Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.347/2002
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4C.347/2002 /rnd

Sitzung vom 25. März 2003

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Walter, Bundesrichterinnen Klett,
Rottenberg Liatowitsch, Bundesrichter Favre,
Gerichtsschreiber Huguenin.

A. ________,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Fürsprecher Daniel Jaccard,
Postfach 6826, 3001 Bern,

gegen

B.________,
C.________,
Kläger und Berufungsbeklagte, beide vertreten durch Fürsprecher Eric
Blindenbacher, Theaterplatz 8,
Postfach 261, 3000 Bern 7.

unerlaubte Handlung; Schadenersatz,

Berufung gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, II.
Zivilkammer, vom 25. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
B. ________ und C.________ sind Eigentümer der Liegenschaft X.________, die
ein Einfamilienhaus mit Garten umfasst. Der mit Bäumen und Sträuchern
bewachsene Garten grenzt an einer Seite an den Garten der Liegenschaft
Y.________, die ebenfalls mit einem Einfamilienhaus überbaut ist. In diesem
Haus wohnt A.________ mit ihrer Familie.

Auf dem Grundstück der Eheleute B.________ und C.________ stehen nahe an der
Grenze zum Garten der Familie A.________ eine rund 25 Jahre alte Blutbuche
und eine rund 30 Jahre alte Hainbuche. Am 24. und 25. Januar 1996 lichtete
ein im Auftrag von A.________ handelnder Gärtner diese Bäume aus und schnitt
deren Äste zurück. Zudem fällte er eine im Grenzbereich stehende Fichte.

A. ________ wurde wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs mit einer
Busse von Fr. 500.-- bestraft. Im Strafurteil wurde zudem die von den
Eheleuten B.________ und C.________ adhäsionsweise geltend gemachte
Zivilklage dem Grundsatz nach gutgeheissen, wobei die Parteien zur
Festsetzung der Höhe des zuzusprechenden Betrages an die Zivilgerichte
verwiesen wurden.

B.
B.________ und C.________ stellten mit Klage vom 15. Februar 1999 den Antrag,
A.________ zur Zahlung von Fr. 44'885.50 nebst 5% Zins seit 25. Januar 1996
zu verpflichten. Mit Entscheid vom 27. Juni 2000 hiess die
Gerichtspräsidentin 2 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen die Klage gut. Auf
Appellation der Beklagten hob der Appellationshof des Kantons Bern den
erstinstanzlichen Entscheid auf und sprach den Klägern mit Urteil vom 25.
Juni 2002 Fr. 21'605.-- nebst 5% seit 25. Januar 1996 zu.

C.
Mit Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des
Appellationshofs vom 25. Juni 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
eventuell die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Kläger schliessen auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Fragen des Vorliegens eines Schadens und der Schadenshöhe sind von den
kantonalen Gerichten aufgrund schriftlicher Gutachten und der Befragung von
mehreren Experten beurteilt worden. Während die Gerichtspräsidentin auf das
bereits im Strafverfahren eingeholte Gutachten von D.________ abstellte,
liess der Appellationshof ein zusätzliches Gutachten durch E.________
verfassen und hörte F.________ als Sachverständigen zur Frage an, ob die
Beschädigung der Bäume den Verkehrswert der Liegenschaft beeinflusst habe.
F.________ sagte bei der Befragung an der Urteilsverhandlung aus, dass er die
Liegenschaft besichtigt und festgestellt habe, dass diese durch die
beschädigten Bäume keine Wertverminderung erlitten habe. Bei der
Liegenschaftsbewertung werde eine Verkaufssituation fingiert. Ein
potentieller Käufer würde die vorhandenen Baumschäden nicht wahrnehmen.
Selbst wenn dieser wüsste, dass die Lebensdauer der beiden Bäume verkürzt
wäre, hätte dies keinen Einfluss auf den Liegenschaftswert, da nur
massgeblich sei, was innerhalb der nächsten 25 Jahre geschehe. Alles, was
über diesen Zeitrahmen hinausgehe, spiele bei der Liegenschaftsbewertung
keine Rolle.

Der Appellationshof hat die tatsächlichen Feststellungen des Experten
Giesbrecht seinem Urteil zugrunde gelegt. Diese Feststellungen sind deshalb
für das Bundesgericht im Rahmen des Berufungsverfahrens verbindlich (Art. 63
Abs. 2 OG). Zu prüfen ist dagegen die mit der Berufung aufgeworfene
Rechtsfrage, ob der Appellationshof Bundesrecht verletzt hat, indem er zum
Ergebnis gekommen ist, dass die Kläger Schadenersatz beanspruchen können,
obschon die Beschädigung der Bäume sich nicht auf den Verkehrswert ihrer
Liegenschaft ausgewirkt hat.

2.
2.1
Schaden ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts die ungewollte
Verminderung des Reinvermögens. Er kann in einer Verminderung der Aktiven,
einer Vermehrung der Passiven oder in entgangenem Gewinn bestehen und
entspricht der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem
Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (BGE 128 III 22
E. 2 e/aa; 104 II 198 S. 199; 90 II 417 E. 3 S. 424, je mit Hinweisen). In
BGE 127 III 73 E. 4b ist ausgeführt worden, dass Bäume gemäss dem
sachenrechtlichen Akzessionsprinzip dem Eigentümer des Grundstücks gehören,
auf dem sie wachsen. Ihre Beschädigung oder Zerstörung beeinflusse daher den
Wert des Grundstücks, dessen Bestandteil sie bildeten. Der Verkehrswert
dieses Grundstücks könne durch die Beschädigung eines Baumes je nach Art und
Nutzung der Liegenschaft unabhängig vom Wert des beschädigten Baumes selbst
betroffen sein. Unter Umständen trete ein wirtschaftlicher Schaden gar nicht
ein, etwa wenn durch die Zerstörung eines Baumes die Überbaubarkeit eines
Grundstücks erst ermöglicht und damit dessen Wert erhöht werde. Im ersten
Satz der folgenden Erwägung ist schliesslich festgehalten worden, falls die
Werteinbusse des Grundstücks mit vernünftigem Aufwand nicht festgestellt
werden könne, sei zur Berechnung des Schadens vom Baum selbst als der vom
schädigenden Ereignis direkt betroffenen Sache auszugehen.

2.2 In den zitierten Passagen von BGE 127 III 73 E. 4b ist hervorgehoben
worden, dass die Beschädigung eines Baumes einen Einfluss auf den
Verkehrswert des Grundstückes haben kann. Das mag in einzelnen Fällen, beim
Vorliegen besonderer Umstände zutreffen, entspricht aber nicht dem
Normalfall. Handelt es sich um einen, zwei oder drei Bäume, die im mit
mehreren anderen Bäumen bewachsenen Garten eines Wohnhauses stehen, hat deren
Beschädigung in der Regel keine Auswirkungen auf den Verkehrswert des
Grundstückes. Anders könnte es sich dagegen verhalten, wenn beispielsweise
alle auf einem Wohngrundstück stehenden Bäume gefällt oder massiv beschädigt
worden wären. Das in der Literatur erwähnte Beispiel des Grundstücks, das an
Wert gewinnt, weil die Zerstörung des Baumes die Überbaubarkeit zur Folge
hat, gehört ebenfalls in den Bereich der Extremfälle. Diese seltenen
Sachverhalte dürfen nicht rechtlich verallgemeinert werden, indem die Regel
aufgestellt wird, dass die Beschädigung oder Zerstörung eines Baumes nur
insoweit einen Vermögensschaden bilden kann, als sie den Verkehrswert des
Grundstückes mindert (gleicher Meinung Hausheer/Jaun, in ZBJV 2003 S. 44).
Massgebend ist vielmehr, welches Interesse der jeweilige Eigentümer an der
Wiederherstellung des früheren Zustandes hat. Darauf ist abzustellen, wenn
darüber zu entscheiden ist, ob die Beschädigung oder Zerstörung eines Baumes
als Vermögensschaden zu betrachten ist. Der vom Bundesgericht in ständiger
Rechtsprechung verwendete Schadensbegriff ist nicht ausschliesslich objektiv
zu verstehen, sondern enthält bereits aufgrund seiner historischen Wurzeln
eine subjektive, das Erhaltungsinteresse des Geschädigten berücksichtigende
Komponente (Honsell, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 3. Aufl., Zürich 2000,
S. 6 ff.; Honsell/Mayer-Maly/Sell, Römisches Recht, 4. Aufl., S. 224 Fn 4;
Roberto, Schadensrecht, Basel 1997, S. 11 ff.; Niklaus Lüchinger,
Schadenersatz im Vertragsrecht: Grundlagen und Einzelfragen der
Schadensberechnung und Schadenersatzbemessung, Diss. Freiburg 1999, S. 23
ff.). Diese subjektive Komponente erlaubt die Berücksichtigung der
Interessenlage des jeweiligen Eigentümers. Hat dieser ein sachliches
Interesse an der Unversehrtheit der zerstörten oder beschädigten Bäume, darf
das Vorliegen eines Vermögensschadens nicht mit der Begründung verneint
werden, die Zerstörung oder Beschädigung der Bäume habe den Verkehrswert des
Grundstücks nicht vermindert.

Lehre und Rechtsprechung betrachten denn auch übereinstimmend als
sachgerecht, dass sich die Schadensbestimmung im Fall der Zerstörung oder
Beschädigung von Bäumen grundsätzlich an den Kosten der Neuanpflanzung
orientieren soll (BGE 127 III 73 E. 4c; Roberto, a.a.O., S. 150; Alfred
Keller, Haftpflicht im Privatrecht, Band II, 2. Aufl., Bern 1998, S. 104 f.).
Bei solchen Sachverhalten steht der Anspruch des Geschädigten auf
Naturalrestitution bzw. deren Surrogat in Form des Ersatzes der
Wiederherstellungskosten im Vordergrund. Wird Geldersatz verlangt, tritt
dieser an die Stelle des Naturalersatzes. Der Geldersatz ist deshalb
unabhängig von einer allfälligen Vermögenseinbusse im Sinne des allgemeinen
Schadensbegriffes (Differenzhypothese) zu leisten (Lüchinger, a.a.O., S. 26
ff.). Die Naturalrestitution gewährleistet das Integritätsinteresse des
Geschädigten und ist am besten geeignet, den Ausgleichsgedanken zu
verwirklichen (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner
Teil, 3. Aufl., Wien 1997, S. 286).

Die Vorinstanz hat sich an die erwähnten Grundsätze gehalten. Die Rüge der
Beklagten, der angefochtene Entscheid verletze in diesen Punkten Bundesrecht,
erweist sich als unbegründet.

3.
Die Beklagte kritisiert im Weitern einzelne Punkte der Schadensberechnung der
Vorinstanz. Sie macht geltend, die Vorinstanz habe in Verletzung von
Bundesrecht den Klägern den Ersatzwert der gefällten Fichte zugesprochen,
obschon an deren Stelle Eiben gepflanzt worden seien. Ebenfalls gegen
Bundesrecht verstosse, dass die Vorinstanz Pflegekosten in der Höhe von Fr.
850.-- als zu ersetzenden Schaden betrachtet habe. Die Beklagte rügt in
diesem Zusammenhang, die Kausalkette zwischen der Beschädigung der beiden
Buchen und den vorgenommenen Pflegemassnahmen sei nicht urteilsmässig
erstellt.

3.1 Im Berufungsverfahren wird als Rechtsfrage geprüft, ob das Sachgericht
seinem Urteil einen zutreffenden Schadensbegriff zugrunde gelegt und den
Schaden nach zutreffenden Rechtsgrundsätzen berechnet hat. Gebunden ist das
Bundesgericht dagegen an die Feststellungen des Sachgerichts betreffend den
tatsächlichen Bestand und den Umfang des Schadens sowie den
Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und dem Schaden (BGE
128 III 22 E. 2d und E. 2e S. 26, je mit Hinweisen).

3.2 Nach dem angefochtenen Urteil sind den Klägern als Folge des
Zurückschneidens der beiden Buchen Pflegekosten von Fr. 850.-- entstanden.
Insoweit hat die Vorinstanz eine für das Bundesgericht verbindliche
tatsächliche Feststellung über den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen
dem Verhalten der Beklagten bzw. des von ihr beauftragten Gärtners und dem
Schaden sowie den daraus zu Lasten der Kläger erwachsenen Kosten getroffen.
Wenn die Beklagte vorbringt, die Kausalität sei nicht urteilsmässig erstellt,
da der Nutzen der den Klägern mit Fr. 850.-- in Rechnung gestellten
Pflegemassnahmen nicht feststehe, wendet sie sich in unzulässiger Weise gegen
verbindliche Feststellungen der Vorinstanz. Darauf kann nicht eingetreten
werden.

3.3
3.3.1
Wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, haben die Kläger anstelle der
gefällten Fichte mehrere Eiben angepflanzt. Den kantonalen Akten kann sodann
in Ergänzung des vorinstanzlich festgestellten Sachverhalts entnommen werden
(Art. 64 Abs. 2 OG), dass den Klägern für die Lieferung der vier Eiben
insgesamt Fr. 4'260.-- in Rechnung gestellt worden sind. Der Appellationshof
hat den Klägern nicht die tatsächlich aufgewendeten Wiederherstellungskosten
zugesprochen, sondern die vom Gutachter E.________ ermittelten Kosten von
insgesamt Fr. 2'886.--, die für die Anpflanzung eines gleichwertigen Baumes
im Jahre 1996 angefallen wären, bestehend aus den Kosten für die Beschaffung
eines gleichwertigen Baumes, die Anwuchspflege und die Wiederherstellung des
Vorzustandes.

3.3.2
Die Vorinstanz hat sich bei der Schadensberechnung an die in BGE 127 III 73
E. 5 niedergelegten Grundsätze gehalten. Danach sind vom Schädiger die Kosten
zu ersetzen, welche für die Entfernung des zerstörten Baumes, die
Neupflanzung eines gleichwertigen Ersatzbaumes, für allenfalls zusätzlich
erforderliche Pflegemassnahmen sowie für die Wiederherstellung der Umgebung
entstehen (E. 5g). Der Umstand, dass die Kläger die Fichte nicht durch einen
gleichartigen Baum, sondern durch vier - für einen höheren Betrag in Rechnung
gestellte - Eiben ersetzt haben, ändert nichts daran, dass sie einen Anspruch
auf Ersatz des Wertes der gefällten Fichte geltend machen können. Eine
Verletzung von Bundesrecht ist insoweit entgegen der mit der Berufung
vorgebrachten Rüge nicht ersichtlich.

4.
Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen. Dem Verfahrensausgang
entsprechend sind die Gerichtskosten der Beklagten aufzuerlegen (Art. 156
Abs. 1 OG). Diese hat die Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren zu
entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit
insgesamt Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. März 2003

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: