Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.226/2002
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5C.226/2002 /bnm

Urteil vom 16. Januar 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber von Roten.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander R. Lecki,
Limmatquai 72, Postfach 731, 8025 Zürich,

gegen

Versicherung B.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ulrich
Weiss, Tösstalstrasse 23, Postfach 31,
8402 Winterthur.

Forderung aus Versicherungsvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 30. August 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 20. November 1996 geriet das Fahrzeug von A.________ (im Folgenden:
Kläger) in Brand. Der Kläger zeigte den Totalschaden zwei Tage später der
Versicherung B.________ an (hiernach: Beklagte), bei der er am 15. Oktober
1996 einen Versicherungsvertrag über Haftpflicht und Kasko abgeschlossen
hatte. Das anschliessende Strafverfahren gegen den Kläger wegen versuchten
Betrugs endete rechtskräftig mit einem Freispruch (Urteil der
Bezirksgerichtlichen Kommission Z.________ vom 15. Juni 2000) bzw. mit der
Gutheissung der dagegen erhobenen Kostenbeschwerde (Beschluss des
Obergerichts des Kantons Thurgau vom 25. September 2000).

Am 15. Juli 1998 verlangte der Kläger beim Friedensrichteramt Y.________ die
Durchführung einer Sühneverhandlung mit dem Begehren, die Beklagte zur
Bezahlung von Fr. 80'000.-- nebst Zins zu verurteilen. Zuvor hatte die
Beklagte die Zahlungsaufforderung des Klägers abgelehnt unter Hinweis auf die
staatsanwaltschaftliche Anklageerhebung und "nach wie vor keine Möglichkeit"
gesehen auf das "Begehren, die Schadensabwicklung vorzunehmen, einzutreten"
(Schreiben vom 2. Juli 1998). Die Weisung des Friedensrichters wurde am 11.
August 1998 an den Kläger versendet. Der Kläger verfolgte das eingeleitete
Verfahren nicht weiter.

Am 29. Januar 2001 leitete der Kläger erneut den Forderungsprozess gegen die
Beklagte ein. Der Klageeinleitung war im November 2000 ein Briefwechsel
vorausgegangen, wobei die Beklagte die Verjährung geltend gemacht hatte.

B.
Das Bezirksgericht Winterthur und - auf Berufung des Klägers hin - das
Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich wiesen die Klage wegen
Verjährung der Forderung ab (Urteile vom 11. März und vom 30. August 2002).

C.
Mit eidgenössischer Berufung beantragt der Kläger dem Bundesgericht zur
Hauptsache, die Beklagte habe ihm Fr. 80'000.-- nebst Zins zu bezahlen sowie
die Weisungskosten von Fr. 407.-- zu ersetzen. Das Obergericht hat auf
Gegenbemerkungen verzichtet. Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt
worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Strittig ist, in welchem Zeitpunkt die Verjährung gemäss Art. 46 des
Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908 (SR 221.229.1,
VVG) zu laufen begonnen hat. Nach Auffassung des Klägers ist nicht der
Zeitpunkt des Fahrzeugbrandes massgebend, sondern die rechtskräftige
Erledigung des Strafverfahrens.

1.1 Forderungen aus dem Versicherungsvertrag verjähren in zwei Jahren nach
Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet (Art. 46 Abs. 1
Satz 1 VVG). Leistungsbegründende Tatsache ist grundsätzlich der
Versicherungsfall. Dem Kläger ist allerdings darin beizupflichten, dass
neuere Lehre und Rechtsprechung von dieser Einheitslösung abrücken und je
nach Versicherungsart und Leistungsanspruch auf unterschiedliche
fristauslösende Ereignisse abstellen, um teilweise wenig befriedigende
Ergebnisse zu vermeiden (z.B. Verjährungseintritt vor Kenntnis des
Versicherungsfalls). Die Entwicklung der Rechtsprechung lässt erkennen, dass
fristauslösendes Moment für die Verjährung jener Zeitpunkt ist, in welchem
die die Leistungspflicht des Versicherers begründenden Tatbestandselemente
feststehen (BGE 127 III 268 E. 2b S. 270 f.). Beim Versicherungsfall "Feuer"
ist dieser Zeitpunkt der Tag, an welchem der Versicherungsgegenstand ganz
oder teilweise durch Feuer zerstört oder beschädigt worden ist (BGE 75 II 227
E. 2 S. 230 f.). Entgegen der Darstellung des Klägers hat das Bundesgericht
daran nicht bloss nebenbei im Zusammenhang mit der - vergleichbaren -
Diebstahlversicherung festgehalten (BGE 126 III 278 E. 7a S. 280). Es hat
diese Praxis zum Versicherungsfall "Feuer" bis in jüngste Zeit bestätigt
(z.B. Urteil 5C.43/2001 vom 25. Mai 2001, E. 4a, zusammengefasst in AJP 2002
S. 584 ff., vorab S. 585 Ziffer 3). Darauf zurückzukommen geben die
Vorbringen des Klägers keinen Anlass, namentlich kann für den massgebenden
Zeitpunkt der Abschluss des gegen ihn angestrengten Strafverfahrens wegen
versuchten Betrugs von vornherein keine Rolle spielen (so bereits
ausdrücklich: BGE 75 II 227 E. 2 S. 230). Der Fahrzeugbrand hat am 20.
November 1996 stattgefunden. Dieser Tag ist für die Verjährung fristauslösend
gewesen.

1.2 Der Kläger beruft sich auf das Schreiben vom 2. Juli 1998, mit dem die
Beklagte unter Hinweis auf die staatsanwaltschaftliche Anklageerhebung "nach
wie vor keine Möglichkeit" sah, auf das "Begehren, die Schadensabwicklung
vorzunehmen, einzutreten". Es bleibt unklar, was der Kläger aus dem besagten
Schreiben für den Verjährungsbeginn - im Gegensatz zur Erhebung der
Verjährungseinrede (E. 2 hiernach) - herleitet. Möglicherweise erblickt er im
Schreiben der Beklagten einen befristeten Verjährungsverzicht, wenn er
behauptet, der "Versicherungsfall sollte nach dem Willen der Beklagten
solange als noch nicht eingetreten gelten, als gegen den Kläger als
Versicherungsnehmer ein Strafverfahren im Gange war, in welchem abgeklärt
wurde, ob er das Schadenereignis in betrügerischer Absicht herbeigeführt
habe; die Frage über die Leistungspflicht sollte 'vertagt' werden" (S. 4 der
Berufungsschrift).

Vertragsabreden, die den Anspruch gegen den Versicherer einer kürzeren
Verjährung oder einer zeitlich kürzeren Beschränkung unterwerfen, sind
ungültig (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 VVG). Diese zu Ungunsten des
Versicherungsnehmers oder des Anspruchsberechtigten unabänderbare Vorschrift
(Art. 98 Abs. 1 VVG) bedeutet umgekehrt, dass der Versicherer auf die
Verjährung verzichten kann, und zwar in weitergehendem Umfang als dies nach
den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts möglich wäre (vgl. Art.
129 und Art. 141 OR; Graber, in: Kommentar zum Bundesgesetz über den
Versicherungsvertrag [VVG], Basel 2001, N. 24-26 und N. 37 f. zu Art. 46 VVG;
ausführlich: Koller, Die Verjährung von Versicherungsansprüchen, in:
Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung, St. Gallen 1993, S. 1 ff., S.
29-33 mit Nachweisen).

Das Obergericht hat das Schreiben der Beklagten vom 2. Juli 1998 nicht unter
dem Blickwinkel eines eigentlichen Verzichts auf die Verjährung beurteilt, so
dass - mangels abweichender Darstellung des Klägers - davon ausgegangen
werden muss, es handle sich dabei um ein neues rechtliches Vorbringen. Dieses
fällt nicht etwa unter das Novenverbot gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG.
Vielmehr hat das Bundesgericht nach Massgabe des festgestellten Sachverhalts
das Recht von Amtes wegen anzuwenden, ohne an die Rechtsauffassungen der
Parteien gebunden zu sein (Art. 63 OG); neue rechtliche Vorbringen sind daher
im Berufungsverfahren zulässig, sofern sie nicht auf einer Ausweitung des
vorinstanzlich festgestellten Sachverhalts beruhen (BGE 116 II 695 E. 4 S.
699; 123 III 129 E. 3b/aa S. 132 f.).

Ob die Beklagte in ihrem Schreiben vom 2. Juli 1998 einen Verzicht auf die
Verjährung bis zum Abschluss des Strafverfahrens erklärt hat, beurteilt sich
- wie bei rechtsgeschäftlichen Erklärungen allgemein (BGE 127 III 444 E. 1b
S. 445; 121 III 118 E. 4b/aa S. 123) - zunächst nach dem wirklichen Willen
der Parteien, den die kantonalen Gerichte für das Bundesgericht verbindlich
feststellen. Nur wenn dieser tatsächliche Parteiwille unbewiesen bleibt, sind
zur Ermittlung des mutmasslichen Willens der Parteien deren Erklärungen auf
Grund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und
mussten (Koller, a.a.O., S. 33; BGE 60 II 445 E. 2 S. 450, für Art. 46 VVG).
Tatsachenfeststellungen über einen Willen der Beklagten, auf die Verjährung
zu verzichten, fehlen im obergerichtlichen Urteil. Aber selbst wenn hier die
Erklärung der Beklagten nach dem Vertrauensgrundsatz auszulegen wäre, könnte
dem Kläger nicht beigepflichtet werden. Das Schreiben der Beklagten ist die
Antwort auf das schriftliche Ersuchen des Klägers vom 16. Juni 1998, "die
Schadensabwicklung innerhalb der nächsten fünf Tage vorzunehmen", verbunden
mit der Ankündigung, andernfalls werde die Forderung gerichtlich geltend
gemacht (act. 4/10). Die Antwort der Beklagten, sie sehe, "nach wie vor keine
Möglichkeit, auf Ihr Begehren, die Schadensabwicklung vorzunehmen,
einzutreten", kann nach Treu und Glauben nicht dahin verstanden werden, sie
verzichte auf die Verjährung bis zur Erledigung des Strafverfahrens, auf das
die Beklagte einleitend verwiesen hat. Auf Grund des Schreibens vom 2. Juli
1998 musste der Kläger vielmehr davon ausgehen, dass die Beklagte auf ihrem
bisherigen Standpunkt beharrt und ihre Leistungen eben "nach wie vor"
verweigert. Der Kläger hat denn auch am 15. Juli 1998 den Prozess
eingeleitet.

1.3 Gegen die obergerichtliche Berechnung der Verjährungsfrist wendet der
Kläger nichts ein. Sie richtet sich nach Art. 132 ff. OR, da das
Versicherungsvertragsgesetz keine Bestimmungen darüber enthält (vgl. Art. 100
Abs. 1 VVG). Die Verjährungsfrist von zwei Jahren hat am Tag nach dem
Brandfall vom 20. November 1996 zu laufen begonnen (Art. 132 Abs. 1 OR), ist
mit der Klageeinleitung im Juli 1998 und mit der Ausstellung der Weisung im
August 1998 unterbrochen worden (Art. 135 Ziffer 2 und Art. 138 Abs. 1 OR),
hat mit der letzten Unterbrechung neu zu laufen begonnen (Art. 137 Abs. 1 OR)
und ist mangels weiterer Unterbrechungshandlungen zwei Jahre später im August
2000 ausgelaufen (Art. 132 OR). Mit seiner Klageeinleitung im Januar 2001 hat
der Kläger die zweijährige Verjährungsfrist nicht mehr wahren können.

2.
Der Kläger erneuert vor Bundesgericht seinen Einwand, die Erhebung der
Verjährungseinrede sei rechtsmissbräuchlich. Nach der Rechtsprechung ist Art.
2 Abs. 2 ZGB nicht nur dann verletzt, wenn der Schuldner den Gläubiger
arglistig dazu verleitet, nicht innert nützlicher Frist zu handeln, sondern
auch dann, wenn er - ohne Arglist - ein Verhalten gezeigt hat, das einerseits
den Gläubiger bewogen hat, rechtliche Schritte während der Verjährungsfrist
zu unterlassen, und das andererseits die Säumnis des Gläubigers auch bei
objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen lässt (für Art. 46
VVG; zuletzt: Urteile des Bundesgerichts 5C.37/1997 vom 6. März 1997, E. 3a,
zusammengefasst in: SJZ 94/1998 S. 163/164 bei Anm. 25, und 5C.68/2000 vom
13. Juli 2000, E. 3; Graber, N. 30 zu Art. 46 VVG; Koller, a.a.O., S. 34).
Das Bundesgericht kann sich diesbezüglich kurz fassen und auf die
zutreffenden Ausführungen des Obergerichts (E. 3 S. 5 f.) verweisen. Durch
das wiederum angerufene Schreiben vom 2. Juli 1998 hat die Beklagte den
Kläger zu nichts zu verleiten vermocht, da der Kläger ja am 15. Juli 1998 -
aus welchen Motiven auch immer - rechtzeitig und verjährungsunterbrechend den
Forderungsprozess eingeleitet hatte, und aus dem Briefwechsel im November
2000 kann der Kläger rechtlich nichts ableiten, weil in diesem Zeitpunkt die
Verjährung bereits eingetreten war (E. 1.3 hiervor) und dem Kläger ein
vertrauensbildendes Verhalten der Beklagten nach Eintritt der Verjährung
nichts nützt (BGE 113 II 264 E. 2e S. 269). Im Übrigen ist die Beklagte nach
Treu und Glauben nicht verpflichtet gewesen, in ihrem Schreiben von 1998 an
den Rechtsvertreter des Klägers auf die laufende Verjährung hinzuweisen. Denn
niemand ist gehalten, im Interesse des Gegners umsichtiger zu sein, als
dieser selbst ist oder sein könnte (BGE 105 II 149 E. 3f S. 158; 102 II 81 E.
2 S. 84). Der Vorwurf eines Handelns wider Treu und Glauben ist unbegründet.

3.
Der unterliegende Kläger wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird dem Kläger auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: