Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.278/2002
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5C.278/2002 /bnm

Urteil vom 28. Januar 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichterin Escher,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Z. ________ (Ehemann),
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Bischofberger,
Mellingerstrasse 6, Postfach 2028, 5402 Baden,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beklagte und Berufungsbeklagte,
handelnd durch Marianne Herzog-Frey, 5080 Laufenburg, und diese vertreten
durch Rechtsanwalt Dr. Walter Studer, Badstrasse 17, Postfach 947, 5401
Baden.

Ehescheidung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, vom 29. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 24. Oktober 2001 schied der Gerichtspräsident von Laufenburg
die Ehe von Z.________ (nachfolgend: Kläger) und von Y.________ (nachfolgend
Beklagte). Er entschied überdies über die Nebenfolgen der Scheidung und
verpflichtete den Kläger unter anderem dazu, der Beklagten ab Rechtskraft des
Urteils im Scheidungspunkt bis zu seiner Pensionierung gestützt auf Art. 125
ZGB monatlich zum Voraus eine persönliche Rente von Fr. 1'300.-- zu bezahlen.

B.
Dagegen appellierte der Kläger an das Obergericht des Kantons Aargau mit dem
Begehren, der Unterhaltsbeitrag an die Beklagte sei zu streichen; eventuell
sei festzuhalten, dass er sich verhältnismässig um die an die Beklagte
entrichteten Leistungen aus dem Unfall (Erwerbsersatz und sonstiges
Einkommen, mit Ausnahme der Invaliditäts-/Integritätsentschädigung)
reduziere.

Das Obergericht wies die Appellation mit Urteil vom 29. Oktober 2002 ab. Zur
Begründung hielt es im Wesentlichen dafür, die Beklagte habe 1996 einen
Unfall erlitten, sei nunmehr an den Rollstuhl gefesselt und lebe in einem
Alters- und Betagtenheim. Die Versicherung X.________ (nachfolgend:
Haftpflichtversicherung) als Motorhaftpflichtversicherung der
unfallverursachenden Motorfahrzeuglenkerin anerkenne ihre Verpflichtung, die
Schadensersatzansprüche der Beklagten zu befriedigen, und habe denn auch
bisher die Regressforderungen anderer aus dem Unfallereignis
leistungspflichtiger Versicherer beglichen sowie akonto einen Betrag von Fr.
50'000.-- als Genugtuung geleistet. Das Obergericht hielt weiter dafür, es
sei nicht zu beanstanden, dass die erste Instanz die noch nicht abschliessend
erbrachten Leistungen der Haftpflichtversicherung aus der
Unterhaltsberechnung ausgeklammert habe. Zwar handle es sich dabei um
Einkünfte der Beklagten; doch dienten diese, mit Ausnahme der von der ersten
Instanz als Einkommen berücksichtigten Erwerbsausfallrente der Versicherung
X.________ von Fr. 3'000.-- pro Jahr, ausschliesslich der Deckung der zufolge
des Unfalles vom Jahr 1996 erhöhten Lebenshaltungskosten (medizinische
Behandlung, Pflege und Aufenthalt in einem Pflegeheim) und stellten somit
insoweit entgegen der Auffassung des Klägers gar kein Erwerbsersatzeinkommen
der Beklagten dar. Ausgeschlossen sei, dass die Haftpflichtversicherung mehr
als diese Mehrkosten übernehmen werde. Die Versicherung erachte den Abschluss
des Versicherungsfalles als derzeit unmöglich, weil sie die
Unterhaltsverpflichtung des Klägers nicht kenne. Sie vertrete aber mit Recht
die Ansicht, dass dem Kläger aus dem Unfall der Beklagten kein Vorteil
erwachsen dürfe, und beabsichtige daher bei der Schadensberechnung lediglich
Einkünfte zu berücksichtigen, welche die Beklagte ohne Unfall erhalten hätte.
Umgekehrt dürfe davon ausgegangen werden, dass die Haftpflichtversicherung
die gesamten der Beklagten aus dem Unfall erwachsenen Mehrkosten übernehme,
weshalb die vom Kläger beantragte Edition der gesamten Korrespondenz zwischen
der Beklagten und der Haftpflichtversicherung nicht erforderlich sei. Nach
dem Ausgeführten könne die Berücksichtigung dieser Einkünfte der
Haftpflichtversicherung unterbleiben, weil ihnen eben deckungsgleiche
Mehrausgaben gegenüberstünden. Deshalb bleibe es bei dem von der ersten
Instanz angenommenen hypothetischen Einkommen der Beklagten ohne Unfall von
Fr. 1'400.--, welches sich aus einer halben Rente der Invalidenversicherung
(Fr. 662.--), der von der Versicherung X.________ bezahlten
Erwerbsausfallrente (Fr. 250.-- = Fr. 3'000.--:12) und einem Zusatzeinkommen
aus kleineren Hausarbeiten (sinngemäss Fr. 488.--) zusammensetze.

C.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil beim Bundesgericht sowohl Berufung als
auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht; mit Berufung stellt er den
Antrag, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben und
die Sache zu neuer Entscheidung (Reduktion evtl. Streichung des nachehelichen
Unterhalts) an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden. Das Obergericht hat auf
Gegenbemerkungen verzichtet.

D.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen
worden, soweit darauf einzutreten war (Urteil 5P.480/2002).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Angefochten ist vorliegend die Höhe des an die Beklagte zu leistenden
Unterhaltsbeitrags. Dabei handelt es sich um eine vermögensrechtliche
Zivilrechtsstreitigkeit (Urteil 5C.29/1992 vom 13. Juli 1992, E. 1). Der
umstrittene Unterhaltsbeitrag überschreitet die in Art. 46 OG vorgesehene
Streitwertgrenze, weshalb auf die fristgerecht eingereichte Berufung
grundsätzlich einzutreten ist.

1.2 Für den Fall, dass sich die Berufung als begründet erwiese und das
angefochtene Urteil mit Bezug auf den Unterhaltsbeitrag aufzuheben wäre,
würden es die Sachverhaltsfeststellungen des Obergerichts dem Bundesgericht
nicht erlauben, definitiv über den der Beklagten zu bezahlenden
Unterhaltsbeitrag zu entscheiden; unter diesen Umständen ist das Begehren des
Klägers zulässig, die Sache sei zu neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückzuweisen (BGE 100 II 200 E. I/1 S. 205; 125 III 412 E. 1b S. 414).

2.
Der Kläger wirft dem Obergericht einerseits ein offensichtliches Versehen,
anderseits eine Verletzung von Art. 8 ZGB vor.

2.1 Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht
offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zustande gekommen (Art. 63 Abs. 2 OG) oder aufgrund
prozesskonform vorgebrachter, zu Unrecht aber unberücksichtigt gebliebener
Parteivorbringen zu ergänzen sind (Art. 64 OG; BGE 115 II 484 E. 2a S. 485
mit Hinweisen; 118 II 50 E. 2 S. 52). Ein offensichtliches Versehen liegt
nach der Rechtsprechung nur vor, wenn die Vorinstanz eine bestimmte
Aktenstelle übersehen oder unrichtig, d.h. nicht in ihrer wahren Gestalt,
insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut wahrgenommen hat (BGE 104 II
68 E. 3b S. 74).

2.2 Ein offensichtliches Versehen erblickt der Kläger darin, dass das
Obergericht einerseits auf Seite 10 des Urteils festhalte, die
Haftpflichtversicherung übernehme nur die Mehrkosten, anderseits aber auf
Seite 12 von einem theoretischen Zusatzeinkommen der Beklagten von Fr. 488.--
ausgehe. Damit legt der Kläger indes kein offensichtliches Versehen im Sinne
der Rechtsprechung zu Art. 63 Abs. 2 OG dar, nennt er doch keine Aktenstelle,
welche das Obergericht übersehen oder unrichtig, d.h. nicht in ihrer wahren
Gestalt, insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut wahrgenommen hat.

2.3 Der Kläger macht ferner geltend, er habe den Beweis dafür erbringen
wollen, dass die Beklagte bei der Haftpflichtversicherung erhebliche
Ansprüche wegen des unfallbedingten Wegfalls ihres
(Haushalts)Erwerbseinkommens geltend gemacht habe. Er habe deshalb Antrag
gestellt, die Beklagte sei zur Herausgabe ihrer eigenen Anspruchsberechnung
mit Bezug auf diesen Anspruch anzuhalten. Mit der Ablehnung dieses Antrages
habe das Obergericht seinen (des Klägers) Anspruch auf Beweisführung
verletzt.

Das Obergericht verweist auf ein Schreiben der Haftpflichtversicherung vom
17. Mai 2002, wonach diese der Beklagten bisher eine Anzahlung an die
Genugtuung in der Höhe von Fr. 50'000.-- bezahlt hat; ferner wurden
Regressforderungen der Krankenkasse und der Unfallversicherung befriedigt und
monatliche Kosten für das Tierheim von Fr. 600.-- bezahlt. Darüber hinaus hat
die Haftpflichtversicherung keine Zahlungsversprechen abgegeben. Aus diesen
Ausführungen erhellt einerseits, dass die Haftpflichtversicherung unter dem
Titel Erwerbsausfall bisher nichts bezahlt hat. Das Obergericht führt
überdies aus, die Haftpflichtversicherung werde laut ihrem Schreiben vom 17.
Mai 2002 bei der Schadensberechnung nur Einkünfte berücksichtigen, welche die
Beklagte ohne Unfall erhalten hätte. Umgekehrt dürfe davon ausgegangen
werden, dass die Haftpflichtversicherung für die gesamten der Beklagten aus
dem Unfall erwachsenen Mehrkosten aufkommen werde. Folglich könne von der
Edition der gesamten Korrespondenz abgesehen werden. Damit hat das
Obergericht in antizipierter Beweiswürdigung angenommen, die verlangte
Edition der Korrespondenz werde nichts zum Beweisergebnis beitragen und sei
daher überflüssig. Antizipierte Beweiswürdigung aber wird durch Art. 8 ZGB
nicht ausgeschlossen (BGE 114 II 289 E. 2a S. 291), weshalb von einer
Verletzung von Art. 8 ZGB nicht die Rede sein kann. Soweit der Kläger diese
Beweiswürdigung als willkürlich rügen wollte, hätte er dies mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV vorbringen müssen
(Art. 84 Abs. 1 lit. a OG; BGE 114 II 289 E. 2 S. 291).

3.
Das Obergericht ist davon ausgegangen, bei den Versicherungsleistungen handle
es sich zwar um Einkünfte der Beklagten; doch dienten diese ausschliesslich
der Deckung der zufolge des Unfalles erhöhten Lebenshaltungskosten und
stellten damit kein Erwerbsersatzeinkommen im Sinne von Art. 125 ZGB dar. Der
Kläger wirft dem Obergericht in diesem Zusammenhang vor, es habe den Begriff
des Erwerbsersatzeinkommens verkannt. Es bestehe nicht der geringste Zweifel
daran, dass die Haftpflichtversicherung auch für den unfallbedingten Ausfall
des Erwerbseinkommens der Beklagten aufzukommen habe, womit bei der
Bestimmung deren Einkommens auch von einem Erwerbsersatzeinkommen ausgegangen
werden müsse. Mit seiner anderslautenden Auffassungen habe das Obergericht
Art. 125 ZGB und Art. 46 OR verletzt.

3.1 Gemäss Art. 125 Abs. 1 ZGB besteht Anspruch auf nachehelichen Unterhalt
("einen angemessenen Beitrag") nur, soweit einem Ehegatten nicht zuzumuten
ist, für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen
Altersvorsorge selbst aufzukommen. Absatz 2 zählt die für die Beantwortung
dieser Frage insbesondere massgebenden Kriterien auf, die auch bei der
Bemessung des Beitrags zu berücksichtigen sind. Was insbesondere das
Einkommen beider Ehegatten anbelangt (Abs. 2 Ziff. 5), so hat der Richter in
erster Linie das effektive Einkommen zu berücksichtigen. Mit einzubeziehen
ist aber auch das Erwerbsersatzeinkommen, worunter Leistungen von Sozial- und
Privatversicherungen fallen, welche bei Verwirklichung bestimmter Risiken
(Arbeitslosigkeit, Unfall, Krankheit oder Invalidität) den damit verbundenen
Lohnausfall vorüberbergehend oder dauernd abdecken sollen
(Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, Rz. 44 zu
Art. 125 ZGB; Schwenzer, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, 2000, N. 17 zu
Art. 125 ZGB). In Betracht fällt schliesslich auch das Einkommen der
Ehegatten, welches diese bei gutem Willen oder mit der ihnen zumutbaren
Anstrengung erzielen könnten (BGE 127 III 136 E. 2a S. 139 mit Hinweisen).

3.2 In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil für
das Bundesgericht verbindlich, dass die Beklagte von der
Haftpflichtversicherung derzeit kein Erwerbsersatzeinkommen ausbezahlt
erhält, und dass die Versicherungsleistungen lediglich den Mehraufwand der
Beklagten abdecken werden. Die Ausführungen des Klägers zur Verletzung von
Art. 46 OR und zur Frage des Erwerbsersatzeinkommens gehen somit an der Sache
vorbei. Unter den gegebenen tatsächlichen Umständen ist das Obergericht zu
Recht von einem Einkommen ausgegangen, welches die Beklagte ohne den 1996
erlittenen Unfall hätte erzielen können; der so ermittelte Betrag von Fr.
1'400.-- setzt sich aus einer halben Rente der Invalidenversicherung (Fr.
662.--; bereits vor dem Unfall von 1996 geschuldet), der von der Versicherung
X.________ bezahlten Erwerbsausfallrente (Fr. 250.-- = Fr. 3'000.--:12) und
einem Zusatzeinkommen aus kleineren Hausarbeiten (sinngemäss Fr. 488.--)
zusammen. Aus dieser Zusammenstellung geht auch ein Einkommen aus einer
Erwerbstätigkeit hervor, welcher die Beklagte nach der Scheidung hätte
nachgehen können, hätte sie den Unfall nicht erlitten. Aus den bisherigen
Ausführungen erhellt, dass das Obergericht die erheblichen Kriterien gemäss
Art. 125 ZGB zur Bestimmung des Einkommens der Beklagten in seine Erwägungen
mit einbezogen hat. Eine Verletzung von Art. 125 ZGB liegt demnach entgegen
der Auffassung des Klägers nicht vor.

3.3 Soweit sich der Kläger gegen die obergerichtlichen Ausführungen zum
Betrag von Fr. 488.-- richtet, wendet er sich gegen tatsächliche
Feststellungen, welche das Bundesgericht im Entscheid über die
staatsrechtliche Beschwerde als nicht willkürlich erachtet hat. Insoweit ist
auf die Berufung nicht einzutreten.

4.
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens wird der Kläger kostenpflichtig (Art. 156 Abs.
1 OG). Er hat der Beklagten allerdings für das bundesgerichtliche Verfahren
keine Entschädigung auszurichten, zumal keine Berufungsantwort eingeholt
worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Kläger auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Januar 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: