Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.220/2002
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4C.220/2002 /rnd

Urteil vom 7. Oktober 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Boutellier.

X. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Peter
Buchschacher, Susenbergstrasse 31, 8044 Zürich,

gegen

Versicherung Y.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher  Daniel Marugg,
Bahnhofstrasse 71, Postfach 7182, 8023 Zürich.

Werkvertrag; Baugarantieversicherungsvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 24.
April 2002.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Klägerin) schloss im Juni 1999 mit der Z.________ AG einen
Werkvertrag für Baumeisterarbeiten in einer Überbauung für 9
Doppeleinfamilienhäuser in A.________ ab. Bestandteile dieses Werkvertrages
bildeten unter anderem das Leistungsverzeichnis sowie eine Erfüllungsgarantie
der Versicherung Y.________ (Beklagte). Auf Antrag der Z.________ AG stellte
die Beklagte am 24. Juni 1999 eine Ausführungsgarantie. Danach verpflichtet
sich die Beklagte als Solidarbürge, dem Bauherrn Deckung bis zur aufgeführten
Garantiesumme von Fr. 90'000.-- (5% des Pauschalpreises von Fr. 1'800'000.--
für die gesamten Bauarbeiten) zu gewähren für Verluste, die er erleidet,
falls der Unternehmer seine Verpflichtungen aus dem Bauvertrag nicht erfüllt.
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Ausführungsgarantieversicherung
(AVB) Ausgabe 1/1987 werden zum Vertragsinhalt erklärt. Gemäss Art. 2 lit. a
AVB ermässigt sich der in der Police angeführte Betrag entsprechend den
ausgeführten Arbeiten bis auf null Franken bei Beendigung der Arbeiten. Die
Haftung für Nichterfüllung ist auf Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmers
beschränkt; eine Haftung aus anderen Gründen, wie nicht vertragskonforme
Erfüllung, Mängel oder für Konventionalstrafen, ist nach Art. 3 AVB
ausgeschlossen. Am 21. Februar 2000 musste die Z.________ AG um
Nachlassstundung ersuchen und fiel in der Folge in Konkurs.

B.
Am 6. September 2000 befasste die Klägerin das Handelsgericht des Kantons
Zürich mit dem Begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr Fr. 90'000.--
zuzüglich 5 % Zins seit 1. März 2000 zu bezahlen, sowie Betreibungskosten von
Fr. 100.-- zu ersetzen; ausserdem sei der in Betreibung Nr. 70685 des
Betreibungsamtes Zürich 2 erhobene Rechtsvorschlag zu beseitigen.

Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage mit Urteil vom 24. April
2002 ab. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, die Klägerin
habe - trotz ausdrücklicher Substanziierungshinweise in der Referentenaudienz
vom 23. März 2001 - unterlassen, im Einzelnen und konkret für jede von ihr
bezahlte Leistung eines Dritten zu behaupten, dass diese Leistung im
Werkvertrag mit der Z.________ AG vorgesehen, von dieser nicht erbracht und
daher von einem Dritten in Erfüllung der werkvertraglichen Verpflichtung der
Z.________ AG vorgenommen worden sei.

C.
Mit eidgenössischer Berufung vom 17. Juni 2002 stellt die Klägerin den
Antrag, das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 24. April 2002
sei aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung und zur Durchführung
des Beweisverfahrens im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen, zur vollumfänglichen Gutheissung der Klage. Sie rügt, das
Handelsgericht habe die bundesrechtlichen Anforderungen an die
Substanziierung missachtet.

Die Beklagte schliesst in der Antwort auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Berufungsschrift muss die genaue Angabe enthalten, welche Punkte des
Entscheides angefochten und welche Abänderungen beantragt werden (Art. 55
Abs. 1 lit. b OG). Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu
neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen grundsätzlich nicht
und machen die Berufung unzulässig. Ein blosser Rückweisungsantrag reicht
indes nach ständiger Praxis aus, wenn das Bundesgericht, falls es die
Rechtsauffassung der Berufungsklägerin für begründet erachtet, kein Endurteil
fällen kann, sondern die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz
zurückweisen muss (BGE 125 III 412 E. 1b S. 414). Diese Voraussetzung ist
hier gegeben, denn das Handelsgericht hat zu den Behauptungen der Klägerin
keine Beweise abgenommen, weil es die Sachbehauptungen als nicht hinreichend
substanziiert erachtet und daher erkannt hat, dass diese Behauptungen -
selbst wenn sie erwiesen wären - die eingeklagte Forderung nicht zu begründen
vermöchten. Der Antrag auf Rückweisung genügt den formellen Anforderungen
unter diesen Umständen.

2.
2.1 Wie weit die anspruchsbegründenden Tatsachen inhaltlich zu substanziieren
sind, damit sie unter die massgeblichen Bestimmungen des materiellen Rechts
subsumiert werden können, bestimmt das materielle Bundesrecht. Die jeweiligen
Anforderungen ergeben sich einerseits aus den Tatbestandsmerkmalen der
angerufenen Norm und andererseits aus dem prozessualen Verhalten der
Gegenpartei. Tatsachenbehauptungen müssen dabei so konkret formuliert sein,
dass ein substanziiertes Bestreiten möglich ist oder der Gegenbeweis
angetreten werden kann. Bestreitet der Prozessgegner das an sich schlüssige
Vorbringen der behauptungsbelasteten Partei, kann diese gezwungen sein, die
rechtserheblichen Tatsachen nicht nur in den Grundzügen, sondern so umfassend
und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen werden kann. Wird das
Vorliegen eines behaupteten Schadens vom Prozessgegner bestritten, hat der
Ansprecher deshalb die einzelnen konkreten Tatsachen vorzutragen, welche
Grundlage für die Qualifizierung einer Vermögenseinbusse als rechtlich
relevanter Schaden bilden (BGE 127 III 365 E. 2b mit Hinweisen). Auf welchem
Weg ein subsumptionsfähiger Sachverhalt erlangt werden soll, bestimmt dagegen
das kantonale Prozessrecht. Ihm bleibt die Regelung der Frage vorbehalten, in
welcher Form und bis zu welchem Zeitpunkt die - inhaltlich genügenden -
Sachvorbringen in das Verfahren einzuführen sind. Kantonales Prozessrecht
entscheidet insbesondere darüber, ob eine Ergänzung der Sachvorbringen
aufgrund des Beweisverfahrens zulässig ist, oder ob bereits die Behauptungen
so konkret und detailliert sein müssen, dass das Beweisverfahren allein noch
ihrer Überprüfung dient (BGE 127 III 365 E. 2c S. 369; 108 II 337 E. 3 S. 341
f., je mit Hinweisen). Weist das kantonale Gericht einen Beweisantrag wegen
ungenügender Substanziierung des Sachverhaltes ab, kann eine Verletzung des
die Sammlung des Prozessstoffes regelnden kantonalen Verfahrensrechts im
Berufungsverfahren nicht geltend gemacht werden (Art. 43 Abs. 1 und 55 Abs. 1
lit. c OG). Zulässig ist dagegen die Rüge, das Sachgericht habe die
bundesrechtlichen Anforderungen an die Substanziierung verkannt.

2.2 Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil erwogen, die Baugarantie
gewähre der Klägerin als Bauherrin bis zur Garantiesumme Deckung für
Verluste, die sie erleide, falls der Unternehmer seine Verpflichtungen aus
dem Bauvertrag nicht erfülle. Die einzelnen Verpflichtungen des Unternehmers
ergäben sich aus dem Werkvertrag unter Einschluss des
Leistungsverzeichnisses, worin enthalten sei, welche Leistungen der
Unternehmer zu erbringen habe. Daraus lasse sich folglich bestimmen, welche
Verpflichtungen er konkret nicht erfüllt habe. Die Klägerin hätte somit zur
Begründung ihres vertraglich gedeckten Verlustes dartun müssen, welche
Arbeiten gemäss Werkvertrag von anderen Unternehmern ausgeführt werden
mussten und auch tatsächlich ausgeführt worden seien. Da vertraglich die
Deckung nur für die Nichterfüllung wegen Zahlungsschwierigkeit der
Unternehmerin, nicht jedoch für die Mängelbehebung zugesichert sei, hätte die
Klägerin auch konkret dartun müssen, dass der Grund der Ausführung durch
Dritte nicht auf Mängel zurückzuführen sei. Die Klägerin vertritt die
Ansicht, sie habe ihren Verlust hinreichend substanziiert mit der Behauptung,
dass sie für sämtliche Leistungen gemäss Leistungsverzeichnis statt des mit
der konkursiten Bauunternehmerin vereinbarten Pauschalbetrages von Fr.
1'800'000.-- den Betrag von Fr. 1'989'744.70 habe bezahlen und damit
insgesamt (inklusive Zins) Fr. 189'744.70 mehr habe leisten müssen.

2.3 Nach der vertraglichen Abmachung, wie sie von der Vorinstanz im
angefochtenen Urteil wiedergegeben wird, hat die Beklagte ausschliesslich für
Verluste Deckung versprochen, die der Klägerin aus der Nichterfüllung von
Vertragsleistungen wegen Zahlungsschwierigkeiten der Bauunternehmerin
entstanden sind. Dass die Vorinstanz die umstrittene Ausführungsgarantie
nicht richtig wiedergegeben bzw. bundesrechtswidrig ausgelegt habe, bringt
die Klägerin nicht vor. Die von ihr beanspruchten vertraglichen
Garantieleistungen setzen demnach voraus, dass tatsächlich bestimmte
vertraglich vereinbarte Bauleistungen durch die konkursite Unternehmerin
nicht erbracht worden sind, dass die entsprechende Nichterfüllung auf die
Zahlungsschwierigkeiten der Konkursitin zurückzuführen und der Klägerin
dadurch ein Verlust entstanden ist. Die vertraglich vereinbarte Leistung
betrifft somit nicht sämtliche Verluste, welche der Klägerin durch
Mehraufwand im Verhältnis zur vereinbarten Pauschalsumme entstanden sind,
nachdem die Unternehmerin in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Daher kann
das Begehren auch nicht zugesprochen werden, wenn die gesamten Mehrkosten
ausgewiesen sind. Dass ein Verlust nicht nur auf eine einzige Art bewiesen
werden kann, wie die Klägerin vorbringt, trifft zwar zu. Sie verkennt aber,
dass der von ihr behauptete Verlust - nach der vertraglichen Abmachung, wie
sie unbestritten von der Vorinstanz dargestellt wird - nicht vollständig
durch die vertragliche Garantie gedeckt ist. Das Handelsgericht hat unter
diesen Umständen Bundesrecht nicht verletzt, wenn es die blosse Behauptung
pauschaler Mehrkosten für die Substanziierung des vertraglichen Anspruchs der
Klägerin nicht als ausreichend erachtete. Indem die Vorinstanz insbesondere
die konkrete Bezeichnung derjenigen - im Leistungsverzeichnis des
Werkvertrages beschriebenen - Bauleistungen verlangte, welche die konkursite
Unternehmerin infolge ihrer Zahlungsschwierigkeiten nicht erbracht hatte, hat
sie die Behauptung der Tatsachen verlangt, welche den eingeklagten
vertraglichen Anspruch begründen. Weshalb die von der Vorinstanz verlangte
Konkretisierung der nicht oder nur teilweise erfüllten Leistungen objektiv
unmöglich sei, begründet die Klägerin nicht und ist auch nicht erkennbar.
Soweit sie die Meinung vertritt, die Konkretisierung hätte durch eine
Expertise erfolgen können, so verkennt sie, dass das kantonale Recht
bestimmt, ob pauschale Behauptungen im Beweisverfahren konkretisiert werden
können oder nicht. Wenn das zürcherische Prozessrecht dies nicht zulässt, so
wird damit die Verwirklichung des Bundesrechts nicht vereitelt.

3.
Die Berufung ist abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Bei
diesem Verfahrensausgang ist die Gerichtsgebühr der Klägerin aufzuerlegen.
Sie hat der anwaltlich vertretenen Beklagten überdies eine
Parteientschädigung zu bezahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons
Zürich vom 24. April 2002 bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'500.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit

Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Oktober 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: