Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.146/2002
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4C.146/2002 / rnd

Urteil vom 16. Juli 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Nyffeler,
Gerichtsschreiberin Boutellier

A.________
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Fürsprecher-Rechtsanwalt K.
Urs Grütter, Moosstrasse 2, 3073 Gümligen,

gegen

B.________, Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Fürsprecher
Ernst Hauser, Kapellenstrasse 14, Postfach 6916, 3001 Bern,
X.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher Jürg Hunziker,
Bernstrasse 29, Postfach 251,
3360 Herzogenbuchsee.

Auftrag; Haftung des Notars,

Berufung gegen den Entscheid des Appellationshofs des Kantons Bern, II.
Zivilkammer, vom 30. Januar 2002.

Sachverhalt:

A.
Der Vater von A.________ (Klägerin) nahm anfangs 1992 mit Notar B.________
(Beklagter 1) telefonisch Kontakt auf, weil er beabsichtigte, sein
landwirtschaftliches Heimwesen zu Lebzeiten auf die Klägerin und deren Bruder
zu übertragen. Die Vertragsparteien trafen sich darauf am 11. Februar 1992 zu
einer Vorbesprechung in der Kanzlei des Beklagten 1. Dabei war auch von den
steuerlichen Folgen des beabsichtigten Rechtsgeschäfts die Rede. Der Beklagte
1 erklärte, dass er keine steuerlichen Beratungen vornehme und empfahl den
Beizug einer Treuhandfirma. Auf Wunsch des Vaters der Klägerin wurde
C.________ bzw. die X.________ AG (Beklagte 2) beigezogen.

Am 2. Juni 1992 verurkundete der Beklagte 1 einen Schenkungsvertrag mit
Leibrentenverpflichtung der Beschenkten zu Gunsten des Schenkers. In Ziff.
VI. 8 des Schenkungsvertrages ist festgehalten, der Notar habe die Parteien
auf die steuerlichen Folgen dieses Vertrages aufmerksam gemacht.

Die Klägerin verkaufte am 29. Dezember 1993 einen Teil der geschenkten
Liegenschaften. Der Notar, welcher diesen Kaufvertrag verurkundete, rechnete
mit einer Liegenschaftsgewinnsteuer von ca. Fr. 10'000.--. Die Gewinnsteuer
wurde jedoch in der Folge mit rund   Fr. 38'000.-- veranlagt; diese
Veranlagungsverfügung wurde im Rechtsmittelverfahren von sämtlichen Instanzen
geschützt. Der Schenkungsvertrag mit Leibrentenverpflichtung hatte zu einer
Unterbrechung der Besitzdauer geführt; dadurch wurde der Besitzdauerabzug
vermindert.

B.
Am 21. November 2000 stellte die Klägerin beim Gerichtspräsidium
Obersimmental-Saanen das Begehren, die Beklagten (sowie C.________) seien
unter solidarischer Haftung zu verurteilen, ihr einen Betrag von Fr.
29'821.00 nebst Zins zu 5% seit dem 11. September 1995 sowie Ersatz
sämtlicher Gerichts- und Anwaltskosten aus den steuerlichen Verfahren zu
bezahlen. Der Gerichtspräsident 2 des Gerichtskreises XIII
Obersimmental-Saanen wies die Klage am    18. Juni 2001 ab.

C.
Mit Urteil vom 30. Januar 2002 wies der Appellationshof des Kantons Bern,
II. Zivilkammer, die Klage gegen den Beklagten 1 und C.________ ab. Die Klage
gegen die Beklagte 2 wurde teilweise gutgeheissen und diese verurteilt, der
Klägerin Fr. 27'499.30 nebst Zins zu 5% seit dem 21. November 2000 sowie
Fr. 32'639.10 zu bezahlen. Die Gerichtskosten wurden je zur Hälfte der
Klägerin und der Beklagten 2 auferlegt. Die Klägerin wurde zum Ersatz der
Parteikosten des Beklagten 1 verpflichtet, die Beklagte 2 wurde zur Bezahlung
der Hälfte der Parteikosten der Klägerin. Der Appellationshof kam zum
Schluss, der Beklagte 1 habe der ihm nach kantonalem Recht obliegenden
Pflicht zur Aufklärung über die steuerlichen Folgen genügt, wogegen die
Beklagte 2 ihre Vertragspflicht zur Beratung über die steuerlichen Folgen
verletzt habe. Dabei nahm der Gerichtshof entgegen der ersten Instanz an,
dass auch die Klägerin - nicht nur ihr Vater - am Auftrag als Partei
beteiligt gewesen sei. Die Beklagte 2 habe der Klägerin daher die Differenz
der Gewinnsteuer zu bezahlen, welche auf die durch den Schenkungsvertrag
verursachte Verminderung des Besitzdauerabzuges zurückzuführen sei. Ausserdem
habe die Beklagte 2 die Kosten des Rechtsmittelverfahrens in der
Steuerangelegenheit zu ersetzen.

D.
Die Klägerin hat gegen beide Beklagten Berufung eingereicht mit dem Antrag,
die Ziffern 1, 3 und 4 des Urteils des Appellationshofs des Kantons Bern
seien aufzuheben und der Beklagte 1 sei zu verpflichten, ihr in solidarischer
Haftung mit der Beklagten 2 Fr. 27'499.30 nebst Zins zu 5% seit dem 21.
November 2000, sowie Fr. 32'639.10 zu bezahlen. Sie rügt die Verletzung von
Art. 49 und 191 BV (derogatorische Kraft des Bundesrechts) und bringt vor,
die Vorinstanz habe die Haftung des Notars zu Unrecht nach kantonalem
öffentlichem, statt nach Bundesrecht beurteilt; zudem habe sie aufgrund des
Hinweises im Schenkungsvertrag davon ausgehen dürfen, der Beklagte 1 habe die
steuerlichen Folgen zusätzlich selbst abgeklärt. Der Beklagte 1 beantragt,
auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Die
Beklagte 2 schliesst auf Abweisung der Berufung.

Die von der Klägerin und der Beklagten 2 erhobenen staatsrechtlichen
Beschwerden wurden mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit darauf
einzutreten war.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Klägerin richtet die Berufung gegen beide Beklagten; diese sind
untereinander nicht in notwendiger Streitgenossenschaft verbunden. Die
Beklagte 2 wird im angefochtenen Urteil zur Bezahlung der von der Klägerin
eingeklagten Forderung verurteilt, wenn auch nicht im ganzen Umfang. Die
Klägerin beantragt keine Erhöhung des ihr zugesprochenen Betrages gegenüber
der Beklagten 2. Sie verlangt nur die Abänderung der den Beklagten 1
betreffenden Dispositivziffer 1 und die entsprechenden Änderungen der
Kostenfolgen; auch die Begründung der Berufung richtet sich allein gegen die
Abweisung ihrer Klage gegenüber dem Beklagten 1. Nachdem die Klägerin mit der
Berufung keine höhere Forderung gegenüber der Beklagten 2 geltend macht, als
ihr im angefochtenen Urteil zugesprochen wird, ist sie durch den
angefochtenen Entscheid insoweit nicht beschwert. Auf die Berufung gegen die
Beklagte 2 ist daher nicht einzutreten.

2.
Die Klägerin begehrt die (teilweise) Gutheissung ihrer Klage auch gegen den
Beklagten 1.

2.1 Die Berufung ist zulässig in Zivilsachen bzw. Zivilrechtsstreitigkeiten
(Art. 44, 45 und 46 OG). Unter einer Zivilrechtsstreitigkeit versteht die
Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren
natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen
privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer Behörde, die nach
Bundesrecht die Stellung einer Partei einnimmt. Entscheidend ist dabei, dass
die Parteien nach ihren Rechtsbegehren und Sachvorbringen Ansprüche des
Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind (BGE
124 III 44 E. 1a S. 46 mit Hinweis). Als Zivilrechtsstreitigkeit gilt auch
die Frage, ob bundesprivatrechtliche Ansprüche streitig sind (BGE 115 II 237
E. 1). Die Klägerin rügt, sie habe bundesprivatrechtliche Ansprüche
eingeklagt und diese seien zu Unrecht nicht als solche beurteilt worden.
Diese Rüge ist im Verfahren der Berufung zulässig.

2.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Beklagte 1, welcher
grundsätzlich keine Steuerberatungen vornehme, die Beklagte 2 mit der
Abklärung der steuerlichen Folgen des beabsichtigten Rechtsgeschäfts
beauftragt hat. Sie hat ausserdem festgestellt, in Ziffer VI. 8 des
Schenkungsvertrags vom 2. Juni 1992 sei festgehalten, der Notar habe die
Parteien auf die steuerlichen Folgen dieses Vertrages aufmerksam gemacht. Sie
hat jedoch erwogen, mit der Delegation der Steuerfragen an die Beklagte 2
habe sich der Notar von einer Rechtsbelehrungspflicht (des kantonalen
öffentlichen Rechts) in diesem Bereich befreit. Der Beizug eines Fachmanns
würde keinen Sinn machen, wenn der Notar nochmals über die gleichen Probleme
aufklären müsste. Die Behauptung der Klägerin, sie habe aus der Ziffer VI. 8
des Schenkungsvertrages schliessen dürfen, der Beklagte habe die steuerlichen
Folgen des notariell beurkundeten Geschäfts selbst abgeklärt, richtet sich
gegen tatsächliche Feststellungen über den subjektiven Parteiwillen. Sie wäre
im Übrigen unbegründet, soweit die Klägerin damit sinngemäss eine Verletzung
des Vertrauensgrundsatzes geltend machen wollte. Die Klägerin durfte nicht in
guten Treuen annehmen, in Ziffer VI. 8 des Schenkungsvertrags bestätige der
Beklagte 1 eine persönliche Leistung. Denn er delegierte die Steuerberatung
an ein Treuhandbüro, nachdem er den Parteien erklärt hatte, er nehme selbst
keine steuerlichen Abklärungen vor. Wenn die Klägerin vertrauenstheoretisch
nicht davon ausgehen durfte, mit dem Beklagten 1 sei ein Vertrag über die
Steuerberatung zustandegekommen, hat die Vorinstanz keine Bundesrechtsnormen
verletzt, indem sie den Abschluss eines derartigen Vertrages verneinte.

2.3 Die Vorinstanz hat erkannt, dass der bernische Notar nach kantonalem
öffentlichem Recht in gewissem Umfang zur Beratung über die steuerlichen
Folgen der von ihm verurkundeten Rechtsgeschäfte verpflichtet ist. Die
Notariatstätigkeit gehört zu den amtlichen Verrichtungen, welche die Kantone
gemäss Art. 61 Abs. 1 OR abweichend regeln können, wobei dem kantonalen
öffentlichen Recht im Interesse einheitlicher Rechtsanwendung eine gewisse
expansive Kraft zur Regelung der Materie zusteht  (BGE 126 III 370 E. 7a + c
mit Hinweisen). Das kantonale öffentliche Recht kann dem Notar
Beratungspflichten auferlegen, welche - wie die Klägerin selbst bemerkt - für
die notarielle Beurkundung von Grundstücksgeschäften nicht unmittelbar
erforderlich sind. Die entsprechenden öffentlichen Pflichten des kantonalen
Rechts vermögen als solche jedoch keine Ansprüche des Bundesprivatrechts zu
begründen (BGE 127 III 248 E. 1b S. 251 mit Hinweisen). Die Vorinstanz hat
keine Bundesrechtsnormen verletzt, wenn sie die angebliche Verletzung der im
kantonalen öffentlichen Recht begründeten Beratungspflicht des Beklagten 1
aufgrund des kantonalen Notariatsrechts beurteilte.

3.
Die Berufung ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist und das
angefochtene Urteil zu bestätigen. Diesem Verfahrensausgang entsprechend sind
die Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Sie hat den durch eigene Anwälte
vertretenen Beklagten, die gesondert eine Antwort eingereicht haben, je eine
Parteientschädigung zu bezahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist und das Urteil
des Appellationshofs des Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 30. Januar 2002
wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit je
Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juli 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: