Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.380/2002
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4C.380/2002 /lma

Urteil vom 1. März 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler,
Gerichtsschreiber Arroyo.

A. E.________,
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Robert Harmann,

gegen

B.E.________,
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Michael Felder.

Vereinbarung; Furchterregung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 25. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
A. E.________ (Beklagter) und sein Bruder B.E.________ (Kläger) betreiben
seit Jahren ein Verlagsgeschäft. Im Zusammenhang mit diesem Geschäft kam es
wiederholt zu Auseinandersetzungen, die zur gegenseitigen Einleitung straf-
und zivilrechtlicher Schritte führten. Am 9. April 1996 schlossen die
Parteien eine die künftige Zusammenarbeit im Verlag "Gebrüder E.________"
betreffende Vereinbarung. Zwischen den Parteien entstand in der Folge Streit
hinsichtlich der Durchsetzung der Vereinbarung.

B.
Mit Urteil vom 14. Dezember 1999 hiess das Bezirksgericht Zürich eine von
B.E.________ erhobene Klage gut. Das Gericht verurteilte den Beklagten, den
Handelsregistereintrag "C.________" löschen zu lassen. Zudem verbot es dem
Beklagten unter Androhung der Straffolge von Art. 292 StGB, gegenüber Dritten
im Namen des Unternehmens E.________ Verlag, im Namen des A.E.________
Verlags oder unter dem Namen D.________ Verlags GmbH aufzutreten und Kunden
des Unternehmens E.________ Verlag im Namen des A.E.________ Verlags Rechnung
zu stellen. Ausserdem verpflichtete das Gericht den Beklagten, gegenüber dem
Kläger Buchhaltung, Vermögensverhältnisse, Debitoren und laufende Rechnungen
aller von ihm betriebenen Verlage offen zu legen und die einschlägigen
Unterlagen zu übergeben.

Die vom Beklagten dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons
Zürich in Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils am 25. Oktober 2002
ab. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die gegen das
obergerichtliche Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Beklagten am 9.
September 2003 ab.

C.
Gegen das Urteil des Obergerichts erhob der Beklagte am 29. November 2002
eidgenössische Berufung. Er beantragt die Aufhebung des bezirksgerichtlichen
und des obergerichtlichen Urteils ebenso wie die Abweisung der Klage.
Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zwecks Durchführung eines
Beweisverfahrens zurückzuweisen. Der Beklagte rügt, die Vorinstanz habe zu
Unrecht eine Furchterregung und seine Urteilsunfähigkeit im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses verneint. Der Vertrag vom 9. April 1996 sei somit ungültig.

D.
Der Kläger beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten
sei. Ausserdem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit Berufung anfechtbar sind in der Regel nur letztinstanzliche Endentscheide
der oberen kantonalen Gerichte (Art. 48 Abs. 1 OG). Gegen Endentscheide
unterer Gerichte steht die Berufung nur in den Fällen von Art. 48 Abs. 2 lit.
a und lit. b OG offen (BGE 117 II 504 E. 2). Das Bezirksgericht entschied
weder als letzte noch als vom Bundesrecht vorgesehene einzige Instanz. Sein
Urteil kann somit nicht angefochten werden. Der Antrag auf Aufhebung des
bezirksgerichtlichen Urteils erweist sich im Unterschied zu den übrigen
Anträgen als unzulässig.

2.
Das Bundesgericht hat - unter Vorbehalt von hier nicht vorliegenden Ausnahmen
- seiner Entscheidung im Berufungsverfahren die tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz als wahr und vollständig zugrunde zu legen (Art. 63 und 64 OG;
BGE 127 III 248 E. 2c). Eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung des
Sachrichters ist im Berufungsverfahren ausgeschlossen (BGE 127 III 73 E. 6a).

Nicht zu hören ist daher die Rüge, die Vorinstanz habe zu Unrecht die anderen
Gründe berücksichtigt, die den Beklagten zum Vertragsschluss bewegten (das
Bundesgericht ist an die Feststellungen des kantonalen Gerichts über die
Umstände des Vertragsschlusses gebunden; BGE 117 II 273 E. 5a). Ebenso
unbeachtlich sind seine Ausführungen zum Kausalzusammenhang (das Vorliegen
des natürlichen Kausalzusammenhanges ist eine Tatfrage; BGE 128 III 22 E.
2d). Ob im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss eine Drohung ausgesprochen
wurde, beschlägt ebenfalls eine im Berufungsverfahren nicht prüfbare
Tatfrage. Gleich verhält es sich mit der angeblich durch die Drohung
bewirkten Furchterregung (zum Sachverhalt gehören auch innere Tatsachen, so
dass vorinstanzliche Feststellungen darüber, was die Vertragsparteien
gewusst, gewollt oder empfunden haben nicht gerügt werden können; BGE 115 II
57 E. 1c).
Unzulässig ist schliesslich der Verweis des Beklagten auf sämtliche in seinen
Eingaben im kantonalen Verfahren erhobenen Tatsachenbehauptungen zur
Furchterregung (BGE 115 II 83 E. 3).

3.
Nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG ist in der Berufungsschrift anzugeben, welche
Bundesrechtssätze der angefochtene Entscheid verletzt und inwiefern er gegen
sie verstösst. Fehl am Platz sind dagegen Erörterungen über die Anwendung
kantonalen Rechts (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 127 III 248 E. 2c).

3.1 Die Vorinstanz ist auf das Gesuch des Beklagten um psychiatrische
Begutachtung nicht eingetreten, weil der Antrag prozessual verspätet gestellt
wurde. Sie hat ausserdem die Behauptung, der Beklagte sei im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses zurechnungsunfähig gewesen, als unzulässiges Novum aus dem
Recht gewiesen. Auch den vom Beklagten eingereichten ärztlichen Bericht, der
ihn im Zusammenhang mit Streitigkeiten mit seinem Bruder für nicht
zurechnungsfähig erklärt, hat die Vorinstanz aus prozessualen Gründen
unberücksichtigt gelassen. Soweit der Beklagte rügt, die Vorinstanz hätte
seine Vorbringen behandeln müssen, beanstandet er die Anwendung kantonalen
Prozessrechts. Er ist damit nicht zu hören.

3.2 Aus dem gleichen Grund ist Art. 8 ZGB nicht verletzt. Diese Bestimmung
verleiht zwar der beweisbelasteten Partei im Bereich des Bundesprivatrechts
für rechtserhebliche Sachvorbringen einen bundesrechtlichen Anspruch auf
Beweisführung. Dieser besteht indessen nur unter der Voraussetzung, dass die
Beweisanträge im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht gestellt worden
sind (BGE 122 III 219 E. 3c).

Nach den - beim kantonalen Kassationsgericht erfolglos angefochtenen -
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beklagte im kantonalen
Verfahren seine Beweisanträge zur behaupteten Urteilsunfähigkeit nicht
fristgerecht gestellt. Der Eventualantrag (Rückweisung des Prozesses an die
Vorinstanz zwecks Durchführung eines Beweisverfahrens) ist folglich
abzuweisen.

4.
Der Beklagte rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht verneint, dass er den
Vertrag vom 9. April 1996 in gegründeter Furcht im Sinne der Art. 29 f. OR
geschlossen habe.

4.1 Ein Vertrag ist nach der Rechtsprechung nur dann im Sinne der Art. 29 f.
OR unverbindlich, wenn er ohne die Furchterregung überhaupt nicht oder nicht
mit dem gegebenen Inhalt abgeschlossen worden wäre (BGE 110 II 132 E. 2).
Nach der herrschenden Lehre bedarf es eines Kausalzusammenhangs zwischen der
Furchterregung und der Abgabe der Willenserklärung (Gauch/Schluep/Schmid/Rey,
Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2003, N 874;
Guhl/Koller/Schnyder/Druey, Das Schweizerische Obligationenrecht, 2000, § 17
N 20; Schwenzer, Basler Kommentar, N 10 zu Art. 29). Die Drohung muss, wie
die Vorinstanz zutreffend festhält, eine conditio sine qua non für die Abgabe
der Willenserklärung bilden. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der
Bedrohte dem vom Drohenden vorgelegten Vertrag aus anderen Gründen ohnehin,
das heisst auch ohne Furcht, zugestimmt hätte (Kurt Klausberger, Die
Willensmängel im schweizerischen Vertragsrecht, Diss. Zürich 1989, S. 43).
Aus den vom Beklagten angeführten Literaturstellen ergibt sich nichts
Anderes. Insbesondere entfällt  der erforderliche Kausalzusammenhang nach
Etter, wenn die Willenserklärung auch ohne die Drohung in gleicher Weise
abgegeben worden wäre. Dies ergibt sich eindeutig aus dem vom Beklagten
selbst angeführten Zitat, wonach es genügt, "dass die Furchterregung den
Willen des Bedrohten entscheidend beeinflusst hat, also dass, anders
ausgedrückt, die erzwungene Handlung ohne die Drohung nicht vorgenommen
worden wäre" (Josef Etter, Die Furchterregung nach schweizerischem
Obligationenrecht, Diss. Freiburg 1954, S. 85). Auch Von Tuhr/Peter
präzisieren die entscheidende Willensbeeinflussung in dem Sinne, dass das
Geschäft ohne die Drohung nicht vorgenommen worden wäre (von Tuhr/Peter,
Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, 1979, S. 329
oben). Becker hält schliesslich einzig fest, die Drohung müsse auf den
Entschluss des Bedrohten einen entscheidenden Einfluss haben (Becker, Berner
Kommentar, N 7 zu Art. 29 OR), woraus nicht geschlossen werden kann, dass die
Drohung keine conditio sine qua non für die Willenserklärung bilden müsse.

4.2 Nach den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 63
Abs. 2 OG) hat der Beklagte den angefochtenen Vertrag nach eigener Aussage
auch unterschrieben, weil seine Mutter ihn gebeten habe, den Frieden in der
Familie wieder herzustellen. Zwecks Verhinderung eines Familienunglücks und
ständigen Streitens sowie um der Mutter eine Aussage gegen den eigenen Sohn
zu ersparen, habe er den Vertrag unterschrieben. Ausserdem habe er dieses
Problem aus der Welt schaffen wollen. Zudem habe ihn seine Freundin gebeten,
mit dem Bruder Frieden zu schliessen. Der Beklagte bekräftigte im
vorinstanzlichen Verfahren, dass er aus den dargelegten Gründen alles
unterschrieben hätte, damit endlich Frieden einkehre.
Die Vorinstanz schliesst daraus, dass der Beklagte somit den Vertrag
jedenfalls auch aus anderen Gründen als der behaupteten Drohung unterzeichnet
habe. Folglich fehle es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Drohung
und Vertragsabschluss. An diese Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz, die
den natürlichen Kausalzusammenhang betreffen, ist das Bundesgericht im
Berufungsverfahren gebunden (vgl. Erwägung 2).

5.
Die Berufung ist nach dem Ausgeführten abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird der Beklagte kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). Das Gesuch
des Klägers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege erweist sich
hinsichtlich der Gerichtskosten daher als gegenstandslos.

Was die unentgeltliche Verbeiständung betrifft, sind die Voraussetzungen nach
Art. 152 OG erfüllt und ist das Gesuch zu bewilligen. Zufolge der
unentgeltlichen Verbeiständung des Klägers wird Rechtsanwalt Michael Felder,
Zürich, im Falle der Uneinbringlichkeit dieser Parteientschädigung aus der
Bundesgerichtskasse ein Honorar ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Dem Gesuch des Klägers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird
entsprochen, und es wird ihm in der Person von Rechtsanwalt Michael Felder
ein Rechtsbeistand beigegeben.

2.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'500.-- wird dem Beklagten auferlegt.

4.
Der Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
7'500.-- zu entschädigen. Im Falle der Uneinbringlichkeit dieser
Entschädigung wird Rechtsanwalt Michael Felder aus der Bundesgerichtskasse
ein Honorar von Fr. 7'500.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. März 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: