Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.54/2002
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5C.54/2002 /bnm

Urteil vom 2. Mai 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichterin Hohl, Ersatzrichter Zünd,
Gerichtsschreiber Levante.

Z. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Patrick
Stach, Dufourstrasse 121, Postfach 1944, 9001 St. Gallen,

gegen

Versicherung Y.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Joos,
Marktplatz 4, Postfach 646, 9004 St. Gallen.

Versicherungsvertrag

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung,
vom 25. September 2001.

Sachverhalt:

A.
A.a Die in A.________ domizilierte Z.________ AG führt einen Schweinezucht-
und Schweinemastbetrieb. Unter dem Datum vom 5. Januar 1997 (recte: 1998)
unterzeichnete sie einen Antrag für eine Epidemieversicherung bei der
Versicherung Y._______. Seitens des Versicherers wurde der Antrag durch deren
Vertreter X.________ unterzeichnet. Gegenstand der Versicherung bildeten 140
Plätze für Muttersauen und Ferkel zu einer Tierplatzentschädigung (100 %) von
je Fr. 1'300.--, 200 Plätze für Aufzuchtremonten à Fr. 1'200.--, 8 Zuchteber
à Fr. 2'000.-- und 200 Mastschweine à Fr. 80.--. Das Total der Prämien
bezifferte sich auf Fr. 15'018.40, und als Versicherungsbeginn wurde der 5.
Januar 1998 beantragt. Bei der unter anderem gestellten Frage, ob in den
letzten drei Jahren von Organen des Schweinegesundheitsdienstes (SGD)
Statusänderungen angedroht oder angeordnet worden seien, "ohne dass ein
Krankheitsausbruch festgestellt worden wäre (z.B. mangelnde Überwachung,
Liefersperre usw.)", wurde im Antragsformular das Feld "Nein" angekreuzt.

A.b Mit Brief vom 18. Februar 1998 sandte der Versicherer der Z.________ AG
unter dem Betreff "Versicherungsabschluss per 5.1.1998" die
Versicherungspolice Nr. ... sowie die Prämienabrechnung mit
Einzahlungsschein. In der am 10. Februar 1998 ausgefertigten
Versicherungspolice ist als Vertragsbeginn der 1. Februar 1998 angegeben.

A.c Im Herbst 1997 war bei einzelnen Tieren Husten festgestellt worden. Das
Besuchsprotokoll vom 13. Oktober 1997 des Schweinegesundheitsdienstes, der
den Betrieb der Z.________ AG periodisch kontrolliert, enthält hierzu den
folgenden Vermerk:

"Befund/Empfehlung

Husten: Der Husten von letzter Woche hat sich gelegt. Es kam zu keiner
Ausbreitung, es musste nichts unternommen werden. Während des Besuches konnte
einmal bei einem Tier Husten gehört werden. Die interne Sperrung ist
aufgehoben.

Kontrollen: Am Mittwoch werden die Tiere, welche in Schwyz zur Schlachtung
kommen, nochmals kontrolliert.

Bestand entwurmen, da Leberschäden bei den Schlachttieren festgestellt werden
konnten. Am besten Bestand jährlich mindestens zweimal entwurmen."
Bei der Schlachtkontrolle vom 15. Oktober 1997 gelangte Dr. med. vet.
W.________ vom Schweinegesundheitsdienst zum Befunde, dass bei 24
untersuchten Tieren die Lungen keine krankhaften Veränderungen zeigten, dass
aber sechs Tiere ausgedehnte Verwachsungen im Bereich der Brustorgane
aufwiesen (Pleuritis-Pericarditis). Die Diagnose "keine Anhaltspunkte für das
Vorliegen einer EP" (Enzootische Pneumonie) ist mit der Anmerkung versehen,
dass die Verklebungen durch Parasiten bedingt sein könnten.

A.d Am Freitag, 5. Juni 1998, brach im Betrieb der Z.________ AG Husten aus,
was dem Schweinegesundheitsdienst gemeldet wurde, worauf am 9. Juni 1998 eine
Schlachtkontrolle durchgeführt wurde. Nunmehr diagnostizierte Dr. W.________
Enzootische Pneumonie, was zur Folge hatte, dass die bestehende Einteilung
des Betriebes aufgehoben und jeglicher Zuchttierverkauf untersagt wurde.

Im Besitz der Schadensanzeige vom 19. Juni 1998 trat die Versicherung
Y.________ mit Schreiben vom 7. September 1998 vom Versicherungsvertrag
zurück. Sie berief sich dabei auf eine Verletzung der Anzeigepflicht; aus den
Besuchsprotokollen ergebe sich, dass bereits im Jahre 1997 Husten
festgestellt und eine faktische Liefersperre verhängt worden sei, was die
Versicherungsnehmerin bei der Beantwortung der im Antragsformular gestellten
Fragen verschwiegen habe. Des Weiteren wurde geltend gemacht, der
Schadenseintritt sei während der Karenzfrist erfolgt, und es seien
Hygienevorschriften, so namentlich Art. 13.1 des Reglementes des
Schweinegesundheitsdienstes verletzt worden.

B.
Eine von der Z.________ AG erhobene Klage hiess das Kantonsgericht von
Appenzell Ausserrhoden mit Urteil vom 23. Oktober 2000 gut und verpflichtete
die Versicherung Y.________ zur Bezahlung von Fr. 328'500.-- nebst Zins zu 5%
seit 11. März 1999. Das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden hiess
allerdings die Appellation der Versicherung Y.________ mit Urteil vom 25.
September 2001 gut und wies die Klage der Z._________ AG ab. Zur Begründung
wurde ausgeführt, der Versicherer habe gestützt auf Art. 6 des Bundesgesetzes
vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (VVG, SR 221.229.1) infolge
Anzeigepflichtverletzung der Klägerin vom Vertrag zurücktreten dürfen. Die
Klägerin habe die Frage nach der Androhung oder Anordnung von
Statusänderungen unzutreffend beantwortet. Des Weiteren habe der Versicherer
gemäss Ziffer 4.2.3 des Versicherungsvertrages Leistungen für Schäden u.a.
infolge Enzootischer Pneumonie nur zu erbringen, wenn das Schadenereignis
mindestens 125 Tage nach Vertragsbeginn eingetreten sei. Vertragsbeginn sei
nach der Police der 1. Februar 1998 gewesen, die anderen Datumsangaben seien
nicht massgebend. Die Beklagte wäre daher nur für Schadenereignisse ab 6.
Juni 1998 leistungspflichtig geworden. Der Husten der Tiere sei aber nach den
Angaben der Klägerin schon am 5. Juni 1998 festgestellt worden.

C.
Die Z.________ AG hat mit Eingabe vom 22. Februar 2002 eidgenössische
Berufung erhoben. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts von Appenzell
Ausserrhoden vom 25. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, ihr Fr. 328'500.-- nebst Zins zu 5 % seit 19. Juni 1998 zu
bezahlen, eventuell die Sache zu weiteren Beweisabnahmen an die Vorinstanz
zurückzuweisen. In einer weiteren am 28. Februar 2002 noch innert der
Berufungsfrist dem Obergericht übermittelten Eingabe macht die Klägerin
geltend, ein Mitglied des Obergerichts hätte in den Ausstand treten müssen.
Das Bundesgericht hat darauf verzichtet, bei der Beklagten eine
Berufungsantwort einzuholen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 43 Abs. 1 OG kann mit Berufung geltend gemacht werden, der
angefochtene Entscheid beruhe auf Verletzung des Bundesrechts mit Einschluss
der durch den Bund abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge. Wegen
Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger ist jedoch die
staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten. Die Rüge der Verletzung der
Ausstandsvorschriften betrifft das kantonale Prozessrecht sowie das
verfassungsmässige Recht auf Beurteilung durch ein unabhängiges und
unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV). Sie hätte mit staatsrechtlicher
Beschwerde vorgebracht werden müssen. Zwar hat der Kläger diese Rüge mit
einer separaten Eingabe erhoben, aber als Ergänzung zur Berufungsschrift, was
aus dem Betreff "Berufung" und dem Hinweis auf die Einhaltung der
"Berufungsfrist" hervorgeht, sowie daraus, dass der Kläger die Eingabe - wie
für die Berufung zutreffend (Art. 54 Abs. 1 OG), nicht aber für die
staatsrechtliche Beschwerde (Art. 89 Abs. 1 OG) - beim Obergericht (iudex a
quo) einreichte. Es besteht daher kein Anlass, diese Eingabe als
staatsrechtliche Beschwerde zu behandeln (BGE 120 II 270 E. 2 S. 272), zumal
es ihr überdies an Antrag und einer den Substantiierungserfordernissen einer
staatsrechtlichen Beschwerde genügenden Begründung mangelt (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3).

2.
2.1 Die Berufungsklägerin macht geltend, das Obergericht habe Art. 8 ZGB
verletzt. Art. 8 ZGB regelt die Verteilung der Beweislast. Durch die
Rechtsprechung hat diese Bestimmung darüber hinaus jedoch die Bedeutung einer
allgemeinen bundesrechtlichen Beweisvorschrift erhalten. Das Bundesgericht
leitet aus Art. 8 ZGB als Korrelat zur Beweislast insbesondere das Recht der
beweisbelasteten Partei ab, zum ihr obliegenden Beweis zugelassen zu werden,
soweit entsprechende Anträge im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht
gestellt worden sind. Aus Art. 8 ZGB ergibt sich sodann auch das Recht des
Gegners der beweisbelasteten Partei zum Gegenbeweis. Zu beachten ist aber,
dass dieser bundesrechtliche Beweisführungsanspruch nur für rechtserhebliche
Tatsachen besteht und die vorweggenommene Würdigung von Beweisen nicht
ausschliesst (BGE 126 III 315 E. 4a S. 317, mit Hinweisen).

2.2 Die Klägerin wirft dem Obergericht vor, bezüglich der
Anzeigepflichtverletzung den Auffassungen von Dr. W.________ und Dr.
V.________ nicht gefolgt zu sein, namentlich was die Differenzierung zwischen
interner und offizieller Liefersperre betrifft. Dabei steht jedoch nicht eine
Tatsachenfeststellung in Frage, für welche die Klägerin nicht zum Beweis
zugelassen worden wäre, sondern die Rechtsfrage, ob die Klägerin aufgrund der
internen Sperre die Frage nach der Androhung oder Anordnung von
Statusänderungen hätte bejahen müssen.

2.3 Verschiedentlich beruft sich die Klägerin auf Art. 63 Abs. 2 OG. Sie
übersieht, dass diese Bestimmung eine Korrektur nur erlaubt, wenn eine
fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung auf offensichtlichem Versehen beruht,
was nur zutrifft, wenn die Vorinstanz eine bestimmte Aktenstelle übersehen
oder unrichtig (d.h. nicht in ihrer wahren Gestalt, insbesondere nicht mit
ihrem wirklichen Wortlaut) wahrgenommen hat (BGE 109 II 159 E. 2b S. 162; 104
II 68 E. 3b S. 74, mit Hinweisen). Die Partei, welche ein offensichtliches
Versehen geltend machen will, hat überdies genaue Angaben über die
Sachverhaltsfeststellung und die Aktenstelle zu machen, mit der sie in
Widerspruch steht (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG; BGE 115 II 484 E. 2a S. 485, mit
Hinweis). Diesen Anforderungen werden die Rügen der Klägerin nicht gerecht,
soweit sie damit anstrebt, die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz zu
korrigieren.

3.
3.1 Gemäss Art. 6 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, "wenn der
Anzeigepflichtige beim Abschluss der Versicherung eine erhebliche
Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste, unrichtig mitgeteilt oder
verschwiegen hat." Art. 4 Abs. 2 VVG bezeichnet diejenigen Gefahrstatsachen
als erheblich, "die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den
Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen
Einfluss auszuüben." Dabei werden nach Art. 4 Abs. 3 VVG die Gefahrstatsachen
als erheblich vermutet, "auf welche die schriftlichen Fragen des Versicherers
in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind." Gefahrstatsachen sind
alle Tatsachen, die bei Beurteilung der Gefahr in Betracht fallen und den
Versicherer demzufolge über den Umfang der zu deckenden Gefahr aufklären
können; dazu sind nicht nur jene Tatsachen zu rechnen, welche die Gefahr
verursachen, sondern auch solche, die bloss einen Rückschluss auf das
Vorliegen von Gefahren verursachenden Tatsachen gestatten (BGE 118 II 333 E.
2a S. 336; 108 II 143 E. 1 S. 145; 99 II 67 E. 4c S. 77/78). Entscheidend
ist, ob und inwieweit der Antragsteller eine Frage des Versicherers nach Treu
und Glauben verneinend beantworten durfte, entsprechend seiner Kenntnis,
welche er von der Situation hatte (BGE 116 II 338 E. 1c S. 341; 96 II 204 E.
4 S. 211; 72 II 124 E. 4 S. 131).

3.2 Die Klägerin hat im Versicherungsantrag die Frage verneint, ob in den
letzten drei Jahren von Organen des Schweinegesundheitsdienstes
Statusänderungen angedroht oder angeordnet worden seien, "ohne dass ein
Krankheitsausbruch festgestellt worden wäre (z.B. mangelnde Überwachung,
Liefersperre usw.)." Das Obergericht hält fest, dass gemäss dem
Besuchsprotokoll von Dr. W.________ vom Schweinegesundheitsdienst vom 13.
Oktober 1997 eine sog. interne Sperrung bestanden hatte, was bedeutet, dass
die Klägerin angewiesen war, keine Zuchttiere zu verkaufen. Die Klägerin ist
nun der Meinung, sie habe die Frage verneinen dürfen, weil es sich nur um
eine interne Sperrung gehandelt habe, nicht um eine offizielle, welche mit
einer Statusänderung verbunden wäre. Es ist zunächst richtig, und auch das
Obergericht stellt nichts anderes fest, dass der Schweinegesundheitsdienst
nicht eine schriftliche Anordnung erlassen hat. Vielmehr wurde mündlich
aufgrund des aufgetretenen Hustens die Anweisung erteilt, keine Tiere zu
verkaufen. Die Frage des Versicherers zielte nun allerdings nicht nur auf die
Anordnung von Statusänderungen ab, sondern auch auf die Androhung einer
solchen, und es wurde zusätzlich in Klammer ausdrücklich nach Liefersperren
gefragt, dies selbst für den Fall, dass kein Krankheitsausbruch festgestellt
worden ist ("ohne dass ein Krankheitsausbruch festgestellt worden wäre"). Der
Begriff der Liefersperre ist eindeutig; er besagt, dass keine Tiere verkauft
werden dürfen, genau das, was mündlich gegenüber der Klägerin angeordnet
worden ist und worauf die Frage zielte. Nach Treu und Glauben durfte die
Klägerin die Frage nicht einschränkend dahin verstehen, dass sie sich nur auf
schriftlich angeordnete Liefersperren beziehen würde, zumal auch die
Androhung einer Statusänderung von der Frage erfasst ist. Das Obergericht
hält zu Recht fest, dass die Unterscheidung zwischen interner und externer
Liefersperre, wie sie die Klägerin zur Begründung ihres Standpunktes
vorträgt, unter dem Gesichtspunkt der Risikobeurteilung als rabulistisch
erscheint.

3.3 Der Vorinstanz ist deshalb darin beizupflichten, dass die Beklagte vom
Vertrag zufolge Anzeigepflichtverletzung der Klägerin hat zurücktreten
dürfen. Es braucht demnach nicht mehr geprüft zu werden, ob die
Leistungspflicht auch deshalb entfällt, weil das Schadenereignis vor Ablauf
der Karenzfrist von 125 Tagen seit Versicherungsbeginn eingetreten ist.

4.
Die Berufung ist abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Entsprechend diesem Verfahrensausgang hat die Klägerin die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine
Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da keine Berufungsantwort eingeholt
worden ist und daher der Beklagten im bundesgerichtlichen Verfahren auch
keine Aufwendungen erwachsen sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts von Appenzell
Ausserrhoden vom 25. September 2001 bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell
Ausserrhoden, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Mai 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: