Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.26/2002
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4C.26/2002/bmt

              I.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                       11. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter,
Präsident, Klett, Nyffeler und Gerichtsschreiber Huguenin.

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                         In Sachen

1. S.________ AG,
2. A.________ AG,
Beklagte und Berufungsklägerinnen, vertreten durch Rechts-
anwalt Dr. Martin Hitz, Schweizerhofquai 2, Postfach,
6002 Luzern,

                           gegen

C.________ Inc.,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Thierry Calame, dieser substituiert durch Rechtsanwalt
Dr. Martin J. Lutz, Lenz & Staehelin Rechtsanwälte, Blei-
cherweg 58, 8027 Zürich,

                         betreffend
                        Patentrecht,

hat sich ergeben:

     A.- Die C.________ Inc. mit Sitz in den USA (Klägerin)
befasst sich mit der Herstellung und dem Verkauf von techni-
schen Systemen, mit welchen Ladendiebstähle verhindert wer-
den sollen. Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Pa-
tents EP 0 285 559 und besitzt die Rechte am Schweizer Pa-
tent CH Nr. 669 858. Beide Patente haben Resonanzetiketten
zum Gegenstand, die für die Diebstahlsicherung von Waren
verwendet werden. Die Sicherheitssysteme der Klägerin beru-
hen auf der Radiofrequenztechnologie. Diese Technologie wird
so eingesetzt, dass am Ausgang der Verkaufsfläche zwischen
zwei bügelartigen Antennen eine Kontrollzone eingerichtet
wird, die von der Kundschaft passiert werden muss. Die Vor-
richtung löst einen Alarm aus, wenn die auf den Waren ange-
brachten Resonanzetiketten nicht an der Kasse elektronisch
desaktiviert worden sind.

        Die S.________ AG mit Sitz in X.________ (Beklagte
1) ist eine Tochtergesellschaft der in den USA ansässigen
E.________ Ltd., welche sich ebenfalls mit Ladendiebstahl-
Sicherheitssystemen befasst. Die Beklagte 1 vertreibt zum
Teil auch Systeme und Etiketten, welche die Radiofrequenz-
technologie verwenden. Die A.________ AG mit Sitz in
Y.________ (Beklagte 2) arbeitet in Teilbereichen eng mit
der Beklagen 1 zusammen. Die von der Beklagten 2 hergestell-
ten und vertriebenen Resonanzetiketten sind mit den Sicher-
heitssystemen der Klägerin kompatibel.

     B.- Am 21. April 1998 reichte die Klägerin beim Kan-
tonsgericht des Kantons Zug Klage ein. Sie stellte die
Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass die Beklagten
ihre beiden Patente verletzten; zudem sei den Beklagten zu

verbieten, in der Schweiz patentverletzende Handlungen zu
begehen; sodann sollten die patentverletzenden Etiketten
bei den Beklagten beschlagnahmt und anschliessend vernichtet
werden. Schliesslich stellte die Klägerin die Anträge, die
Beklagten seien zur Auskunfterteilung zu verpflichten und
sie selbst sei als befugt zu erklären, das Urteilsdispositiv
in bestimmten Zeitungen auf Kosten der Beklagten zu veröf-
fentlichen.

        Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage
und erhoben Widerklage auf Feststellung der Nichtigkeit der
beiden Patente der Klägerin.

     C.- Mit Teilurteil vom 29. November 2001 stellte das
Kantonsgericht fest, dass die Beklagten mit der Herstellung
und dem Vertrieb der von der Klägerin beanstandeten Etiketten
deren Patente verletzten (Dispositivziffer 1), verbot den
Beklagten entsprechende patentverletzende Handlungen (Zif-
fer 2), wies das Begehren der Klägerin auf Einziehung und
Vernichtung ab (Ziffer 3), verpflichtete die Beklagten zur
Auskunfterteilung (Ziffer 4) und wies deren Widerklage ab
(Ziffer 5). In Ziffer 6 und 7 wurden die Gerichts- und Par-
teikosten geregelt und in Ziffer 8 der Klägerin Frist zur
Einreichung einer Replik angesetzt.

     D.- Mit Berufung beantragen die Beklagten dem Bundesge-
richt, das Teilurteil des Kantonsgerichts in den Ziffern 1,
2 und 4-8 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuwei-
sen; zudem sei die Nichtigkeit der Patente der Klägerin
festzustellen. In prozessualer Hinsicht stellen sie den An-
trag, das Bundesgericht habe gestützt auf Art. 67 Ziff. 1
OG einen neuen Sachverständigen zu bestellen, der zur Frage
der Gültigkeit des Schweizer Patents Nr. 669 858 sowie des

schweizerischen Teils des Europäischen Patents EP 02 85559
und zur Frage der Benutzung dieser beiden Patente durch die
Beklagten Stellung nehmen soll, wobei ihm die Expertenfragen
gemäss Verfügung des Kantonsgerichts vom 24. November 1999
vorgelegt werden.

        Die Klägerin beantragt, den prozessualen Antrag der
Beklagten und deren Berufung abzuweisen, soweit darauf ein-
getreten werden könne.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Teilurteile sind mit Berufung selbständig anfecht-
bar, wenn die davon erfassten Begehren zum Gegenstand eines
gesonderten Prozesses hätten gemacht werden können und deren
Beurteilung für den Entscheid über die verbleibenden Begeh-
ren präjudiziell ist (BGE 124 III 406 E. 1a S. 409; 123 III
140 E. 2a). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, wird
doch die Gültigkeit der beiden Patente der Klägerin sowie
deren Verletzung durch die Beklagten im angefochtenen Urteil
festgestellt und werden die Beklagten im Blick auf die von
der Klägerin wahlweise beantragte Gewinnherausgabe zur Aus-
kunfterteilung verpflichtet.

     2.- Die Vorinstanz ist gestützt auf das gerichtliche
Gutachten zum Ergebnis gelangt, dass die beiden Patente der
Klägerin gültig seien und die Beklagten mit ihren Etiketten
diese Patente verletzten, indem sie das Europäische Patent
direkt beanspruchten und zudem in den Schutzbereich des
Schweizer Patents eingriffen. Die Beklagten ersuchen unter

Berufung auf Art. 67 Ziff. 1 OG um Bestellung eines neuen
Sachverständigen, welcher die Frage der Gültigkeit und der
Verletzung der Patente neu zu begutachten hätte.

        a) Die Sondervorschrift von Art. 67 Ziff. 1 OG gibt
dem Bundesgericht die Möglichkeit, die tatsächlichen Fest-
stellungen der kantonalen Instanz über technische Verhält-
nisse im Berufungsverfahren zu überprüfen und zu diesem
Zweck die erforderlichen Beweismassnahmen zu treffen. Eine
Überprüfung rechtfertigt sich jedoch nach ständiger Praxis
nur, wenn die vorinstanzlichen Feststellungen ernsthaften
Zweifeln unterliegen, insbesondere wenn sie unklar oder
widersprüchlich sind oder auf irrtümlichen Überlegungen
beruhen, weil die Vorinstanz oder der im kantonalen Ver-
fahren beigezogene Sachverständige von falschen Rechtsbe-
griffen ausgegangen sind oder die technischen Fragen nicht
richtig gestellt haben (4C.280/1998 vom 9. Dezember 1998,
E. 2a, abgedruckt in sic! 1999 294; 4C.188/1988 vom 17. No-
vember 1989, E. 2a, abgedruckt in SMI 1990, 133 ff; BGE 120
II 312 E. 3b S. 315; 114 II 82 E. 2a S. 85).

        b) Die Beklagten beanstanden zu Unrecht, dass die
Vorinstanz die Erwägungen des gerichtlich bestellten Gutach-
ters übernommen hat, ohne diese mit eigenen Worten nachzu-
vollziehen. Wenn das Gericht die Erwägungen des Gutachters
als überzeugend erachtet, kann es sich mit dem Verweis da-
rauf begnügen. Dies trifft entgegen der Ansicht der Beklag-
ten insbesondere auch in Bezug auf die Beantwortung der Er-
gänzungsfragen zu. Dort hat der Gutachter durchwegs zutref-
fend den Unterschied zwischen der Prüfung der erfinderischen
Tätigkeit im Blick auf die Gültigkeit des Schweizer Patentes
einerseits und des Schutzbereichs im Blick auf die Benut-
zung des Patents mit äquivalenten Mitteln (Nachahmung) er-
läutert.

        c) Im angefochtenen Urteil wird festgehalten, die
Beklagten hätten im Schlusssatz zum Ergänzungsgutachten
nicht substanziiert Stellung genommen. Zudem wird darauf
hingewiesen, dass die Beklagten - sofern sie aus dem neu
ins Recht gelegten US-Patent 3 476 979 tatsächlich etwas
Substanzielles hätten ableiten wollen - dem Experten weitere
Ergänzungsfragen hätten stellen können. Die Rüge der Beklag-
ten, dies sei prozessual nicht mehr möglich gewesen, ist im
vorliegenden Verfahren nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG). Wäre den Beklagten aber möglich gewesen, dem Gerichts-
experten zusätzliche Ergänzungsfragen zu stellen, können sie
aus dem Umstand nichts zu ihren Gunsten ableiten, dass sie
dies unterlassen haben. Zweifel an der Schlüssigkeit des
Gutachtens ergeben sich entgegen der Ansicht der Beklagten
auch nicht daraus, dass dieser nach dem von ihm berücksich-
tigten Stand der Technik nirgends das bewusste Vorsehen
eines Loches im Dielektrikum zur Reduktion der erforderli-
chen Durchschlagskraft vorgegeben sah. Die Beklagten legen
nicht einmal im Ansatz dar, inwiefern dem Fachmann hätte
nahe liegen sollen, für die patentgemässe Aufgabe des Euro-
päischen Patents die Lösung der unbestritten keine Resonanz-
etikette betreffende US-PS 3 476 979 aufzufinden. Die Aus-
führungen des Gerichtsexperten zur Gültigkeit der Streit-
patente erwecken keine ernsthaften Zweifel, welche eine
technische Überprüfung gemäss Art. 67 Ziff. 1 OG zu ver-
anlassen vermöchten.

        d) Der Gerichtsgutachter hat die Verletzung der
Streitpatente durch die Ausführung der Resonanzetiketten
der Beklagten bejaht. Er hat insbesondere dargelegt, dass
ohne Bedeutung ist, ob die Stelle verminderter Durchschlag-
festigkeit bei den beklagtischen Etiketten durch Ausbrennen
oder mechanisch - durch Eindrücken mit einem Stössel - er-
folgt. In dieser Hinsicht hat er zutreffend festgehalten,
dass das Schweizer Patent keinen Verfahrensanspruch defi-

niert, sondern das fertige Produkt. Er hat überdies betref-
fend das Europäische Patent durchaus nachvollziehbar fest-
gestellt, dass die Sollkurzschlussstrecke von wenigstens
einem durchgehenden Schnitt oder Loch der Isolierschicht
gebildet wird. Das Merkmal "sehr enger Spalt" führt daher
entgegen der Ansicht der Beklagten nicht aus dem Schutz-
bereich dieses Patentes hinaus. Dass schliesslich der An-
spruch 1 des Schweizer Patents vom Handelsgericht Zürich
eingeschränkt worden ist, bedeutet entgegen der Ansicht der
Beklagten nicht, dass der Schutzbereich des eingeschränkten
Patents nicht in Anwendung von Art. 66 lit. a PatG nach den
üblichen Methoden definiert werden darf. Die Rügen der Be-
klagten, welche auf dieser unzutreffenden Ansicht beruhen,
sind unbehelflich. Ihre Vorbringen vermögen auch in Bezug
auf die Verletzungsfrage keine erheblichen Zweifel an den
Erwägungen der Vorinstanz, die sich im Wesentlichen auf die
Schlussfolgerungen des Gutachters stützen, zu wecken.

     3.- Ein zusätzliches Sachverständigengutachten ist
mangels ernsthafter Zweifel am erstinstanzlichen Gerichts-
gutachten, auf das die Vorinstanz ihren Entscheid gestützt
hat, nicht anzuordnen. Damit sind die von den Beklagten
gegen das angefochtene Urteil erhobenen einzelnen Rügen und
auch die Berufung insgesamt als unbegründet abzuweisen.

        Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die
Gerichtsgebühr den Beklagten unter solidarischer Haftbar-
keit aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 7 OG). Sie haben die
Klägerin - ebenfalls unter solidarischer Haftbarkeit - für
das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159
Abs. 1, 2 und 5 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Teilurteil
des Kantonsgerichts des Kantons Zug vom 29. November 2001
bestätigt.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 10'000.-- wird den
Beklagten unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

     3.- Die Beklagten haben die Klägerin unter solidari-
scher Haftbarkeit mit Fr. 12'000.-- für das bundesgericht-
liche Verfahren zu entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantons-
gericht (3. Abteilung) des Kantons Zug schriftlich mitge-
teilt.

                       ______________

Lausanne, 11. April 2002

               Im Namen der I. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:           Der Gerichtsschreiber: