Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.92/2002
Zurück zum Index I. Zivilabteilung 2002
Retour à l'indice I. Zivilabteilung 2002


4C.92/2002 /rnd

Urteil vom 19. August 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Schoder.

A. ________ AG,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Duri Pally,
Bahnhofstrasse 7, Postfach 101, 7001 Chur,

gegen

B.________ AG
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Zinsli,
Werkstrasse 2, 7000 Chur.

Ingenieurvertrag; Vergleichsurkunde,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer,
vom 17. September 2001.

Sachverhalt:

A.
In den Jahren 1994 und 1995 baute die A.________ AG als Totalunternehmerin
für die C.________ AG (Bauherrin) in D.________ eine Wäscherei. Die
A.________ AG zog die B.________ AG als Subunternehmerin für
Ingenieurarbeiten im Bereich Lüftung bei. Nach Bauabschluss traten Mängel an
den lüftungstechnischen Anlagen auf, welche die C.________ AG gegenüber der
A.________ AG und diese gegenüber der B.________ AG rügte. Am       11.
September 1996 stellten die A.________ AG, die B.________ AG und die
C.________ AG eine Schadenssumme von Fr. 428'890.-- fest. Am 25. September
1996 schlossen die B.________ AG, deren Haftpflichtversicherung, die
Versicherung E.________, die A.________ AG und die C.________ AG eine
Vereinbarung über die Schadensaufteilung mit Saldoklausel. Die B.________ AG
sollte demnach Fr. 36'000.--, deren Haftpflichtversicherung, die Versicherung
E.________, Fr. 287'890.25, die A.________ AG Fr. 90'000.-- und die
C.________ AG Fr. 15'000.-- übernehmen. Rechtsanwalt F.________, Vertreter
der C.________ AG, wurde an dieser Sitzung beauftragt, den Vergleich
schriftlich festzuhalten. Lediglich die B.________ AG und die C.________ AG,
nicht aber die A.________ AG unterzeichneten die schriftliche
Vergleichsurkunde.

In der Folge machte die B.________ AG gegenüber der A.________ AG eine
Forderung in der Höhe von Fr. 80'220.60 nebst Zins für Honorare und
Barauslagen, welche seit der Vergleichsvereinbarung vom 25. September 1996
angefallen waren, geltend. Die A.________ AG wies die Forderung mit der
Begründung von sich, dass der am 25. September 1996 mündlich geschlossene
Vergleich über die Schadensaufteilung mit Saldoklausel mangels
Schriftlichkeit ungültig sei. Weiter war sie der Auffassung, das definitive
Honorar der B.________ AG sei wegen mangelhafter Auftragserfüllung zu mindern
und könne wegen fehlender Grundlagen noch nicht berechnet werden.

B.
Die B.________ AG klagte im Februar 1997 gegen die A.________ AG auf
Bezahlung von Fr. 80'220.60 nebst Zins. Im Verlauf des Verfahrens setzte sie
die eingeklagte Forderung auf Fr. 62'407.50 nebst Zins herab. Nach zwei
Teilurteilen vom 19. März 1999 und vom 10. November 1999 schützte das
Bezirksgericht von Plessur die Klage am 23. Januar 2001 im herabgesetzten
eingeklagten Betrag. Die Beklagte legte dagegen Berufung ein, die das
Kantonsgericht von Graubünden am 17. September 2001 abwies.

C.
Die Beklagte hat das Urteil der Vorinstanz sowohl mit staatsrechtlicher
Beschwerde als auch mit Berufung angefochten. Mit Berufung beantragt sie, das
angefochtene Urteil zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, sie eventuell
abzuweisen.

Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde heute abgewiesen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Berufungsschrift muss die genaue Angabe enthalten, welche Punkte des
Entscheides angefochten werden und welche Abänderungen beantragt werden (Art.
55 Abs. 1 lit. b OG). Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu
neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen grundsätzlich nicht
und machen die Berufung unzulässig. Ein blosser Rückweisungsantrag reicht
indessen nach ständiger Praxis aus, wenn das Bundesgericht, falls es die
Rechtsauffassung des Berufungsklägers für begründet erachtet, kein Endurteil
fällen kann, sondern die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz
zurückweisen muss (BGE 125 III 412 E. 1b S. 414).

Der Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz genügt hier der
Vorschrift von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG, da das Bundesgericht für den Fall,
dass die Rechtsauffassung der Beklagten begründet sein sollte, kein
Sachurteil fällen kann, sondern den Fall zur erneuten Beweiswürdigung
zurückweisen muss.

2.
2.1 Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, die Beklagte berufe sich auf die
Unwirksamkeit des an der Sitzung vom 25. September 1996 mündlich
abgeschlossenen Vergleichs. Den Beweis, dass die Schriftform als
Gültigkeitserfordernis vorbehalten wurde, habe demnach die Beklagte zu
erbringen. Diese habe auch die Folgen einer allfälligen Beweislosigkeit zu
tragen.

Die Beklagte rügt, die Vorinstanz habe ihr zu Unrecht nicht nur die
Beweislast für den vertraglichen Formvorbehalt auferlegt, sondern auch dafür,
dass die Einhaltung der Form von den Parteien als Gültigkeitserfordernis und
nicht lediglich zu Beweiszwecken gewollt war. Die Vorinstanz habe gestützt
auf die falsche Beweislastverteilung zulasten der Beklagten entschieden.

Weiter macht die Beklagte geltend, die Vorinstanz habe in Missachtung der
Beweislastregeln nicht geprüft, ob die Klägerin nachgewiesen habe, dass die
vorbehaltene Schriftform für sämtliche Parteien nur Beweisform war. Falls die
Klägerin diesen Nachweis nicht erbringen könne, sei die Vereinbarung vom
25. September 1996 infolge Dissenses über die vorbehaltene Schriftform nicht
zustande gekommen.

2.2 Ist für einen Vertrag, der gemäss Gesetz an keine Form gebunden ist, die
Anwendung einer solchen vorbehalten worden, so wird nach Art. 16 Abs. 1 OR
vermutet, dass die Parteien vor der Erfüllung der Form nicht verpflichtet
sein wollen. Diese Vermutung kann widerlegt werden durch den Nachweis, dass
der Formabrede nach dem Parteiwillen nur deklaratorische Bedeutung zukommt
oder dass sie nachträglich aufgehoben worden ist. Der Beweis für den
vertraglichen Formvorbehalt obliegt jener Partei, die sich auf die
Unwirksamkeit des mündlich Vereinbarten beruft, während bei feststehendem
Formvorbehalt die Beweislast für die Umstossung der gesetzlichen Vermutung
von Art. 16 OR diejenige Partei trifft, die trotz Nichteinhaltung der Form
die Gültigkeit des mündlich Vereinbarten behauptet (Schwenzer, Basler
Kommentar, Basel 1992, N 12 zu Art. 16 OR).

Die Vorinstanz hat aufgrund der Beweiswürdigung, welche die Beklagte
erfolglos mit der staatsrechtlichen Beschwerde angefochten hat, auf den
tatsächlichen Willen der Parteien geschlossen, dass die Schriftform nur die
Beweissicherung bezweckte. Damit wird die Beweislastverteilung und die
Vermutung von Art. 16 OR gegenstandslos. Der Rüge der Verletzung des Art. 8
ZGB ist daher von vornherein die Grundlage entzogen, soweit sie nicht ohnehin
auf eine unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung hinausläuft. Dies gilt
insbesondere für den Vorwurf, die Vorinstanz habe einen unzulässigen Schluss
aus der allgemeinen Lebenserfahrung gezogen.
Das Bundesgericht prüft im Berufungsverfahren Schlüsse aus der allgemeinen
Lebenserfahrung, soweit diese über den konkreten Sachverhalt hinaus Bedeutung
haben und gleichsam die Funktion von Normen übernehmen. Wo dagegen der
Sachrichter sich bloss auf allgemeine Lebenserfahrung stützt, um aus den
gesamten Umständen des konkreten Falles oder den bewiesenen Indizien auf
einen bestimmten Sachverhalt zu schliessen, liegt unüberprüfbare
Beweiswürdigung vor (BGE 126 III 10 E. 2b S. 13 mit Hinweisen). Dies trifft
hier zu, indem die Vorinstanz bei der Prüfung der Frage, ob die Parteien
einen Schriftformvorbehalt vereinbarten, auf die Zeugenaussagen und die
übrigen Umstände des konkreten Falles abstellte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Kantonsgerichts vom
17. September 2001 wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit

Fr. 4'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. August 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: