Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.47/2002
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4C.47/2002 /RrF

Urteil vom 9. Juli 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident,
Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler,
Gerichtsschreiber Dreifuss.

X. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Fürsprecher Dr. Bernard
Rosat, Dufourstrasse 18, Postfach, 3000 Bern 6,

gegen

Y.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher Gregor Marcolli,
Bahnhofplatz 5, Postfach 6233, 3001 Bern.

Lehm- und Kiesabbauvertrag; Kündigung,

Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 27.
November 2001.

Sachverhalt:

A.
Die Y.________ AG (Beklagte) ist Eigentümerin der Kies- und Lehmgrube
A.________. Sie schloss am 28. März 1987 mit der einfachen Gesellschaft
"B.________", bestehend aus der Einzelfirma C.________, der Rechtsvorgängerin
der X.________ AG (Klägerin), und der Z.________ AG einen Lehm- und
Kiesabbauvertrag. Danach ist die Klägerin bis 31. Dezember 2017 zum Abbau von
Kies und die Z.________ AG zum Abbau von Lehm befugt. Der Vertrag kann u.a.
aus wichtigen Gründen, die der kündigenden Partei nach Treu und Glauben die
Fortsetzung des Vertrages unzumutbar machen, vorzeitig fristlos beendigt
werden.

Am 11. Mai 1992 erteilte der Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Burgdorf
aufgrund des folgenden Plans eine Baubewilligung für den Abbau:
Etappe
Dauer in Jahren
Kies (in m3)
Ton  (in m3)
I
1
70 000
15 000
II
1
50 000
10 000
III
11
0
170 000
IV
2
0
25 000
V
12
0
180 000
VIa
1
43 000
14 000
VIb
1
20 000
18 000
VII
2
0
33 000
VIII
14
0
200 000
Total

183 000
665 000

Nachdem das BUWAL die zusätzlich erforderliche Rodungsbewilligung erteilt
hatte, wurden die Etappen I und II abgebaut und das Gelände rekultiviert. In
der Folge vereinbarten die Parteien, den Abbau der Etappen VIa und VIb
vorzuziehen, weil die Beklagte auf dem Areal einen Golfplatz erstellen
wollte.

Am 19. Juni/16. Juli 1998 schlossen die Parteien eine Vereinbarung
(Zusatzvereinbarung), deren Ziel insbesondere in der Koordination des Abbaus
mit dem Bau des Golfplatzes lag. Sie hielten fest, dass die abbauwürdigen
Kiesvorkommen nach den Grundlagen der Abbaubewilligung nach Abschluss der
Etappen I, II sowie VIa und VIb zwar erschöpft seien, indessen von der
Bewilligung her ein weiterer Kiesabbau innerhalb des Grubenperimeters
grundsätzlich nicht ausgeschlossen sei. Die Klägerin zeigte sich
interessiert, auch diese Vorkommen weiter abzubauen, sofern ihre Qualität
genügend und der Gewinnungsaufwand verhältnismässig sei. Jedenfalls müsse
aber vorgängig die über dem Kieskörper liegende Lehmschicht abgebaut sein. Im
Hinblick auf die Erstellung des Golfplatzes vereinbarten die Parteien weiter,
dass die Klägerin den Kiesabbau in den Etappen I und II bis Ende April 1998
sowie denjenigen in den Etappen VIa und VIb bis Ende Mai 1999 abschliesse und
die Rekultivierung laufend und vorgängig des Golfplatzbaus erfolge. Ferner
wurde festgehalten, dass die Beklagte einen weiteren Kiesabbau nach Abschluss
der Etappen VIa und VIb durch die Klägerin begrüsse. Voraussetzung sei aber,
dass daraus keine Beeinträchtigungen für die Erstellung oder den Betrieb des
Golfplatzes entstünden und dass der Zeitplan für dessen Bau und
Inbetriebnahme eingehalten werden könne. Die Klägerin werde für einen
weiteren Kiesabbau nach der Abbauetappe VI jeweils die vorgängige
schriftliche Zustimmung der Beklagten einholen. Für diesen weiteren Kiesabbau
wurde die Klägerin von der Entrichtung eines (von der Abbaumenge
unabhängigen) jährlichen Minimalentgelts an die Beklagte entbunden.

Die Z.________ AG besteht nach einem Nachlassverfahren nur noch aus einem
Aktienmantel. Sie kündigte daher den Kies- und Lehmabbauvertrag vom 28. März
1987 mit Schreiben vom 28. Dezember 1999 aus wichtigen Gründen. Die Beklagte
wies diese Kündigung unter Hinweis auf den Bestand der einfachen Gesellschaft
zurück, sprach jedoch ihrerseits am 23. September 2000 gegenüber der
B.________, d.h. gegenüber der Klägerin und der Z.________ AG, die fristlose
Kündigung des Vertrags vom 28. März 1987 aus wichtigen Gründen aus.

B.
Die Klägerin beantragte dem Handelsgericht des Kantons Bern mit Klage vom 5.
März 2001, es sei gerichtlich festzustellen, dass die von der Beklagten mit
Brief vom 23. September 2000 an die Klägerin aus angeblich wichtigen Gründen
ausgesprochene vorzeitige fristlose Kündigung des Lehm- und Kiesabbauvertrags
vom 28. März 1987 mangels eines wichtigen Grundes nichtig, eventuell ungültig
sei und dass demzufolge der erwähnte Lehm- und Kiesabbauvertrag über den 23.
September 2000 hinaus unverändert gelte. Das Handelsgericht wies die Klage am
27. November 2001 im Wesentlichen ab.

C.
Dagegen führt die Klägerin eidgenössische Berufung mit dem Antrag, die Klage
und das Feststellungsbegehren gutzuheissen. Gleichzeitig hat sie gegen das
Urteil des Handelsgerichts staatsrechtliche Beschwerde erhoben.

Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach Art. 57 Abs. 5 OG wird in der Regel die Entscheidung über die Berufung
bis zur Erledigung der gegen denselben Entscheid erhobenen staatsrechtlichen
Beschwerde ausgesetzt. Von diesem Grundsatz wird dagegen abgewichen, wenn der
Entscheid über die Beschwerde keinen Einfluss auf die Behandlung der Berufung
hat, beispielsweise weil die mit der Beschwerde kritisierten Feststellungen
für die rechtliche Würdigung nicht erheblich sind (BGE 122 I 81 E. 1; 117 II
630 E. 1a).

Die Klägerin beanstandet in ihrer Beschwerde ausschliesslich die Feststellung
der Vorinstanz, dass die abbauwürdigen Kiesvorräte in der Grube A.________
erschöpft seien, so dass auch die faktischen Abbaumöglichkeiten der Klägerin
beendet seien. Wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt und die
Klägerin selber vermutet, ist diese Feststellung für den Entscheid über die
vorliegend einzig strittige und zu beantwortende Rechtsfrage, ob für die
Beklagte ein wichtiger Grund zu einer vorzeitigen Auflösung des Lehm- und
Kiesabbauvertrages bestand, nicht wesentlich. Die Behandlung der Berufung ist
deshalb vorzuziehen.

2.
Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht grundsätzlich an die
tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Sachrichters gebunden (Art. 63
Abs. 2 und Art. 64 OG; BGE 127 III 248 E. 2c; 115 II 484 E. 2a S. 485 f., je
mit Hinweis). Das Recht wendet es von Amtes wegen an. Es hat insoweit die
Befugnis, den verbindlich festgestellten Sachverhalt im Rahmen von Art. 43 OG
frei zu würdigen, ohne bei seiner Prüfung auf die von der Vorinstanz
abgegebene Begründung beschränkt zu sein (Art. 63 Abs. 3 OG; BGE 127 III 248
E. 2c mit Hinweisen).

3.
Die Parteien haben mit der Möglichkeit der Vertragsauflösung aus wichtigem
Grund bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für die
kündigende Partei eine auch für gesetzliche Regelungen von
Dauerschuldverhältnissen gebräuchliche Formulierung übernommen (vgl.
beispielsweise Art. 266g, 297, 337 OR). Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist
nach Recht und Billigkeit gemäss Art. 4 ZGB zu beurteilen (Baumann, Zürcher
Kommentar, N. 484 zu Art. 2 ZGB).

4.
Die Vorinstanz erkannte, die Beklagte habe sich zu Recht auf einen wichtigen
Grund zur vorzeitigen Auflösung des Kies- und Lehmabbauvertrags vom       28.
März 1987 berufen, weil es der Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung ohne
Zustimmung der Beklagten rechtlich ohnehin unmöglich gewesen wäre, in der
Grube A.________ weiter Kies abzubauen. Die Frage, ob für die Beklagte ein
wichtiger Grund zur Vertragsauflösung bestand, stellt sich allerdings nur,
sofern im Zeitpunkt der Kündigung ein Dauerschuldverhältnis bestanden hat,
was vorab zu prüfen ist.

Die Parteien hielten in der Vereinbarung vom 16. Juni/16. Juli 1998 fest,
dass die Beklagte im Hinblick auf die Erstellung des Golfplatzes den
Kiesabbau in den Etappen I und II bis Ende April 1998 und den Abbau in den
Etappen VIa und VIb bis Ende Mai 1999 abschliesse. Einen weiteren Kiesabbau
in der Grube A.________ begrüsste die Beklagte nur unter der Voraussetzung,
dass daraus keine Beeinträchtigung für die Erstellung und den Betrieb des
Golfplatzes entstünde. Er wurde von einer vorgängigen schriftlichen
Zustimmung der Beklagten abhängig gemacht.

Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz stellte die Klägerin den
Kiesabbau im Jahre 1998 ein und rekultivierte das Abbaugelände. Darüber
hinaus erstellte sie im Bereich der Etappen VIa und VIb den Golfplatz. Bis
zum Zeitpunkt der Kündigung am 23. September 2000 ersuchte sie die Beklagte
nicht um Zustimmung für einen weiteren Kiesabbau. Ferner hielt die Vorinstanz
fest, dass sich ein weiterer Kiesabbau im Bereich der Etappen VIa und VIb mit
dem Golfbetrieb nicht vereinbaren lasse. Dass ein Abbau in anderen Bereichen
der Grube A.________ mit dem Golfbetrieb vereinbar wäre, hat die Vorinstanz
nicht festgestellt und wird von der Klägerin auch nicht behauptet (Art. 63
Abs. 2 OG).

Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte im Fall
eines klägerischen Abbauersuchens nach Treu und Glauben zur Erteilung einer
Zustimmung gehalten wäre. Eine Pflicht zur Erteilung der Zustimmung ergibt
sich insbesondere nicht schon daraus, dass die Beklagte in der
Zusatzvereinbarung einen weiteren Abbau allfälliger Kiesvorräte grundsätzlich
begrüsste, wie die Klägerin hervorhebt, brachte die Beklagte doch den
ausdrücklichen Vorbehalt an, dass aus dem Abbau keine Beeinträchtigung von
Erstellung und Betrieb des Golfplatzes entstehen darf. Zu berücksichtigen ist
auch, dass die Klägerin in der Zusatzvereinbarung von der Zahlung eines
jährlichen, von der Abbaumenge unabhängigen Mindestentgelts an die Beklagte
entbunden wurde.

Die Klägerin will ein Recht auf einen weiteren Kiesabbau in den Etappen VIa
und VIb nach Ablauf der Frist Ende Mai 1999 daraus ableiten, dass sie die
Kiesgewinnung im Bereich eines Feuchtbiotops aufgrund einer Intervention des
kantonalen Naturschutzinspektorats unverschuldeterweise habe einstellen
müssen. Zudem hätten ihr die Vertreter der Beklagten beim Abschluss der
Zusatzvereinbarung versichert, dass es durchaus möglich sei, parallel neben
dem Golfplatzbetrieb Kies abzubauen. Auf diese Vorbringen ist nicht
einzutreten, da die darin aufgestellten Sachverhaltsbehauptungen in den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Stütze finden und die
Klägerin keine Ausnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 2 oder Art. 64 OG geltend
macht (vgl. Erwägung 1 vorne).

Ist somit nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin die Beklagte gegen ihren
Willen zu einer Zustimmung für einen weiteren Kiesabbau veranlassen könnte,
hat die Vorinstanz insoweit zutreffend geschlossen, dass für einen weiteren
Kiesabbau der Klägerin keine rechtliche Grundlage mehr besteht. Da die
Klägerin somit aus dem Abbauvertrag kein unbedingtes Recht auf einen weiteren
Kiesabbau mehr abzuleiten vermochte, konnte die strittige Kündigung keine
Gestaltungswirkung entfalten. Sie diente vielmehr lediglich der Klärung der
ohnehin bestehenden Rechtslage.

Die Vorinstanz hat im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Klage
auf Nichtig- oder Ungültigerklärung der Kündigung abwies. Es kann demnach
offen bleiben, ob sie für den Fall, dass der Kiesabbauvertrag im Zeitpunkt
der Kündigung noch bestanden hätte, zu Recht erkannte, dass der Beklagten
eine Fortführung des Kiesabbauvertrages mit der Klägerin angesichts eines
Stilllegungsvertrages vom 10. Mai 1985 zwischen der Beklagten und
verschiedenen Ziegeleien unzumutbar sei.

5.
Nach dem Gesagten ist es nicht entscheidwesentlich, ob die abbauwürdigen
Kiesvorräte in der Grube A.________ erschöpft sind. Auf die Rüge, die
Vorinstanz habe im Zusammenhang mit dieser Frage die Beweislast unter
Verletzung von Art. 8 ZGB verteilt, ist daher nicht einzutreten.

6.
Die Berufung ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist, und das
angefochtene Urteil zu bestätigen. Bei diesem Verfahrensausgang ist die
Gerichtsgebühr der Klägerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Die Klägerin
hat die Beklagte überdies für das bundesgerichtliche Verfahren zu
entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 27. November 2001 wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit

Fr. 20'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Bern
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Juli 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: