Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4P.98/2002
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4P.98/2002 /rnd

Urteil vom 16. Juli 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Nyffeler,
Gerichtsschreiberin Boutellier.

A. ________
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher-Rechtsanwalt K. Urs Grütter,
Moosstrasse 2, 3073 Gümligen,

gegen

B.________ Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Ernst Hauser,
Kapellenstrasse 14, Postfach 6916, 3001 Bern,
X.________ AG
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Jürg Hunziker, Bernstrasse
29, Postfach 251,
3360 Herzogenbuchsee,
Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer

Art. 9, 49 und 191 BV (Zivilprozess; derogatorische Kraft des Bundesrechts),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationshofs des
Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 30. Januar 2002.

Sachverhalt:

A.
Der Vater von A.________ (Beschwerdeführerin) nahm anfangs 1992 mit Notar
B.________ (Beschwerdegegner 1) telefonisch Kontakt auf, weil er
beabsichtigte, sein landwirtschaftliches Heimwesen zu Lebzeiten auf die
Beschwerdeführerin und deren Bruder zu übertragen. Die Vertragsparteien
trafen sich darauf am 11. Februar 1992 zu einer Vorbesprechung in der Kanzlei
des Notars. Dabei war auch von den steuerlichen Folgen des beabsichtigten
Rechtsgeschäfts die Rede. Der Beschwerdegegner 1 erklärte, dass er keine
steuerlichen Beratungen vornehme und empfahl den Beizug einer Treuhandfirma.
Auf Wunsch des Vaters der Beschwerdeführerin wurde C.________ bzw. die
X.________ AG (Beschwerdegegnerin 2) beigezogen.

Am 2. Juni 1992 verurkundete der Beschwerdegegner 1 einen Schenkungsvertrag
mit Leibrentenverpflichtung der Beschenkten zu Gunsten des Schenkers. In
Ziff. VI. 8 des Schenkungsvertrages ist festgehalten, der Notar habe die
Parteien auf die steuerlichen Folgen dieses Vertrages aufmerksam gemacht.

Die Beschwerdeführerin verkaufte am 29. Dezember 1993 einen Teil der
geschenkten Liegenschaften. Der Notar, welcher diesen Kaufvertrag
verurkundete, rechnete mit einer Liegenschaftsgewinnsteuer von ca. Fr.
10'000.--. Die Gewinnsteuer wurde jedoch in der Folge mit rund Fr. 38'000.--
veranlagt; diese Veranlagungsverfügung wurde im Rechtsmittelverfahren von
sämtlichen Instanzen geschützt. Der Schenkungsvertrag mit
Leibrentenverpflichtung hatte zu einer Unterbrechung der Besitzdauer geführt;
dadurch wurde der Besitzdauerabzug vermindert.

B.
Am 21. November 2000 stellte die Beschwerdeführerin beim Gerichtspräsidium
Obersimmental-Saanen das Begehren, die Beschwerdegegner (sowie C.________)
seien unter solidarischer Haftung zu verurteilen, ihr einen Betrag von Fr.
29'821.00 nebst Zins zu 5% seit dem 11. September 1995 sowie Ersatz
sämtlicher Gerichts- und Anwaltskosten aus den steuerlichen Verfahren zu
bezahlen. Der Gerichtspräsident 2 des Gerichtskreises XIII
Obersimmental-Saanen wies die Klage am 18. Juni 2001 ab.

C.
Mit Urteil vom 30. Januar 2002 wies der Appellationshof des Kantons Bern,
II. Zivilkammer, die Klage gegen den Beschwerdegegner 1 und C.________ ab.
Die Beschwerdegegnerin 2 wurde verurteilt, der Beschwerdeführerin
Fr. 27'499.30 nebst Zins zu 5% seit dem 21. November 2000 sowie
Fr. 32'639.10 zu bezahlen. Im Weiteren wurde die Klage gegen die
Beschwerdegegnerin 2 abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden je zur Hälfte der
Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin 2 auferlegt. Die
Beschwerdeführerin wurde zum Ersatz der Parteikosten des Beschwerdegegners 1
verpflichtet, die Beschwerdegegnerin 2 zur Bezahlung der Hälfte der
Parteikosten der Beschwerdeführerin. Der Appellationshof kam zum Schluss, der
Beschwerdegegner 1 habe der ihm nach kantonalem Recht obliegenden Pflicht zur
Aufklärung über die steuerlichen Folgen genügt, wogegen die
Beschwerdegegnerin 2 ihre Vertragspflicht zur Beratung über die steuerlichen
Folgen verletzt habe. Dabei nahm der Gerichtshof entgegen der ersten Instanz
an, dass auch die Beschwerdeführerin - nicht nur ihr Vater - am Auftrag als
Partei beteiligt gewesen sei. Die Beschwerdegegnerin 2 habe der
Beschwerdeführerin daher die Differenz der Gewinnsteuer zu bezahlen, welche
auf die durch den Schenkungsvertrag verursachte Verminderung des
Besitzdauerabzuges zurückzuführen sei. Ausserdem habe die Beschwerdegegnerin
2 die Kosten des Rechtsmittelverfahrens in der Steuerangelegenheit zu
ersetzen.

D.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. April 2002 stellte die
Beschwerdeführerin die Rechtsbegehren, die Ziffern 1, 3 und 4 des Urteils des
Appellationshofs des Kantons Bern seien aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung
von Art. 8 und 9 BV (Rechtsgleichheitsverbot und Willkürverbot), sowie der
Art. 49 und 191 BV (derogatorische Kraft des Bundesrechts). Die durch
verschiedene Anwälte vertretenen Beschwerdegegner schliessen in ihren
Vernehmlassungen je auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten
sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführerin richtet die staatsrechtliche Beschwerde gegen die
beiden Beschwerdegegner, welche sie im kantonalen Verfahren zusammen mit
C.________ eingeklagt hat. In ihren Rechtsbegehren verlangt sie jedoch die
Aufhebung des angefochtenen Urteils nur insoweit, als ihre Klage gegen den
Beschwerdegegner 1 abgewiesen worden ist. Auch ihre Begründung bezieht sich
allein auf die Abweisung der Klage gegen den Beschwerdeführer 1. Inwiefern
der Appellationshof im angefochtenen Urteil verfassungsmässige Rechte
verletzt haben könnte, indem er die Klage gegen die Beschwerdegegnerin 2
nicht vollumfänglich guthiess, ist aus der Beschwerdebegründung nicht zu
ersehen. Soweit sie sich gegen die Beschwerdegegnerin 2 richtet, ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

2.
Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn
die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel
beim Bundesgericht gerügt werden kann. Soweit die Rügen in der vorliegenden
Streitsache mit Berufung geltend gemacht werden können, steht daher die
staatsrechtliche Beschwerde nicht zur Verfügung. In Zivilrechtsstreitigkeiten
ist die Rüge der Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts im
Rahmen der Berufung vorzubringen (BGE 122 I 351 E. 1c mit Hinweisen), wie
dies die Beschwerdeführerin auch getan hat. Auf die Rüge der Verletzung der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts ist im vorliegenden
Beschwerdeverfahren nicht einzutreten.

3.
Als widersprüchlich und damit willkürlich rügt die Beschwerdeführerin die
Feststellung im angefochtenen Entscheid, der Beschwerdegegner 1 habe den
Parteien des von ihm verurkundeten Rechtsgeschäftes gesagt, er selber nehme
keine steuerliche Beratung vor. Der Appellationshof hat diesen Schluss
insbesondere aus den Akten gezogen und schliesst aus den entsprechenden
Schreiben, der Beschwerdegegner 1 habe den Auftrag zur Abklärung der
steuerlichen Folgen nicht selber an die Hand genommen, sondern an die
Beschwerdegegnerin 2 weitergeleitet. Inwiefern dieser Schluss willkürlich
sein sollte, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Dass im Schenkungsvertrag
eine steuerliche Belehrung erwähnt sei, hat der Appellationshof im Übrigen
nicht übergangen, sondern gewürdigt. Er hat insbesondere festgestellt, die
Formulierung lasse offen, ob der Notar nur auf die direkt aus dem
verurkundeten Vertrag fliessenden Steuerfolgen aufmerksam machte oder auch
auf die indirekten, insbesondere bei einer Weiterveräusserung. Diese
Würdigung ist, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin, nicht
widersprüchlich. Die Willkürrüge ist somit unbegründet. Soweit die
Beschwerdeführerin im Übrigen die bundesrechtliche Qualifikation der
willkürfrei festgestellten Tatsachen beanstandet, kann darauf nicht
eingetreten werden, da dies mit Berufung vorgebracht werden müsste (Art. 84
Abs. 2 OG).

4.
Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich eine willkürliche Anwendung des
bernischen Notariatsrechts. Den Beschwerdegegner 1 habe eine spezielle
Rechtsbelehrungspflicht getroffen und diese hätte erfordert, dass sie
genügend deutlich über die nachteiligen Steuerfolgen orientiert worden wäre.
Da der Notar gemäss Art. 15 und 16 sowie 36 Abs. 1 des Notariatsgesetzes des
Kantons Bern (Notariatsgesetz) persönlich und voll für allfällige Fehler
seiner Angestellten hafte, sei der Appellationshof überdies in Willkür
verfallen, wenn er von einer Befreiung des Notars durch zulässige Delegation
spreche.

4.1 Der Appellationshof hält im angefochtenen Urteil unter Verweis auf eine
Lehrmeinung (Ruf, Öffentliche Urkunde und Abgaberecht, ZBJV 116/1980, S. 415
ff., S. 424) fest, die Rechtsbelehrungspflicht in Steuersachen gehöre nicht
zu den primären, sondern zu den speziellen Rechtsbelehrungspflichten. Sie
ergebe sich aus der Verpflichtung des Notars, die Interessen der Parteien
nach Kräften zu wahren und diese vor Schaden zu schützen, wenn er bei
Abklärung des Parteiwillens feststelle, dass sie Gefahr liefen, durch ihre
Erklärungen einen Schaden zu erleiden. Eine derartige Pflicht trifft den
Notar nach den Erwägungen im angefochtenen Entscheid nur, wenn er eine
umfassende Kenntnis aller rechtserheblicher Sachumstände besitzt und der
Sachverhalt für ihn übersichtlich und klar ist. Für den vorliegenden Fall hat
der Appellationshof eine solche spezielle Belehrungspflicht über die
Steuerfolgen abgelehnt, da der Beschwerdegegner 1 im Auftrag des Vaters der
Beschwerdeführerin und dessen Kindern, insbesondere der Beschwerdeführerin,
die Abklärung der steuerrechtlichen Folgen der Beschwerdegegnerin 2
übertragen habe. Der Beizug eines Fachmanns würde nach den Erwägungen im
angefochtenen Entscheid keinen Sinn machen, wenn der Notar selbst nochmals
über die gleichen Probleme aufklären müsste. Eine solche Delegation der
Belehrungspflicht über die Steuerfolgen müsse zulässig sein.

4.2 Willkürlich ist ein Entscheid nach konstanter Rechtsprechung nicht schon
dann, wenn auch eine andere Lösung vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen
wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller
Rechtsverweigerung nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwider läuft (BGE 127 I 54 E. 2b; 126 III 438 E. 3 S.
440, je mit Hinweisen). Davon kann hier nicht die Rede sein. Der Begründung
der Rechtsschrift der Beschwerdeführerin ist nicht zu entnehmen, inwiefern
das kantonale Recht willkürlich ausgelegt worden sein sollte; die Begründung
erschöpft sich vielmehr in einer den Interessen der Beschwerdeführerin
entsprechenden Auslegung der kantonalen Bestimmungen, ohne dass aufgezeigt
würde, inwiefern das Grundrecht des Willkürverbots missachtet sein sollte
(Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Die Auffassung des Appellationshofs, der Notar
könne seiner allfälligen Aufklärungspflicht in Steuerfragen dadurch genügen,
dass er die Parteien an eine Fachperson verweise, lässt sich entgegen der
Ansicht der Beschwerdeführerin halten und ist daher nicht willkürlich. Dass
"die öffentliche Beurkundung" dem Notar obliegt (Art. 15 Notariatsgesetz) und
der Notar ausschliesslich zuständig ist zur Vornahme von Handlungen der
freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit diese nicht durch Gesetz andern Organen
zugewiesen sind, besagt zunächst nichts über den Umfang der dem Notar
obliegenden Pflichten. Auch aus der kantonalen Bestimmung, dass der Notar den
Beteiligten für den Schaden haftet, den er rechtswidrig verschuldet hat, und
dass er ausserdem für das Verschulden seiner Mitarbeiter wie für eigenes
haftet (Art. 36 Abs. 1 Notariatsgesetz), ergibt sich kein Delegationsverbot
für spezielle Rechtsbelehrungspflichten. Der Appellationshof ist zumindest
nicht in Willkür verfallen, wenn er kein derartiges Verbot aus den von der
Beschwerdeführerin angerufenen kantonalen Bestimmungen abgeleitet hat. Die
Rüge, der Appellationshof habe hinsichtlich der Anwendung des bernischen
Notariatsrechts das Willkürverbot verletzt, ist unbegründet.

5.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Die Kosten sind bei diesem Verfahrensausgang der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen. Überdies hat sie den je durch einen eigenen Anwalt vertretenen
Beschwerdegegnern, die sich in separaten Eingaben zur Sache haben vernehmen
lassen, eine Parteientschädigung zu bezahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner je mit Fr. 3'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juli 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: