Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.236/2002
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5C.236/2002 /bmt

Urteil vom 20. Dezember 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichterin Escher,
Gerichtsschreiberin Scholl.

A. ________,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwältin Regula Mullis
Tönz, Postfach 612, 8708 Männedorf,

gegen

B.________,
Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Toni
Fischer, Dorfstrasse 94, 8706 Meilen.

Ehescheidung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, vom 12. September 2002.

Sachverhalt:

A.
Frau A.________, geboren 1947, und Herr B.________, geboren 1954,
bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, heirateten am 2. September 1998
in Kloten. In der Folge zog B.________ mit seinem Sohn C.________ in die
Wohnung von A.________. Das eheliche Verhältnis zwischen den Parteien
verschlechterte sich bereits kurz nach der Hochzeit, so dass die Ehe nur
wenige Tage wirklich gelebt wurde. Seit August 1999 leben die Ehegatten
getrennt. Bereits am 7. April 1999 leitete A.________ beim Friedensrichteramt
Kloten die Scheidung gestützt auf Art. 142 Abs. 1 aZGB ein. Sie brachte im
Wesentlichen vor, B.________ habe nie einen wirklichen Ehewillen gehabt,
sondern sei die Ehe mit ihr nur eingegangen, um eine Aufenthaltsbewilligung
in der Schweiz zu erhalten. Mit Urteil vom 16. November 2000 wies das
Bezirksgericht Bülach die Klage ab.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Berufung von
A.________ am 18. Juni 2001 ab. Dieses Urteil wurde vom Kassationsgericht des
Kantons Zürich mit Beschluss vom 11. April 2002 wegen teilweiser
willkürlicher Beweiswürdigung aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung an
das Obergericht zurückgewiesen, welches mit Urteil vom 12. September 2002 die
Scheidungsklage erneut mit der Begründung abwies, dass der Beweis eines
mangelnden wirklichen Ehewillens bei B.________ nicht erbracht sei und dass
sein übriges Verhalten nicht für die Annahme der Unzumutbarkeit gemäss Art.
115 ZGB ausreichen würde.

C.
A.________ gelangt mit Berufung ans Bundesgericht. Sie beantragt sinngemäss,
die Scheidungsklage sei gutzuheissen, eventuell  sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden. Das Obergericht hat keine
Gegenbemerkungen angebracht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das angefochtene Scheidungsurteil stellt eine nicht vermögensrechtliche
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44 OG dar. Die Berufung ist
rechtzeitig erhoben worden und richtet sich gegen einen letztinstanzlichen
kantonalen Endentscheid, der nicht mehr durch ein ordentliches kantonales
Rechtsmittel angefochten werden kann (Art. 54 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 OG).

2.
Die Klägerin bringt vor, das Obergericht habe durch die Schlussfolgerung,
dass die Voraussetzungen für das Aussprechen der Scheidung nicht gegeben
seien, Art. 115 ZGB verletzt. Entgegen der Annahme der Vorinstanz sei
erwiesen, dass der Beklagte keinen wirklichen Ehewillen gehabt habe.

2.1 Das Bundesgericht ist im Berufungsverfahren an die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz gebunden, sofern sie nicht offensichtlich auf
einem Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften
zustande gekommen sind (Art. 63 Abs. 2 OG) oder zu ergänzen sind (Art. 64
OG).

2.2 Die Ausführungen der Klägerin zur Verletzung von Art. 115 ZGB erschöpfen
sich fast ausschliesslich in einer Kritik an den tatsächlichen Feststellungen
des Obergerichts. So insbesondere, wenn sie vorbringt, dass der Beklagte nie
einen wirklichen Ehewillen gehabt habe, sondern nur wegen der
Aufenthaltsbewilligung eine Scheinehe eingegangen sei. Für das Bundesgericht
ist die Feststellung des Obergerichts, dass der Beweis bezüglich des
mangelnden Ehewillens des Beklagten nicht erbracht worden sei, verbindlich.
Insoweit ist auf die Berufung nicht einzutreten. Das Gleiche gilt auch
bezüglich der Vorbringen zu der psychischen Verfassung der Klägerin. Das
Obergericht hält fest, der Bericht einer Psychologin, welche bei der Klägerin
eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes diagnostiziere, stehe im
Gegensatz zu den Aussagen der Klägerin, wonach ihre Angstzustände und
Schlafprobleme mit dem Auszug des Beklagten aus der Wohnung nachgelassen
hätten. Die beruflichen Tätigkeiten der Klägerin würden ebenfalls auf eine
intakte physische und psychische Verfassung hindeuten. Soweit die Klägerin
rügt, diese Schlussfolgerung der Vorinstanz beruhe auf einer willkürlichen
Beweiswürdigung, kann darauf nicht eingetreten werden.

3.
Die Klägerin macht weiter geltend, die Vorinstanz habe Art. 139 Abs. 1 und 2
ZGB verletzt, indem sie zum Schluss gelangt sei, dass der Beweis des
mangelnden Ehewillens nicht erbracht sei, sowie durch die Feststellung, dass
das übrige Verhalten des Beklagten zu keiner Unzumutbarkeit führe. Auf diese
Rügen kann ebenfalls nicht eingetreten werden.

Der in Art. 139 Abs. 1 ZGB umschriebene Grundsatz der freien Beweiswürdigung
gewährleistet lediglich, dass das Gericht nach Abnahme der Beweise, ohne
Bindung an bestimmte formelle Beweisregeln des kantonalen Rechts, nach
pflichtgemässem Ermessen und auf Grund seiner frei gebildeten Überzeugung
darüber befinden soll, ob der Beweis für eine bestimmte Tatsache erbracht ist
oder nicht. Unzulässig ist demgemäss, bestimmten Beweismitteln von vornherein
in allgemeiner Weise die Beweiseignung abzusprechen oder wenn der Richter im
konkreten Fall bei der Würdigung von Beweisen im Ergebnis nicht seiner
eigenen Überzeugung folgt (BGE 127 IV 46 E. 1c S. 47; Sutter/Freiburghaus,
Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 5 zu Art. 139 ZGB; Leuenberger
in: Praxiskommentar zum neuen Scheidungsrecht, 2000, N. 4 zu Art. 139 ZGB).
Die Beweiswürdigung wird dadurch aber nicht zu einer frei überprüfbaren
Bundesrechtsfrage, die mit Berufung gerügt werden könnte (BGE 127 III 257 E.
5b S. 264, 453 E. 5d S. 456). Die von der Klägerin vorgebrachten Rügen des
unvollständigen und aktenwidrigen Sachverhaltes kritisieren aber allgemein
die kantonalen Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung und sind
daher im vorliegenden Verfahren nicht zulässig. Solche Rügen sind
ausschliesslich der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9
BV vorbehalten (Art. 43 Abs. 1 OG; BGE 108 II 550 E. 2b S. 554; 114 II 289 E.
2b S. 292; 127 III 248 E. 2c S. 252).

4.
Die Klägerin bringt weiter vor, die Vorinstanz habe Art. 115 ZGB verletzt,
indem sie das als bewiesen erachtete Fehlverhalten des Beklagten wie die
intimen Kontakte zu anderen Frauen und die Ansteckung der Klägerin mit einer
Geschlechtskrankheit nicht als Unzumutbarkeit im Sinne von Art. 115 ZGB
gewertet habe.

4.1 Gemäss Art. 115 ZGB kann ein Ehegatte vor Ablauf der vierjährigen Frist
die Scheidung verlangen, wenn ihm die Fortsetzung der Ehe aus schwerwiegenden
Gründen, die ihm nicht zuzurechnen sind, nicht zugemutet werden kann. Dabei
geht es - wie die Vorinstanz zutreffend ausführt - nicht um die
Unzumutbarkeit des Zusammenlebens, sondern um die seelisch begründete
Unzumutbarkeit der rechtlichen Verbindung (BGE 126 III 404 E. 4c S. 408; 127
III 129 E. 3a S. 132). Unerheblich ist, ob die zur Scheidung Anlass gebenden
Gründe objektiver Natur sind, oder ob sie dem anderen Ehegatten zugerechnet
werden können. Übersteigerte Reaktionen infolge besonderer Empfindlichkeiten
können allerdings keine Berücksichtigung finden. Ebenso geben
Beeinträchtigungen, die normalerweise mit einer Scheidung einhergehen, keinen
solchen Grund ab. An das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes dürfen
jedoch auch keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Dass die
Klägerin das Fortbestehen der Ehe während vier Jahren als unerträglich
betrachtet, muss unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände objektiv
nachvollziehbar sein (BGE 127 III 129 E. 3b S. 134; 128 III 1 E. 3a/cc S. 3).

Die Beantwortung der Frage, ob ein schwerwiegender Grund im Sinne von Art.
115 ZGB besteht, erfordert eine Gesamtbeurteilung aller massgebender Umstände
im konkreten Einzelfall. Der Richter wird damit auf eine Entscheidung nach
Recht und Billigkeit verwiesen (Art. 4 ZGB; BGE 126 III 404 E. 4g S. 410; 127
III 129 E. 3b S. 134, 342 E. 3a S. 346, 347 E. 2a S. 349; 128 III 1 E. 3a/cc
S. 3). Es steht ihm ein gewisser Spielraum des Ermessens zu, was nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts im Berufungsverfahren zu berücksichtigen
ist. Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht an sich frei;
es übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die kantonale
Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat,
d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten
Grundsätzen abgegangen ist, sie Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine
Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche
Umstände ausser Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind
ausserdem Ermessensentscheide, die sich als im Ergebnis offensichtlich
unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 126 III 223 E. 4a
S. 227 f.; 127 III 351 E. 4a S. 354).

4.1.1 Fest steht, dass die Ehe bis zur tatsächlichen Trennung nur wenige Tage
gedauert hat. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt in der
Gesamtbeurteilung der Unzumutbarkeit den Umstand, dass eine Ehe nur kurz
gedauert hat (BGE 128 III 1 E. 3b S. 3; Urteil des Bundesgerichts 5C.262/2001
vom 17. Januar 2002, E. 4b/bb). Obwohl die Ehedauer für sich allein in der
Regel keinen wesentlichen Einfluss auf die Unzumutbarkeit der Fortführung der
Ehe haben dürfte, kann dennoch tendenziell angenommen werden, dass den
Ehegatten bei Kurzehen wohl eher unzumutbar ist, die Trennungsfrist von vier
Jahren abzuwarten, wenn der andere Ehegatte nicht zu einer Scheidung auf
gemeinsames Begehren Hand bietet; dagegen rechtfertigt eine Ehe von langer
Dauer eher einen gewissen Vertrauensschutz (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N.
13 zu Art. 115 ZGB).

4.1.2 In tatsächlicher Hinsicht erstellt ist weiter, dass der Beklagte
zumindest vor der Ehe intime Kontakte zu anderen Frauen unterhalten hat, was
mit grosser Wahrscheinlichkeit zu der Geschlechtskrankheit bei der Klägerin
geführt hat. Dass der Beklagte auch nach der Heirat die ehewidrigen
Beziehungen weiter geführt hat, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu
entnehmen. Im Übrigen stellt auch ein begangener Ehebruch allein noch keinen
schwerwiegenden Grund dar, der das Abwarten der vierjährigen Trennungsfrist
als unzumutbar erscheinen liesse (Fankhauser in: Praxiskommentar zum neuen
Scheidungsrecht, 2000, N. 7 zu Art. 115 ZGB; Rumo-Jungo, Scheidung auf Klage,
AJP 1999, S. 1536). Dies muss verstärkt auch für intime Kontakte zu anderen
Frauen vor der Heirat gelten. Dass die - gemäss Vorinstanz unvorsätzliche -
Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit für die Klägerin psychisch
belastend war, ist nachvollziehbar; wie das Obergericht zu Recht ausführt,
vermag dies aber nicht zu einer unmittelbaren Auflösung des rechtlichen
Ehebandes in Anwendung von Art. 115 ZGB zu führen.

4.1.3 Die weiteren vorgebrachten Verfehlungen des Beklagten, wie
Gesprächsverweigerung, Ausweichverhalten und Vernachlässigung der
Beziehungspflege können nicht als schwerwiegende Gründe angesehen werden,
solange sie nicht über den Rahmen von ehelichen Auseinandersetzungen oder
üblichem Konfliktverhalten hinausgehen (Fankhauser, a.a.O., N. 10 zu Art. 115
ZGB), was im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen ist.

4.2 Daraus ergibt sich, dass das Obergericht die von der Rechtsprechung
geforderte umfassende Gesamtwürdigung der relevanten Umstände vorgenommen hat
und diese nicht beanstandet werden kann. Der von der Vorinstanz festgestellte
Sachverhalt rechtfertigt eine Scheidung nach Art. 115 ZGB nicht.

5.
Von der Unzumutbarkeit gemäss Art. 115 ZGB zu unterscheiden ist der offenbare
Rechtsmissbrauch der Parteien im Rahmen der Scheidung (Urteil des
Bundesgerichts 5C.242/2001 vom 11. Dezember 2001, E. 2b/aa, publ. in: Pra
91/2002 Nr. 39 S. 204 und SJ 2002 S. 221; a.M. Fankhauser, a.a.O., N. 19 zu
Art. 115 ZGB), den die Klägerin ebenfalls geltend macht. Es kann durchaus
Fälle geben, wo sich der Beklagte in rechtsmissbräuchlicher Weise der
Scheidung widersetzt. Tut er dies, obwohl ein schwerwiegender Grund gegeben
ist, dringt der Kläger ohnehin durch. Kann der Kläger hingegen einen solchen
nicht dartun, ist erst dann zu entscheiden, ob sich die an der Ehe
festhaltende Partei rechtsmissbräuchlich verhält. Dies kann gegeben sein,
wenn der eine Partner die Ehe unter keinen Umständen fortsetzen will, sich
aber gleichzeitig der Scheidung widersetzt, um sich einen Vorteil zu
verschaffen, der weder mit dem Zweck der Ehe noch mit der Vierjahresfrist
einen Zusammenhang hat (Urteil vom 11. Dezember 2001, E. 2b/bb).

Die Klägerin bringt vor, der Rechtsmissbrauch liege darin, dass sich der
Beklagte auf eine Ehe berufe, die nur noch formell aufrecht erhalten werde
mit dem einzigen Ziel, die Aufenthaltsbewilligung erhältlich zu machen. Ob
dieses Verhalten einen Rechtsmissbrauch darstellen könnte, kann im
vorliegenden Fall offen bleiben, denn dieser Vorwurf steht gemäss dem
Beweisergebnis des Obergerichts eben gerade nicht fest; und andere Umstände,
die auf einen offenbaren Rechtsmissbrauch hindeuten würden, ergeben sich aus
dem angefochtenen Entscheid nicht. Dies insbesondere auch, weil gemäss
verbindlicher Feststellung der Vorinstanz keine Gefahr besteht, dass der
Klägerin sachlich nicht gerechtfertigte finanzielle Konzessionen abgenötigt
werden.

6.
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
angefochtene Urteil ist zu bestätigen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird
die Klägerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie schuldet dem Beklagten
allerdings keine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren,
zumal keine Berufungsantwort eingeholt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 12. September 2002
wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Dezember 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: