Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.346/2002
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4C.346/2002 /dxc

Urteil vom 14. Januar 2003

I. Zivilabteilung

Bundesrichterin und Bundesrichter Corboz, Präsident,
Klett und Nyffeler,
Gerichtsschreiber Gelzer.

X. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Stephan Breidenstein, Bahnhofplatz 9, Postfach 976, 8910 Affoltern
am Albis,

gegen

Z.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte.

Arbeitsvertrag; fristlose Kündigung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, Zivilrechtliche
Abteilung, vom 1. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (nachstehend: Kläger) arbeitete seit dem 24. Februar 1997
zunächst als Aushilfe und später als Presser bei der Z.________ AG
(nachstehend: Beklagte). Mit Schreiben vom 2. November 1999 kündigte die
Beklagte dem Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos. Sie begründete die
Kündigung damit, dass der Kläger am 30. Oktober 1999 auf dem Firmenplatz den
Angestellten A.________ angegriffen und verletzt habe, so dass dieser
ärztlich habe behandelt werden müssen. Mit Schreiben vom 5. November teilte
der Kläger der Beklagten mit, dass er die fristlose Kündigung als
missbräuchlich erachte und dagegen Einsprache erhebe. Zudem bot er an, das
Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die Klägerin hielt an der fristlosen
Kündigung fest.

B.
Am. 20. Juni 2000 belangte der Kläger die Beklagte beim Kantonsgericht des
Kantons Zug auf Zahlung von Fr. 12'545.30. Zur Begründung führte der Kläger
an, die fristlose Kündigung sei missbräuchlich, da kein wichtiger Grund
vorliege.   Entgegen der Darstellung der Beklagten treffe ihn an der
Auseinandersetzung mit A.________ keine Schuld, da dieser ihn angegriffen
habe und nicht umgekehrt. Zudem habe der Kläger A.________ nicht verletzt.
Die Beklagte schulde ihm daher den Lohn bis zum Ende der Kündigungsfrist vom
29. Februar 2000. In der Folge erhöhte der Kläger den eingeforderten Betrag
auf Fr. 24'161.50. Das Kantonsgericht folgte der Sachverhaltsdarstellung der
Beklagten und wies die Klage am 25. Februar 2002 ab. Eine dagegen erhobene
Berufung des Klägers wies das Obergericht des Kantons Zug am 1. Oktober 2002
ab. Es ging dabei in tatsächlicher Hinsicht davon aus, der Kläger habe am 30.
Oktober 1999 A.________ nach einer mündlichen Auseinandersetzung geschlagen
und ihm dadurch gemäss ärztlichen Berichten eine traumatische
Trommelfellperforation rechts und eine Prellung des Jochbeins verursacht. Der
Kläger habe sich nachträglich bei A.________ entschuldigt. Dennoch habe
dieser den Kläger verzeigt, weil er sich vor ihm gefürchtet habe.

C.
Der Kläger erhebt eidgenössische Berufung mit den Anträgen, das Urteil des
Obergerichts aufzuheben, die Klage gutzuheissen und ihm die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

Die Beklagte schliesst dem Sinne nach auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, wenn sie nicht
offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zustandegekommen (Art. 63 Abs. 2 OG) oder im Hinblick auf
den Tatbestand einer anwendbaren Sachnorm ergänzungsbedürftig sind (Art. 64
OG). Werden solche Ausnahmen geltend gemacht, so hat die Partei, welche den
Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, darüber genaue Angaben mit
Aktenhinweisen zu machen. Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass
entsprechende Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozesskonform
aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder
übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist; andernfalls gelten
die Vorbringen als neu und damit als unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c und d
OG; BGE 127 III 248 E. 2c; 126 III 59 E. 2a S. 65, je mit Hinweisen).

1.2 Gegen diese Vorschriften verstösst der Kläger, wenn er in seiner
Berufung, ohne eine der genannten Ausnahmen geltend zu machen, von den
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweicht. Dies gilt insbesondere
für die Behauptung, die bei A.________ festgestellten Verletzungen könnten
nicht vom Kläger stammen, da dieser jenen lediglich weggestossen habe.
Entgegen der Angabe des Klägers hat das Obergericht auch nicht festgestellt,
dass sich der Kläger nach dem Streit mit A.________ versöhnt hätte. Der
Kläger kann demnach nicht gehört werden, soweit er seine rechtlichen
Ausführungen auf diese tatsächlichen Behauptungen stützt.

2.
2.1 Das Obergericht führte dem Sinne nach aus, der Kläger habe durch die
Verletzung eines Mitarbeiters der Beklagten einen wichtigen Grund zur
fristlosen Kündigung gegeben, da durch Tätlichkeiten während der Arbeitszeit
der Betriebsfriede und der reibungslose Ablauf der Arbeit erfahrungsgemäss
schwerwiegend gestört würden. Dass der Kläger die Tat nicht während der
Arbeitszeit, sondern unmittelbar nach Arbeitsschluss begangen habe, ändere
nichts, da die Körperverletzung auf dem Betriebsgelände der Beklagten
zugefügt worden sei, auf dem sie für den Schutz der Arbeitnehmer
verantwortlich sei.

2.2 Der Kläger macht geltend, das Obergericht habe zu Unrecht einen wichtigen
Grund bejaht.

2.3 Aus wichtigen Gründen kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer jederzeit
das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen (Art. 337 Abs. 1 OR). Als wichtiger
Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden
nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr
zugemutet werden kann (Art. 337 Abs. 2 OR). Gemäss Rechtsprechung ist eine
fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des
Arbeitnehmers gerechtfertigt, welche einerseits objektiv geeignet sind, die
für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertragsgrundlage zu zerstören oder
zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die
Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und die anderseits auch
tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des
gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger
schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein
(BGE 121 III 467 E. 4d S. 472; 117 II 560 E. 3). Ob die dem Arbeitnehmer
vorgeworfenen Pflichtverletzungen die erforderliche Schwere erreichen,
entscheidet sich dabei nicht allgemein, sondern hängt von den Umständen des
Einzelfalles ab, insbesondere von der Stellung und Verantwortung des
Arbeitnehmers sowie von der Natur und Dauer des Vertragsverhältnisses (BGE
104 II 29 E. 1, mit Hinweisen). Tätlichkeiten gegenüber Mitarbeitern bilden
jedenfalls dann einen wichtigen Grund zur sofortigen Auflösung des
Arbeitsverhältnisses, wenn sie eine gewisse Schwere erreichen (Urteil des
BGer. 4P.70/1993 vom 21. Mai 1993 E. 4b). Dabei ist zu beachten, dass der
Arbeitgeber gemäss Art. 328 OR verpflichtet ist, die Persönlichkeit seiner
Arbeitnehmer zu schützen (vgl. BGE 127 III 351 E. 4b/dd S. 355 f.).

Über das Vorhandensein eines wichtigen Grundes entscheidet das Gericht nach
seinem Ermessen (Art. 337 Abs. 3 OR). Ermessensentscheide überprüft das
Bundesgericht an sich frei. Es übt aber Zurückhaltung und schreitet nur ein,
wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten
Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für
den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie
umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden
müssen. Es greift ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als
offensichtlich unbillig, das heisst als in stossender Weise ungerecht
erweisen (BGE 127 III 351 E. 4a S. 354; 126 III 223 E. 4a S. 227 f.).
2.4 Im Einzelnen bringt der Kläger vor, das Obergericht habe bei der
Beurteilung des wichtigen Grundes ausser Acht gelassen, dass gemäss
bundesgerichtlicher Rechtsprechung der Arbeitgeber bei einem Konflikt
zwischen zwei Angestellten nicht einfach einen der beiden Streitenden
fristlos entlassen könne, ohne vorher versucht zu haben, den Streit mit
anderen Mitteln als der fristlosen Kündigung beizulegen. Dies müsse
insbesondere dann gelten, wenn zweifelhaft sei, was sich tatsächlich
abgespielt habe.

Dieser Einwand ist unbegründet, da die Beklagte die Kündigung nicht wegen
eines andauernden Konflikts zwischen zwei Angestellten, sondern wegen eines
tätlichen Angriffs des Klägers auf einen Mitarbeiter gekündigt hat. Dieser
einseitige Angriff, welcher zu einer Körperverletzung führte, stand für die
Beklagte in tatsächlicher Hinsicht fest und konnte auch bewiesen werden.
Ebenso stand fest, dass sich der betroffene Mitarbeiter nach dem Angriff vor
dem Kläger fürchtete. Die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses konnte
daher der Beklagten nicht zugemutet werden, da sie verpflichtet war, den
Mitarbeiter vor dem Kläger zu schützen. Das Obergericht hat demnach das ihm
zustehende Ermessen nicht überschritten, wenn es den Angriff des Klägers als
wichtigen Grund im Sinne von Art. 337 Abs. 2 OR qualifizierte.

3.
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 343 Abs. 2 und 3 OR). Insoweit ist das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Es ist bezüglich der
Rechtsverbeiständung abzuweisen, weil die Berufung zum Vornherein
aussichtslos war (Art. 152 Abs. 1 OG). Der Beklagten ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen, da sie nicht anwaltlich vertreten ist (Art.
159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung wird abgewiesen.

2.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug,
Zivilrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Januar 2003

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: