Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.223/2002
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5C.223/2002/sch

Urteil vom 25. November 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber von Roten.

K. ________, (Ehefrau)
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas
Maag, Pestalozzistrasse 24 / Zürichbergstrasse, Postfach 234, 8028 Zürich,

gegen

B.________, (Ehemann)
Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Werner
Greiner, Ankerstrasse 24, 8004 Zürich.

Ehescheidung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons
Zürich vom 12. September 2002.

Sachverhalt:

A.
K. ________ (Ehefrau und im Folgenden: Klägerin) wurde am 21. Juli 1973 in
Mymensingh (Bangladesch) geboren und später durch die Ehegatten M.________
adoptiert. Im Herbst 1999 weilte sie in Bangladesch und unterzeichnete
dortselbst - am 1. November 1999 in Rajarbagh - eine Heiratsurkunde. Der
Ehemann heisst B.________ (nachstehend: Beklagter), geboren am 11. Juli 1978
in Shampur (Dhaka/Bangladesch). Dass sie mit dem Beklagten verheiratet worden
war, wurde der Klägerin angeblich erstmals bewusst, als dessen Schwager und
dessen Schwester, X.________ und Y.________, sie Ende 1999 in der Schweiz
darauf aufmerksam machten. Der Beklagte reiste am 11. Oktober 2000 in die
Schweiz ein und wurde gegenüber der Fremdenpolizei unter Mitwirkung der
Klägerin als deren Ehemann bezeichnet.

B.
Am 15. Juni 2001 machte die Klägerin beim Bezirksgericht Zürich (7.
Abteilung) das Begehren anhängig, die Ehe der Parteien gestützt auf Art. 115
ZGB zu scheiden, eventuell die Ehe als ungültig zu erklären, unter Regelung
der Nebenfolgen. Die Einzelrichterin wies Ungültigkeits- wie Scheidungsklage
ab (Urteil vom 9. Oktober 2001). Die Klägerin legte Berufung ein und
erneuerte ihr Scheidungsbegehren. Das Obergericht (I. Zivilkammer) des
Kantons Zürich wies die Scheidungsklage ab (Urteil vom 12. September 2002).

C.
Mit eidgenössischer Berufung beantragt die Klägerin dem Bundesgericht
wiederum die Scheidung nach Art. 115 ZGB. Sie ersucht um unentgeltliche
Rechtspflege. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Eine
Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Vor den kantonalen Gerichten hat die Klägerin geltend gemacht, es liege ein
Modellfall einer missbräuchlichen Ehe vor. Der Beklagte habe ihre
Unterschrift unter der Heiratsurkunde erschlichen und selbst nie einen
Ehewillen gehabt. Ihr sei dabei kein Selbstverschulden vorzuwerfen, weshalb
das Abwarten der vierjährigen Trennungszeit unzumutbar sei. Es handle sich um
eine Scheinehe, da der Beklagte nur zwecks Erlangung der
Aufenthaltsbewilligung mit ihr die Ehe eingegangen sei und sie nie
zusammengelebt hätten. Die Klägerin hält vor Bundesgericht an ihrem
Scheidungsanspruch gemäss Art. 115 ZGB fest.

1.1 Das Bezirksgericht hat die Ungültigkeitsklage rechtskräftig abgewiesen
vorab mit der Begründung, die Klägerin habe spätestens im Februar 2000 ihren
angeblichen Irrtum bzw. die behauptete Täuschung erkannt und damit die Frist
von sechs Monaten zur Einreichung der Ungültigkeitsklage im April/Juni 2001
versäumt gehabt. Keinen Ungültigkeitsgrund bildet die sog. Scheinehe, bei der
die Ehegatten zwar bewusst eine Ehe eingehen (Eheschliessungswille), aber
nicht zur Begründung einer Lebensgemeinschaft (Ehewille), sondern zwecks
Umgehung von ausländerrechtlichen Vorschriften. Die Scheinehe kann hingegen
geschieden werden, und zwar in der Regel nach Ablauf der vierjährigen
Trennungszeit gemäss Art. 114 ZGB und nur ausnahmsweise aus schwerwiegenden
Gründen im Sinne von Art. 115 ZGB (vgl. die Zusammenfassung mit Nachweisen im
Basler Kommentar, 2002: Geiser/Lüchinger, N. 1 f. vor Art. 104 ff. und N. 14
f. zu Art. 105, und Steck, N. 21 zu Art. 115 ZGB).

1.2 Nach der Rechtsprechung kann die Ehe, die bloss vom beklagten Ehegatten
zum Schein eingegangen worden ist, nach Art. 115 ZGB geschieden werden, wenn
der klagende Ehegatte die Ehe im Sinne einer echten Lebens- und
Schicksalsgemeinschaft eingehen wollte, insoweit aber vom beklagten Ehegatten
getäuscht bzw. hintergangen worden ist (BGE 127 III 347 E. 2b S. 350 f.). Der
Tatbestand dieser (einseitigen) Scheinehe setzt den Ehewillen des klagenden
Ehegatten voraus. Er ist vorliegend nicht erfüllt, weil der Klägerin  nicht
nur der Eheschliessungswille gefehlt hat, sondern auch jeglicher Ehewille.
Das Obergericht hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass in
der Klägerin auch keine Absicht zur Gründung einer echten Lebens- und
Schicksalsgemeinschaft herangewachsen ist, nachdem sie von ihrem Ehestand
erfahren und diese Tatsache akzeptiert hatte (E. 4b S. 7 f.). Dahingestellt
bleiben konnte unter diesen Umständen, aus welchen Motiven der Beklagte die
Ehe mit der Klägerin geschlossen hat.

1.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann dem Ehegatten, der die
Ehe willentlich zum Schein eingegangen ist, das Abwarten der Vierjahresfrist
gemäss Art. 114 ZGB in der Regel zugemutet werden. Seinen Scheidungsanspruch
im Sinne von Art. 115 ZGB kann jener Ehegatte nicht mit Umständen begründen,
aus denen hervorgeht, dass er die Scheinehe nicht mehr eingehen würde (BGE
127 III 342 E. 3 S. 345 ff.). Der Tatbestand dieser (zweiseitigen) Scheinehe
setzt den Eheschliessungswillen des klagenden Ehegatten voraus. Er kann hier
nicht erfüllt sein, weil der Klägerin von Beginn an der Wille gefehlt hat,
eine Ehe mit dem Beklagten zu schliessen. Indessen können die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf jeden Fall einer arrangierten, von
Seiten einer Partei ungewollten Ehe übertragen werden. Das Abwarten der
Vierjahresfrist gemäss Art. 114 ZGB kann demjenigen Ehegatten in der Regel
zugemutet werden, der nichts unternimmt, um die von ihm nicht gewollte Ehe
sofort zu beseitigen. Seinen Scheidungsanspruch im Sinne von Art. 115 ZGB
kann jener Ehegatte nicht mit Umständen begründen, aus denen hervorgeht, dass
er die an sich ungewollten, aber stillschweigend hingenommenen Ehebande,
heute auflösen lassen bzw. anfechten würde.

Die Klägerin macht geltend, die Verwandten des Beklagten hätten ihren
Schwächezustand (Gehörlosigkeit, Unerfahrenheit, emotionale Belastung durch
die Suche ihrer leiblichen Eltern u.a.m.) ausgenützt. Sie habe schliesslich
im Irrtum eine Heiratsurkunde unterzeichnet. Ob diese Darstellung der
Klägerin zutrifft, kann - wie das Obergericht zu Recht festgehalten hat -
dahingestellt bleiben. Gemäss den unangefochtenen Feststellungen im
obergerichtlichen Urteil hat die Klägerin sich mit ihrem neuen Zivilstand
abgefunden, nachdem ihr die Eheschliessung bewusst geworden ist (E. 4b S. 7).
Dass ihr die Aufrechterhaltung der Ehe ihrem formalen Bande nach zumutbar
ist, belegt ihr späteres Verhalten. Nachdem sie von der Eheschliessung
erfahren hatte, wartete die Klägerin über ein Jahr zu, bis sie rechtliche
Schritte zur Auflösung der von Beginn an ungewollten Ehe unternommen hat.
Dabei hätte der Ungültigkeitsgrund im Sinne von Art. 107 Ziffer 2 ZGB
offenkundig vorgelegen, wo ein Ehegatte über die Trauhandlung geirrt
(Geiser/Lüchinger, N. 8 zu Art. 107 ZGB) und die Trauung als solche nicht
gewollt hat (Götz, Berner Kommentar, 1964, N. 5 zu aArt. 124 ZGB; Meroni,
Dogmatik und praktische Bedeutung des schweizerischen Eheungültigkeitsrechts,
Diss. Zürich 1984, S. 38 f.: "error in negotio"). Unzumutbarkeit im Sinne von
Art. 115 ZGB ist aber grundsätzlich nicht zu bejahen, wenn ein
Eheungültigkeitsgrund vorliegt (vgl. etwa Fankhauser, in: Praxiskommentar
Scheidungsrecht, Basel 2000, N. 4 zu Art. 114 ZGB; Steck, N. 10 a.E. zu Art.
115 ZGB).

Gestützt auf die Feststellungen des Obergerichts muss weiter davon
ausgegangen werden, dass die Klägerin nicht nur durch ihr passives Verhalten
zum Ausdruck gebracht hat, die Fortführung der Ehe sei ihr nicht unzumutbar.
Die Klägerin räumt vor Bundesgericht vielmehr ein, dass sie den Beklagten
gegenüber der Fremdenpolizei als ihren Ehemann ausgegeben hat, um ihm dadurch
die Einreise in die Schweiz zu ermöglichen. Sie bestreitet heute nicht mehr,
dass sie die entsprechenden Formalitäten erfüllt und namentlich das Formular
"Gesuch um Einreisebewilligung" eigenhändig unterzeichnet hat. Soweit die
Klägerin ihre Behauptung erneuert, sie habe unter dem Druck der Schwester und
des Schwagers des Beklagten gestanden, widerspricht sie den Feststellungen
des Obergerichts, ohne damit ausnahmsweise zulässige Sachverhaltsrügen zu
erheben (Art. 63 f. OG; BGE 127 III 248 E. 2c S. 252). Sie beschränkt sich
darauf, jene Protokollstellen abweichend zu würdigen, aus denen das
Obergericht abgeleitet hat, die konkreten Begebenheiten, bei denen die
Klägerin auf Druck gehandelt haben wolle, hätten die Trauungszeremonie in
Dhaka sowie ihren Gang zur Fremdenpolizei im Februar 2000 bzw. die dort
vorzulegenden Dokumente betroffen, nicht hingegen ihre aktenkundige
Kommunikation mit der Fremdenpolizei im Sommer 2000 (E. 4b S. 8/9). Bei
diesem Beweisergebnis aber, das im Berufungsverfahren nicht überprüft werden
kann (BGE 126 III 189 E. 2a S. 191), muss davon ausgegangen werden, dass die
Klägerin ihre Ehe vor den Behörden - wenn allenfalls auch nur zum Schein -
selber als rechtsgültig bezeichnet hat. Dass sie sich zwischenzeitlich anders
besonnen hat und dass sie die Ehe heute weder passiv noch aktiv hinzunehmen
gewillt ist, genügt zur Begründung der Unzumutbarkeit im Sinne von Art. 115
ZGB für sich allein nicht.

2.
Bereits vor Bezirksgericht hatte die Klägerin ausführen lassen, der Beklagte
habe auf das Scheidungsbegehren mit direkten und indirekten Druckversuchen
reagiert und sie unmissverständlich aufgefordert, die Scheidungsklage
zurückzuziehen; sie sei vom Beklagten, mit zahlreichen Telefonaten und SMS
sowie Nachstellungen auf der Strasse bedrängt worden (Plädoyernotizen, S. 4,
act. 17). Vor Obergericht umschrieb die Klägerin die - vom Beklagten stets
bestrittenen - Belästigungen näher (Kontrolle der Wohnung, ungebetene
SMS-Meldungen, Verfolgung auf der Strasse, Todesdrohungen); dem Beklagten sei
es darum gegangen, die Scheidung zu verhindern (Berufungsbegründung, S. 5,
act. 34, sowie Fotokopien von SMS-Mitteilungen, act. 45/3/1-2). Gemäss ihren
Plädoyernotizen hat die Klägerin - was sie vor Bundesgericht nicht mehr
eigens erwähnt - darauf hingewiesen, dass ein polizeiliches
Ermittlungsverfahren nicht mehr weitergeführt werde, da sie den Strafantrag
zurückgezogen habe (S. 3, act. 43). Auf Grund dieser Vorbringen der Klägerin,
die das Obergericht zusammengefasst wiedergegeben hat (E. 4c S. 10), steht
fest, dass es sich bei den angeblichen Belastungen um mit einer heftig
geführten Kampfscheidung verbundene Unannehmlichkeiten gehandelt hat, die
nach Erledigung des Prozesses erfahrungsgemäss wieder aufhören werden. Die
von der Klägerin behaupteten Vorkommnisse erreichen nicht die Intensität, die
vorausgesetzt ist, damit eine Fortsetzung der Ehe in rechtlicher Hinsicht als
unzumutbar und unerträglich erscheint. Schwere Verletzungen der
Persönlichkeit rechtfertigen eine Scheidung vor Ablauf der gesetzlichen
Trennungsfrist nach Lehre und Rechtsprechung etwa dann, wenn der beklagte
Ehegatte dem klagenden Ehegatten hartnäckig und planmässig nachstellt, ihn
systematisch und zeitaufwändig überwacht, telefonisch in massivster Art
belästigt, im Bekanntenkreis aufs Gröbste verunglimpft u.ä. (Urteil des
Bundesgerichts 5C.141/2001 vom 06. August 2001, E. 2c, in: Praxis 91/2002 Nr.
4 S. 21 mit weiteren Nachweisen; seither: Steck, N. 15 und N. 18 zu Art. 115
ZGB). Ein solches Ausmass hat das dem Beklagten angelastete Verhalten selbst
nach den Schilderungen der Klägerin nicht angenommen. Es liegen darin
Beeinträchtigungen, die nicht selten mit der Scheidung einhergehen und daher
keinen schwerwiegenden Grund im Sinne von Art. 115 ZGB abgeben (BGE 128 III 1
E. 3a/cc S. 3). Das Obergericht hat sein Ermessen, das ihm in Beurteilung der
Unzumutbarkeit zusteht, nicht bundesrechtswidrig ausgeübt (vgl. zur
Ermessensprüfung durch das Bundesgericht: Urteil 5C.262/2001 vom 17. Januar
2002, E. 4a/cc, teilweise in: FamPra 2002 S. 344).

3.
Die
4. unterliegende Klägerin wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Ihrem
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann wegen offensichtlicher
Unbegründetheit der Berufung und damit Aussichtslosigkeit der gestellten
Begehren nicht entsprochen werden. Das Urteil des Obergerichts lässt sich auf
die herrschende Lehre und die Rechtsprechung stützen (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 12. September 2002
wird bestätigt.

2.
Das Gesuch der Klägerin um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (I. Zivilkammer) des
Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. November 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: