Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.45/2002
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4C.45/2002 /rnd

Urteil vom 11. Juli 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident,
Corboz, Klett, Nyffeler, Ersatzrichter Geiser
Gerichtsschreiberin Boutellier.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Rechsteiner,
Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen,

gegen

X.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher Christoph A.
Egli, Postfach 95, 9435 Heerbrugg.

Arbeitsvertrag; Lohn,

Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III.
Zivilkammer, vom 14. Dezember 2001.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Kläger) war von Mitte Juni 1997 bis Ende Juni 1999 als Monteur
bei der X.________ AG (Beklagte) angestellt. Nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses gelangte die Gewerkschaft Industrie, Gewerbe,
Dienstleistungen, SMUV Ostschweiz, mit Schreiben vom 13. Juli 1999 im Namen
des Klägers an die Beklagte. Sie machte geltend, dem Arbeitnehmer sei in
Verletzung der einschlägigen Bestimmungen des allgemeinverbindlich erklärten
Landes-Gesamtarbeitsvertrages für das Metallgewerbe (LGAV Metallgewerbe)
jeweils kein 13. Monatslohn ausbezahlt, zu wenig Ferien gewährt und für
Überstunden kein Lohn ausgerichtet worden. Daraus ergebe sich eine
Nachforderung von Fr. 10'779.30, ohne Entschädigung für Überstunden. Die
Beklagte verweigerte die Nachzahlung mit dem Hinweis, sie sei dem LGAV
Metallgewerbe nicht unterstellt.

B.
Anfang Januar 2000 stellte der Kläger beim Arbeitsgericht Oberrheintal das
Begehren, die Beklagte sei zur Bezahlung von Fr. 14'937.30 nebst Zins zu
verpflichten. Mit Entscheid vom 4. Juli 2001 hiess das Arbeitsgericht die
Klage im Umfang von Fr. 7'743.45 gut. Auf kantonale Berufung der Beklagten
und Anschlussberufung des Klägers hin, wies das Kantonsgericht St. Gallen,
III. Zivilkammer, die Klage mit Urteil vom 14. Dezember 2001 ab.

C.
Gegen dieses Urteil erhob der Kläger eidgenössische Berufung. Er verlangt die
Gutheissung der Klage im Umfang von Fr. 8'443.45 nebst Zins. Die Beklagte
schliesst auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz kam in Auslegung der einschlägigen Bestimmung der
Bundesratsbeschlüsse (BRB) über die Allgemeinverbindlicherklärung des
Landes-Gesamtarbeitsvertrages für das Metallgewerbe vom 8. Januar 1993 (BBl
1993 I S. 105 f.) und vom 27. Februar 1998 (BBl 1998 I S. 1217 f.) zum
Ergebnis, das zu beurteilende Arbeitsverhältnis unterstehe nicht dem LGAV
Metallgewerbe. Der Kläger könne somit aus dem GAV keine Rechte ableiten. Der
Kläger rügt, das Obergericht habe die Bundesratsbeschlüsse falsch ausgelegt
und die Anwendbarkeit des LGAV Metallgewerbe zu Unrecht verneint.

Die Zivilgerichte sind für Einzelstreitigkeiten über die allgemeinverbindlich
erklärten Bestimmungen von Gesamtarbeitsverträgen und auch für Streitigkeiten
über den Geltungsbereich eines allgemeinverbindlich erklärten
Gesamtarbeitsvertrages zuständig (Urteil des Bundesgerichts 4C.391/2001 vom
30. April 2002 E. 1.2; 4C.46/1995 vom 11. Oktober 1995 E. 1, publ. in JAR
1997 S. 272 ff., je mit Hinweisen). Da eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne
von Art. 44 ff. OG vorliegt, ist die Berufung zulässig.

2.
Streitig ist vorliegend ausschliesslich, ob der Betrieb der Beklagten den
allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des LGAV Metallgewerbe
untersteht, d.h. ob sich der sachliche Geltungsbereich des
Gesamtarbeitsvertrages auf den Betrieb der Beklagten erstreckt.
Unbestrittenerweise handelt es sich beim LGAV Metallgewerbe um einen
Branchen- bzw. Industrievertrag, bei dem diejenigen Personen vom GAV erfasst
werden, die in einem bestimmten Wirtschaftszweig tätig sind. Zu ermitteln ist
daher, ob die Beklagte bzw. deren Betriebsteil, in welchem der Kläger
beschäftigt war, zu den in der Allgemeinverbindlicherklärung des LGAV
Metallgewerbe aufgeführten Branchen gehört oder nicht.

2.1
2.1.1Bei einem Branchen- bzw. Industrievertrag, unterstehen diejenigen
Arbeitnehmer dem GAV, die in einem bestimmten Wirtschaftszweig tätig sind
(Vischer, Zürcher Kommentar, N. 55 zu Art. 356 OR; Stöckli, Berner Kommentar,
N. 52 zu Art. 356 OR). Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gilt der GAV für
den ganzen Betrieb und somit auch für berufsfremde Arbeitnehmer (Stöckli,
a.a.O., N. 54 und 67 zu Art. 356 OR), wobei regelmässig gewisse
Funktionsstufen und besondere Anstellungsverhältnisse ausgenommen werden
(Stöckli, a.a.O., N. 58 zu Art. 356 OR). Allerdings kann ein Unternehmen
mehrere Betriebe umfassen, welche unterschiedlichen Branchen angehören, oder
es können innerhalb ein und desselben Betriebes mehrere Teile bestehen,
welche eine unterschiedliche Zuordnung rechtfertigen, weil sie eine
genügende, auch nach aussen erkennbare, Selbständigkeit aufweisen. In diesen
Fällen können dann auf die einzelnen Teile des Unternehmens unterschiedliche
Gesamtarbeitsverträge zur Anwendung gelangen. Massgebliches
Zuordnungskriterium bei einem Industrievertrag ist somit die Art der
Tätigkeit, die dem Betrieb oder dem selbständigen Betriebsteil - und nicht
dem Unternehmen als wirtschaftlichem Träger allenfalls mehrerer Betriebe -
das Gepräge gibt (Urteil des Bundesgerichts 4C.350/2000 vom 12. März 2001 E.
3b mit Hinweisen; Stöckli, a.a.O., N. 53 zu Art. 356 OR).

2.1.2 Für die Auslegung von Bestimmungen über die
Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen gelten die
allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung (BGE 127 III 318 E. 2a; Urteil
des Bundesgerichts 4C.93/1997 vom 8. Oktober 1997 E. 3a, publ. in: JAR 1998,
S. 282 ff., je mit Hinweisen). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz besteht
weder ein Grund für eine besonders restriktive, noch für eine besonders weite
Auslegung. Besondere Bedeutung kommt jedoch dem Bedürfnis nach
Rechtssicherheit zu. Wenn der Gesamtarbeitsvertrag seine Schutzfunktion
erfüllen soll, muss es für die Parteien leicht erkennbar sein, ob sie ihm
unterstehen oder nicht. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung sollen die
Arbeitsbedingungen der bei Aussenseitern angestellten Arbeitnehmer gesichert,
die Sozial- und Arbeitsbedingungen als Faktor des Konkurrenzkampfes
ausgeschlossen, und dem Gesamtarbeitsvertrag zu grösserer Durchsetzungskraft
verholfen werden (Vischer, a.a.O., N. 93 zu Art. 356b OR).

Nach Art. 1 Abs. 1 AVEG kann sich der Geltungsbereich eines GAV durch
Allgemeinverbindlicherklärung nur auf die Arbeitnehmer und Arbeitgeber des
"betreffenden Wirtschaftszweiges oder Berufes" beziehen. Bei
verfassungskonformer Auslegung von Art. 1 Abs. 1 AVEG ist darauf zu achten,
dass direkte Konkurrenten in ihrer Wirtschaftsfreiheit gleichmässig
eingeschränkt werden und im wirtschaftlichen Wettbewerb gleich lange Spiesse
erhalten (vgl. Art. 27 und Art. 94 Abs. 4 BV). Der Begriff des
Wirtschaftszweiges lässt sich nicht ein für allemal in einem bestimmten Sinne
definieren. Er kann je nach den Umständen des Einzelfalles ein weiteres oder
ein engeres Spektrum von Betrieben umfassen. Ausgangspunkt ist das
betriebliche Spektrum, das die Mitglieder der als Vertragsparteien
auftretenden Arbeitgeberverbände verkörpern. Es bildet den von den
GAV-Parteien gewollten natürlichen Anwendungsbereich, der mit der
Allgemeinverbindlicherklärung nicht erweitert werden kann (Vischer, a.a.O.,
N. 123 zu Art. 356b OR, je mit Hinweisen). Wünschbar ist, dass alle Teile
einer Branche von einem GAV abgedeckt werden. Trotzdem soll mit der
Allgemeinverbindlicherklärung der Anwendungsbereich des GAV innerhalb einer
Branche bzw. jenes Teils einer Branche flächendeckend nur dort ausgeweitet
werden, wo die von der Allgemeinverbindlicherklärung betroffenen Betriebe in
direkter Konkurrenz zu den Arbeitgebern stehen, die den GAV geschlossen
haben. Das Bundesgericht hat sich der bundesrätlichen Praxis zur
Allgemeinverbindlicherklärung angeschlossen, wonach Betriebe, für die ein
Gesamtarbeitsvertrag allgemeinverbindlich erklärt wird, Erzeugnisse oder
Dienstleistungen gleicher Art anbieten müssen wie Betriebe die vertraglich am
GAV beteiligt sind. Es muss mithin ein direktes Konkurrenzverhältnis zu
solchen Betrieben vorliegen (Urteil 4C.46/1995, a.a.O., E. 3a, mit Hinweis
auf BIGA in ARV 1971, S. 21 f.; vgl. auch Stöckli, a.a.O., N. 52 zu Art. 356
OR). Darüber hinaus rechtfertigt es sich bei der Prüfung der Frage, ob eine
bestimmte Art neuer Betriebe einem bestehenden Wirtschaftszweig zugeordnet
werden kann, jeweils die branchenmässige Herkunft dieser Betriebe
mitzuberücksichtigen, wie sie sich aus der historischen Entwicklung ergibt.
Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die branchenweise
Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen auf den historisch
gewachsenen Strukturen der Wirtschaft aufbaut, sich jedoch im modernen
Wirtschaftsleben innerhalb der einzelnen Branchen infolge des technischen
Fortschritts laufend Veränderungen ergeben (Urteil 4C.46/1995, a.a.O., E. 3a;
Vgl. zum Ganzen Urteil 4C.391/2001, a.a.O., E. 3.1 mit Hinweisen).

2.2
2.2.1Die Vorinstanz hat verbindlich festgestellt, dass gemäss dem
Handelsregistereintrag der Handel mit und die Montage von Rolladen, Lamellen
und Sonnenstoren der Zweck der Beklagten sei. Ihren unbestrittenen, eigenen
Angaben zufolge montiere die Beklagte hauptsächlich Rolladen und Storen,
wobei sie diese zu 10-15% selber herstelle und im Übrigen von anderen
Produzenten beziehe. Daneben entfalle rund 10% ihrer Tätigkeit auf den
Vertrieb von Wintergärten, wobei sie diese vorwiegend plane, montiere und mit
Beschattungen versehe, während die Produktion durch Drittfirmen erfolge. Das
Kantonsgericht hat daraus den Schluss gezogen, dass die Montage von Sonnen-
und Wetterschutz-Systemen dem Betrieb der Beklagten das eigentliche Gepräge
gebe. Ob der Produktionsbereich und der Bereich Wintergärten als
organisatorisch und personell abgegrenzter Betriebsteile zu qualifizieren
seien, hat die Vorinstanz offen gelassen, da der Kläger unbestrittenermassen
überwiegend im Hauptbereich des Betriebes als Storenmonteur tätig gewesen
sei.

2.2.2 Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien dauerte von Mitte Juni 1997
bis Ende Juni 1999, somit ist sowohl der Bundesratsbeschluss über die
Allgemeinverbindlicherklärung des LGAV Metallgewerbe vom 8. Januar 1993, als
auch auch derjenige vom 27. Februar 1998 anwendbar. Diese entsprechen sich
weitgehend, sind jedoch nicht gleichlautend. Gemäss der Umschreibung in Art.
2 Abs. 2 BRB erstreckt sich der Anwendungsbereich des GAV unter anderem auf
Betriebe des Metallbaugewerbes. Vom Wortlaut her kann fraglich erscheinen, ob
die "Montage" unter den Begriff "Bau" fällt, und ob die Sonnen- und
Wetterschutz-Systeme in dem Ausmass aus Metall bestehen, dass es sich bei der
Beklagten um einen metallverarbeitenden Betrieb handelt.

In erster Linie ist danach zu fragen, welche Gewerbe bei den am GAV
beteiligten Arbeitgeberverbänden organisiert sind, denn die
Allgemeinverbindlicherklärung will einheitliche Mindestarbeitsbedingungen für
die auf dem gleichen Markt tätigen Unternehmen schaffen und damit verhindern,
dass ein Unternehmen durch schlechtere Arbeitsbedingungen einen
Wettbewerbsvorteil erlangen kann. Daher ist entscheidend, ob der GAV
unabhängig von der Allgemeinverbindlicherklärung für den organisierten Teil
einer Branche gilt. Vorliegend ist der GAV auf Arbeitgeberseite von der
Schweizerischen Metall-Union (SMU) abgeschlossen worden. Die Vorinstanz kommt
zum Schluss, es seien nicht eine grössere Zahl von Storenfabriken und
Storenmontagebetrieben Mitglieder der SMU. Sie hält gleichzeitig aber auch
fest, dass einzelne Betriebe, deren Tätigkeit im Bereich der Montage von
Storen und Sonnenschutzsystemen liege, SMU-Mitglieder seien.

Es kann jedoch nicht alleine auf die Verbandsstruktur abgestellt werden. Die
historische Verbandsstruktur stellt vielmehr nur ein Kriterium unter mehreren
dar. Denkbar ist jedoch, dass ein bestimmter Teil einer Branche traditionell
nicht im entsprechenden Verband organisiert ist, aber dennoch auf dem
gleichen Markt tätig wird und somit in direkter Konkurrenz zum traditionell
organisierten Teil der Branche steht, womit der GAV auch auf diese Betriebe
anzuwenden ist. Aus welchem Material die Storen bestehen ist nicht von
Bedeutung, sofern die Betriebe, welche Storen aus Metall herstellen und
montieren und folglich dem GAV unterstehen, in direkter Konkurrenz zu den
Betrieben stehen, welche Storen aus anderen Materialien herstellen und
montieren. Umgekehrt kann daraus nicht geschlossen werden, dass sämtliche
Betriebe, welche in einem weiteren Sinn zur entsprechenden Branche gehören,
dem gleichen GAV unterstehen müssen. Zwar ist die Montage von Storen und
Sonnenschutzsystemen im Sinne des Nebengewerbes zum Baugewerbe zu zählen,
dies alleine kann jedoch nicht zur Folge haben, dass der Betrieb, soweit es
um Metallverarbeitung geht, zum Metallbau gehört. Eine solche Zuordnung ist
nicht gerechtfertigt, wenn es sich um eine Teilbranche handelt, welche mit
den anderen Betrieben zwar Hand in Hand am gleichen Objekt wirkt, aber nicht
zu diesen Betrieben in Konkurrenz steht, weil sie deren Tätigkeit ergänzt,
aber nicht substituiert. Obwohl die Montage ohne weiteres unter den Begriff
"Bau" subsumiert werden kann, ist aus diesem Umstand alleine auch nicht
abzuleiten, dass es sich vorliegend um einen Betrieb des Metallbaugewerbes
handelt.

2.3 Das Urteil des Kantonsgerichts ist im Ergebnis zu bestätigen, da nicht
nachgewiesen ist, dass die Beklagte in einem direkten Konkurrenzverhältnis zu
den am GAV beteiligten Unternehmen steht. Von daher wird die Montage von
Storen und Sonnenschutzsystemen vom GAV nicht erfasst; somit kann sich die
Allgemeinverbindlicherklärung nicht auf das Unternehmen der Beklagten
beziehen.

3.
Die Berufung erweist sich als unbegründet und der angefochtene Entscheid ist
zu bestätigen. Da der Streitwert unter Fr. 30'000.- liegt, ist keine
Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 343 Abs. 2 OR). Der Kläger hat die Beklagte
für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen,
III. Zivilkammer, vom 14. Dezember 2001 bestätigt.

2.
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

3.
Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'000.--zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Juli 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: