Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.349/2002
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4C.349/2002 /rnd

Urteil vom 25. Juni 2003

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Ersatzrichter Geiser,
Gerichtsschreiber Huguenin.

X. ________ AG,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard
Mühlestein, Riesbachstrasse 52, 8008 Zürich,

gegen

A.________,
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwältin Christine
Kessi, Postfach, 8034 Zürich.

Arbeitsvertrag; fristlose Kündigung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, vom 24. September 2002.

Sachverhalt:

A.
A. ________ war bei der X.________ AG als "Logistic Engineer" angestellt. Am
17. August 1999 wurde er fristlos entlassen mit der Begründung, er habe
innert 24 Arbeitstagen während 49,75 Stunden pornographische Darstellungen
aus dem Internet abgerufen, wobei es sich um Sex-Szenen mit Kindern und
Tieren sowie homosexuelle Praktiken gehandelt habe. Der Arbeitnehmer bestritt
diese Vorwürfe und bot der Arbeitgeberin seine Arbeitsleistung bis zum Ablauf
der Kündigungsfrist an. Die Arbeitgeberin beharrte auf der Rechtmässigkeit
der fristlosen Entlassung. Am 1. November 1999 konnte der Arbeitnehmer eine
neue Arbeitsstelle antreten.

B.
Am 20. Januar 2000 reichte A.________ beim Arbeitsgericht Zürich Klage gegen
die X.________ AG ein. Der Kläger forderte Ersatz für den Lohn während der
Zeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Oktober 1999 in
der Höhe von Fr. 27'111.-- sowie eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter
fristloser Entlassung in der Höhe eines Monatslohnes von Fr. 6'300.--.

Mit Urteil vom 19. Dezember 2001 verpflichtete das Arbeitsgericht Zürich die
Beklagte in teilweiser Gutheissung der Klage zur Zahlung von Fr. 25'368.95
netto nebst 5 % Zins seit 20. Januar 2000. Das Obergericht des Kantons Zürich
wies eine dagegen erhobene Berufung der Beklagten mit Urteil vom 24.
September 2002 ab. Die gegen dieses Urteil eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten wurde vom Kassationsgericht des Kantons
Zürich mit Beschluss vom 11. Februar 2003 abgewiesen, soweit es auf sie
eintrat.

C.
Mit Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. September 2002 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.

Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit auf sie einzutreten
sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beurteilung des Obergerichts liegt die Auffassung zu Grunde, dass eine
private Internetnutzung während der Arbeitszeit in dem von der Beklagten
behaupteten Ausmass eine fristlose Entlassung rechtfertigen würde. Das
Obergericht ist jedoch zum Ergebnis gelangt, es sei der Beklagten nicht
gelungen nachzuweisen, dass es der Kläger gewesen sei, der während den
angegebenen Zeitperioden das Internet in der behaupteten Weise benützt habe.
Zum einen habe der Kläger für gewisse Zeiten, in denen von seinem
Arbeitsplatz aus pornographische Darstellungen aus dem Internet abgerufen
worden seien, nachgewiesen, dass er sich nicht dort aufgehalten habe. Zum
andern sei erstellt, dass mehrere Mitarbeiter das Passwort des Klägers
gekannt hätten, weshalb eine Nutzung des elektronischen Arbeitsplatzes durch
andere Personen nicht ausgeschlossen werden könne. Allerdings sei
nachgewiesen, dass der Kläger - wie andere Mitarbeiter - in einzelnen Fällen
Sexseiten im Internet angeschaut habe. Indessen sei aufgrund des
Beweisverfahrens zweifelhaft, ob der Kläger im von der Beklagten behaupteten
Umfang das Internet benutzt habe. Müsse aber der Umfang des
Internetmissbrauchs durch den Kläger offen gelassen werden, sei letztlich
doch von der Beweislosigkeit der Vorwürfe der Beklagten auszugehen.

Die Beklagte macht mit der Berufung geltend, das Obergericht habe die Beweise
falsch gewürdigt. Zudem wirft sie diesem vor, ihren Beweisführungsanspruch
verletzt zu haben. Schliesslich rügt sie, dem Obergericht sei ein
offensichtliches Versehen unterlaufen. Dagegen ist der Berufungsschrift nicht
klar zu entnehmen, ob die Beklagte auch geltend machen will, die Beurteilung
der Vorinstanz sei bundesrechtswidrig, wonach eine auf einige Male
beschränkte private Internetnutzung durch den Arbeitnehmer keinen Grund für
eine fristlose Entlassung bilde.

2.
Das Bundesgericht hat seinem Entscheid den Sachverhalt zu Grunde zu legen,
den die letzte kantonale Instanz festgestellt hat (Art. 63 Abs. 2 OG). Soweit
die Beklagte in der Berufungsschrift von einem anderen Sachverhalt ausgeht
bzw. die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kritisiert, ist sie
nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Sie verkennt die Funktion der
eidgenössischen Berufung, wenn sie das Bundesgericht zur Überprüfung der
Beweiswürdigung der Vorinstanz oder zu einer nochmaligen Würdigung der
Beweise bewegen will. Die Beweiswürdigung kann nicht Gegenstand der Berufung
bilden. Soll das Bundesgericht in einer berufungsfähigen Streitsache zur
Überprüfung der vorinstanzlichen Feststellungen auf Willkür veranlasst
werden, müssen entsprechende Rügen mit dem Rechtsmittel der staatsrechtlichen
Beschwerde erhoben werden.

3.
3.1 Es bestehen nach dem Gesetz einige wenige Ausnahmen, wo vom Grundsatz der
Bindung an die Feststellungen der Vorinstanz abgewichen werden kann. Dazu
gehört der Fall eines offensichtlichen Versehens, das vom Bundesgericht von
Amtes wegen oder auf Rüge in der Berufungsschrift hin zu korrigieren ist
(Art. 63 Abs. 2 und Art. 55 Abs. 1 lit. d OG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein offensichtliches
Versehen im Sinne der zitierten Bestimmungen nur vor, wenn das kantonale
Gericht ein bestimmtes Aktenstück, das nach den Verfahrensregeln als
Beweismittel zugelassen worden ist, oder eine bestimmte Stelle innerhalb
eines solchen Aktenstückes übersehen oder nicht in der wahren Gestalt,
insbesondere nicht mit dem wirklichen Wortlaut wahrgenommen hat (BGE 87 II
218 E. 2 S. 232; 91 II 327 E. 4 S. 334; 115 II 399 f.; Peter Münch, in
Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, Rz.
4.65.). Kein offensichtliches Versehen liegt deshalb vor, wenn im
angefochtenen Entscheid bloss Schlüsse aus Dokumenten gezogen worden sind,
die nicht zu überzeugen vermögen. Zu beachten ist schliesslich, dass im Fall
der Erhebung einer Versehensrüge in der Berufungsschrift genau angegeben
werden muss, welche vorinstanzliche Feststellung mit welcher Aktenstelle im
Widerspruch stehen soll (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG).

3.2 Die Beklagte rügt, das Obergericht habe nicht berücksichtigt, dass sich
aus act. 8/2 Unterbrüche der Internetbenützung am 24. Juni,      8. Juli und
10. August 1999 ergäben. Sie übersieht indessen, dass das Obergericht keine
Feststellungen getroffen hat, die mit den Unterbrüchen im Widerspruch stehen,
wie sie gemäss act. 8/2 stattgefunden haben sollen. Das Obergericht hat im
hier interessierenden Zusammenhang festgestellt, dass die Alibibeweise des
Klägers für die erwähnten Tage Zeiten betreffen, in denen nach der
Darstellung der Beklagten der PC des Klägers benützt worden ist. Die - im
Urteilstext des Obergerichts in Klammer gesetzten - Angaben aus act. 8/2
beziehen sich auf Zeiten nach den Unterbrüchen, soweit solche in diesem
Schriftstück festgehalten sind. Es trifft somit nicht zu, dass der von der
Beklagten behauptete Widerspruch zwischen den Feststellungen des Obergerichts
und act. 8/2 besteht, weshalb diesem kein offensichtliches Versehen im Sinne
von Art. 63 Abs. 2 OG vorgeworfen werden kann. Im Übrigen zeigt die
Urteilsbegründung des Obergerichts, dass dieses act. 8/2 keineswegs
übersehen, sondern durchaus als Beweismittel gewürdigt hat. Auch insofern ist
das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.

4.
Art. 8 ZGB regelt in erster Linie die Folgen der Beweislosigkeit. Damit setzt
diese Bestimmung aber auch voraus, dass die beweisbelastete Partei zum Beweis
zugelassen wird (Schmid, Basler Kommentar, N. 6 zu Art. 8 ZGB). Entsprechend
wird aus Art. 8 ZGB ein bundesrechtlicher Anspruch der beweisbelasteten
Partei auf Beweisführung abgeleitet, sofern es um rechtserhebliche
Sachvorbringen geht und der Beweisantrag der Partei nach Form und Inhalt dem
kantonalen Prozessrecht entspricht (BGE 126 III 315 E. 4a; 114 II 289 E. 2 S.
290; Kummer, Berner Kommentar, N. 76 ff. zu Art. 8 ZGB). Zu beachten ist
jedoch, dass Art. 8 ZGB dem Sachgericht nicht vorschreibt, mit welchen
Mitteln der Sachverhalt abzuklären ist und wie die Beweise zu würdigen sind.
Die Schlüsse, welche das kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht aus
Beweisen und konkreten Umständen zieht, sind vom Bundesgericht im
Berufungsverfahren nicht überprüfbar (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223 mit
Hinweisen).

Die Beklagte verkennt diese Grundsätze mit ihren Ausführungen in der
Berufungsschrift. Wie bereits im Zusammenhang mit der Rüge eines
offensichtlichen Versehens festgehalten wurde, hat das Obergericht die von
der Beklagten beantragten Beweise - namentlich act. 8/2 - sehr wohl
gewürdigt. Es hat aber auch die Aussagen der vom Kläger angerufenen Zeugen
gewürdigt und ist aufgrund dieser Aussagen zum Schluss gelangt, dass während
bestimmter Zeiten, in denen gemäss dem Internetprotokoll vom PC des Klägers
aus Pornoseiten im Internet angeschaut worden sind, der Kläger nicht an
seinem Arbeitsplatz sein konnte. Damit war für die Vorinstanz erwiesen, dass
jedenfalls ein Teil der ihm vorgeworfenen Internetbenützung nicht durch ihn
erfolgt war. Dabei handelt es sich um Beweiswürdigung, die im
Berufungsverfahren vom Bundesgericht nicht überprüft werden kann. Im Übrigen
zeigt die Beklagte in der Berufungsschrift nicht auf, welche von ihr form-
und fristgerecht beantragten Beweismittel das Obergericht nicht zugelassen
haben soll. Damit erweist sich die Rüge einer Verletzung des
bundesrechtlichen Beweisführungsanspruchs bzw. ungenügender Urteilsbegründung
durch das Obergericht als haltlos.

5.
Anzumerken bleibt schliesslich, dass auch die rechtliche Würdigung des
Beweisergebnisses durch das Obergericht nicht zu beanstanden ist. Wohl ist
der Arbeitnehmer verpflichtet, während der ganzen Arbeitszeit für den
Arbeitgeber tätig zu sein, und es geht nicht an, dass er während dieser Zeit
am Arbeitsplatz in erheblichem Umfang private Tätigkeiten ausführt. Es ist
aber ebenso zutreffend, dass eine private Internetbenützung am Arbeitsplatz
während der Arbeitszeit, falls sie sich auf wenige Male beschränkt, eine
fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung nicht zu rechtfertigen
vermag, selbst wenn der Arbeitnehmer wie im vorliegenden Fall Sexseiten
angeschaut haben sollte.

6.
Da Art. 343 Abs. 3 OR betreffend Kostenlosigkeit des Verfahrens nicht zur
Anwendung gelangt, ist eine Gerichtsgebühr zu erheben. Diese ist der
Beklagten als im Verfahren vor Bundesgericht unterliegender Partei
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat zudem den Kläger für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Juni 2003

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: