer) von Graubünden
vom 4. September 2001.

Sachverhalt:

A.
B. ________ ist Präsident des Stiftungsrats der H.X.________ Stiftung. An der
Stiftungsratssitzung vom 18. Dezember 1998 war das "Ausscheiden von Herrn Dr.
C.K.________ aus dem Stiftungsrat" traktandiert. B.________ begründete den
Ausschluss zur Hauptsache damit, dass C.K.________ seine Schwester bei der
Teilung des elterlichen Nachlasses zu übervorteilen versucht habe. Er verwies
weiter auf Ungereimtheiten bei der Abrechnung des Gewinnanteils, den
C.K.________ seiner Schwester nach einem Liegenschaftsverkauf hätte auszahlen
sollen. Der sechsköpfige Stiftungsrat wählte sein Mitglied C.K.________, der
sich zuvor in den Ausstand begeben hatte, mit drei gegen zwei Stimmen ab. Das
anschliessende Stiftungsaufsichtsbeschwerdeverfahren blieb ohne Erfolg
(zuletzt: Urteil des Bundesgerichts 5A.23/1999 vom 27. März 2000). Über das
Gewinnanteilsrecht ist unter den Geschwistern K.________ ein
Vertragsanfechtungsprozess hängig.

B.
Durch die Äusserungen von B.________ an der Stiftungsratssitzung vom 18.
Dezember 1998 sah sich C.K.________ in seiner Persönlichkeit verletzt. Das
Bezirksgericht Heinzenberg hiess die daherige Klage von C.K.________ gut und
stellte die Widerrechtlichkeit der Persönlichkeitsverletzung fest. Es ordnete
an, das Urteil nach Eintritt der Rechtskraft den Mitgliedern des
Stiftungsrats und dem Protokollführer der Stiftung mitzuteilen, und
verurteilte B.________ zur Bezahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 3'000.--
an C.K.________. Der Antrag von B.________, den Prozess bis zur Erledigung
der andern Verfahren (Stiftungsaufsicht und Vertragsanfechtung) zu sistieren,
wurde abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 2000). Die dagegen eingelegte
Berufung von B.________ und den dabei erneuerten Sistierungsantrag wies das
Kantonsgericht (Zivilkammer) von Graubünden ab (Urteil vom 4. September
2001).

C.
Gegen das kantonsgerichtliche Urteil hat B.________ eidgenössische Berufung
eingelegt und staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit dieser beantragt er
dem Bundesgericht die Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen Verletzung
der Art. 8 f. und Art. 29 Abs. 1 BV; er stellt Anträge in der Sache und
verlangt in prozessualer Hinsicht, das Verfahren bis zur Erledigung des
Vertragsanfechtungsprozesses zu sistieren und die aufschiebende Wirkung zu
gewähren. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Entscheidung über die Berufung wird in der Regel bis zur Erledigung der
staatsrechtlichen Beschwerde ausgesetzt; eine Ausnahme (BGE 122 I 81 E. 1 S.
82) von dieser Regel rechtfertigt sich nicht (Art. 57 Abs. 5 OG). Die Frage,
ob der Ausgang des Vertragsanfechtungsprozesses unter den Geschwistern für
das Persönlichkeitsschutzverfahren präjudiziell sein könnte, muss vor dem
Entscheid in der Sache beantwortet werden. Das Kantonsgericht hat den
entsprechenden Sistierungsantrag gestützt auf Art. 5 ZPO abgewiesen und dabei
Bundesrecht als kantonales Ersatzrecht angewendet. Dessen Verletzung kann mit
Berufung nicht gerügt werden (Art. 43 OG; BGE 128 III 76 E. 1a S. 80).

Die Begründungen von Beschwerde- und Berufungsschrift stimmen praktisch
wörtlich überein; nebst der verschiedenen Bezeichnung der Rechtsmittel
unterscheiden sie sich lediglich dadurch, dass die Berufungsschrift vier
zusätzliche Absätze an rechtlichen Ausführungen zu Art. 28 Abs. 2 ZGB
enthält, im Übrigen aber ebenfalls die Verfassungsrügen verzeichnet, die in
der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben werden, in der umgekehrt auch die
Verletzung von Art. 28 Abs. 2 ZGB geltend gemacht wird. Inhaltlich
übereinstimmende Rechtsmitteleingaben vor Bundesgericht sind nicht
unstatthaft, soweit die Vorbringen im Rahmen des entsprechenden Rechtsmittels
zulässig sind und den jeweiligen Begründungsanforderungen genügen (BGE 116 II
745 E. 2 S. 748; 118 IV 293 E. 2a S. 295). Nicht eingetreten werden kann hier
auf die Rüge, die Art. 28 ff. ZGB seien willkürlich (Art. 9 BV) bzw.
rechtsungleich (Art. 8 und Art. 29 Abs. 1 BV) angewendet worden. Damit werden
keine eigentlichen Verfassungsverletzungen geltend gemacht. Vielmehr wird
eine unrichtige oder mangelhafte Anwendung von Bundesprivatrecht beanstandet,
die mit Berufung vorzutragen ist (Art. 84 Abs. 2 OG; Urteil des
Bundesgerichts 5P.263/2000 vom 20. Juli 2001, E. 2b).

Die Abweisung des Sistierungsantrags ist als prozessleitende Verfügung ein
Zwischenentscheid (Urteil des Bundesgerichts P.1830/1986 vom 12. Januar 1987,
E. 1a), der hier mangels selbstständiger Eröffnung nur mit dem kantonal
letztinstanzlichen Sachurteil angefochten werden kann (Art. 87 OG). Durch das
kantonsgerichtliche Urteil in der Sache selbst ist das rechtliche Interesse
an der Beschwerde gegen die verweigerte Sistierung nicht entfallen, könnte
doch die geltend gemachte verfassungswidrige Beurteilung des
Sistierungsantrags unmittelbare Auswirkungen auf das Sachurteil haben, was
dessen Tatsachengrundlage anbetrifft (Art. 88 OG). Unzulässig sind die
Anträge des Beschwerdeführers, die über die blosse Aufhebung des
kantonsgerichtlichen Urteils hinausgehen (BGE 124 I 327 E. 4 S. 332 mit
Hinweisen auf hier nicht zutreffende Ausnahmen). Auf die staatsrechtliche
Beschwerde kann mit den erwähnten Vorbehalten eingetreten werden.

2.
An der Stiftungsratssitzung hatte der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner
vorgeworfen, seine Schwester im Zusammenhang mit der Abrechnung des ihr
zustehenden Gewinnanteils aus einem Hausverkauf unkorrekt behandelt zu haben,
gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass die Verteilung des Nettoerlöses
aus jenem Hausverkauf noch offen sei (vgl. den Protokollauszug auf S. 2 und 5
des angefochtenen Urteils). Um die Rechtmässigkeit seines Vorwurfes belegen
zu können, verlangte der Beschwerdeführer die Sistierung des
Persönlichkeitsschutzverfahrens bis zur Erledigung des hängigen
Vertragsanfechtungsprozesses über das Gewinnanteilsrecht. Das Kantonsgericht
hat das Sistierungsbegehren abgewiesen (E. 2 S. 9 ff.).

Da der Beschwerdeführer an der Stiftungsratssitzung ausdrücklich erwähnt hat,
die Verteilung des Nettoerlöses aus dem Hausverkauf sei noch offen, erscheint
sein Vorwurf, der Beschwerdegegner habe seine Schwester bei der Abrechnung
jenes Nettoerlöses und des ihr zustehenden hälftigen Gewinnanteils
benachteiligt, als blosser Verdacht. Der Beschwerdeführer hat deutlich zum
Ausdruck gebracht, dass nicht sicher oder zumindest (noch) nicht bewiesen
ist, ob der Beschwerdegegner das ihm unterstellte Verhalten tatsächlich zu
verantworten hat oder nicht. Steht die Rechtmässigkeit einer solchen
persönlichkeitsverletzenden Verdächtigung in Frage, muss auf die
Tatsachengrundlage im Zeitpunkt ihrer Äusserung abgestellt werden; dass sie
sich im Nachhinein als falsch erweist, ist nicht entscheidend, liefe das doch
auf eine unzulässige Beurteilung "ex post" hinaus (vgl. zum Grundsatz aus dem
Bereich der Presseberichterstattung: Urteil des Bundesgerichts 5C.249/1992
vom 17. Mai 1994, E. 4a Abs. 3; seither: Barrelet, Droit de la communication,
Bern 1998, N. 1310 und N. 1317 S. 380 f.; Geiser, Persönlichkeitsschutz:
Pressezensur oder Schutz vor Medienmacht?, SJZ 92/1996 S. 73 ff., S. 77
Ziffer 2.12.).

Für die Rechtmässigkeit des vom Beschwerdeführer geäusserten Verdachts, der
Beschwerdegegner habe seine Schwester bei der Gewinnanteilsabrechnung
benachteiligt, kann es auf Grund der gezeigten Rechtsprechung und Lehre auf
das Ergebnis des Vertragsanfechtungsprozesses nicht ankommen; die
Rechtmässigkeit muss vielmehr nach dem Kenntnisstand im Zeitpunkt der
Äusserung des Verdachts beurteilt werden. Unter diesem Blickwinkel erscheint
es von vornherein nicht als willkürlich, dass das Kantonsgericht die
Sistierung des Persönlichkeitsschutzverfahrens verweigert hat (Art. 9 BV;
vgl. zum Willkürbegriff: BGE 127 I 60 E. 5a S. 70). Es erübrigt sich damit,
auf die kantonsgerichtliche Begründung für die Abweisung des
Sistierungsbegehrens einzugehen (vgl. zur Motivsubstitution: BGE 128 III 4 E.
4c/aa S. 7).

3.
Mit Rücksicht auf die soeben dargelegten Rechtsgrundsätze muss auch der
Antrag, das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde bis zur
rechtskräftigen Erledigung des Vertragsanfechtungsprozesses zu sistieren,
abgewiesen werden. Da die gleichzeitige Erhebung der - im Grundsatz
zulässigen - Berufung den Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Urteils
gehemmt hat (Art. 54 Abs. 2 OG), erweist sich das Gesuch des
Beschwerdeführers um aufschiebende Wirkung als gegenstandslos. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156
Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Der Sistierungsantrag wird abgewiesen.

2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht (Zivilkammer) von
Graubünden schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. Juli 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: