Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.174/2002
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2002
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2002


5C.174/2002 /min

Urteil vom 11. Dezember 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Möckli.

1. A.________,
2. Erbengemeinschaft F.________ sel., bestehend aus:
- A.________,
- B.________,
- C.________,
- D.________,
Berufungskläger, alle vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer, Bahnhofstrasse
32a, Postfach, 8360 Eschlikon,

gegen

E.________ AG,
Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Schläpfer,
Bahnhofstrasse 49, 8501 Frauenfeld.

Nachbarrecht,

Berufung gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
22. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
Die E.________ AG plant auf den beiden Parzellen Nrn. (...) an der Strasse
S.________ in Frauenfeld einen Um- bzw. Neubau mit insgesamt acht
Wohneinheiten. Die Hausteile sollen die Nummern Strasse S.________ aaa, bbb,
ccc, ddd und eee erhalten. Auf Grund von Einsprachen während der öffentlichen
Auflage des Baugesuchs wurde der geplante Neubau eee neu situiert (gedreht)
und die entsprechende Projektänderung vom 12. Juli bis 2. August 2000
aufgelegt.

B.
A.________ und F.________ bzw. dessen Erbengemeinschaft sind direkte
Anstösser (Strasse S.________ fff). Mit Entscheid vom 12. September 2000 wies
der Stadtrat Frauenfeld ihre Einsprache ab. Den dagegen erhobenen Rekurs wies
das Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau am 27. Juni 2001
vollumfänglich ab.

Mit Beschwerde vom 7. September 2001 an das Verwaltungsgericht stellten
A.________ und F.________ die Begehren, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben und die Gesuche betreffend Baubewilligung der E.________ AG seien
abzuweisen. Einerseits machten sie hinsichtlich des Gebäudeabstandes eine
Verletzung von Art. 7 Abs. 3 BauR geltend. Andererseits monierten sie eine
Verletzung von Art. 684 ZGB infolge Beeinträchtigung der Belichtung und
Besonnung durch den geplanten Neubau eee. Mit Urteil vom 22. Mai 2002 wies
das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Beschwerde sowohl hinsichtlich
ihres öffentlich als auch des privatrechtlichen Charakters ab.

C.
Mit Berufung an das Bundesgericht vom 16. August 2002 stellen A.________ und
die Erbengemeinschaft des inzwischen verstorbenen F.________ die Begehren,
der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben (Ziff. 1) und es sei
festzustellen, dass der Neubau Haus eee übermässig auf ihr Grundstück
[einwirke], soweit das Verfahren nicht an die Vorinstanz zurückzuweisen sei
(Ziff. 2). Sie rügen die Verletzung von Art. 8 und 684 ZGB. Im Übrigen
verlangen sie die Sistierung des Berufungsverfahrens, bis über die
gleichzeitig eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
kantonaler Bauvorschriften entschieden sei.

Mit Urteil vom 25. September 2002 ist die I. öffentlichrechtliche Abteilung
des Bundesgerichts auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten.

Es sind keine Berufungsantworten eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach den Ausführungen der Berufungskläger ist F.________ während des
vorinstanzlichen Verfahrens gestorben. Die mit der Berufung eingereichte
Anwaltsvollmacht ist einerseits von seiner Ehefrau A.________, die bereits im
kantonalen Verfahren aufgetreten war, andererseits von B.________, C.________
und D.________ unterzeichnet. Ob dies ausreicht oder ob als
Legitimationsausweis der Erbengemeinschaft nicht vielmehr eine amtliche
Todes- oder Erbenbescheinigung hätte beigebracht werden müssen, braucht nicht
abschliessend erörtert zu werden, da die Berufung aus einem anderen Grund
unzulässig ist (E. 2 und 3).

2.
Ob die Berufungskläger den Feststellungsantrag bloss eventualiter stellen
("soweit") oder ob sie eine Rückweisung mit bindenden Feststellungen des
Bundesgerichtes begehren, ist unklar, kann aber offen gelassen werden: Vor
dem Departement hatten die - damals noch nicht anwaltlich vertretenen -
Berufungskläger beantragt, der E.________ AG sei "die gewünschte
Baubewilligung in dieser Form nicht zu erteilen". Beim Verwaltungsgericht,
nunmehr durch einen Anwalt vertreten, hatten sie das Begehren gestellt, "es
seien die Gesuche betreffend Baubewilligung der E.________ AG je vom 3.7.2000
betreffend die Parzellen Nrn. (...), Grundbuch Frauenfeld, abzuweisen". Der
Feststellungsantrag, dessen Zulässigkeit ohnehin fraglich wäre (BGE 120 II 20
E. 3b S. 24), erweist sich somit als neu und ist insoweit im
Berufungsverfahren unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG).

3.
Allgemeine Begehren um Gutheissung der Berufung, um Aufhebung des
angefochtenen Urteils oder um Rückweisung der Sache sind im
Berufungsverfahren in der Regel unzulässig. Ein blosser Rückweisungsantrag
ist nur dann zulässig, wenn das Bundesgericht - sollte es die
Rechtsauffassung des Berufungsklägers für begründet halten - kein Endurteil
fällen kann, sondern die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz
zurückweisen muss (Messmer/Imboden, Die eidgenössischen Rechtsmittel in
Zivilsachen, Zürich 1992, S. 151). Dies ist unter anderem der Fall, wenn es
an den tatsächlichen Feststellungen fehlt und sich der Mangel aus Missachtung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften ergibt (Messmer/Imboden, a.a.O., S.
172). Solches machen die Berufungskläger geltend, wenn sie rügen, es sei ihr
aus Art. 8 ZGB fliessender Beweisanspruch verletzt worden, indem die
Vorinstanz die von ihnen beantragte Expertise ohne Begründung abgelehnt habe.

Eine weitere Voraussetzung ist allerdings, dass der bei der Vorinstanz
gestellte, im Rückweisungsantrag implizit enthaltene Antrag in der Sache im
Berufungsverfahren überhaupt zulässig wäre. Diese Bedingung ist vorliegend
nicht erfüllt:

Gemäss thurgauischem Planungs- und Baugesetz (PBG; RB 700) werden
privatrechtliche Einsprachen gegen übermässige Einwirkungen im Sinne von Art.
684 ZGB nicht gesondert in einem Zivilprozess, sondern im
öffentlich-rechtlichen Verfahren entschieden (§ 91 Abs. 1 PBG). Die
zuständige Behörde beurteilt diese Einsprachen gleichzeitig mit dem Entscheid
über die Baubewilligung (§ 91 Abs. 2 PGB). Diese Besonderheit entbindet den
Einsprecher allerdings nicht davon, die das öffentliche und das private Recht
betreffenden Rügen auseinander zu halten und je ein entsprechendes
Rechtsbegehren zu formulieren. Im Rekurs- bzw. Beschwerdeverfahren sind denn
neue Rechtsbegehren auch (nur) zulässig, soweit sie den Tatbestand der
übermässigen Einwirkung betreffen (§ 91 Abs. 3 PBG).

Vor dem Verwaltungsgericht schlossen die Berufungskläger auf Abweisung des
Gesuchs um Baubewilligung. Dieses Rechtsbegehren konnte - wie bereits jenes
im departementalen Verfahren - von vornherein nur die öffentlichrechtliche
Seite des Baustreites beschlagen. Demgegenüber fehlt es an einem
zivilrechtlichen Begehren und ebenso wenig ist eine Präventivklage gegen das
noch nicht realisierte Bauvorhaben gemäss § 92 Abs. 1 PBG aktenkundig (vgl.
auch Meier-Hayoz, Berner Kommentar, N. 111 ff. zu Art. 679 ZGB). Liegt dem in
der Berufung gestellten Rückweisungsantrag kein kantonales zivilrechtliches
Begehren zu Grunde, erweist er sich als unzulässig.

4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die Berufung nicht eingetreten werden
kann. Bei diesem Verfahrensausgang ist den Berufungsklägern eine reduzierte
Gerichtsgebühr aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird den Berufungsklägern auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Dezember 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: