Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.284/2002
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5C.284/2002 /rov

Urteil vom 3. April 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Ersatzrichter Riemer,
Gerichtsschreiber Pfäffli.

Z. ________,
Klägerin und Berufungsklägerin,
vertreten durch Advokat Markus Schmid, Steinenschanze 6, 4051 Basel,

gegen

Freizügigkeitsstiftung der Y.________ AG,
Postfach, 4002 Basel,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Advokat Jörg Honegger, Elisabethenstrasse 28, 4010 Basel.

Versicherungsvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 19. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 15. Oktober 1993 unterzeichneten X.________ als Versicherter und die
Freizügigkeitsstiftung W.________ als Versicherungsnehmerin einen an die
V.________ Lebensversicherungs-Gesellschaft (im Folgenden: V.________)
gerichteten Antrag zum Abschluss einer Risikoversicherung per 1. Januar 1994
im Zusammenhang mit einem Freizügigkeitskonto des Versicherten bei der
Versicherungsnehmerin. Der Vertrag kam in der Folge zustande.

Am 25. März 1994 verstarb X.________. Mit Schreiben vom 15. Juli 1994 teilte
die V.________, nach Einsichtnahme in den ärztlichen Bericht über die
Todesursache, der Versicherungsnehmerin mit, sie trete wegen
Anzeigepflichtverletzung im Sinne von Art. 6 VVG "vorsorglich" vom
Versicherungsvertrag zurück. Dies teilte die Versicherungsnehmerin am 28.
Juli 1994 ihrerseits der Witwe des Verstorbenen, Z.________ (über die
U.________ AG), mit. Mit Schreiben vom 6. September 1994 bestätigte die
V.________ ihren Vertragsrücktritt aufgrund eines zweiten Arztberichtes.

B.
Am 22. Mai 1998 erhob Z.________ (im Folgenden: Klägerin) beim Zivilgericht
Basel-Stadt Klage gegen die Freizügigkeitsstiftung  W.________, welche im
Verlaufe des Verfahrens in Freizügigkeitsstiftung der Y.________ AG
(nachstehend: Beklagte) umbenannt worden war. Die Klägerin beantragte die
Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Fr. 521'825.-- nebst Zins zu 5%
seit 25. März 1994 als Leistung aus dem Versicherungsvertrag. Mit Urteil vom
7. Februar 2001 wies das Zivilgericht Basel-Stadt die Klage ab. Dagegen
appellierte die Klägerin erfolglos beim Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, welches mit Entscheid vom 19. Juni 2002 das erstinstanzliche
Urteil bestätigte.

C.
Die Klägerin führt mit Eingabe vom 16. Dezember 2002 eidgenössische Berufung
und beantragt dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und
die Beklagte sei in Gutheissung der Klage zu verurteilen, der Klägerin Fr.
521'825.-- nebst Zins zu 5% seit 25. März 1994 zu bezahlen.

D.
In ihrer Berufungsantwort vom 19. März 2003 beantragt die Beklagte, die
Berufung sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
In ihrer Berufungsantwort bestreitet die Beklagte vorab die Aktivlegitimation
der Klägerin, da diese aufgrund einer Vereinbarung unter den Miterben des
Versicherten nur einen Drittel des eingeklagten Betrages von Fr. 521'825.--
hätte in eigenem Namen geltend machen dürfen. Der Einwand ist offensichtlich
unbegründet. Gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2
OG) handelt es sich beim eingeklagten Betrag von Fr. 521'825.-- eben gerade
um einen Drittel der gesamten Versicherungssumme von Fr. 1'565'476.--.

2.
In ihrer Berufungsbegründung anerkennt die Klägerin ausdrücklich eine
Anzeigepflichtverletzung im Sinne von Art. 6 VVG ihres verstorbenen
Ehemannes. Sie beschränkt ihre Berufungsbegründung auf die Geltendmachung von
drei Mängeln der Rücktrittserklärung: Notwendigkeit einer Rücktrittserklärung
der Beklagten gegenüber der Klägerin, verspätete Abgabe der
Rücktrittserklärung der V.________ und mangelhafter Inhalt der
Rücktrittserklärung.

2.1 Unter Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts
vom 18. März 1994 (5C.229/1993) macht die Klägerin geltend, die vorsorgliche
Rücktrittserklärung der V.________ vom 15. Juli 1994 habe nicht den
bundesrechtlichen Anforderungen an den Inhalt einer solchen Erklärung
entsprochen und sei daher unwirksam.
Gemäss diesem Urteil (erwähnt bei Urs Ch. Nef, Basler Kommentar zum VVG, N 16
und 18 zu Art. 6) muss eine derartige Rücktrittserklärung, um beachtlich zu
sein, ausführlich ("de façon circonstanciée") auf die verschwiegene oder
ungenau mitgeteilte Gefahrstatsache hinweisen. Eine Rücktrittserklärung,
welche die ungenau beantwortete Frage nicht erwähnt, ist zu wenig ausführlich
(E. 5b des erwähnten Urteils des Bundesgerichts vom 18. März 1994, unter
Hinweis auf BGE 110 II 499, seit welchem Urteil die entscheidende Erwägung in
publizierter Form vorliegt; abweichend - aber ausschliesslich unter Hinweis
auf ältere Praxis - E. 3a des Urteils vom 30. Oktober 2000, 5C.149/2000).

Den genannten Anforderungen genügt die Rücktrittserklärung vom 15. Juli 1994
nicht, wird doch daselbst lediglich von "Einsichtnahme in den ärztlichen
Bericht über die Todesursache" und von "in casu eine
Anzeigepflichtverletzung" gesprochen. Nähere Angaben werden erst in der -
bestätigenden - Rücktrittserklärung der V.________ vom 6. September 1994
gemacht. Dem steht auch der Inhalt des erwähnten ärztlichen Berichts über die
Todesursache vom 16. Juni 1994, auf welchen sich die Beklagte in ihrer
Berufungsantwort beruft, nicht entgegen. Gemäss  den einlässlichen - und
verbindlichen (Art. 63 Abs. 2 OG) - Feststellungen der Vorinstanz weist
dieser Arztbericht nur einen ganz rudimentären Inhalt auf, wobei insbesondere
"jegliche Details, die für die Beurteilung einer Anzeigepflichtverletzung
wesentlich wären, ... fehlen". Es kann somit offen bleiben, ob die Auffassung
der Beklagten zutreffend ist, die Behauptung der Klägerin, weder ihr noch der
Beklagten sei der Arztbericht bekannt gegeben worden, sei vor Bundesgericht
neu vorgetragen worden.

Der Vollständigkeit halber ist noch festzuhalten, dass die - bestätigende -
Rücktrittserklärung vom 6. September 1994 verspätet war. Angesichts des
Umstandes, dass der Arztbericht vom 3. August 1994 spätestens am 8. August
1994 bei der V.________ eingegangen ist, erfolgte die Rücktrittserklärung vom
6. September 1994 nicht binnen der vierwöchigen Frist gemäss Art. 6 VVG (vgl.
Art. 77 Abs. 1 Ziff. 2 OR).

2.2 Ist mithin die vorliegend allein in Betracht fallende Rücktrittserklärung
vom 15. Juli 1994 inhaltlich ungenügend, so liegt keine gültige
Rücktrittserklärung im Sinne von Art. 6 VVG vor. Entgegen der von der
Beklagten in ihrer Berufungsantwort vertretenen Auffassung erweist es sich
auch nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB, dass sich
die Klägerin auf diesen Mangel berufen hat.

2.3 Da - wie ausgeführt - keine gültige Rücktrittserklärung im Sinne von Art.
6 VVG vorliegt, kann offen bleiben, wie es sich mit den weiteren Rügen der
Klägerin (Notwendigkeit einer Rücktrittserklärung der Beklagten gegenüber der
Klägerin und verspätete Abgabe der Rücktrittserklärung) verhält. Bei dieser
Sachlage ist die von der Beklagten im Zusammenhang mit der "vorsorglichen"
Rücktrittserklärung gestellte Frage, ob die Klägerin ein Interesse daran
haben könne, dass ein Rücktritt erst zu einem späteren Zeitpunkt erklärt
werde, obsolet. Die Berufung ist somit gutzuheissen und das Urteil des
Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 19. Juni 2002 aufzuheben.
Die Klage ist gutzuheissen, da in quantitativer Hinsicht die Forderung als
solche unbestritten ist.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beklagte für das
bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156
Abs. 1 OG und Art. 159 Abs. 2 OG). Über die Kosten- und Entschädigungsfolgen
des kantonalen Verfahrens wird das Appellationsgericht neu zu entscheiden
haben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
1.1 Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Appellationsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 19. Juni 2002 aufgehoben.

1.2 In Gutheissung der Klage wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr.
521'825.-- nebst Zins zu 5% seit 25. März 1994 zu bezahlen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für ihre Umtriebe im
bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 8'000.-- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. April 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: