Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.27/2002
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5C.27/2002/bmt

              II.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                      21. Februar 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der II. Zi-
vilabteilung, Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichterin
Escher und Gerichtsschreiber Levante.

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                         In Sachen

X.________, Berufungsklägerin, vertreten durch Rechts-
anwältin Claudia Heusi, Bielstrasse 111, Postfach 316,
4503 Solothurn,

                           gegen

Verwaltungsgericht des Kantons  S o l o t h u r n,

                         betreffend
              Aufhebung der elterlichen Obhut
                   (Art. 310 Abs. 1 ZGB),

hat sich ergeben:

     A.- Die Ehe von X.________ und Y.________ wurde im
Jahre 1990 geschieden. Die Mutter ist gestützt auf aArt. 156
ZGB Inhaberin der elterlichen Sorge über den Sohn
A.________, geboren 1988, und gestützt auf Art. 298 ZGB über
den ebenfalls gemeinsamen Sohn B.________, geboren 1992.

     B.- Die Vormundschafts- und Sozialhilfekommission
Wangen bei Olten (nachfolgend: VSK) entzog X.________ am
8. April 2000 die Obhut über beide Kinder und brachte sie
vorerst für zwei Wochen beim Vater und dann gemäss Verfügung
vom 18. April 2000 im Chinderhuus Elisabeth in Wangen unter.
Am 6./13. Oktober 2000 beschloss sie, B.________ für die
Dauer des Verfahrens auf Abänderung des Scheidungsurteils
unter die Obhut des Vaters zu stellen. Gegen diese Verfü-
gungen erhob X.________ zuständigenorts Beschwerde, die das
Verwaltungsgericht schliesslich vereinigte und mit Urteil
vom 15. November 2001 abwies.

        Im gleichzeitig vor dem Richteramt Olten-Gösgen
hängigen Verfahren um Abänderung des Scheidungsurteils
stellte die Gerichtsstatthalterin mit Verfügung vom 11. Ok-
tober 2000 und (bestätigend) vom 11. Mai 2001 A.________ für
die Dauer des Prozesses unter die Obhut des Vaters; dieses
Vorgehen erfolgte in Absprache mit der VSK. X.________ zog
die gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn
vom 4. September 2001 betreffend die vorsorglichen Massnah-
men im Abänderungsprozess eingereichte staatsrechtliche
Beschwerde zurück.

        B.________ und A.________ leben nach wie vor bei
ihrem Vater in O.________.

     C.- X.________ gelangt mit Berufung ans Bundesgericht.
Sie beantragt, Ziff. 1 des verwaltungsgerichtlichen Urteils
vom 15. November 2001 und damit den gegenüber B.________
am 8. April 2000 angeordneten Obhutsentzug aufzuheben. Sie
stellt das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Es sind
keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Gegen den Entscheid über die Entziehung der
elterlichen Obhut ist die Berufung zulässig (Art. 44 lit. d
OG in der seit 1. Januar 2000 geltenden Fassung; AS 1999
1144 f.).

        b) Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt einen
Endentscheid dar (Art. 48 Abs. 1 OG). Die Mutter von
B.________ ist ohne weiteres befugt, diesen anzufechten.

        c) Die Berufung richtet sich einzig gegen den Ent-
zug der Obhut über das Kind B.________. Die Zulässigkeit der
einzelnen Unterbringungen wird nicht angefochten, womit
dahingestellt bleiben kann, inwieweit zwischenzeitlich
überhaupt noch ein rechtlich geschütztes Interesse an einer
Überprüfung derselben gegeben ist (vgl. Münch, Berufung und
zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde, in: Prozessieren vor
Bundesgericht, 2. Aufl., Rz. 4.32, m.H.).

     2.- Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begeg-
net werden, so hat die Vormundschaftsbehörde es den Eltern
oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen
und in angemessener Weise unterzubringen (Art. 310 Abs. 1
ZGB). Das Verfahren wird durch das kantonale Recht geordnet
und richtet sich im Übrigen nach Art. 314 ff. ZGB. Im Gegen-
satz zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung mündiger oder
entmündigter Personen (Art. 397a Abs. 1 ZGB) genügt die
blosse Gefährdung des Kindeswohls. Sie liegt darin, dass das
Kind in der elterlichen Obhut nicht in der für seine körper-
liche, geistige und sittliche Entwicklung nötigen Weise ge-
schützt und gefördert wird. Ob die Eltern ein Verschulden an
der Gefährdung des Kindes trifft, ist unerheblich. Massge-
bend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entziehung. An
die Würdigung der Umstände ist ein strenger Massstab zu le-
gen. Die Entziehung ist nur zulässig, wenn andere Massnah-
men ohne Erfolg geblieben sind oder von vornherein als un-
genügend erscheinen (Urteil 5C.84/2001 vom 7. Mai 2001,
E. 2; Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl. 1999,
Rz. 27.36; Markus Lustenberger, Die fürsorgerische Frei-
heitsentziehung bei Unmündigen unter elterlichen Gewalt,
Diss. Freiburg 1987, S. 36).

     3.- a) Im vorliegenden Fall kommt die Vorinstanz zum
Schluss, dass das Wohl von B.________ bei Erlass der Verfü-
gung vom 8. April 2000 gefährdet war. Sie stellt für das
Bundesgericht verbindlich fest (Art. 63 Abs. 2 OG), dass
B.________ bereits im Frühjahr 1997 von der Mutter geschla-
gen worden war. Zwar habe sich Ende März 2000 nur A.________
und nicht auch B.________ über Schläge der Mutter beklagt.
Indes habe die Mutter jede Klärung dieses Vorwurfs verhin-
dert, die Schulferien hätten kurz darauf begonnen und der
Vater sei in der Lage gewesen, seine Söhne für zwei Wochen

zu sich zu nehmen. Um die beiden nicht zu trennen und nicht
den zurückbleibenden B.________ den allfälligen Launen der
Mutter auszusetzen, habe die VSK den sofortigen Obhutsentzug
zu Recht angeordnet.

        b) Die Berufungsklägerin bringt demgegenüber vor,
dass die VSK am 8. April 2000 bloss die Unterbringung beim
Vater und später im Chinderhuus Elisabeth, nicht aber den
Obhutsentzug befristet habe, weshalb die Vorinstanz zu Un-
recht von einer vorläufigen Massnahme zwecks weiteren Abklä-
rungen ausgehe. Wohl habe Anlass für Nachforschungen bestan-
den, hingegen sei bei B.________ keine unmittelbare körper-
liche Gefährdung erstellt gewesen. Der Obhutsentzug hätte
vorerst auf A.________ beschränkt bleiben sollen, da in die-
sem Zeitpunkt weder das Verhältnis von B.________ zur Mutter
belastet war, noch ein Grund bestand, seine Beziehung zu
A.________ stärker zu gewichten.

        c) Ob die VSK bloss die Unterbringung der Kinder
A.________ und B.________ oder auch den Obhutsentzug be-
fristen wollte, mag dahingestellt bleiben. Im Vordergrund
stand bei Erlass der Massnahme die Möglichkeit, beide Kinder
kurzfristig beim Vater unterzubringen, welche Lösung ange-
sichts der möglichen Gewaltanwendung auch gegenüber
B.________ und damit der Gefährdung des Kindeswohls sich
geradezu anbot. Hinzu kommt, dass die Mutter sich gegen jede
Kontaktnahme verschloss und so die sofortige Klärung des Ge-
waltvorwurfs verhinderte. Vor diesem Hintergrund ist schwer
nachzuvollziehen, wenn die Berufungsklägerin zwar anerkennt,
dass ein Abklärungsbedarf bestand, aber gleichzeitig ver-
schweigt, dass der Anlass zum sofortigen Eingreifen nicht
zuletzt in ihrer Abwehrhaltung gegenüber den Behörden lag.
Was die Beziehung der beiden Brüder unter sich und zur Mut-
ter betrifft, erschöpfen sich die Vorbringen in tatsächli-
chen Behauptungen, welche im angefochtenen Entscheid keine

Stütze finden. Im Berufungsverfahren ist es dem Bundesge-
richt verwehrt (vgl. Art. 63 Abs. 2 OG), den Sachverhalt
frei zu würdigen oder nach Bedarf zu ergänzen.

     4.- a) Weiter hält die Vorinstanz die Aufrechterhaltung
des Obhutsentzugs für angebracht. Zwar würde sich bei
B.________ eine neue Entwicklung abzeichnen, die sich im
Verhältnis zum Bruder und zur Mutter manifestierte. Dies sei
jedoch bei der Mutter weit weniger der Fall. Ihr fehle jede
Selbstkritik an ihrer Erziehungsfähigkeit und sie zeichne
ein wenig differenziertes Bild ihrer Beziehung zu
B.________. Nicht nur leugne sie jeden noch so geringfügigen
Übergriff, was gemäss Aktenlage nicht zutreffen könne. Ge-
mäss ihrer Darstellung sei B.________ einfach nur glücklich,
bei ihr zu sein. Zumindest im Moment sei die Aufhebung der
Obhut verfrüht, nicht zuletzt aufgrund der wenig kooperati-
ven Haltung der Mutter.

        b) Die Berufungsklägerin wendet sich auch hier auf
weiten Strecken und unzulässigerweise mit tatsächlichen Vor-
bringen gegen den angefochtenen Entscheid und nimmt eine
Würdigung einzelner Aktenstücke vor. Dies ist vor allem in
Bezug auf die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung der
innerfamiliären Beziehungen und ihrer eigenen Haltung sich
und den Behörden gegenüber der Fall; insoweit kann auf die
Berufung nicht eingetreten werden (Art. 63 Abs. 2 SchKG).

        Die Berufungsklägerin verkennt im Weiteren, dass
bei der Aufhebung des Obhutsentzugs ein behutsames Vorgehen
angesagt ist. Auf jeden Fall ist zuerst eine gewisse Stabi-
lität der Verhältnisse abzuwarten (vgl. BGE 120 II 384 E. 4d
S. 386) und ein erneuter Obhutsentzug nach Möglichkeit zu
vermeiden. Insoweit kann der Vorinstanz kein Vorwurf gemacht
werden, wenn sie sich weder nach dem Bestreben der Mutter

noch nach dem allfälligen Wunsch des Kindes richtet. Eine
bei Gefährdung des Kindeswohls angeordnete Massnahme ist nur
aufzuheben, wenn dies aus der Distanz der Behörde gewagt
werden darf. Wenn die Vorinstanz im Wesentlichen erwogen
hat, dass es vorliegend wohl auf eine neue Entwicklung hin-
deutende Anhaltspunkte gebe, die Erfahrungen in zeitlicher
Hinsicht indessen noch zu kurz seien, so dass die Aufhebung
der elterlichen Obhut vorerst noch aufrecht zu erhalten sei,
ist dies nach den für den Kindesschutz massgebenden Leitsät-
zen, insbesondere unter dem Gesichtswinkel der Verhältnis-
mässigkeit (vgl. Hegnauer, a.a.O., Rz. 27.09 ff. u. 27.36,
m.H.) nicht zu beanstanden. Schliesslich ist darauf hinzu-
weisen, dass eine Kindesschutzmassnahme, die sich in der
bisherigen Form als nicht mehr nötig erweist, von Amtes
wegen oder auf Begehren aufzuheben oder durch eine mildere
zu ersetzen ist (Hegnauer, a.a.O., Rz. 27.50).

     5.- Nach dem Gesagten ist der Berufung kein Erfolg
beschieden. Sie entbehrt jeder ernsthaften Auseinander-
setzung mit dem angefochtenen Entscheid und enthält statt-
dessen weitgehend unzulässige Vorbringen, weshalb das Ge-
such um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit
abzuweisen ist (Art. 152 Abs. 1 OG). Damit wird die Beru-
fungsklägerin kostenpflichtig (Art. 153a Abs. 1 und Art. 156
Abs. 1 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzu-
treten ist, und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kan-
tons Solothurn vom 15. November 2001 (Ziff. 1) wird bestä-
tigt.

     2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird ab-
gewiesen.

     3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beru-
fungsklägerin auferlegt.

     4.- Dieses Urteil wird der Berufungsklägerin und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mit-
geteilt.

                       _____________

Lausanne, 21. Februar 2002

              Im Namen der II. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: