Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.119/2002
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5P.119/2002/min

              II.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                        1. Juli 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der II. Zi-
vilabteilung, Bundesrichter Raselli, Bundesrichterin Escher,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl und Gerichts-
schreiber Schneeberger.

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                          In Sachen

A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechts-
anwalt Dominik Schnyder, Jurastrasse 20, 4600 Olten,

                            gegen

B.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprech Urs
Studer, Dammstrasse 21, Postfach 261, 4502 Solothurn,
Obergericht (Zivilkammer) des Kantons  S o l o t h u r n,

                         betreffend
                Eheschutz (Art. 9 und 12 BV),

         wird festgestellt und in Erwägung gezogen:

     1.- Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens zwischen
A.________ (Ehefrau) und B.________ (Ehemann) verpflichtete
der Amtsgerichtspräsident des Richteramts X.________ mit
Verfügung vom 31. Oktober 2001 den Ehemann, der Ehefrau
monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge für die Zeit
ab dem 1. Mai 2001 bis 30. November 2001 in der Höhe von
Fr. 1'250.-- und ab dem 1. Dezember 2001 in der Höhe von
Fr. 1'080.-- zu entrichten; gleichzeitig regelte er auch die
Unterhaltspflichten für die drei gemeinsamen, der Mutter
zugeteilten Kinder.

        B.________ stellte mit Rekurs die Berechnung seines
Grundbedarfes in Frage und verlangte für die Zeit ab dem
1. Dezember 2001 die Herabsetzung der Frauenrente auf
Fr. 250.-- im Monat. Das Obergericht des Kantons Solothurn
hiess das Rechtsmittel mit Urteil vom 5. Februar 2002 teil-
weise gut und setzte den Ehegattenunterhaltsbeitrag ab dem
1. Dezember 2001 auf Fr. 625.-- fest. Die Verfahrenskosten
regelte es auf der Basis der beiden Parteien gewährten unent-
geltlichen Rechtspflege.

        A.________ beantragt dem Bundesgericht mit staats-
rechtlicher Beschwerde, das obergerichtliche Urteil sei auf-
zuheben. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter Beiordnung
des Rechtsanwaltes ihrer Wahl. Der Beschwerdegegner schliesst
auf Abweisung der Beschwerde und ersucht ebenfalls um Verfah-
renshilfe.

     2.- Das Obergericht hat die Steuerlast von Fr. 320.-- im
Monat zum Grundbedarf des Beschwerdegegners hinzu geschlagen
mit der Begründung, das gebiete Ziff. III der Richtlinien für

die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums
(Notbedarf) nach Art. 93 SchKG der Aufsichtsbehörde für
Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn vom
15. Februar 2001. Die Aufsichtsbehörde habe die Praxis der
Betreibungsämter im Kanton Solothurn in ihrem Entscheid vom
6. Dezember 2000 überzeugend begründet (BlSchK 65/2001 Nr. 13
S. 98 ff.). Es bestehe kein Anlass, den Bedarf in eherecht-
lichen Verfahren anders zu berechnen, weil das betreibungs-
rechtliche Existenzminimum nicht höher sein könne als der
familienrechtliche Grundbedarf (E. 3d Abs. 2 S. 4). Die Be-
schwerdeführerin wendet ein, das Obergericht habe sich damit
willkürlich über die bundesgerichtliche Praxis hinweggesetzt.

        a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist
in finanziell knappen Fällen, wo das eheliche Einkommen zur
Deckung des Grundbedarfes zweier Haushalte  - wie hier -
nicht ausreicht, die Steuerpflicht des Rentenschuldners bei
der Berechnung seines familienrechtlichen Grundbedarfes
grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (BGE 126 III 353 E. 1
a/aa S. 356; 127 III 68 E. 2b S. 70). Diese im Bereich des
Kindesunterhalts begründete Praxis ist auf den nachehelichen
Unterhalt gemäss Art. 125 ZGB übertragen worden (BGE 127 III
289 E. 2a/bb S. 292) und findet auch bei der Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums Anwendung (BGE 126
III 89 E. 3b S. 93 mit Hinw.; dazu D. Gasser, ZBJV 137/2001
S. 308 oben).

        Eine kantonale Instanz verfällt in Willkür, wenn ihr
Urteil einen unbestrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt
oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider-
läuft (BGE 126 III 438 E. 3 S. 440; 125 II 129 E. 5b S. 134).
Insbesondere liegt Willkür nicht bereits dann vor, wenn die
Behörde im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Praxis ent-
scheidet, sofern sie ihre abweichende Auffassung sachlich zu
begründen vermag (BGE 93 I 278 E. 5b S. 284; 86 I 265 E. 3
S. 269; vgl. 115 II 201 E. 4a S. 205 f.). Eine Verletzung von

Art. 9 BV ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn eine andere
Entscheidvariante möglich oder gar vorzuziehen wäre, sondern
nur dann, wenn das Ergebnis mit vernünftigen Gründen nicht zu
vertreten ist (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 88 mit Hinw., 120 Ia
369 E. 3a).

        b) Nach diesen Grundsätzen ist vorliegendenfalls
Willkür aus zwei Gründen zu verneinen:

        Zum einen wird der Grundsatz, dass die laufenden
Steuern bei der Berechnung des familienrechtlichen Grundbe-
darfes nicht zu berücksichtigen sind, in der Literatur zum
Teil mit ausführlicher Begründung kritisiert (R. M. Cadosch,
Die Berücksichtigung der Steuerlast des Pflichtigen bei der
Festsetzung von (Kinder-)Unterhaltsbeiträgen, ZBJV 137/2001,
S. 145 ff.; Th. Ramseier, Konflikt in der Familie: Harmonie
in der Besteuerung?, FamPra.ch 2001, S. 505 f.; D. Bähler,
Unterhalt bei Trennung und direkte Steuern, ZBJV 138/2002
S. 24; Hausheer/Spycher [Herausgeber], Unterhalt nach neuem
Scheidungsrecht, Rz 05.91 S. 65; teilweise anders dieselben,
Handbuch des Unterhaltsrechts, Rz 01.81, 02.42, 03.79 ff.,
04.09 und 06.80 ff. S. 59 f., 81, 148 f., 197 und 344 ff.;
zustimmend B. Schnyder, ZBJV 137/2001, S. 409 f.). Ohne auf
die Kritik einzugehen, kann jedenfalls nicht gesagt werden,
der erwähnte Grundsatz sei unbestritten. Deshalb hat das
Obergericht nicht willkürlich entschieden, indem es von der
bundesgerichtlichen Praxis abgewichen ist.

        Zum anderen hat das Obergericht als Aufsichtsbehörde
seinen Entscheid vom 6. Dezember 2000 ausführlich begründet.
Es argumentiert als Aufsichtsbehörde vor allem damit, dass
die Steuerlast bei Quellensteuerpflichtigen berücksichtigt
werden müsse, dass der Unterhaltsschuldner (vom unsicheren
Steuererlass abgesehen) das Anwachsen der Steuerschulden
nicht vermeiden kann, dass eine kontinuierliche Neuverschul-
dung verhindert werden und dass ein Anreiz zur Erzielung

eines Erwerbseinkommens bestehen muss (BlSchK 65/2001 Nr. 13
S. 98 ff.; vgl. a.a.O. S. 104 auch G. Vonder Mühll). Es kann
nicht gesagt werden, die angeführten Gründe seien nicht sach-
lich im Sinne der vorerwähnten Rechtsprechung, weshalb der
angefochtene Entscheid auch aus diesem Grund nicht willkür-
lich ist.

     3.- Das Obergericht hat die Steuerlast von Fr. 320.-- im
Monat zum Grundbedarf des Beschwerdegegners hinzu geschlagen
mit der Begründung, das würden die kantonalen Richtlinien zur
Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums vor-
schreiben, falls die Steuern effektiv auch bezahlt würden.
Davon dürfe hier ausgegangen werden, weil die Beschwerdefüh-
rerin die Bezahlung nicht bestritten habe (E. 3d S. 4 f.).
Die Beschwerdeführerin rügt unter dem Titel willkürlicher
Sachverhaltsermittlung, das Obergericht habe diese Schluss-
folgerung gezogen, ohne abzuklären, ob der Beschwerdegegner
die Steuern auch wirklich bezahlt habe.

        Willkürliche Beweiswürdigung ist unter anderem dann
gegeben, wenn fallentscheidende Tatsachen beweismässig nicht
geklärt werden (BGE 101 Ia 545 E. 4d S. 551 f.). Die abgenom-
menen Beweise müssen die fragliche Tatsache belegen können
(BGE 112 Ia 369 E. 2c S. 371; vgl. zum Erfordernis der Taug-
lichkeit der Beweise allgemein BGE 124 I 208 E. 4a S. 211).

        Wohl hat das Obergericht die Schlussfolgerung, der
Beschwerdegegner habe seine Steuern effektiv bezahlt, nur auf
Grund des Verhaltens der Beschwerdeführerin im Prozess gezo-
gen. Jedoch ist es damit nicht in Willkür verfallen: Einlei-
tend stellt es fest, dass der erstinstanzliche Richter die
Steuerlast gestützt auf BGE 126 III 353 nicht berücksichtigt
hat (E. 3d a.A. S. 4). Der Beschwerdegegner hatte den erst-
instanzlichen Entscheid an das Obergericht weitergezogen und
schon zu Beginn des kantonalen Verfahrens geltend gemacht, er

bezahle regelmässig Steuern. Er hielt auch vor Obergericht an
der Ansicht fest, ihm müssten monatlich Fr. 320.-- an laufen-
den Steuern angerechnet werden. Die Beschwerdeführerin ver-
neinte vor Obergericht die Berücksichtigung der Steuern ein-
zig unter Hinweis auf BGE 126 III 353 und bestritt deren
Bezahlung durch den Beschwerdegegner nicht. Bei dieser Aus-
gangslage ist das Obergericht nicht in unhaltbarer Weise
davon ausgegangen, dass der Beschwerdegegner die Steuern
effektiv bezahlt hat.

     4.- Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von
Art. 12 BV geltend mit der Begründung, die Berücksichtigung
der Steuern bei der Berechnung des Grundbedarfes des Be-
schwerdegegners vermindere ihren Unterhaltsanspruch diesem
gegenüber. Mit dieser Rüge bleibt sie ohne Erfolg: Das Bun-
desgericht hat mit Rücksicht auf Art. 12 BV (vgl. Art. 127
Abs. 2 BV) bloss ausgeführt, der Rentenschuldner (hier der
Beschwerdegegner), dem die Steuerlast nicht aufgerechnet
werde, brauche sich nicht vor Steuerforderungen zu fürchten,
die seine Existenz gefährden (BGE 126 III 353 E. 1a/aa
S. 356). Art. 12 BV regelt das Verhältnis zwischen dem Staat
und dem hilfsbedürftigen Individuum (so auch BGE 121 I 101
E. 2b/cc, 3b und 4b und S. 104 ff.; 121 I 367 E. 2b und 2c
S. 371 ff.). Inwiefern Art. 12 BV der Beschwerdeführerin
einen Anspruch darauf gibt, die Steuerlast des Beschwerde-
gegners im Rahmen der Ermittlung ihres privatrechtlichen
Unterhaltsanspruches nicht zu berücksichtigen, ist nicht
begründet (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 125 I 71 E. 1c
S. 76).

     5.- Obwohl die staatsrechtliche Beschwerde erfolglos
bleibt, kann sie nicht als aussichtslos bezeichnet werden.
Weil auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, können
die Gesuche der Parteien um Gewährung der unentgeltlichen

Rechtspflege bewilligt werden (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG),
soweit das Gesuch des obsiegenden Beschwerdegegners nicht
ohnehin gegenstandslos geworden ist. Da beide Parteien offen-
sichtlich nicht über ausreichende Mittel für die Bestreitung
der Prozesskosten verfügen, ist der Rechtsanwalt des Be-
schwerdegegners ohne Vorbehalt der Einbringlichkeit der Par-
teientschädigung direkt aus der Bundesgerichtskasse zu ent-
schädigen.

        Wird dem Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung
der Verfahrenshilfe entsprochen, hat sie kein rechtlich ge-
schütztes Interesse (Art. 88 OG; z.B. BGE 122 I 44 E. 2b
S. 45 f.) an dessen Vorabbehandlung und an der Prüfung ihrer
Kritik an der bundesgerichtlichen Praxis, über das Gesuch
regelmässig zusammen mit dem Sachentscheid zu befinden. Dar-
auf ist nicht einzutreten. Die den amtlichen Rechtsvertretern
der Parteien zu entrichtenden Honorare werden entsprechend
Art. 9 des Tarifs für die Entschädigung an die Gegenpartei
für das Verfahren vor dem Bundesgericht vom 9. November 1978
(SR 173.119.1) gekürzt.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- a) Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege wird gutgeheissen, und es
wird ihr Rechtsanwalt Dominik Schnyder als amtlicher Rechts-
beistand bestellt.

        b) Das Gesuch des Beschwerdegegners um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege wird gutgeheissen, und es wird
ihm Fürsprech Urs Studer als amtlicher Rechtsbeistand be-
stellt.

     3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird der Beschwer-
deführerin auferlegt, einstweilen aber auf die Gerichtskasse
genommen.

     4.- Den in Ziff. 2 erwähnten Rechtsvertretern wird aus
der Bundesgerichtskasse je ein Honorar von Fr. 1'500.-- aus-
gerichtet.

     5.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht
(Zivilkammer) des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

                        _____________

Lausanne, 1. Juli 2002

               Im Namen der II. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: