Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.267/2002
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5C.267/2002 /min

Urteil vom 24. Februar 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

X. ________,
Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Peter Schilliger,
Kantonsstrasse 40, 6048 Horw,

gegen

Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer,
Postfach, 6002 Luzern.

Entmündigung nach Art. 369 ZGB,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer,
vom 16. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
X. ________, geb. 23. Juni 1957, war seit den 80er Jahren wegen seines
psychischen Zustandes über zwanzigmal hospitalisiert. In der Zeit vom 1. Juli
2000 bis 13. August 2001 war er in W.________ an der Strasse S.________
wohnhaft.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2001 ersuchte die Vormundschaftsbehörde W.________
die psychiatrische Klinik Z.________ um ein psychiatrisches Gutachten. In
ihrem Gutachten vom 30. Oktober 2001 und Ergänzungsgutachten vom 8. Januar
2002 diagnostizierten die Dres. S.________ und T.________ eine kontinuierlich
verlaufende paranoide Schizophrenie mit zunehmendem Residuum. Seit 1982
bestehe ein Zustandsbild mit zerfahrenem inkohärentem Gedankengang und
Wahnideen. X.________ zeige bis heute praktisch keine Krankheitseinsicht. Er
habe die Medikamente jeweils nach kurzer Zeit wieder abgesetzt und jede
Therapie abgebrochen bzw. gar nicht damit angefangen. Die Gutachter kamen zum
Schluss, es liege eine Geisteskrankheit im Sinne von Art. 369 ZGB vor.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2002 lud das Vormundschaftssekretariat W.________
X.________ auf den 17. Januar 2002 zu einem Gespräch. Dieser teilte
telefonisch mit, er halte sich in der psychiatrischen Klinik U.________ auf
und könne am Gespräch nicht teilnehmen. Am 12. Februar 2002 führten
R.________, Sozialvorsteher, und O.________, Vormundschaftssekretärin, mit
X.________ in der Klinik U.________ eine Anhörung durch.

B.
Am 7. März 2002 ordnete der Gemeinderat von W.________ über X.________ eine
Vormundschaft gemäss Art. 369 ZGB an und ernannte P.________, Amtsvormund, in
N.________, als Vormund. Das Justiz-, Gemeinde- und Kulturdepartement des
Kantons Luzern wies die von X.________ erhobene Verwaltungsbeschwerde am 12.
Juli 2002 ab. Die gegen diesen Entscheid erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Luzern, II.
Kammer, mit Urteil vom 16. Oktober 2002 ab.

C.
Gegen das Urteil des Obergerichts hat X.________ sowohl staatsrechtliche
Beschwerde als auch Berufung erhoben. Mit Letzterer verlangt er die Aufhebung
von Ziff. 1 des angefochtenen Urteils, die Einstellung des
Entmündigungsverfahrens und eventualiter die Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz. Ausserdem stellt er ein Begehren um unentgeltliche Rechtspflege.
Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist mit Entscheid heutigen Datums abgewiesen worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 In formeller Hinsicht macht der Berufungskläger eine Verletzung von Art.
374 ZGB geltend. Er behauptet in diesem Zusammenhang, mit Blick auf die
Entmündigung gar nicht angehört worden zu sein. So habe er lediglich ein mit
"Einladung" betiteltes Schreiben erhalten und die vorgesehene Anhörung habe
gar nicht durchgeführt werden können; der neue Besprechungstermin sei
lediglich mündlich mitgeteilt worden. Das Gespräch, das schliesslich am 12.
Februar 2002 in der Klinik stattgefunden habe, vermöge den gesetzlichen
Anforderungen nicht zu genügen. Dass die damals anwesende Oberärztin Dr.
D.________ abgeraten habe, dem Berufungskläger die ins Auge gefasste
Bevormundung mitzuteilen, sei irrelevant, weil sie nicht begutachtende Ärztin
im Sinne von Art. 374 Abs. 2 ZGB gewesen sei. Es habe kein Grund bestanden,
ihn nicht über die wahren Absichten zu informieren.

1.2 Gemäss Art. 374 Abs. 2 ZGB darf die Entmündigung wegen Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche nur nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
erfolgen, das sich auch über die Zulässigkeit einer vorgängigen Anhörung des
zu Entmündigenden auszusprechen hat. Damit wird auch bei der Entmündigung
wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ein grundsätzlicher Anspruch auf
Anhörung garantiert, wobei auf sie im Unterschied zu den Entmündigungsgründen
gemäss Art. 374 Abs. 1 ZGB ausnahmsweise verzichtet werden kann, wenn dies
aus medizinischer Sicht geboten ist (BGE 109 II 295 E. 2 S. 296, 117 II 132
E. 1 S. 134).

Art. 374 ZGB stellt Bundesrecht dar, weshalb Verletzungen des Norminhaltes
mit Berufung zu rügen sind (Art. 43 Abs. 1 OG). Das Entmündigungsverfahren
als solches richtet sich demgegenüber nach kantonalem Recht (Art. 373 Abs. 1
ZGB; vgl. auch Geiser, in: Basler Kommentar, N. 8 zu Art. 374 ZGB). Rein
tatsächlicher Natur ist schliesslich die Feststellung, ob überhaupt ein
Gutachten eingeholt oder eine Anhörung durchgeführt worden ist und was diese
zum Gegenstand hatte. Das Bundesrecht ist durch Feststellungen über
tatsächliche Verhältnisse grundsätzlich nicht verletzt (Art. 43 Abs. 3 OG)
und in dieser Hinsicht gilt ein umfassendes Novenverbot (Art. 55 Abs. 1 lit.
c und Art. 63 Abs. 2 OG), das nur entfällt, wenn der Berufungskläger
nachweist, dass er sich schon im kantonalen Verfahren auf entsprechende
Vorbringen berufen hat, diese von der Vorinstanz jedoch übersehen oder sonst
stillschweigend übergangen worden sind (Messmer/Imboden, Die eidgenössischen
Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, S. 156).

1.3 Vorab hält der Berufungskläger selbst fest, dass ein Gutachten eingeholt
und am 12. Februar 2002 mit ihm ein Gespräch geführt worden ist. Im Übrigen
weist er nicht nach, ja er behauptet nicht einmal, die nunmehr erhobenen
Rügen (Form der Einladung, Bekanntgabe des Gegenstandes der Anhörung) bereits
vor Obergericht geltend gemacht zu haben. Dieses verweist denn in seinen
Bemerkungen anlässlich der Akteneinreichung auch darauf, dass das Justiz-,
Gemeinde- und Kulturdepartement in seinem Entscheid den bereits damals
vorgebrachten Einwand des Berufungsklägers, er sei vorgängig nie über die
Gründe für die Anordnung der Vormundschaft orientiert worden, geprüft habe
und zum Schluss gekommen sei, der Gemeinderat W.________ habe ihm das
rechtliche Gehör gewährt und damit die Bestimmungen von § 44 EG ZGB und Art.
374 ZGB eingehalten. Da der Berufungskläger den Vorwurf, mangelhaft angehört
worden zu sein, in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht mehr erhoben
habe, habe für das Obergericht kein Anlass bestanden, sich dazu zu äussern.
Damit mangelt es am Erfordernis, dass sich die Bundesrechtsverletzung aus dem
angefochtenen Entscheid und dem darin festgestellten Sachverhalt ergeben muss
(Art. 43 Abs. 1 OG; vgl. auch Münch, in: Prozessieren vor Bundesgericht, 2.
Aufl., Basel 1998, N 4.76). Auf die im Zusammenhang mit der Durchführung der
Anhörung erhobenen Rügen ist demnach nicht einzutreten.

2.
2.1 In der Sache selbst bringt der Berufungskläger vor, es liege keine
Schutzbedürftigkeit vor. Er könne seine Angelegenheiten selbst besorgen und
gefährde niemanden. Im Übrigen sei die Massnahme unverhältnismässig und
erweise sich als untaugliches Mittel, einerseits weil Amtsvormünder zeitlich
schwer belastet seien und kaum persönliche Betreuung garantiert werden könne,
andererseits wegen seiner fehlenden Kooperationsbereitschaft und seinem
grundsätzlich renitenten Verhalten.

2.2 Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er könne seine Angelegenheiten
selbst erledigen und er gefährde durch sein Verhalten weder sich selbst noch
andere, wendet sich gegen die für das Bundesgericht verbindlichen
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) und ist deshalb
im Berufungsverfahren unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).

Von vornherein unbehelflich ist sodann der Verweis des Berufungsklägers auf
seine fehlende Kooperationsbereitschaft. Renitenz gegenüber
vormundschaftlichen Massnahmen macht diese nicht gegenstandslos oder
überflüssig; vielmehr spiegelt sich in der Androhung eines solchen
Verhaltensmusters die im Gutachten aufgezeigte und im angefochtenen Urteil
erwähnte fehlende Krankheitseinsicht. Ebenso wenig ist der Hinweis auf die
(angebliche) Arbeitslast des Amtsvormundes - abgesehen davon, dass es sich
dabei um eine unzulässige neue Tatsachenbehauptung handelt (Art. 55 Abs. 1
lit. c OG) - geeignet, die vormundschaftliche Massnahme als untauglich und
damit als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die Berufung nicht eingetreten werden
kann. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, war sie von Anfang an
aussichtslos. Damit mangelt es an den materiellen Voraussetzungen der
unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 152 Abs. 1 OG), was zur Abweisung des
entsprechenden Gesuchs führt. Die Gerichtskosten sind dem unterliegenden
Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Berufungskläger auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Berufungskläger und dem Obergericht des Kantons
Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Februar 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: