Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.97/2002
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4C.97/2002 /rnd

Urteil vom 1. Juli 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Dreifuss.

A. ________,
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Jörg Wälti,
Hertensteinstrasse 12, Postfach 6408,
6000 Luzern 6,

gegen

B.________,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Andrea C. Huber,
Unterdorfstrasse 12, Postfach 346,
8808 Pfäffikon.

spitalärztliche Haftung; Zuständigkeit,

Berufung gegen den Beschluss des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz vom 29.
Januar 2002.

Sachverhalt:

A.
B. ________ (Klägerin) begab sich am 7. Februar 1996 wegen Kniebeschwerden in
die Privatsprechstunde von PD Dr. med. A.________ (Beklagter), der als
leitender Chefarzt am Regionalspital X.________ und Chefarzt der Klinik
Chirurgie tätig war. Der Beklagte operierte die Klägerin am 19. April 1996 im
Regionalspital am linken Kniegelenk. Nach einem einwöchigen stationären
Aufenthalt in der privaten Abteilung dieser Klinik wurde die Klägerin
entlassen. Da die Beschwerden in der Folge wieder auftraten und zahlreiche
Therapien erfolglos blieben, liess sich die Klägerin am 28. Januar 1997 in
einem Spital in Zürich abermals operieren.

B.
Am 25. Juni 1999 belangte die Klägerin den Beklagten beim Bezirksgericht
March auf Bezahlung von Schadenersatz und Genugtuung im Betrag von Fr.
171'498.95 nebst 5% Zins seit 19. April 1996. Der Beklagte beantragte, das
Hauptverfahren zunächst auf die Frage seiner Passivlegitimation, des
anwendbaren Rechts sowie der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des
Bezirksgerichts March zu beschränken, womit sich die Klägerin einverstanden
erklärte. In der Folge trat das Bezirksgericht mit Beschluss vom 24. Mai 2000
auf die Klage nicht ein. Es hielt dafür, der eingeklagte Anspruch sei
öffentlichrechtlicher Natur und daher nach kantonalem öffentlichem Recht zu
beurteilen, wofür der Verwaltungsweg zu beschreiten sei.

Auf Rekurs der Klägerin hin hob das Kantonsgericht des Kantons Schwyz diesen
Beschluss am 29. Januar 2002 auf und wies die Streitsache zur materiellen
Beurteilung nach Zivilrecht an das Bezirksgericht zurück.

C.
Der Beklagte beantragt mit eidgenössischer Berufung vom 1. März 2002, es sei
der Beschluss des Kantonsgerichts vom 29. Januar 2002 aufzuheben und auf die
Klage in Bestätigung des Beschlusses des Bezirksgerichts March vom      24.
Mai 2000 nicht einzutreten. Er rügt, das Kantonsgericht habe zu Unrecht
Bundesrecht statt kantonales öffentliches Recht für anwendbar erklärt und
damit auch zu Unrecht die örtliche und sachliche Zuständigkeit des
Bezirksgerichts March als Zivilgericht bejaht.

Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angefochtenen Beschlusses.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Berufung ist zulässig in Zivilsachen bzw. Zivilrechtsstreitigkeiten
(Art. 44, 45 und 46 OG). Unter einer Zivilrechtsstreitigkeit versteht die
Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren
natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen
privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer Behörde, die nach
Bundesrecht die Stellung einer Partei einnimmt. Entscheidend ist dabei, dass
die Parteien nach ihren Rechtsbegehren und Sachvorbringen Ansprüche des
Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind ( BGE
124 III 44 E. 1; 123 III 346 E. 1a). Als Zivilrechtsstreitigkeit gilt auch
die hier strittige Frage, ob die Klägerin bundesprivatrechtliche oder
öffentlichrechtliche Ansprüche erhoben hat (BGE 115 II 237 E. 1; zur
Publikation in BGE 128 III bestimmtes Urteil 4C.328/2001 vom 19. Februar 2002
E. 1a).

1.2 Die Berufung ist in der Regel erst gegen Endentscheide der oberen
kantonalen Gerichte oder sonstigen Spruchbehörden zulässig, die nicht durch
ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden können (Art. 48
Abs. 1 OG, BGE 127 III 474 E. 1a; 126 III 445 E. 3b). Mit dem angefochtenen
Rückweisungsentscheid hat die Vorinstanz nicht endgültig über den im Streit
stehenden Anspruch entschieden, sondern einen selbständigen Vor- oder
Zwischenentscheid gefällt. Dagegen kann Berufung unter den Voraussetzungen
der Art. 49 oder 50 OG eingelegt werden (vgl. Corboz, Le recours en réforme
au Tribunal fédéral, SJ 2000 S. 9 ff.). Gegen selbständige Zwischenentscheide
über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 49 OG ist die Berufung ohne weitere
Voraussetzung zulässig und die Zuständigkeit kann mit dem Endentscheid nicht
mehr angefochten werden (Art. 48 Abs. 3 OG). Andere Zwischenentscheide sind
dagegen nach Art. 50 OG nur dann berufungsfähig, wenn bei Gutheissung des
Rechtsmittels sofort ein Endentscheid herbeigeführt und ein bedeutender
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart
werden kann. Gegen solche Zwischenentscheide kann auch erst im Anschluss an
den Endentscheid Berufung erhoben werden (Art. 48 Abs. 3 OG).

Der Entscheid der Vorinstanz ist nicht in Anwendung einer bundesrechtlichen
Zuständigkeitsvorschrift ergangen. Die Zuständigkeit des Bezirksgerichts
March ergibt sich für den Fall, dass der eingeklagte Anspruch als
bundesprivatrechtlich zu qualifizieren ist, aus dem kantonalen Prozessrecht
und ist unter dieser Voraussetzung unter den Parteien auch nicht streitig.
Der Zwischenentscheid über die Frage, ob die Streitsache privat- oder
öffentlichrechtlicher Natur sei, ist zwar in der Rechtsprechung teilweise als
Zuständigkeitsentscheid im Sinne von Art. 49 OG qualifiziert worden (BGE 101
II 366 E. 1 S. 368; zustimmend Poudret, Commentaire de la loi fédérale
d'organisation judiciaire, Bd. II, N. 1.6.2 zu Art. 49 OG, S. 332). Da der
Entscheid den eingeklagten Anspruch jedoch im Fall der Nichtanhandnahme der
Streitsache unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten endgültig abweist, auch
wenn die Subsumtion unter öffentlichrechtliche Normen noch aussteht, ist er
in der neueren Praxis als Endentscheid qualifiziert worden (zur Publikation
in BGE 128 III bestimmtes Urteil 4C.328/2001 vom 29. Februar 2002 E. 1b).
Entsprechend liegt aber auch kein Zwischenentscheid über die Zuständigkeit im
Sinne von Art. 49 OG vor, wenn die - als solche nach kantonalem Prozessrecht
bestimmte - Zuständigkeit eines Gerichts mit der Begründung bejaht wird, es
handle sich um eine privatrechtliche Streitigkeit (anders noch BGE 115 II 237
E. 1). Die Berufung ist in diesem Fall nur zulässig, soweit die
Voraussetzungen des Art. 50 OG vorliegen.

1.3
Die erste in dieser Bestimmung aufgestellte Voraussetzung, dass die
Gutheissung der Berufung zu einem Endentscheid führen würde, ist vorliegend
erfüllt: Sollte mit dem Beklagten verneint werden, dass der eingeklagte
Anspruch privatrechtlicher Natur ist, beendet dieser Entscheid das Verfahren
unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten endgültig. Aber auch die zweite
Voraussetzung des Art. 50 OG ist hier ohne weiteres gegeben: Es ist
notorisch, dass Prozesse über Fragen der Arzthaftung regelmässig weitläufige
Beweisverfahren erforderlich machen und es bestehen keine Anhaltspunkte
dafür, dass es sich im vorliegenden Verfahren ausnahmsweise anders verhalten
könnte. Auch wenn der Beklagte - seiner Rechtsansicht gemäss, dass die
Berufung nach Art. 49 OG zulässig sei - dazu keine Ausführungen macht, sind
die Voraussetzungen des Art. 50 OG auch insoweit als erfüllt zu betrachten.
Auf die Berufung ist daher einzutreten.

2.
Die Vorinstanz entschied, der eingeklagte Anspruch sei privatrechtlicher
Natur, obwohl er sich gegen den Chefarzt einer öffentlichrechtlich verfassten
Klinik richtet und nach dem Recht des Kantons Schwyz das Gemeinwesen für den
Schaden haftet, den ein Funktionär in Ausübung hoheitlicher Verrichtungen
einem Dritten widerrechtlich zufügt. Der Beklagte bringt dagegen vor, die
ärztliche Tätigkeit an einem öffentlichen Spital gelte nach konstanter Praxis
des Bundesgerichts als amtliche Verrichtung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 OR.
Dies führe zur Anwendung des öffentlichen kantonalen
Verantwortlichkeitsrechts, soweit der Kanton, wie hier der Kanton Schwyz, von
seiner in Art. 61 Abs. 1 OR vorbehaltenen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch
gemacht habe.

2.1 Die Krankenbehandlung in öffentlichen Spitälern ist nach konstanter
Rechtsprechung keine gewerbliche Verrichtung, für die nach Art. 61 Abs. 2 OR
die bundesprivatrechtlichen Haftungsnormen von Art. 41 ff. OR durch
kantonales öffentliches Recht nicht geändert werden können. Es handelt sich
vielmehr um eine öffentliche Aufgabe, so dass Schäden, die dabei entstehen,
auf die Ausübung staatlicher Hoheit und nicht auf die Verletzung
privatrechtlicher Vertragspflichten zurückzuführen sind (BGE 122 III 101 E.
2a/aa S. 104; 115 Ib 175 E. 2 S. 179). Gegen wen und unter welchen
Voraussetzungen Patienten wegen fehlerhafter Behandlung in einem öffentlichen
Spital Schadenersatz oder Genugtuung verlangen können, ist daher nach der
Ordnung von Art. 61 Abs. 1 OR zu bestimmen. Diese Norm enthält einen
fakultativen öffentlichrechtlichen Vorbehalt zugunsten des kantonalen
öffentlichen Rechts; die Kantone sind danach befugt aber nicht verpflichtet,
die öffentlichrechtlich angestellten Ärzte der kantonalrechtlichen
(Haftungs-)Regelung zu unterstellen. Die Abgrenzung zwischen
Bundesprivatrecht und kantonalem öffentlichem Recht ist insoweit nicht nach
den gängigen Theorien vorzunehmen (vgl. dazu BGE 126 III 431 E. 2c/bb),
sondern wird allein vom kantonalen Recht bestimmt. Wenn die Kantone von ihrer
Befugnis gemäss Art. 61 Abs. 1 OR keinen Gebrauch machen, haften die Ärzte
für ihr Verhalten unmittelbar nach den bundesprivatrechtlichen Normen der
Art. 41 ff. OR (BGE 122 III 101 E. 2a/bb und cc S. 104 f.; vgl. auch BGE 128
III 76 E. 1a S. 78).

2.2 Der Beklagte anerkennt, dass die ärztliche Tätigkeit in einem
öffentlichen Spital als amtliche Verrichtung zu qualifizieren ist, auf die
das öffentlichrechtliche kantonale Verantwortlichkeitsrecht nur anwendbar
ist, sofern der Kanton von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht
hat. Er macht jedoch sinngemäss geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht
verneint, dass dies der Fall sei, indem sie in unzutreffender Auslegung des
massgeblichen Rechts des Kantons Schwyz die Anwendbarkeit des kantonalen
Haftungsgesetzes vom 20. Februar 1970 verneint habe.

Auf diese Ausführungen ist nicht einzutreten. Der Beklagte verkennt, dass mit
eidgenössischer Berufung nur die Verletzung von Bundesrechtsnormen gerügt
werden kann (Art. 43 OG); für Erörterungen über die Verletzung kantonalen
Rechts steht sie nicht zur Verfügung (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; vgl. BGE 122
III 101 E. 2a/cc und 2b).

Die bundesrechtliche Vorschrift von Art. 61 Abs. 1 OR kann überdies durch
eine allenfalls falsche Anwendung kantonalen Rechts von vornherein nicht
verletzt sein, da sie dem kantonalen Gesetzgeber keinerlei Verpflichtungen
auferlegt, sondern mangels kantonaler Normen die bundesrechtlichen
Bestimmungen von Art. 41 ff. OR als anwendbar erklärt. Indem die kantonalen
rechtsanwendenden Behörden das kantonale Haftungsgesetz dahingehend ausgelegt
haben, dass es auf die Tätigkeit des Beklagten im Regionalspital X.________
keine Anwendung findet, haben sie Art. 61 Abs. 1 OR nicht verletzt. Insoweit
ist der Schluss, dass der Beklagte der Klägerin nach den Bestimmungen der
Art. 41 ff. OR haftet, bundesrechtlich nicht zu beanstanden und erweist sich
die Berufung als unbegründet. Soweit der Beklagte aus den von ihm zitierten
Bundesgerichtsentscheiden, namentlich aus BGE 115 Ib 175 ff. und aus BGE 111
II 149 ff., etwas anderes ableiten will, übersieht er, dass das Bundesgericht
in den damals noch zulässigen Direktprozessen auch kantonale Normen
auszulegen und anzuwenden hatte. Im Rahmen der Berufung kann jedoch, wie
dargelegt, die Auslegung kantonaler Bestimmungen nicht überprüft werden.

3.
Die Vorinstanz hat Art. 61 OR nicht verletzt, indem sie aufgrund einer im
vorliegenden Verfahren nicht zu überprüfenden Auslegung kantonalen Rechts die
Streitsache als privatrechtlich qualifizierte. Die Berufung ist daher
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist, und das angefochtene Urteil zu
bestätigen. Diesem Verfahrensausgang entsprechend ist die Gerichtsgebühr dem
Beklagten zu auferlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat die Klägerin überdies
für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und der
Beschluss des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz vom 29. Januar 2002 wird
bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'500.-- wird dem Beklagten auferlegt.

3.
Der Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit

Fr. 6'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Schwyz
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Juli 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: