Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.248/2002
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4C.248/2002 /rnd

Urteil vom 13. Dezember 2001

I. Zivilabteilung

Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________ AG,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Heinz Ottiger,
Denkmalstrasse 2, Postfach 6453, 6000 Luzern 6,

gegen

Stiftung Y.________,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher
Dr. Marco Gruber, Lidostrasse 6, 6000 Luzern 15.

Mietvertrag; Ausweisung und Kündigungsanfechtung,

Berufung gegen den Entscheid des 0bergerichts des Kantons Luzern, I. Kammer
als Rekursinstanz, vom 31. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
Die Stiftung Y.________ (Klägerin) ist Eigentümerin der Liegenschaft
Z.________. Am 9. April 1999 schloss sie mit der X.________ AG (Beklagte)
einen Mietvertrag über folgende Mietobjekte in der genannten Liegenschaft ab:
Büro im ersten Obergeschoss, Business-Suite 1 und 2 im zweiten Obergeschoss,
Business-Suite 3 im dritten Obergeschoss, Studio im Dachgeschoss und
zugehörige Nebenräume.

Die Parteien vereinbarten eine feste Mietdauer von 20 Jahren, unterteilt in
drei Mietperioden (10 Jahre, 5 Jahre, 5 Jahre). Für die erste Mietperiode vom
1. Juli 1999 bis 30. Juni 2009 wurde ein Mietzins von Fr. 2'300'000.--
festgelegt, zahlbar in sieben im voraus zu zahlenden Raten unterschiedlicher
Höhe. Die Beklagte verpflichtete sich überdies, einen Gesamtbetrag von Fr.
1'520'000.--, zahlbar in acht Raten bis am 30. Juni 2000, an die
Investitionskosten zu zahlen.

Am 3. Juli 2000 mahnte die Klägerin die Beklagte für die ausstehende zweite
Mietzinsrate im Betrag von Fr. 250'000.--, fällig am 30. Juni 2000. Zudem
drohte sie der Beklagten für den Fall, dass der Ausstand nicht innert 30
Tagen bezahlt würde, die Kündigung an. Da die geforderte Zahlung nicht
geleistet wurde, kündigte die Klägerin den Mietvertrag am 22. August 2000 auf
den 30. September 2000.

B.
Am 20. September 2000 focht die Beklagte die Kündigung bei der
Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht an. Am 5. Oktober 2000 beantragte die
Klägerin die Ausweisung der Beklagten. Am 6. Oktober 2000 überwies die
Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht das Ausweisungsbegehren zur direkten
Erledigung an den Amtsgerichtspräsidenten von Luzern-Stadt.

Am 13. Dezember 2000 schlossen die Parteien eine Teilvereinbarung. Danach
sollten die Mieträume im zweiten und dritten Obergeschoss sowie das
Dachgeschoss und die zugehörigen Nebenräume (vier Garagen, Keller Nr. 5 und
6) der Klägerin ab 1. Oktober 2000 zur Verfügung stehen.

Mit Entscheid vom 20. Juni 2001 stellte der Amtsgerichtspräsident von
Luzern-Stadt fest, dass das Mietverhältnis betreffend die Mieträume im ersten
Obergeschoss samt Nebenräumen (vier Garagen, zwei Abstellplätze, Keller Nr. 3
und 4, Vorplatz 1, Archiv) rechtsgültig aufgelöst sei und die Beklagte unter
Vollstreckungsandrohung die genannten Räume zu verlassen habe.
Ausweisungsgesuch und Kündigungsanfechtung betreffend die Mieträume im
zweiten und dritten Obergeschoss sowie Dachgeschoss und Nebenräume (vier
Garagen, Keller Nr. 5 und 6) schrieb er als erledigt ab und wies die weiteren
Begehren ab. Am 31. Mai 2002 schützte das Obergericht den Entscheid des
Amtsgerichtspräsidenten und setzte der Beklagten erneut Frist zum Verlassen
der Räume.

C.
Die Beklagte hat den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern mit
staatsrechtlicher Beschwerde und mit Berufung angefochten. Mit Berufung
beantragt sie die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts.

Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde heute abgewiesen,
soweit es darauf eintrat.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. b OG muss die Berufungsschrift ausser der
Bezeichnung des angefochtenen Entscheids und der Partei, gegen welche die
Berufung gerichtet wird, die genaue Angabe enthalten, welche Punkte des
Entscheids angefochten und welche Abänderungen beantragt werden. Der blosse
Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, genügt diesen Anforderungen
grundsätzlich nicht (BGE 125 III 412 E. 1b/1c S. 414f.; 110 II 74 E. 1 S.
78).

1.2 Der Beklagte stellt keinen materiellen Antrag, sondern verlangt lediglich
die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Ob dieser Antrag den Anforderungen
von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG genügt, erscheint deshalb fraglich. Im Hinblick
auf den Verfahrensausgang kann diese Frage aber offen gelassen werden.

2.
2.1 Gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG muss in der Berufungsschrift dargelegt
werden, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen
Entscheid verletzt worden sind; Ausführungen, die sich gegen die
tatsächlichen Feststellungen richten, das Vorbringen neuer Tatsachen, neue
Einreden, Bestreitungen und Beweismittel, sowie Erörterungen über die
Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig. Eine Partei, die den
Sachverhalt gestützt auf Art. 64 OG ergänzt wissen will, hat nachzuweisen,
dass die fragliche Tatsache für die Beurteilung der Streitsache erheblich ist
und bereits im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht behauptet und
dafür Beweis angeboten wurde (BGE 119 II 353 E. 5c/aa S. 357).

2.2 Soweit die Berufung diesen Anforderungen nicht gerecht wird, ist nicht
auf sie einzutreten. Dies gilt insbesondere für die Behauptung der Beklagten,
den Investitionskostenbeiträgen habe keine Gegenleistung gegenübergestanden.
Die Beklagte zeigt nicht auf, inwiefern sie entsprechende Behauptungen
prozesskonform in das kantonale Verfahren eingeführt hätte. Auch die mit
Bezug auf die behauptete Teilnichtigkeit des Mietvertrags vorgebrachte Rüge
der Verletzung von Art. 8 ZGB ist nicht zu beachten. Die Beklagte beschränkt
sich darauf, die Beweiswürdigung der Vorinstanz zu kritisieren, und legt
ausserdem nicht dar, welche Beweise sie im kantonalen Verfahren
prozesskonform angeboten hat. Ebenso wenig sind Vorbringen der Beklagten
zulässig, die den Sachverhalt beliebig erweitern.

3.
3.1 Ist der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen mit der Zahlung fälliger
Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, kann der Vermieter gemäss Art. 257d
OR schriftlich eine Zahlungsfrist von mindestens 30 Tagen setzen und ihm
androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt
werde (Abs. 1). Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, kann der
Vermieter mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats
kündigen (Abs. 2).

3.2 Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG)
bezahlte die Beklagte nur die erste Mietzinsrate von Fr. 180'000.--, nicht
aber die am 30. Juni 2000 fällig gewordene zweite Mietzinsrate von Fr.
250'000.--. Die Klägerin wies mit Schreiben vom 3. Juli 2000 auf den
Zahlungsausstand hin, setzte der Beklagten eine Zahlungsfrist von 30 Tagen
und drohte ihr bei unbenütztem Ablauf der Zahlungsfrist die Kündigung an. Da
die Beklagte der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, kündigte ihr die
Beklagte auf den 30. September 2000. Die Beklagte nimmt sinngemäss den
Standpunkt ein, sie habe den Mietzins fristgerecht durch Verrechnung getilgt,
eventuell eine gültige Erklärung auf Herabsetzung des Mietzinses abgegeben.

4.
4.1 Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beklagte eine rechtsgenügliche
Herabsetzungserklärung im Sinne von Art. 259d OR abgegeben hat.

4.2 Wird die Tauglichkeit eines Mietobjekts zum vorausgesetzten Gebrauch
beeinträchtigt oder vermindert, kann der Mieter vom Vermieter nach Art. 259d
OR verlangen, dass er den Mietzins vom Zeitpunkt, in dem er vom Mangel
erfahren hat, bis zur Behebung des Mangels entsprechend herabsetzt. Diese
Bestimmung geht Art. 82 OR als lex specialis vor (Higi, Zürcher Kommentar, N
34 zu Art. 259d OR; Weber/Zihlmann, Basler Kommentar, N 8 zu Art. 259 OR).
Wie der Wortlaut des Gesetzes andeutet, wonach der Mieter eine der Schwere
der Mängel entsprechende Mietzinsherabsetzung verlangen kann
(Bundesgerichtsurteil vom 29. Mai 1997, abgedruckt in: SJ 1997, S. 661ff.;
Higi, a.a.O., N 12 zu Art. 259d OR; Lachat/Stoll/Brunner, Das Mietrecht für
die Praxis, S. 149), muss die Erklärung das Mass der Herabsetzung nennen. Die
blosse Erklärung, es werde der Mietzins herabgesetzt, ohne den Umfang der
Herabsetzung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht und einen konkreten Bezug
zu den beanstandeten Mängeln anzugeben, ist deshalb unwirksam (Higi, a.a.O.,
N 22 zu Art. 259d OR, mit weiteren Hinweisen).

4.3 Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat die Beklagte
in ihrem der Klägerin innerhalb der Zahlungsfrist zugestellten Schreiben vom
6. Juli 2000 lediglich die Sistierung der Mietzinszahlungen angekündigt. Sie
hat somit nicht die Herabsetzung des Mietzinses verlangt, sondern weitere
Zahlungen von der Vertragserfüllung der Klägerin abhängig gemacht.

4.4 Die Vorinstanz nimmt zu Recht an, darin liege keine wirksame
Herabsetzungserklärung. Die Erklärung, den Mietzins bis zur Mängelbeseitigung
zu sistieren, deutet auf die grundsätzliche Bereitschaft der Beklagten zur
Zahlung der vollen Mietzinsrate, sobald die Mietobjekte vertragsgemäss
genutzt werden können. Jedenfalls kann in der Sistierungserklärung keine
klare Herabsetzungserklärung erblickt werden, denn sie sagt über das Mass der
Herabsetzung nichts aus. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn sich unter
Beizug früherer Schreiben Grund und Umfang der von der Beklagten gewünschten
Herabsetzung eruieren liesse.

5.
5.1 Weiter ist zwischen den Parteien streitig, ob die Beklagte eine
rechtsgenügliche Verrechnungserklärung abgegeben hat.

5.2 Die Mietzinsschuld kann durch Verrechnung mit einer eigenen Forderung des
Mieters gegenüber dem Vermieter getilgt werden, zumal Art. 265 OR das Verbot
des Verrechnungsverzichts statuiert. Eine Verrechnung tritt insofern ein, als
der Mieter dem Vermieter zu erkennen gibt, dass er von seinem Recht der
Verrechnung Gebrauch machen wolle (Art. 124 Abs. 1 OR). Die Tilgungswirkung
tritt nicht automatisch ein, sondern erfordert eine Gestaltungserklärung des
verrechnungswilligen Mieters (BGE 118 II 382 E. 5b S. 391). Übt der Mieter
sein Verrechnungsrecht durch Erklärung aus, bewirkt dies den Untergang sowohl
der Verrechnungs- wie der Mietzinsschuld bis zur Höhe des niedrigeren
Forderungsbetrags (Art. 124 Abs. 2 OR). Damit allerdings der Mieter nicht in
Zahlungsrückstand gerät, muss die Verrechnungserklärung rechtzeitig, d.h. vor
Ablauf der dem Mieter gesetzten Zahlungsfrist nach Art. 257d OR abgegeben
werden. Art. 124 Abs. 2 OR, wonach das Erlöschen der Forderungen rückwirkend
stattfindet, hebt die Regel von Art. 257d Abs. 2 OR nicht auf, weil im
Zeitpunkt der Erklärung der den Vermieter zur Vertragsauflösung berechtigende
Verzug bereits eingetreten ist (BGE 119 II 241 E. 6b S. 247f.).
5.3 Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hätte die
Beklagte, welcher die Klägerin gestützt auf Art. 257d OR eine Zahlungsfrist
ansetzte, den fälligen Mietzins bis spätestens am 3. August 2000 zahlen
müssen. Die Verrechnungserklärung, mit der die Mietzinsschuld getilgt werden
sollte, hätte somit bis spätestens an diesem Tag bei der Klägerin eintreffen
müssen.

Die Vorinstanz kommt aufgrund von Beweiswürdigung zum Schluss, dass die
Beklagte in ihren Schreiben vom 6. und 7. Juli 2000 eine
Verrechnungserklärung weder abgeben wollte noch abgegeben hat. Das
Bundesgericht ist im Verfahren der Berufung an die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 63 Abs. 2 OG). Ob das Schreiben
der Beklagten vom 14. August 2000 eine Verrechnungserklärung enthielt, kann
offen bleiben, da die Beklagte der Klägerin dieses Schreiben nach dem 3.
August 2000, d.h. nach Ablauf der gestützt auf Art. 257d Abs. 1 OR gesetzten
Zahlungsfrist zustellte.

6.
Wie dargelegt, hat die Klägerin der Beklagten rechtmässig gekündigt. Ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin ist weder dargetan noch
ersichtlich.

7.
Da die im kantonalen Urteil festgelegte Auszugsfrist bereits verstrichen ist,
ist der Beklagten eine neue Frist anzusetzen, innert welcher sie die
Mieträumlichkeiten zu verlassen hat. Dafür erscheinen die von der Klägerin
beantragten 40 Tage angemessen.

8.
Die Berufung erweist sich insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen,
soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss ist die Gerichtsgebühr der
Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat die Klägerin für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Obergerichts des Kantons Luzern vom 31. Mai 2002 bestätigt, wobei dessen
Ziffer 2 wie folgt neu gefasst wird:
"Die Beklagte hat die Mieträumlichkeiten innert 40 Tagen ab Zustellung des
Urteils zu verlassen."

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit

Fr. 9'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem 0bergericht des Kantons Luzern,
I. Kammer als Rekursinstanz, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Dezember 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: