Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.120/2002
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4C.120/2002 /RrF

Urteil vom 19. August 2002

I. Zivilabteilung

Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
Klett, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler, Favre,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr.
Wolfgang Larese, Dufourstrasse 56, Postfach,
8032 Zürich,

gegen

Y.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher Dr. Andreas
Gubler, Münzgraben 6, Postfach, 3000 Bern 7.

Urheberrecht; URG,

Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 12.
Februar 2002.

Sachverhalt:

A.
Die Y.________ AG vertrieb den Hobby-Kalender "blau" und den Hobby-Kalender
"farbig". Die Hobby-Kalender zeichneten sich dadurch aus, dass die einzelnen
Monatsblätter individuell gestaltet werden können. Die Y.________ AG
beauftragte die X.________ AG mit der Neugestaltung und dem Druck des
Hobby-Kalenders "blau", Ausgaben 1996 bis 1998, und stellte dieser hierzu die
Kalender-Ausgabe 1995 als Muster zur Verfügung. Sodann beauftragte sie die
X.________ AG, den Kalender "farbig", Ausgabe 1998, zu gestalten. Ab 1999
liess die Y.________ AG die Hobby-Kalender von einer anderen Druckerei
herstellen.

B.
Die X.________ AG klagte am 26. Oktober 2000 gegen die Y.________ AG auf
Bekanntgabe der Auflagehöhe der Hobby-Kalender "blau" und "farbig", Ausgaben
1999, des Ladenpreises pro Exemplar der Kalender, der Zahl der bis zur
Klageeinleitung verkauften Exemplare sowie des aus dem Verkauf erzielten
Gewinns (Rechtsbegehren 1); sie verlangte ferner die Entrichtung einer
Lizenzgebühr von 10% des Ladenpreises pro verkauftes Exemplar der
Hobby-Kalender (Rechtsbegehren 2) sowie die Herausgabe des aus dem Verkauf
erzielten Gewinns (Rechtsbegehren 3). Das Handelsgericht des Kantons Aargau
wies die Klage am 12. Februar 2002 ab.

C.
Die Klägerin hat gegen das Urteil des Handelsgerichts Berufung beim
Bundesgericht erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils und die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, eventuell die Gutheissung der Klage.
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Klägerin Ansprüche aus der
Verletzung von Urheberrechten an den von ihr gestalteten Hobby-Kalendern
"blau" und "farbig" zustehen. Die Vorinstanz spricht den beiden Kalendern die
Qualität als urheberrechtlich geschützte Werke ab. In einer Eventualerwägung
kommt sie überdies zum Schluss, die Urheberrechte wären ohnehin auf die
Beklagte übertragen worden. Die Klägerin ficht beide Begründungen an. Mit
Bezug auf die Hauptbegründung macht sie geltend, die Vorinstanz reduziere die
Neugestaltung der Kalender auf blosse Leistungen einer Maschine und verkenne,
dass vom Gesamteindruck her ein neues Werk geschaffen worden sei.

2.
Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der
Literatur oder Kunst, die individuellen Charakter haben (Art. 2 Abs. 1 URG).
Dazu gehören auch Werke der Grafik (Art. 2 Abs. 2 lit. c URG) und der
angewandten Kunst (Art. 2 Abs. 2 lit. f URG). Entscheidend ist, dass sich die
betreffenden Objekte als "Schöpfungen mit individuellem Charakter" (Art. 2
Abs. 4 URG) auszeichnen. Geschützt ist die konkrete Darstellung, die nicht
bloss Gemeingut enthält, sondern insgesamt als Ergebnis geistigen Schaffens
von individuellem Gepräge oder als Ausdruck einer neuen originellen Idee zu
werten ist. Individualität oder Originalität gelten daher als Wesensmerkmale
des urheberrechtlich geschützten Werks (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331, mit
Hinweisen). Wenngleich die Gerichte sich eines Werturteils über den
künstlerischen Gehalt des Erzeugnisses zu enthalten haben, müssen sie bei der
Beantwortung der Frage, ob das zu beurteilende Werk individuell sei, ein
Werturteil fällen (François Dessemontet, Le droit d'auteur, 1999, Rz. 171; in
gleichem Sinne Roland von Büren, Der Werkbegriff, in: Schweizerisches
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 1998, S. 67).

An das Mass der geistigen Leistung, an den Grad der Individualität oder
Originalität, sind dabei nicht stets gleich hohe Anforderungen zu stellen.
Das verlangte individuelle Gepräge hängt vielmehr vom Spielraum des
Erstellers ab. Wo ihm der Sache nach wenig Raum bleibt, wird
urheberrechtlicher Schutz bereits gewährt, wenn bloss ein geringer Grad
selbständiger Tätigkeit vorliegt (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331, mit
Hinweisen). So muss ein Architekt, um den Schutz des URG zu erlangen, nicht
etwas absolut Neues schaffen, sondern er darf sich mit einer relativen und
teilweisen Neuschöpfung begnügen. Keinen urheberrechtlichen Schutz geniesst
er jedoch, wenn er durch Verbindung oder Abwandlung bekannter Formen und
Linien bloss eine handwerkliche Leistung erbringt oder nach den gegebenen
Verhältnissen keinen Raum für individuelles Schaffen findet. Geschützt ist,
was sich als individuelle oder originelle Schöpfung von den tatsächlichen
oder natürlichen Vorbedingungen im Rahmen der Zweckbestimmung abhebt (BGE 125
III 328 E. 4a S. 331; 117 II 466 E. 2a S. 468, je mit Hinweisen). Diktiert
der Gebrauchszweck die Gestaltung durch vorbekannte Formen derart, dass für
individuelle oder originelle Merkmale praktisch kein Raum bleibt, liegt ein
rein handwerkliches Erzeugnis und damit Gemeingut vor, das vom Schutz des
Urheberrechts auszunehmen ist (BGE 125 III 328 E. 4a S. 331; 117 II 466 E. 2a
S. 468, je mit Hinweisen).

Diese von der Rechtsprechung für Architekturleistungen bzw. die Schaffung von
Werken der angewandten Kunst entwickelten Grundsätze lassen sich ohne
weiteres auf grafische Erzeugnisse anwenden. So kann einer grafischen
Schriftführung oder Darstellung am Computer durchaus Werkcharakter zukommen,
denn mit welchen Mitteln die Formgebung erfolgte und welche Rolle der Zufall
dabei spielte, ist urheberrechtlich bedeutungslos (Barrelet/Egloff, Das neue
Urheberrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte
Schutzrechte, 2. Auflage, 2000, N 15 zu Art. 2 URG; Kamen Troller, Grundzüge
des schweizerischen Immaterialgüterrechts, 2001, S. 136).

3.
3.1 Was den Kalender "blau", Ausgaben 1996 bis 1998, anbelangt, hält die
Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich fest (Art. 55 Abs. 1, Art. 63
Abs. 2 OG), dass die Leistung der Klägerin darin bestand, die vorgegebene
Grundfarbe etwas abzudunkeln und neue Schrifttypen für die beiden Titel und
den Text auf dem Deckblatt zu wählen. Die Schrifttypen entnahm die Klägerin
einem Computerprogramm. Die Klägerin macht geltend, die Schrifttypen
angepasst und optimiert zu haben, ohne aber anzugeben, worin diese
Anpassungen bestanden haben sollen. Die Vorinstanz erblickt in den Arbeiten
der Klägerin eine bloss handwerkliche Leistung, der kein individuelles
Gepräge zukommt.

Der Vorinstanz ist zuzustimmen. Es reicht entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht aus, dass sich der Kalender "blau", Ausgaben 1996 bis 1998,
durch die Umgestaltung der Schrift klar von der als Muster vorgegebenen
Kalender-Ausgabe 1995 unterscheidet. Die Schrift hebt sich formal nicht von
dem ab, womit jedermann in Presseerzeugnissen täglich konfrontiert wird. Auch
der Gesamteindruck der Titelblattgestaltung lässt nicht auf ein individuelles
Gepräge schliessen. Anders als etwa der bekannte Coca-Cola-Schriftzug
erscheint die Titelschrift nicht als Kurrentschrift mit unverwechselbarem
Charakter.

3.2 In Bezug auf den Hobby-Kalender "farbig", Ausgabe 1998, stand der
Klägerin nach den Feststellungen der Vorinstanz kein Muster zur Verfügung.
Indes machte die Beklagte der Klägerin Vorgaben für die für das Deckblatt zu
verwendenden Farben, für dessen Beschriftung, für die Absetzung der Blätter
sowie für die Grösse des Kalenders. Als neue Gestaltungselemente brachte die
Klägerin am linken Rand des deutschen und französischen Textes die bildliche
Darstellung je eines Fotoapparats mit stilisiertem Blitzlicht, eines Pinsels,
einer Schere, eines Zeichenstifts sowie eines Geschenkpakets an. Für die
Titel des Deckblatts benutzte sie einen anderen Schrifttyp als für den
Kalender "blau", wobei sie wiederum eine vorgegebene Computerschrift
abänderte. Die Vorinstanz erblickt auch in diesen Arbeiten der Klägerin rein
handwerkliche Leistungen. Die Abbilder der erwähnten Gebrauchsgegenstände,
deren Grundelemente einem Computerprogramm entstammten, seien in keiner Weise
individuell geprägt. Auch im Gesamteindruck überwiege die vorbekannte Form
des Schrifttyps, der Farbe und des dargestellten Gegenstandes.

Der Vorinstanz ist auch in diesem Punkt beizupflichten. Die Wiedergabe der
Kamera, des Pinsels, der Schere, des Schreib- oder Zeichenstifts und des
Geschenkpakets lassen diese Gegenstände als solche erkennen, fallen aber in
keiner Weise durch originelle Formgebung oder Anordnung auf. Gleichgültig, ob
die Bilder als solche einem Computerprogramm entnommen, ob sie danach
abgeändert oder von Grund auf von der Klägerin gezeichnet wurden, ist ihnen
mehr als die banale Kenntlichmachung ihres Gegenstandes nicht abzugewinnen.
Das Titelblatt des Kalenders erhielt dadurch kein individuelles Gepräge.

4.
Es handelt sich demnach bei den Kalendern nicht um Werke im Sinne von Art. 2
URG. Die Hauptbegründung der Vorinstanz hält somit vor Bundesrecht stand, und
es erübrigt sich, auf die Eventualbegründung einzugehen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Klägerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1, Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil
des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 12. Februar 2001 wird bestätigt.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit

Fr. 3'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. August 2002

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: