Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.256/2002
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5C.256/2002 /bnm

Urteil vom 23. Dezember 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichterin Escher,
Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schett.

L. F.________,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Leuch,
Giger & Partner, Rechtsanwälte, Kuttelgasse 8, Postfach 2322, 8022 Zürich,

gegen

A.B.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Jent,
Zentrum Märtegge, 8630 Rüti ZH.

Klage nach Art. 85a SchKG,

Berufung gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich II.
Zivilkammer vom 15. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
Zur Sicherung eines am 22. Juni 1998 gewährten Darlehens über Fr. 165'000.--
übergab A.F.________ B.B.________ zwei auf der Liegenschaft seiner Ehefrau
L.F.________ in Z.________ lastende Schuldbriefe, nämlich einen
Namensschuldbrief im 1. Rang über Fr. 65'000.-- und einen als
Eigentümerschuldbrief ausgestalteten Inhaberschuldbrief über Fr. 135'000.--
im 2. Rang. Die Witwe des inzwischen verstorbenen B.B.________, A.B.________,
stellte am 6. Dezember 2000 für den Betrag von Fr. 172'562.50 zuzüglich
Zinsen und Kosten beim Betreibungsamt Z.________ das Begehren um Betreibung
auf Grundpfandverwertung. A.F.________ und L.F.________ erhoben
Rechtsvorschlag. Die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Hinwil erteilte am
3. März 2001 die provisorische Rechtsöffnung. Auf Ersuchen von A.B.________
fand am 5. Oktober 2001 die Zwangsverwertung der Liegenschaft von
L.F.________ statt. Der Zuschlag ging für Fr. 193'000.-- an R.T.________. Die
von L.F.________ dagegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg. A.F.________
erklärte in einer Selbstanzeige vom 15. Oktober 2001 gegenüber der
Bezirksanwaltschaft Hinwil, die Unterschrift seiner Ehefrau auf den
massgeblichen Dokumenten gefälscht zu haben.

B.
L.F.________ gelangte am 24. Oktober 2001 an das Bezirksgericht Hinwil mit
dem Begehren, den Nichtbestand der in der Betreibung auf Grundpfandverwertung
Nr. ... des Betreibungsamtes Z.________ gestützt auf den Schuldbrief im
ersten und den Schuldbrief im zweiten Rang auf ihrer Liegenschaft in
Z.________ geltend gemachten Pfandrechte festzustellen und die Betreibung Nr.
... des Betreibungsamtes Z.________ definitiv aufzuheben. Mit Verfügung vom
28. Mai 2002 trat der Einzelrichter auf die Klage nicht ein.

C.
Das Obergericht des Kantons Zürich wies den von L.F.________ dagegen
erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 15. Oktober 2002 ab und bestätigte die
Verfügung des Einzelrichters.

D.
Mit Berufung vom 15. Oktober 2002 beantragt L.F.________ dem Bundesgericht,
den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich und denjenigen des
Einzelrichters des Bezirksgerichts Hinwil aufzuheben und den Einzelrichter
des Bezirksgerichts Hinwil anzuweisen, auf die Klage einzutreten. Sie stellt
das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Ob ein Pfandrecht zu Recht besteht, ist eine Zivilrechtsstreitigkeit mit
Vermögenswert. Die Nichtzulassung zur Klage stellt einen Endentscheid dar,
welcher im vorliegenden Fall letztinstanzlich ist. Auf die Berufung ist unter
diesen Gesichtspunkten einzutreten (Art. 46 und Art. 48 Abs. 1 OG).

1.2 Hingegen sind die tatsächlichen Vorbringen der Klägerin nicht zu
berücksichtigen, soweit sie über die für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz hinausgehen (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 126
III 59 E. 2a S. 65 mit Hinweisen). Dies gilt namentlich für ihre Schilderung
des Abschlusses des Darlehensvertrages und der Errichtung der Grundpfänder,
welche Vorgänge im kantonalen Verfahren nicht geklärt worden sind.

2.
Anlass zur Berufung gibt die Frage, ob der Bestand eines Pfandes im Verfahren
nach Art. 85a SchKG geklärt werden kann.

2.1 Mit der Klage nach Art. 85a SchKG hat der Gesetzgeber einen neuen
Rechtsbehelf geschaffen, mit dem der Betriebene durch den Richter feststellen
lassen kann, dass die Schuld nicht oder nicht mehr besteht oder gestundet
ist. Diese Klage weist eine Doppelnatur auf. Wie die Aberkennungsklage
bezweckt sie einerseits als materiellrechtliche Klage die Feststellung der
Nichtschuld oder der Stundung, anderseits hat sie aber, wie das Verfahren
nach Art. 85 SchKG, auch betreibungsrechtliche Wirkung, indem der Richter mit
ihrer Gutheissung die Betreibung einstellt oder aufhebt (BGE 125 III 149 E.
2c). Dieses zusätzliche Verteidigungsmittel soll unverhältnismässige Härten
und materiellrechtlich unbefriedigende Ergebnisse korrigieren. Es steht erst
nach rechtskräftiger Beseitigung des Rechtsvorschlags und bis zur Verteilung
des Verwertungserlöses bzw. der Konkurseröffnung zur Verfügung (BGE 125 III
149 E. 2c; 127 III 41 E. 4c).

2.2 Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass der in Art. 85a SchKG verwendete
Ausdruck 'Betriebener' auch den Drittpfandsteller einschliesst. Sie weist auf
den Zweck des neuen Rechtsbehelfs hin und empfindet es als ungerecht, wenn
dieser nur dem Schuldner, nicht aber dem Drittpfandsteller zur Verfügung
steht.

2.3 Demgegenüber kam die Vorinstanz zum Schluss, dass zur Bestreitung des
Pfandrechts ausreichende Rechtsbehelfe bestehen. Aus dem verbesserten
Schuldnerschutz könne nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber diese
Erweiterung auch für den Fall der Bestreitung des Pfandrechts wollte.

2.4 Bei der Kommentierung des neuen Art. 85a SchKG durch die Lehre fällt auf,
dass durchwegs von der Klage auf Feststellung, dass die Schuld nicht oder
nicht mehr bestehe oder gestundet sei, die Rede ist. Hingegen wird der
Bestand des Pfandes als möglicher Inhalt der Feststellungsklagen von den
meisten Autoren gar nicht erwähnt (Amonn/Gasser, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl., N. 15 S. 139, N. 22 S. 141;
Gilliéron, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la
faillite, N. 9 zu Art. 85a LP; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, Kommentar, 4.
Aufl. 1997, N. 12 zu Art. 85a SchKG; Bodmer, Basler Kommentar, SchKG I, N. 2,
26 und 31 zu Art. 85a; Brönnimann, Neuerungen bei ausgewählten Klagen des
SchKG, ZSR 115, 1996, S. 215 ff.; derselbe, Zur Klage nach Art. 85a SchKG,
AJP 11/96, S. 1396; Walder, Rechtsbehelfe im schweizerischen Bundesgesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs, in: Festschrift für Hideo Nakamura, Tokyo
1996, S. 647). Einzelne Autoren betonen aufgrund der Entstehungsgeschichte
der neuen Bestimmung zudem, dass sie sehr restriktiv anzuwenden und als
blosser Notbehelf aufzufassen sei (so Gasser, Revidiertes SchKG - Hinweise
auf kritische Punkte, ZBJV 132, 1996, S. 639).

Einzig Luca Tenchio geht - unter Hinweis auf Walder/Jent-SØrensen  - davon
aus, dass mit der Klage gestützt auf Art. 85a SchKG auch der Nichtbestand des
Pfandrechts festgestellt werden kann (Feststellungsklagen und
Feststellungsprozess nach Art. 85a SchKG, Diss. Zürich 1999, S. 52;
Walder-Jent-SØrensen, Tafeln zum Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 5.
Aufl. 1997, S. 38). Weder er noch die von ihm angeführten Autoren führen
allerdings ein Argument für ihren Standpunkt an.

Vom möglichen Inhalt der Klage nach Art. 85a SchKG ist zu unterscheiden, wer
sie zu erheben berechtigt ist. Während einzelne Autoren nur den Schuldner als
Betriebenen im Sinne dieser Bestimmung anerkennen und ihm ein Klagerecht
einräumen (Amonn, a.a.O., S. 141 N. 22), gestehen andere auch dem Ehegatten
oder dem Drittpfandeigentümer, welchem ebenfalls ein Zahlungsbefehl
zuzustellen ist, die Aktivlegimation zu (Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, a.a.O.,
N.7 zu Art. 85a SchKG; Gilliéron, N. 70 zu Art. 85a LP). Die Vorinstanz geht
von einer erweiterten Klageberechtigung aus. Da sich die Klage aus
nachfolgenden Gründen als unzulässig erweist, ist über diese Streitfrage
vorliegend nicht zu befinden.

2.5 Entgegen den Darlegungen der Klägerin liefert die Entstehungsgeschichte
des Art. 85a SchKG keine Anhaltspunkte für eine Auslegung in ihrem Sinne. In
der Botschaft des Bundesrates ist von der unverhältnismässigen Härte und der
unbefriedigenden Situation die Rede, wenn die Betreibung ihren Lauf nimmt,
die aufgrund einer nicht bestehenden oder nicht fälligen Forderung
eingeleitet worden ist (BBl 1991 III Ziff. 202.75). Dass auch der Bestand des
Pfandrechts klageweise überprüft werden könne, wird vom Bundesrat nicht
einmal angetönt. Der zuhanden der Studienkommission gemachte Vorschlag
Nägeli, welcher die Feststellungsklage auch auf das Pfandrecht ausdehnen
wollte, ist in der anschliessenden Diskussion in diesem Gremium sowie in der
Expertenkommission und in den eidgenössischen Räten nicht aufgenommen worden
(Nachweise bei Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, a.a.O., N. 1 zu Art. 85a).

Da sich die Klage nach dem Wortlaut von Art. 85a SchKG nur auf die Schuld
beziehen kann, schliesst der Ausdruck 'Betriebener' den Drittpfandsteller
nicht ein. Mit dieser Wortwahl wird bloss darauf hingewiesen, dass die Klage
nach Art. 85a SchKG eine noch hängige Betreibung voraussetzt, über welche es
neben der materiellrechtlichen Frage zu entscheiden gilt. Ein darüber
hinausgehendes Rechtsschutzinteresse braucht hingegen für die Beurteilung der
Klage nicht nachgewiesen zu werden (Spühler/Tenchio, Feststellungsklagen
gemäss Art. 85a Abs. 1 SchKG nach gültig erhobenem Rechtsvorschlag ?, AJP
10/99, S. 1241, mit Hinweisen). Damit bleiben dem Drittpfandsteller der
Rechtsvorschlag (Art. 153 Abs. 2 SchKG) und die allgemeine
Feststellungsklage, um den Bestand seines Pfandes überprüfen zu lassen. Weder
die Materialien zu Art. 85a SchKG noch die in der Lehre eingenommenen
Standpunkte lassen ein anderes Resultat zu. Allein der Umstand, dass diese
Ausgangslage von der Klägerin als ungerecht empfunden wird, verschafft ihr
noch kein Klagerecht nach Art. 85a SchKG.

3.
Nach dem Gesagten ist der Berufung kein Erfolg beschieden. Damit wird die
Klägerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat ein Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gestellt. Angesichts der zum Teil
nicht eindeutigen Rechtslage konnte der Berufung nicht von Vornherein jede
Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden. Da auch die Bedürftigkeit der
Klägerin ausgewiesen ist, sind die Voraussetzungen zur Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt (Art. 152 OG). Die Zusprechung einer
Parteientschädigung an die Beklagte entfällt mangels Einholung einer
Berufungsanwort.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und der
angefochtene Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer,
vom 15. Oktober 2002 wird bestätigt.

2.
Das Gesuch der Klägerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird
gutgeheissen.

3.
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

4.
Rechtsanwalt Andreas Leuch, Zürich, wird aus der Bundesgerichtskasse ein
Honorar von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Dezember 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: