Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.205/2002
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5C.205/2002 /bnm

Urteil vom 9. Dezember 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Schett.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Alfred Schütz,
Bleicherweg 45, 8002 Zürich,

gegen

B.________ Leben,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gerhard
Stoessel, Bergstrasse 31, 8702 Zollikon.

Versicherungsvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni
2002.

Sachverhalt:

A.
A. ________, geboren 1967, ist von Beruf Elektromonteur und führte seit
Herbst 1994 in Z.________ einen eigenen Betrieb für Tor- und
Rolladenmontagen. Am 2. Februar 1995 stellte er bei den Versicherungen
B.________einen Antrag zum Abschluss einer kollektiven
Krankentaggeldversicherung. Diese veranlassten am 9. Februar 1995 bei Dr.
C.________, Hausarzt von A.________, einen medizinischen Bericht, der am 21.
Februar 1995 abgeliefert wurde. Daraus ergab sich, dass das vom Antragsteller
am 2. Februar 1995 unterzeichnete Formular 'Gesundheitsfragen' unvollständig
war. Am 10. April 1995 wurde die Versicherungspolice Nr. ... ausgestellt, die
nach einer Wartefrist von 14 Tagen die Bezahlung von 100% des versicherten
Lohnes (Fr. 48'000.--) für die Dauer von 730 Tagen vorsieht. Zudem enthält
sie einen zeitlich unbefristeten Vorbehalt, wonach die wirtschaftlichen
Folgen der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der beidseitigen Schulter- und der
rechtsseitigen Handgelenkbeschwerden von der Deckung ausgeschlossen sind.
Ebenfalls am 2. Februar 1995 stellte A.________ bei der B.________-Leben
einen Antrag zum Abschluss einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung
einschliesslich Prämienbefreiung bei Erwerbsunfähigkeit, welcher am 10.
Februar 1995 angenommen wurde. Gemäss der Versicherungspolice Nr. ... wird
dem Versicherten unter anderem nach einer Wartefrist von 730 Tagen eine
jährliche Erwerbsausfallrente von Fr. 24'000.-- bis zum 28. Februar 2033
erbracht. In beiden Fällen trat D.________ für die Versicherungen auf.

B.
Am 10. Mai 1995 fiel A.________ bei seiner Tätigkeit von einer Mauer und
stürzte vier Meter in die Tiefe. Er fiel auf seine linke Schulter und
überschlug sich zwei Mal. Dieses Ereignis verschlimmerte die bereits
bestehenden Rückenschmerzen. Die Versicherungen B.________ richteten
A._________ ab 24. Mai 1995 die vertraglichen Leistungen entsprechend seiner
jeweiligen Arbeitsunfähigkeit aus. Die B.________-Leben erbrachte ihm ab 10.
Mai 1997 die vereinbarte Erwerbsausfallentschädigung. Am 31. August 1998
stellte sie die Zahlungen ein und mit Schreiben vom 5. Januar 1999 trat sie
unter Hinweis auf Art. 6 VVG vom Vertrag zurück.

C.
A.________ klagte die B.________-Leben vor dem Handelsgericht des Kantons
Zürich auf Zahlung von Fr. 28'000.-- zuzüglich Zins zu 5 % ab 1. April 1999
ein und behielt sich eine Nachklage für weitergehende Ansprüche ab 1.
November 1999 bis 28. Februar 2033 vor. Die B.________-Leben beantragte
widerklageweise die Feststellung, dass sie an die Police ... nicht gebunden
sei und für die Zeit ab 1. November 1999 keine Leistungen schulde, zudem sei
A.________ zur Rückzahlung von Fr. 30'098.-- zuzüglich Zins zu 5% ab 19. Juni
1999 zu verpflichten. Mit Urteil und Beschluss vom 21. Juni 2002 wies das
Handelsgericht die Klage ab, trat auf die Widerklage nicht ein und überwies
diese an das Bezirksgericht Bülach.

D.
Mit Berufung vom 3. September 2002 beantragt B.________ dem Bundesgericht,
das handelsgerichtliche Urteil vollumfänglich aufzuheben und seine Klage
gutzuheissen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Handelsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die B._________- Leben
schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.
Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Leistungspflicht des Privatversicherers beschlägt eine
Zivilrechtsstreitigkeit. Der Streitwert beträgt Fr. 28'000.--. Die Berufung
ist somit zulässig (Art. 46 OG).

1.2 ln der Berufungsschrift ist kurz darzulegen, welche Bundesrechtssätze und
inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt sind. Das
Bundesgericht ist an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen
Instanz gebunden, es sei denn, dass sie unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zustande gekommen sind. Vorbehalten bleibt die
Berichtigung offensichtlich auf Versehen beruhender Feststellungen von Amtes
wegen (Art. 63 Abs. 2 OG). Ausführungen gegen die tatsächlichen
Feststellungen sind unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 126 III 59 E.
2a S. 65 mit Hinweisen).

1.3 Nicht zu berücksichtigen sind insbesondere die Ausführungen des Klägers,
wie es zum Abschluss der beiden Verträge gekommen sei, welche Überlegungen er
dabei angestellt und inwieweit er die B.________-Leben und die Versicherungen
B.________ als Einheit verstanden habe (vgl. dazu: BGE 124 III 182 E. 3 S.
184). Damit sind auch die entsprechenden Stellungnahmen der Beklagten zu
diesen Vorbringen nicht von Belang.

Die Feststellung der Vorinstanz, der Kläger habe gewusst, dass er
Versicherungsverträge mit zwei verschiedenen Versicherungsgesellschaften
abschliessen musste, ergibt sich aus der Würdigung der ihr vorgebrachten
Beweise (zur Bindung des Bundesgerichts betreffend das Wissen und Wollen beim
Vertragsabschluss: BGE 126 III 25 E. 3c; 125 III 305 E. 2b S. 308, mit
Hinweisen). Sie kann mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des
Willkürverbotes angefochten werden (Art. 43 Abs. 1 OG). Hingegen lassen die
Hinweise des Klägers auf seine Vorbringen im kantonalen Verfahren, welche die
Vorinstanz nicht in seinem Sinne gewürdigt hat, kein offensichtliches
Versehen erkennen (zu Letzterem: BGE 104 II 68 E. 3b S. 74).

Ebenso wenig kam die erwähnte Feststellung durch eine Verletzung des in Art.
8 ZGB garantierten Anspruchs auf Zulassung zum Beweis für rechtserhebliche
Tatsachen zustande. Zwar behauptet der Kläger, die Vorinstanz habe sich die
Argumentation der Gegenpartei ohne Durchführung eines Beweisverfahrens zu
eigen gemacht. Indes legt er nicht konkret dar, welche von ihm nach
kantonalem Recht frist- und formgerecht angebotenen Beweise der Sachrichter
hätte abnehmen sollen (BGE 122 III 219 E. 3c S. 323; 115 II 484 E. 2a S.
486).

2.
Der Kläger macht die Verletzung von Art. 6 VVG (SR 221.229.1) in Verbindung
mit Art. 2 ZGB geltend. Seiner Ansicht nach musste die B.________-Leben von
der Unvollständigkeit seines Antrags bei den Versicherungen B.________ und
dem entsprechenden Vorbehalt vom 10. April 1995 wissen und sich diesen
Sachverhalt auch anrechnen lassen. Ihre gegenteilige Haltung stelle ein
'venire contra factum proprium' und damit eine Verletzung von Art. 2 ZGB dar.
Darüber hinaus sei ihr Rücktritt im Januar 1999 verspätet erfolgt.

2.1 Die Vorinstanz lehnte es ab, das Wissen der einen Gesellschaft der andern
anzurechnen. Dies komme nur in ganz bestimmten Fällen in Frage, welche
vorliegend nicht gegeben seien. So bestehe vorliegend kein
Stellvertretungsverhältnis und ein solches werde vom Kläger auch nicht
geltend gemacht. Auch eine Organstellung der Versicherungen B.________ bei
der Beklagten werde vom Kläger nicht behauptet. Hingegen leite er aus dem
gemeinsamen Auftreten der beiden Versicherungen ein Zurechnungsverhältnis zu
seinen Gunsten ab, da die Beklagte die Tochtergesellschaft der Versicherungen
B.________ sei. Da die Schweiz kein systematisches Konzernrecht kenne, gelte
grundsätzlich das Trennungsprinzip. Die allgemeine Anwendung des Durchgriffs
im Konzern sei unserem Recht fremd. Die Zugehörigkeit zu einem Konzern könne
in bestimmten Fällen einen solchen erlauben. Ebenso gebe es Situationen, in
welchen gewisse Fakten einer andern Konzerngesellschaft angerechnet würden.
All dies komme vorliegend nicht in Frage. Das Handelsgericht fährt fort, da
der Kläger gewusst habe, dass er Verträge mit zwei Gesellschaften
abschliessen müsse, sei eine Einheitsbehandlung nicht angebracht. Unter
diesen Umständen könne offen bleiben, ob die bei der Beklagten am 11.
Dezember 1998 eingetroffenen IV-Akten gegenüber dem Arztbericht vom 21.
Februar 1995 zusätzlich medizinische Noven enthalten hätten. Die
Rücktrittserklärung der Beklagten vom 5. Januar 1999 sei fristgerecht
erfolgt.

2.2 Der Versicherer ist an den Vertrag nicht gebunden, wenn der
Anzeigepflichtige beim Abschluss der Versicherung eine erhebliche
Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste, unrichtig mitgeteilt oder
verschwiegen hat, falls er binnen vier Wochen, nachdem er von der Verletzung
der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat, vom Vertrag zurücktritt (Art. 6
VVG).

Nach der Rechtsprechung beginnt die vierwöchige Frist ab dem Zeitpunkt zu
laufen, ab welchem der Versicherer vollständig über die
Anzeigepflichtverletzung orientiert ist, d.h. darüber sichere, zweifelsfreie
Kenntnis erlangt hat (BGE 118 II 333 E. 3a S. 340 mit Hinweisen;
unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 18. März 1994 i.S. Z.,
E. 2 [5C.229/1993]). Dieses Wissen kann er auch erlangen, wenn er
zuverlässige Kunde von Tatsachen erhält, aus denen sich der sichere Schluss
auf eine Verletzung der Anzeigepflicht ziehen lässt (BGE 119 V 283 E. 5a S.
287). Nicht ausreichend sind dagegen blosse Vermutungen, die als
wahrscheinlich erscheinen lassen, der Versicherungsnehmer habe die
Anzeigepflicht verletzt (BGE 118 II 333 E. 3a S. 340; 119 V 283 E. 5a in fine
S. 287 f.). Anders als Art. 8 Ziff. 3 VVG knüpft Art. 6 VVG ausschliesslich
an die tatsächliche Kenntnis des Versicherers um die Anzeigepflichtverletzung
an; die Rücktrittsfrist wird demnach nicht bereits ausgelöst, wenn er
objektiv von einer Anzeigepflichtverletzung Kenntnis haben muss (BGE 118 II
333 E. 3a S. 339; Urteil des Bundesgerichts 5C.104/2001 vom 21 August 2001,
E. 4b).

2.3 Dass die Beklagte von der Anzeigenpflichtverletzung vom 2. Februar 1995
oder von Tatsachen, die den sichern Schluss auf eine solche zuliessen,
dannzumal keine Kenntnis erhielt, steht fest. Der Mitarbeiter D.________ ist
zwar für beide Versicherungen aufgetreten, als der Kläger den jeweiligen
Antrag stellte. Hingegen ist offen, welcher Sachbearbeiter sich am 9. Februar
1995 beim Hausarzt des Klägers erkundigt oder zumindest intern Anlass zu
dieser Vorkehr gegeben hatte und anschliessend einen Vorbehalt in die Police
Nr. ... vom 10. April 1995 aufnahm oder aufnehmen liess. Dass es sich dabei
ebenfalls um Herrn D.________ gehandelt habe, und dass er oder der
entsprechende Sachbearbeiter in diesem Stadium in gleicher Funktion auch für
die Beklagte tätig gewesen sei, hat der Kläger im kantonalen Verfahren nie
behauptet und demzufolge auch keine Beweisanträge in dieser Richtung
gestellt. Damit fehlen die tatsächlichen Grundlagen, um der Beklagten das
Wissen der Versicherungen B.________ anzurechnen (Urteil des Bundesgerichts
5C.104/2001 vom 21. August 2001, E. 4). Eine Verletzung von Art. 6 VVG ist
somit nicht auszumachen. Es bleibt dabei, dass die Beklagte mit Erhalt der
IV-Akten am 11. Dezember 1998 Kenntnis erhielt, dass der Kläger in Bezug auf
ihren Versicherungsvertrag im Zeitpunkt des Antrags auf Abschluss seine
Anzeigepflicht verletzt hatte. Damit ist es unerheblich, ob die IV-Akten
gegenüber dem seinerzeitigen Hausarztbericht medizinische Noven enthielten.
Der Eventualantrag des Klägers ist damit abzuweisen.

3.
Der Berufung ist damit insgesamt kein Erfolg beschieden. Bei diesem Ausgang
des Verfahrens wird der Kläger kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156
Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni 2002 wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Kläger auferlegt.

3.
Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Dezember 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: