Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.280/2002
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4C.280/2002 /rnd

Urteil vom 16. Mai 2003

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Boutellier.

X. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter
Bosshard, Seestrasse 135,
8027 Zürich,

gegen

Y.________ mbH
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Henzen,
Eisenbahnstrasse 41, Postfach 228, 9401 Rorschach.

Frachtvertrag; Frachtpreis,

Berufung gegen den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom
12. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Klägerin) ist Frachtagentin der Eisenbahnen der früheren
Sowjetunion und vertritt nach ihren eigenen Angaben über 30 verschiedene
Eisenbahngesellschaften. Die Y.________ mbH (Beklagte) ist ein
Speditionsunternehmen. Nach Angaben der Klägerin ist sie die grösste
Zuckerspediteurin Europas.

Am 1. März 1998 schloss die X.________-Group , vertreten durch die Klägerin
als Frachtagentin, mit der Beklagten als Spediteurin einen Vertrag für den
Transport von Waren in Containern durch die Eisenbahnen der früheren
Sowjetunion. Im Zusammenhang mit der Einführung eines neuen Internet/e-mail
Frachtraten-Abfragesystems schlossen die X.________-Group , wiederum
vertreten durch die Klägerin, und die Beklagte eine
"Geschäftsabwicklungsvereinbarung". Zudem war das seit 1996 in Kraft stehende
"harmonisierte Güterverzeichnis" (NHM) des internationalen Eisenbahnverbandes
zwischen den Parteien grundsätzlich anwendbar. Danach wird der Rohrzucker,
roh, unter der Tarifnummer 1701.11, der raffinierte Zucker oder Weisszucker
unter der Tarifnummer 1701.99 geführt.

Die russischen und weissrussischen Eisenbahnen führten in der Folge  für die
Beklagte ausschliesslich Frachten mit raffiniertem Zucker durch. Die
Eisenbahngesellschaften stellten der Beklagten dafür Rechnung nach
NHM-Tarif-Nr. 1701.99. Die Beklagte bezahlte jedoch die Frachtraten nach
Tarif Nr. 1701.11 mit der Begründung, das System habe nur diesen Tarif und
nicht denjenigen für raffinierten Zucker akzeptiert. Im Übrigen habe man
früher auch nie zwischen zwei Sorten Zucker unterschieden und solche
Unterscheidungen seien zwischen den Parteien nie besprochen und auch nie
vertraglich vereinbart worden.

B.
Nachdem sich die Parteien aussergerichtlich nicht hatten einigen können,
gelangte die Klägerin am 13. April 2000 an das Bezirksgericht  St. Gallen mit
dem Begehren, die Beklagte sei zur Bezahlung von Fr. 758'688.24 nebst Zins zu
verpflichten. Der Prozess wurde zuständigkeitshalber an das Handelsgericht
des Kantons St. Gallen überwiesen. In Abweisung einer Berufung der Beklagten
bestätigte das Bundesgericht am 7. August 2001 die Zuständigkeit des
Handelsgerichts St. Gallen.

Das Handelsgericht des Kantons St. Gallen wies die Klage mit Entscheid vom
12. Juni 2002 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei zwar
entgegen der Bestreitung der Beklagten an den eingeklagten Forderungen
aktivlegitimiert, aber die eingeklagten Differenzbeträge seien nicht
hinreichend substanziiert.

C.
Mit eidgenössischer Berufung vom 27. August 2002 stellt die Klägerin die
Anträge, das Urteil des Handelsgerichts St. Gallen vom 12. Juni 2002 sei
aufzuheben und die Klage sei vollumfänglich gutzuheissen; eventualiter sei
der Fall zur Durchführung eines Beweisverfahrens über die Höhe der am 25.
Oktober 1999 in Rechnung gestellten Differenzbeträge an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Die Klägerin rügt, die Vorinstanz habe ihre eingeklagte
Forderung, die in zwei Rechnungen ausgewiesen sei und sich wiederum aus 162
Einzelrechnungen ergebe, bundesrechtswidrig als nicht hinreichend
substanziiert abgewiesen.

D.
Die Beklagte schliesst in ihrer Antwort auf Abweisung der Berufung, soweit
darauf einzutreten sei. Zur Begründung schliesst sie sich der Begründung der
Vorinstanz in Bezug auf die unzureichende Substanziierung an, hält jedoch
ausserdem dafür, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert.

E.
Das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen wies am 22. Januar 2003 die
Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin gegen den Entscheid des Handelsgerichts
St. Gallen vom 12. Juni 2002 ab.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
In der Berufung sind Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen
Feststellungen richten, das Vorbringen neuer Tatsachen, neue Einreden,
Bestreitungen und Beweismittel, sowie Erörterungen über die Verletzung
kantonalen Rechts unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Soweit die Klägerin
neue Beweismittel ins Recht legt, ist darauf nicht einzutreten. Nicht
einzutreten ist ausserdem auf Rügen, welche die Anwendung kantonalen
Prozessrechts zum Gegenstand haben. Namentlich ist die Klägerin mit dem
Vorbringen nicht zu hören, sie sei seitens des Gerichts nie auf die angeblich
mangelnde Substanziierung hingewiesen worden.

2.
Wie weit die anspruchsbegründenden Tatsachen inhaltlich zu substanziieren
sind, damit sie unter die massgeblichen Bestimmungen des materiellen Rechts
subsumiert werden können, bestimmt das materielle Bundesrecht (BGE 127 III
365 E. 2b; 108 II 337 E. 2 und 3, je mit Hinweisen). Die jeweiligen
Anforderungen ergeben sich einerseits aus den Tatbestandsmerkmalen der
angerufenen Norm und anderseits aus dem prozessualen Verhalten der
Gegenpartei. Tatsachenbehauptungen müssen dabei so konkret formuliert sein,
dass ein substanziiertes Bestreiten möglich ist oder der Gegenbeweis
angetreten werden kann (BGE 127 III 365 E. 2b mit Hinweisen). Bestreitet der
Prozessgegner das an sich schlüssige Vorbringen der behauptungsbelasteten
Partei, kann diese gezwungen sein, die rechtserheblichen Tatsachen nicht nur
in den Grundzügen, sondern so umfassend und klar darzulegen, dass darüber
Beweis abgenommen werden kann (BGE 127 III 365 E. 2b mit Hinweisen; vgl. auch
Hausheer/Jaun, Die Einleitungsartikel des ZGB, Bern 2003, S. 272 N. 42 f. zu
Art. 8, 9 und 10). Dabei müssen die Sachvorbringen und Beweisangebote nach
kantonalem Prozessrecht form- und fristgerecht erfolgt sein (BGE 126 III 315
E. 4a; 114 II 289 E. 2a, je mit Hinweisen). Wo das Bundesrecht nichts
vorschreibt, bestimmt das kantonale Recht zudem, ob und wieweit die
Verhandlungsmaxime Platz greift (BGE 108 II 337 E. 2d mit Hinweisen). Das
kantonale Verfahrensrecht kann insbesondere vorschreiben, dass die zu
beweisenden Tatsachen konkret genannt werden und dass eine Ergänzung der
Substanziierung aufgrund des Beweisverfahrens nicht mehr zulässig ist (BGE
127 III 365 E. 2c mit Hinweisen).

2.1 Die Klägerin trifft für ihre vertragliche Forderung unbestritten die
Behauptungs- und Beweislast. Da sie hier den vertraglich vereinbarten Preis
für Transportleistungen fordert, hat sie insbesondere Art und Umfang der
geforderten Leistung bzw. die Höhe der geforderten Vergütung darzulegen und
im Bestreitungsfall zu beweisen (Kummer, Berner Kommentar, N 249 f. zu Art. 8
ZGB). Die Klägerin hat insofern nach den Feststellungen der Vorinstanz zwei
Rechnungen über USD 2'835.-- (kläg. act. 13) und über Fr. 754'165.-- (kläg.
act. 14) betreffend Tarifdifferenzen eingelegt, in denen für detaillierte
Angaben jeweils auf eine beiliegende Liste betreffend Rechnungen verwiesen
wird. In diesen Beilagen werden die Destinationen, die transportierten Mengen
sowie die Differenzbeträge aufgeführt. Diese Differenzbeträge betragen nach
den Feststellungen im angefochtenen Urteil pro Tonne zwischen USD 2.70 und
3.-- bzw. zwischen Fr. 3.-- und 23.--, ohne dass ein Zusammenhang zwischen
der transportierten Menge und der Höhe des Differenzbetrags ersichtlich wäre,
und ohne dass die Art der Berechnung der einzelnen Differenzbeträge von der
Klägerin in der Klage oder der Replik ausgewiesen würde. Eine
nachvollziehbare Berechnung der eingeklagten Differenzbeträge vermochte die
Vorinstanz auch nach dem "harmonisierten Güterverzeichnis" (kläg. act. 6)
nicht auszuführen, und die "Bedienungsanleitung Internetsystem" (kläg. act.
19) sei nach den eigenen Ausführungen der Klägerin nicht massgebend, da der
automatische Abruf über Internet einstweilen nicht zur Verfügung stand.

2.2 Die Klägerin gesteht in ihrer Berufung ein, dass allenfalls der
Rechnungsfaktor "Frachttarif neu" (Tarif Nr. 1701.99 "raffinierter Zucker")
der Erläuterung bedürfe. Sie bemerkt, der jeweilige Frachttarif für ein
bestimmtes Transportgut ergebe sich durch Multiplikation eines
Grundfrachttarifes, d.h. einer Tarifrahmen-Ratenvorgabe, mit verschiedenen
Koeffizienten; der Grundfrachttarif ergebe sich, wie bereits in der Replik
ausgeführt, aus der Tarifrahmen-Ratenvorgabe, den sog. "Tarifangaben", die
der Beklagten durch den sog. Abgangsaviso sowie die (falsch abgefragte)
Offerte der Klägerin in jedem Einzelfall vorgelegen hätten, die sich
ihrerseits aus den der Beklagten als der bedeutendsten Zuckerspediteurin
Europas selbstverständlich vorliegenden "MTT-Tarifen" ergeben hätten. Die
Koeffizienten ergeben sich nach den klägerischen Vorbringen in der Berufung
insbesondere aus den Tarifpolitiken. Die Koeffizienten seien je nach
Teilstrecken variabel, jedoch mittels der Angaben aus den Tarifpolitiken
jederzeit nachvollziehbar. Die Klägerin behauptet, sie habe diese
Tarif-Koeffizienten form- und fristgerecht ins Recht gelegt und beruft sich
insbesondere auf ihre Replik S. 9 und kläg. act. 21 - 23. Am zitierten Ort
führt die Klägerin aus, sie biete verbindliche Tarifquotierungen für
Eisenbahntransportdienstleistungen der GUS-Eisenbahnen an und es bestehe für
die total 30 Eisenbahngesellschaften der 12 GUS-Republiken eine
Tarif-Rahmenpolitik, welche veröffentlicht werde. Innerhalb dieser
Tarif-Rahmenpolitik könnten die einzelnen Eisenbahngesellschaften die
Tarifhöhe für von ihnen ausgesuchte Warengattungen mittels Anwendung von
Koeffizienten auf die Tarifrahmen-Ratenvorgaben variieren, und damit auf
volkswirtschaftliche Erfordernisse flexibel reagieren.

2.3 Der Schluss der Vorinstanz, dass aufgrund der form- und fristgerechten
Angaben der Klägerin die eingeklagten Differenzbeträge nicht nachvollziehbar
berechnet werden können, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere ist die Behauptung der Klägerin nicht verständlich, dass die -
variierbaren - Koeffizienten mittels der Angaben aus den als Replikbeilagen
eingereichten Tarifpolitiken jederzeit nachvollziehbar seien. Wie dieser
Nachvollzug zu bewerkstelligen sei, ergibt sich weder aus den Ausführungen in
der Replik, auf die sich die Klägerin bezieht, noch aus den als Beilagen 22
und 23 ins Recht gelegten Tarifpolitiken. Aus den fristgerecht vorgebrachten
Behauptungen der Klägerin geht nicht hervor, wie sie die von ihr eingeklagten
Differenzbeträge errechnen. Die Vorinstanz hat ohne Verletzung von
Bundesrecht die Klage als nicht hinreichend substanziiert abgewiesen. Dass
die Vorinstanz bei dieser Sachlage kein Beweisverfahren durchgeführt hat,
verletzt Art. 8 ZGB nicht.

3.
Die Berufung ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die
Gerichtsgebühr ist diesem Verfahrensausgang entsprechend der Klägerin
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Die Klägerin hat der Beklagten deren
Parteikosten zu ersetzen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Gerichtsgebühr und
Parteientschädigung bemessen sich nach dem Streitwert.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 9'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit  Fr.
10'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Mai 2003

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: