Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.245/2002
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4C.245/2002 /rnd

Urteil vom 14. März 2003

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________ AG,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas
Bühlmann, Talacker 42,
8001 Zürich,

gegen

A.________,
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch
Rechtsanwältin Anita Thanei, Langstrasse 4,
8004 Zürich.

Arbeitsvertrag; Zeugnisänderung; Arbeitsbestätigung,

Berufung gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, vom 31. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
In einem von A.________ (Kläger) gegen die "Y.________" am 9. Oktober 2001
eingeleiteten Verfahren gab der Einzelrichter des Arbeitsgerichts Zürich dem
Kläger unter Androhung des Nichteintretens bei Säumnis auf, die beklagte
Partei genau mit Namen und Adresse zu bezeichnen. Hierauf reichte der Kläger
ein Schreiben vom 12. Oktober 2001 mit dem Briefkopf der Beklagten und der
Unterschrift eines "B.________, Verkaufsleiter X.________ AG" ein, auf
welchem sich die Firmenbezeichnung "X.________ AG" mit Adresse, Telefon-,
Fax- und Mobilnummern sowie Domainname und E-mail-Adresse befand. Gestützt
auf dieses Schreiben wurde die X.________ AG als beklagte Partei zur
Hauptverhandlung vorgeladen. Sie ist unentschuldigt nicht erschienen. Nach
persönlicher Befragung des Klägers schützte der Einzelrichter am 12. März
2002 die mit Fr. 13'524.-- bezifferte Klage im Betrage von Fr. 11'013.10 und
verpflichtete die Beklagte, dem Kläger ein Arbeitszeugnis und eine
Arbeitsbestätigung aus- und zuzustellen.

B.
Gleich entschied das Obergericht des Kantons Zürich auf Berufung der
Beklagten mit Beschluss vom 31. Mai 2002. Es erwog, die Beklagte habe ihre
Behauptung, zwischen ihr und dem Kläger habe kein Anstellungsverhältnis
bestanden, erstmals vor Obergericht erhoben. Bei diesem Vorbringen handle es
sich nicht um ein echtes Novum, weshalb die Beklagte nach kantonalem
Prozessrecht damit ausgeschlossen sei, zumal sich dessen Richtigkeit auch
nicht sofort aus den Prozessakten oder den neu eingereichten Urkunden ergebe.
Ausserdem habe das erstinstanzliche Gericht entgegen der Auffassung der
Beklagten aufgrund der eingereichten Akten darauf schliessen dürfen, dass die
Beklagte die Arbeitgeberin des Klägers gewesen sei.

C.
Die Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, den Entscheid des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 31. Mai 2002 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten
ist.

D.
Eine gegen den obergerichtlichen Beschluss eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 16.
Dezember 2002 abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden konnte.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1
Die Beklagte rügt mit der Berufung, die Vorinstanz habe die im
arbeitsrechtlichen Verfahren gemäss Art. 343 Abs. 4 OR geltende
Untersuchungsmaxime verletzt, als sie wegen des prozessrechtlichen
Novenverbots den Einwand der fehlenden Passivlegitimation nicht prüfte. Unter
Berufung auf Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl.,
Kapitel 12, Rz. 127 macht sie geltend, wo der Richter den Sachverhalt von
Amtes wegen zu erforschen habe, könne er konsequenterweise neue Tatsachen
nicht wegen unzeitiger Geltendmachung durch die Parteien ausschliessen.

1.2
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die Regel von Art. 343 Abs. 4
OR nicht zur Folge, dass jede vom kantonalen Prozessrecht festgesetzte
Beschränkung der Untersuchungsmaxime unbeachtlich wird. So steht den Kantonen
frei, die Kognition der oberen Instanz zu beschränken, namentlich neue
Angriffs- und Verteidigungsmittel auszuschliessen (BGE 107 II 233 E. 2 und E.
3 S. 234f., mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 III 231 E. 4a S. 238f.). Der an
dieser Rechtsprechung in der Lehre geübten Kritik hält das Bundesgericht
entgegen, dass die Untersuchungsmaxime nicht dazu dient, das Verfahren
beliebig auszudehnen und neue Vorbringen der Parteien in jedem
Verfahrensstadium zu berücksichtigen. Zur Vermeidung der Prozessverzögerung
darf vielmehr von den Parteien verlangt werden, bei der Stoffsammlung bis zu
einem bestimmten Verfahrensstadium mitzuwirken. Es ist daher nicht
gerechtfertigt, der nachlässigen Partei einen Anspruch einzuräumen, das vor
erster Instanz Versäumte im Rechtsmittelverfahren nachzuholen, was sich
bereits aus dem für arbeitsrechtliche Streitigkeiten geltenden Gebot des
einfachen und raschen Verfahrens (Art. 343 Abs. 2 OR) ergibt (Urteil des
Bundesgerichts 4C.146/1995 vom 1. Februar 1996, E. 2, mit Hinweisen). Diese
Rechtsprechung hat nach wie vor Gültigkeit. Die Vorinstanz hat daher nicht
gegen Art. 343 Abs. 4 OR verstossen.

2.
Soweit die Beklagte die Würdigung der eingereichten Akten durch die
kantonalen Gerichte kritisiert, erhebt sie im Verfahren der eidgenössischen
Berufung unzulässige Rügen (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 126 III 388 E. 8a
S. 389, mit Hinweisen). Diese bleiben unbeachtet.

Aus den dargelegten Gründen ist die Berufung als unbegründet abzuweisen. Das
Verfahren ist unentgeltlich (Art. 343 Abs. 3 OR). Hingegen hat die Beklagte
dem Kläger eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG;
BGE 115 II 30 E. 5c S. 42, mit Hinweis).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Beklagte hat den Kläger für das Verfahren vor Bundesgericht mit Fr.
2'500.-- zu entschädigen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. März 2003

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: