Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.276/2002
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4C.276/2002 /dxc

Sitzung vom 10. Dezember 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Nyffeler,
Gerichtsschreiber Mazan.

X. ________ GmbH,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Damian Keel, Postfach 2040, 9001 St. Gallen,

gegen

A.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael
Hüppi, Marktplatz 4, Postfach, 9004 St. Gallen.

Zahlungsversprechen,

Berufung gegen den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom
3. Juli 2002.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ GmbH (Klägerin) mit Sitz in Annaberg-Buchholz (D) produziert
u.a. Briefumschläge. Eine ihrer Kundinnen war die A.________ AG (Beklagte)
mit Sitz in St. Gallen. Am 13. Juli 2000 ging die Bank C.________ St. Gallen
zu Gunsten der Klägerin eine bis am 12. Juli 2001 befristete
Solidarbürgschaft über DEM 500'000.-- für Verpflichtungen der Beklagten aus
"Papierlieferungen" ein.
Am 3. Juli 2001 machte die Klägerin gegenüber der Bank C.________ geltend,
dass sich ihre Gesamtforderung gegen die Beklagte auf DEM 874'628.75 belaufe,
und forderte die Honorierung der Bürgschaft. Mit Schreiben vom 23. Juli 2001
verweigerte die Bank C.________ gestützt auf Art. 502 OR die Zahlung unter
Hinweis auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verrechnung.
Nach Darstellung der Klägerin soll sich ihre Forderung bis Ende August 2001
auf DEM 907'138.44 erhöht haben. Am 21. September 2001 einigten sich die
Parteien darauf, ihre gegenseitigen Geschäftsbeziehungen zu beenden und die
Begleichung der Ausstände einvernehmlich zu regeln. Die entsprechende
Vereinbarung vom 21. September 2001 enthält u.a. folgende Regelungen:
"2. Die [Beklagte] verpflichtet sich, der [Klägerin] innert 10 Tagen seit
Unterzeichnung dieser Vereinbarung DEM 490'000.00 zu bezahlen.
[...]
3. Die Bank C.________, St. Gallen, ist zu Gunsten der [Klägerin] eine
Solidarbürgschaft über DEM 500'000.00 für die richtige Erfüllung von
Verpflichtungen der [Beklagten] aus Papierlieferungen eingegangen.
Nach Erhalt eines bedingungslosen und unwiderruflichen Zahlungsversprechens
der Bank C.________ über DEM 490'000.00 zu Gunsten der [Klägerin] wird diese
der [Beklagten] die originale Bürgschaftsurkunde Zug um Zug aushändigen.

7.  Sollte die Zahlung der [Beklagten] gemäss Ziff. 2 nicht fristgerecht
erfolgen, so fällt diese Vereinbarung mit Ausnahme von Ziff. 1 vollumfänglich
dahin. Die [Beklagte] anerkennt in diesem Fall vorbehaltlos und unter
Verzicht auf jegliche Einreden und Einwendungen, der [Klägerin] aus der
gegenseitigen Geschäftsbeziehung insgesamt DEM 907'138.44 zu schulden."
Am 1. Oktober 2001 stellte die Bank C.________ zu Handen der Klägerin unter
Bezugnahme auf die Vereinbarung vom 21. September 2001 ein unwiderrufliches
Zahlungsversprechen mit folgendem Wortlaut aus:
"Im Auftrag der [Beklagten] bestätigen wir [...] hiermit unwiderruflich zu
Handen der [Klägerin], dass wir mit Valuta 1. Oktober 2001 den Betrag von DEM
490'000.00 an die [Klägerin] vergüten werden, sofern die [Beklagte] ihre
Verpflichtung, der [Klägerin] bis zum 1. Oktober 2001 zu bezahlen, nicht
fristgerecht nachgekommen ist. [...] Die Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt,
dass Sie uns die Bürgschaftsverpflichtung vorgängig aushändigen und uns
bestätigen, dass keinerlei weitere Rechtsansprüche aus dieser geltend gemacht
werden."
Der Vertreter der Klägerin nahm gleichentags, d.h. am 1. Oktober 2001, das
Zahlungsversprechen mit dem Vermerk "Schreiben erhalten, St. Gallen
1.10.2001" entgegen. Im Gegenzug wurde die Solidarbürgschaftsverpflichtung
ausgehändigt. Ebenfalls am 1. Oktober 2001 veranlasste die Bank C.________
die Zahlung von DEM 490'000.00 auf das Konto der Klägerin bei der Bank
D.________ in Chemnitz (D).
Am 2. Oktober 2001 teilte die Klägerin der Beklagten unter Hinweis auf einen
Kontoauszug bei der Bank D.________ vom 1. Oktober 2001 mit, die Zahlung von
DEM 490'000.00 sei bis zum 1. Oktober 2001 nicht bei ihr eingegangen. Die
Frist gemäss Ziff. 2 der Vereinbarung vom 21. September 2001 sei somit nicht
eingehalten. Gleichzeitig berief sie sich gegenüber der Bank C.________ auf
das von dieser am Vortag abgegebene Zahlungsversprechen und forderte gestützt
darauf Zahlung. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2001 verlangte die Klägerin von
der Beklagten gestützt auf Ziff. 7 der Vereinbarung vom 21. September 2001
die Bezahlung von DEM 907'138.44 abzüglich des - nach Darstellung der
Klägerin verspätet eingegangenen - Betrages von DEM 490'000.00, d.h. DEM
417'138.44. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2001 lehnte die Beklagte diese
Forderung mit der Begründung ab, der Betrag von DEM 490'000.00 sei
rechtzeitig bezahlt worden. Sie berief sich auf eine Bestätigung der Bank
C.________, wonach diese gemäss ihrem unwiderruflichen Zahlungsversprechen
vom 1. Oktober 2001 "fristgerecht mit kompensierter Valuta am 1. Oktober
2001" den Betrag von DEM 490'000.00 überwiesen habe.

B.
Mit Klage vom 12. November 2001 beantragte die Klägerin dem Handelsgericht
des Kantons St. Gallen im Wesentlichen, die Beklagte zu verpflichten, CHF
315'168.27 (entsprechend DEM 417'138.44) zuzüglich Zins zu 5 % seit 16.
Oktober 2001 zu bezahlen. Die Beklagte schloss auf Abweisung der Klage.
Mit Entscheid vom 3. Juli 2002 wies das Handelsgericht des Kantons St. Gallen
die Klage ab.

C.
Mit Berufung vom 10. September 2002 beantragt die Klägerin dem Bundesgericht,
der Entscheid des Handelsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 3. Juli 2002
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin CHF 315'168.27
zuzüglich Zins zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Handelsgericht hat im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die Beklagte
ihre Verpflichtung aus Ziff. 2 der Vereinbarung vom 21. September 2001
grundsätzlich nur dann rechtzeitig erfüllt hätte, wenn der Betrag von DEM
490'000.-- spätestens am 1. Oktober 2001 auf dem Konto der Klägerin
gutgeschrieben worden wäre. Im vorliegenden Fall sei aber selbst dann
rechtzeitig erfüllt worden, wenn die Zahlung erst am 2. Oktober 2001
eingegangen sein sollte. Die Klägerin habe nämlich am 1. Oktober 2001 ein
unwiderrufliches Versprechen der Bank C.________ zur Zahlung von DEM
490'000.-- mit Valuta am 1. Oktober 2001 entgegengenommen. Aufgrund dieses
Zahlungsversprechens habe die Beklagte davon ausgehen können, dass für die
Einhaltung der Frist die Valutierung am 1. Oktober 2001 entscheidend sei und
nicht die Gutschrift auf dem Konto der Klägerin.
Die Klägerin hält diese Interpretation für unzutreffend. Die Meinung der
Vorinstanz, sie habe durch konkludentes Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass
sie die Zahlung als rechtzeitig akzeptiere, wenn diese am 1. Oktober 2001
veranlasst und rückwirkend auf den 1. Oktober 2001 valutiert werde, sei nicht
zutreffend.

2.
Im hier zu beurteilenden Fall liegt insofern ein internationaler Sachverhalt
vor, als die Parteien ihren Sitz in Deutschland bzw. der Schweiz haben.
Entsprechend der Rechtswahl der Parteien zur Vereinbarung vom 21. September
2001 ist Schweizer Recht anwendbar (Art. 116 Abs. 1 IPRG).

3.
Die Vereinbarung der Parteien vom 21. September 2001 sieht als Kern die
Verpflichtung der Beklagten vor, der Klägerin bis am 1. Oktober 2001 DEM
490'000.-- zu bezahlen (Ziff. 2). Die Modalitäten der Erfüllung können von
den Parteien autonom bestimmt werden. Wenn nicht feststeht, ob sich die
Parteien in Bezug auf die Erfüllungsmodalitäten tatsächlich richtig
verstanden haben, ist durch Auslegung nach dem Vertrauensprinzip zu
bestimmen, welcher Sinn der Vereinbarung zukommt.

3.1 Im vorliegenden Fall ist die Vereinbarung vom 21. September 2001 so zu
verstehen, dass die Beklagte die Wahl hatte (Art. 72 OR), ihre Verpflichtung
einerseits mit einer eigenen Zahlung zu erfüllen. Andrerseits sah der
Vergleich aber auch die Möglichkeit vor, durch ein unwiderrufliches
Zahlungsversprechen seitens der Bank C.________ zu erfüllen, wobei in diesem
Fall die Entgegennahme des Zahlungsversprechens vermutungsweise nur
erfüllungshalber, das heisst unter Vorbehalt der Einlösung (Art. 467 Abs. 1
OR), erfolgte (BGE 119 II 227 E. 2a S. 230 m.w.H.).
3.2 In Bezug auf die erste Tilgungsvariante - die Erfüllung durch eine eigene
Zahlung - war in Ziff. 2 des Vergleichs klar vereinbart, dass die Zahlung bis
spätestens am 1. Oktober 2001 vorgenommen werden musste. Hinsichtlich der
zweiten Tilgungsvariante - Übergabe eines unwiderruflichen
Zahlungsversprechens seitens der Bank C.________ - wurde eine entsprechende
Frist nicht ausdrücklich vereinbart. Immerhin ergibt sich aus der
Resolutivbedingung in Ziff. 7 des Vergleichs, dass bei verspäteter Erfüllung
ebenfalls die Ablösung der Solidarbürgschaft durch ein Zahlungsversprechen
dahin fallen sollte. Auch die Abgabe des Zahlungsversprechens war somit
fristgebunden.

3.3 Damit stellt sich die Frage, ob bei der Wahl der zweiten Tilgungsvariante
bereits die Abgabe des Zahlungsversprechens fristwahrend sein sollte oder
erst die gestützt darauf erfolgte Überweisung bzw. die Gutschrift auf dem
Konto der Klägerin. Der objektiv zu verstehende Vertragstext lässt beide
Auslegungen zu. Dagegen deuten die Umstände der Abwicklung klar darauf hin,
dass mit der Übergabe des auf den 1. Oktober 2001 valutierten
Zahlungsversprechens der Vergleich erfüllt wurde. Entscheidend ist in diesem
Zusammenhang, dass die Bank C.________ die Wertstellung der Gutschrift auf
den Fälligkeitstermin der Vergleichsschuld legte. Bereits mit der Abgabe des
Zahlungsversprechens bestand somit für die Klägerin Gewähr dafür, dass der
Betrag ab Valutierung am 1. Oktober 2001 verzinst wurde (BGE 124 III 112 E.
2a S. 117 m.w.H.) und dass sie insofern wirtschaftlich gleich gestellt war
wie bei fristgerechter Barzahlung. Auch der Umstand, dass das
Zahlungsversprechen nur unter dem Vorbehalt des Zahlungsverzugs der Beklagten
- d.h. der nicht rechtzeitigen Zahlung - abgegeben wurde, ändert nichts
daran, dass bereits die Übergabe des Zahlungsversprechens fristwahrend
wirkte. Die Klägerin hat das Zahlungsversprechen der Bank C.________
entgegengenommen und damit nach dem Vertrauensprinzip auch akzeptiert, dass
das Versprechen nur unter dem Vorbehalt abgegeben wurde, dass die Beklagte
ihrer Zahlungspflicht nicht rechtzeitig nachkomme.

3.4 Die Willenserklärung der Bank C.________ konnte daher nach Treu und
Glauben nicht anders denn als Angebot der vergleichskonformen Leistung
verstanden werden, zumal die Bank C.________ andernfalls keinen Anlass gehabt
hätte, die Zahlung auf den 1. Oktober 2001 zu valutieren. Auf jeden Fall
bestand dazu gemäss dem Text der Vereinbarung vom 21. September 2001 keine
Verpflichtung. Da die Erklärung von der Klägerin in ihrem Wortlaut
vorbehaltlos akzeptiert wurde, willigte diese nach dem Vertrauensprinzip
darin ein, dass mit dem Zahlungsversprechen vorbehältlich dessen Einlösung
die Vergleichsschuld der Beklagten getilgt werde, auch wenn die Zahlung der
Bank C.________ erst nach dem Fälligkeitstermin gutgeschrieben, jedoch auf
diesen valutiert wurde. Die Entgegennahme des Zahlungsversprechens erfolgte
erfüllungshalber. Folglich trat die Tilgung mit der Einlösung des
Zahlungsversprechens bzw. der Gutschrift von DEM 490'000.-- auf dem Konto der
Klägerin, Valuta am 1. Oktober 2001, ein. Damit war der Vergleich erfüllt und
die Resolutivbedingung gemäss Ziff. 7 des Vergleichs ausgefallen.

4.
Im Übrigen erscheint der von der Klägerin im vorliegenden Verfahren
eingenommene Standpunkt auch rechtsmissbräuchlich. Nach Treu und Glauben
durfte die Klägerin das ihr für den Fall des Schuldnerverzugs
erfüllungshalber angebotene Zahlungsversprechen nur entgegennehmen, wenn sie
damit dessen Rechtsgrund - das heisst die Vereinbarung vom 21. September 2001
- nicht in Frage stellte. Die Entgegennahme des Zahlungsversprechens
begründete damit bei der Beklagten und der Bank C.________ einen
entsprechenden Vertrauensschutz. Mit ihrem später eingenommenen Standpunkt,
mit dem Schuldnerverzug sei der Rechtsgrund des Vergleichs dahingefallen, die
Vergleichsforderung somit nicht getilgt, setzt sich die Klägerin zu ihrem
eigenen Verhalten in unzulässigen Widerspruch und handelte damit
rechtsmissbräuchlich (Hans Merz, Berner Kommentar, N. 431 ff., insbes. N. 440
zu Art. 2 ZGB). Widersprüchlich ist das Verhalten der Klägerin auch insoweit,
als sie am 2. Oktober 2001 gegenüber der Bank C.________ die Zahlung aus dem
Zahlungsversprechen verlangte. Wenn nämlich nicht rechtzeitig am 1. Oktober
2001 erfüllt worden wäre, wäre der Vergleich gemäss Ziff. 7 integral dahin
gefallen. Auch insofern verdient das widersprüchliche und damit
rechtsmissbräuchliche Vorgehen der Klägerin keinen Rechtsschutz.

5.
Die Vorinstanz hat die Klage somit zumindest im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Die Berufung ist abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Klägerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Handelsgerichtes des
Kantons St. Gallen vom 3. Juli 2002 bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 7'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
8'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Dezember 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: