Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.151/2002
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5C.151/2002 /bnm

Urteil vom 30. September 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Meyer,
Gerichtsschreiber Möckli.

Versicherung A.________,
Beklagte und Berufungsklägerin,

gegen

B.________,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur.
Richard Weber, Hermannstrasse 8, 8570 Weinfelden.

Versicherungsvertrag (Zusatzversicherung),

Berufung gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau, als
Versicherungsgericht, vom 22. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
Die am 25. März 1983 geborene B.________ ist bei der Versicherung A.________
obligatorisch krankenversichert sowie zusatzversichert (TOP, HOSPITA-ECO
sowie DENTA). Von Geburt an fehlen ihr die beiden oberen Schneidezähne. Der
sie behandelnde Arzt sah davon ab, die Lücke mittels rein zahnorthopädischer
Massnahmen (Zahnspange) zu schliessen, sondern entschied sich dafür, die
Lücke zu erweitern und die fehlenden Zähne mit zwei Implantaten einzusetzen.
Hierfür sind Kosten von ca. Fr. 5'000.-- entstanden und weitere von rund Fr.
13'000.-- zu erwarten.

Die Versicherung A.________ erklärte sich bereit, für die Behandlung aus der
Zahnpflegeversicherung den Maximalbetrag von Fr. 3'000.-- pro Jahr zu
sprechen, lehnte es aber ab, aus der Zusatzversicherung TOP für
oralchirurgische Eingriffe und die prothetische Lückenschliessung
(Implantate) aufzukommen. Der massgebliche Art. 7 Abs. 1 der
Versicherungsbedingungen (ZVB) für die Zusatzversicherung TOP lautet wie
folgt:
"Von den Kosten kieferorthopädischer oder kieferchirurgischer Behandlungen
übernimmt die Versicherung A.________ für versicherte Personen bis zum
vollendeten 20. Altersjahr 75% der verrechneten Kosten, max. Fr. 10'000.--
pro Kalenderjahr, sofern die Behandlung vor dem vollendeten 15. Altersjahr
begonnen wurde."

B.
Mit Klage vom 27. Dezember 2001 hat B.________ die Versicherung A.________
auf Feststellung der Leistungspflicht sowie auf die Verpflichtung eingeklagt,
für die bereits entstandenen sowie die zu erwartenden Kosten aufzukommen. Mit
Entscheid vom 22. Mai 2002 hat das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die
Klage gutgeheissen.

C.
Dagegen hat die Beklagte am 4. Juli 2002 Berufung erhoben mit dem Begehren um
Aufhebung des angefochtenen Urteils und Verneinung ihrer Leistungspflicht.

Mit Berufungsantwort vom 6. September 2002 hat die Klägerin auf Abweisung der
Berufung geschlossen, soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen sind zivilrechtlicher Natur (BGE
124 III 44 E. 1a S. 46 f., 229 E. 2b S. 232). Insoweit ist die Berufung
zulässig.

1.2 Die Klägerin hat zum einen auf Feststellung der Leistungspflicht geklagt
und zum andern auf die Verpflichtung zu Leistungen gemäss einer Rechnung und
einer Reihe von Kostenschätzungen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage
gutgeheissen, ohne sich zu den einzelnen Kostenstellen zu äussern. Sinngemäss
hat es damit die Leistungspflicht der Beklagten festgestellt. Da die
Behandlung noch nicht abgeschlossen und der grössere Teil der Kosten erst in
Zukunft anfallen wird, hat die Vorinstanz zu Recht ein schützenswertes
Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht (BGE 123 III 49 E. 1a S. 51, 414
E. 7b S. 429).

1.3 Entgegen der Behauptung der Klägerin lässt sich dem angefochtenen Urteil
die Streitsumme entnehmen (E. 1b); sie übersteigt den erforderlichen
Berufungsstreitwert von Fr. 8'000.-- (Art. 46 OG).

1.4 Soweit die Klägerin in ihrer Berufungsantwort einwendet, die Beklagte
wolle geltend machen, sie habe gar keine oberen Schneidezähne, obwohl jede
Zahnreihe eines normalen Gebisses über vier Schneidezähne verfüge, ist auf
ihre Ausführungen nicht einzutreten (Art. 55 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 59
Abs. 3 OG). Massgebend sind die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz
(Art. 63 Abs. 2 OG). Danach fehlen der Klägerin von Geburt an die beiden
oberen Schneidezähne. Davon geht im Übrigen auch die Beklagte aus.

2.
Das Verwaltungsgericht hat im Wesentlichen erwogen, die verworfene
Behandlungsmethode wäre zweifelsfrei teurer gekommen und hätte von der
Beklagten unbestrittenermassen übernommen werden müssen. Die gewählte
Behandlung umfasse kieferorthopädische und kieferchirurgische Eingriffe; die
Lücke werde danach mit zwei Implantaten geschlossen. Auf Grund des
allgemeinen Sprachgebrauchs sei durchaus nicht klar, wie der Begriff
"kieferorthopädische und kieferchirurgische Behandlung" zu verstehen sei. Die
Formulierung in den ZVB sei sehr allgemein und enthalte weder
Ausschlussklauseln noch spreche sie von "Behandlungsschritten" oder
Ähnlichem. Die Implantierung sei eine kieferchirurgische Behandlung und aus
der Formulierung der ZVB sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte nur die
chirurgische Massnahme, nicht aber die Implantate bezahlen wolle. Die
Klägerin habe jedenfalls die von der Beklagten verfassten ZVB nach Treu und
Glauben nicht so auslegen müssen, umso weniger als diese für ihre
Zusatzversicherung damit werbe, bei Zahnfehlstellungskorrekturen grosszügige
Leistungen zu übernehmen.

3.
3.1 Die Beklagte macht in erster Linie geltend, dem Verwaltungsgericht sei
die allgemeine Definition der Kieferorthopädie nicht geläufig. Diese befasse
sich mit der Diagnose und Behandlung von Zahn- und Kieferfehlstellungen und
die dazu eingesetzten Apparaturen und Geräte würden im Volksmund als
Zahnspangen bezeichnet.

3.2 Die Beklagte übersieht, dass die Vorinstanz das Implantat ausdrücklich
als kieferchirurgischen, nicht als kieferorthopädischen Eingriff angesehen
hat. Ihre Ausführungen zur Kieferorthopädie stossen daher ins Leere und sie
zeigt umgekehrt nicht auf, inwiefern die Annahme, Zahnimplantate gehörten zur
Kieferchirurgie, Bundesrecht verletzt. Insoweit ist auf die Berufung mangels
Substan- ziierung nicht einzutreten (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).

Gleichzeitig scheint die Beklagte sinngemäss zu argumentieren, die fehlende
Anlage von Zähnen sei keine Zahnfehlstellung. Der Begriff ist indes in einem
weiteren Sinn zu verstehen. Es erscheint sachgerecht, ganz allgemein
Missbildungen des Gebisses als Zahnfehlstellung anzusehen, so dass auch das
Fehlen von Zähnen in der Anlage, unter Umständen aber auch das Phänomen
überzähliger Zähne unter den Begriff zu subsumieren sind. Dafür spricht auch
der Umstand, dass die Lücke vorliegend mit rein orthopädischen Massnahmen,
nämlich einer Zahnspange, hätte geschlossen werden können.

4.
Ferner argumentiert die Beklagte unter Hinweis auf die - vorliegend
unbetrittenermassen erfüllte - Bedingung, dass die Behandlung vor dem
vollendeten 15. Altersjahr beginnen müsse, mit dem Normzweck. Es gehe um die
bei Kindern häufig vorkommenden Zahnfehlstellungen, während das Implantat
eine altersunabhängige Behandlung sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich
beim Fehlen der beiden Schaufeln nach den kantonalen
Sachverhaltsfeststellungen um ein Geburtsgebrechen handelt. Mithin geht es
gerade um die von der Beklagten avisierte Zielgruppe und es ist nicht
nachvollziehbar, weshalb vorliegend ein (angeblicher) Normzweck die
Leistungspflicht ausschliessen soll.

Nicht näher einzugehen ist schliesslich auf die von der Beklagten erstmals
vor Bundesgericht aufgestellte und damit ohnehin unzulässige Behauptung (Art.
55 Abs. 1 lit. c OG), vorliegend handle es sich um ein anspruchsbegründendes
Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 13 IVG bzw. um das Geburtsgebrechen 206
gemäss Anhang zur GgV (SR 831.232.21), da eine Überschneidung der beiden
Versicherungen an der Leistungspflicht der Beklagten nichts ändern würde.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung abzuweisen ist, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beklagte
kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. Mai 2002 wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau, als Versicherungsgericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. September 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: