Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.96/2002
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2A.96/2002 /kil

Urteil vom 16. April 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter
Merkli,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Bundeshaus West, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________, geb. ..... 1967,
Beschwerdegegner,
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Obergrundstrasse 46, 6002 Luzern,

Amt für Migration des Kantons Luzern, Hallwilerweg 7, 6002 Luzern.

Ausschaffungshaft

(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 25. Januar 2002)

Sachverhalt:

A.
Der algerische Staatsangehörige A.________, geb. ..... 1967, reiste am 27.
Dezember 2000 in die Schweiz ein und ersuchte hier um Asyl. Am 6. März 2001
wies das Bundesamt für Flüchtlinge das Asylgesuch ab, wies den Gesuchsteller
weg und setzte ihm eine Frist bis zum 30. April 2001, um aus der Schweiz
auszureisen. Mit Entscheid vom 25. April 2001 wies die Schweizerische
Asylrekurskommission eine dagegen erhobene Beschwerde ab.

Am 30. April 2001 führte das Amt für Migration des Kantons Luzern mit
A.________ ein Ausreisegespräch. Dabei konnte er sich dazu äussern, weshalb
er die Schweiz noch nicht verlassen hatte, und erklärte, dass er dies noch
tun werde. Das Amt für Migration setzte einerseits A.________ erneut eine
Ausreisefrist bis zum 30. April 2001 (also am selben Tag) und forderte ihn
andererseits auf, sofort Reisepapiere zu beschaffen und diese bis zum 4. Mai
2001 vorzulegen; dabei wies es ihn auf die möglichen Folgen der Verletzung
seiner Mitwirkungspflicht sowie der Nichtbefolgung der Ausreiseaufforderung
unter Einschluss der möglichen Anordnung von Ausschaffungshaft hin.
A.________ wandte dagegen ein, es sei ihm nicht möglich, innert vier Tagen
die nötigen Papiere zu beschaffen; er brauche dafür mehr Zeit. Ebenfalls am
30. April 2001 legte das Bundesamt für Flüchtlinge im Anschluss an den
Entscheid der Asylrekurskommission eine neue Ausreisefrist auf den 10. Mai
2001 fest unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht und unter Androhung
möglicher Zwangsmassnahmen bei Nichtbefolgung.

A. ________ sprach am 4. Mai 2001 nicht beim Amt für Migration vor. Am 17.
Mai 2001 teilte das Zentrum für Asylsuchende, dem er zugewiesen worden war,
dem Amt für Migration mit, dass A.________ sich nicht mehr dort aufhalte und
deshalb per sofort abgemeldet werde. Daraufhin teilte das Amt für Migration
dem Bundesamt für Flüchtlinge mit, A.________ sei seit dem 16. Mai 2001
verschwunden.

B.
Am 22. Januar 2002 wurde A.________ in Genf polizeilich angehalten und
festgenommen und am Tag danach dem Amt für Migration des Kantons Luzern
zugeführt. Dieses ordnete am 24. Januar 2002 wegen Untertauchensgefahr die
Ausschaffungshaft für die Dauer von drei Monaten an. Mit Urteil vom 25.
Januar 2002 entschied der Haftrichter am Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern, die Ausschaffungshaft werde aufgehoben und A.________ sofort
freigelassen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, das Amt für
Migration habe sich gegenüber dem weggewiesenen Ausländer widersprüchlich
verhalten und diesem die ihm obliegenden Pflichten nur mangelhaft erläutert;
namentlich sei sein Einwand, er könne die erforderlichen Papiere innert der
ihm eingeräumten Frist von vier Tagen gar nicht beschaffen, unbeantwortet
geblieben; insgesamt erachte das Gericht den Vollzug der Wegweisung als nicht
erheblich gefährdet.

C.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat am 22. Februar 2002
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben und beantragt, den
Entscheid des Haftrichters vom 25. Januar 2002 aufzuheben. Das Departement
rügt eine Verletzung von Bundesrecht, weil der Haftrichter die klare
Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Frage der Untertauchensgefahr verkenne
und davon ausgehe, das bisherige Verhalten des inhaftierten Ausländers lasse
den Schluss nicht zu, er widersetze sich behördlichen Anordnungen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Amt für Migration
liess sich innert Frist nicht vernehmen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement ist als das in der
Sache zuständige Departement grundsätzlich legitimiert, die Verfügung des
Haftrichters, der als letzte kantonale Instanz entschieden hat, mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten (Art. 103 lit. b OG).

1.2 Der Bund führt im öffentlichen Interesse Beschwerde. Das Beschwerderecht
der Bundesbehörden soll den richtigen und rechtsgleichen Vollzug des
Bundesverwaltungsrechts sicherstellen. Dabei besitzt der Bund ein abstraktes
Interesse; er muss also grundsätzlich kein spezifisches öffentliches
Interesse an der Anfechtung der Verfügung nachweisen (BGE 113 Ib 219 E. 1b S.
221, mit Hinweisen).

Im vorliegenden Fall wurde der betreffende Ausländer unmittelbar im Anschluss
an den angefochtenen Haftrichterentscheid vom 25. Januar 2002 aus der Haft
entlassen. Inzwischen scheint er untergetaucht und damit für die Behörden bis
zur allfälligen nächsten Anhaltung für eine Ausschaffung nicht greifbar zu
sein. Eine Gutheissung der Beschwerde könnte daher nicht dazu führen, dass
der Ausländer wieder in Haft genommen werden müsste; ein solcher Antrag wird
übrigens auch gar nicht gestellt. Sollte der Ausländer wieder aufgegriffen
werden, müsste die Ausschaffungshaft so oder so neu verfügt und
haftrichterlich überprüft werden. Das beschwerdeführende Departement braucht
jedoch für die Beschwerdeberechtigung nach Art. 103 lit. b OG kein
unmittelbares Interesse am Ausgang des konkreten Falles nachzuweisen;
entscheidend ist einzig, dass es mit seinem Antrag nicht die Feststellung
abstrakter Fragen des objektiven Rechts bezweckt, sondern dass es um konkrete
Rechtsfragen eines tatsächlich bestehenden Einzelfalles geht (vgl. BGE 125 II
633 E. 1a und b S. 635), deren Beantwortung Auswirkungen auf weitere Fälle
zeitigen könnte. Im Hinblick darauf, dass sich die Frage häufig stellt, unter
welchen Voraussetzungen bundesrechtlich Ausschaffungshaft aufgrund von
Untertauchensgefahr anzuordnen ist, wie dies im vorliegenden Fall strittig
ist, hat das Departement daher ein hinreichendes Interesse, diese Rechtsfrage
dem Bundesgericht zu unterbreiten, um allfällige Unsicherheiten hierüber zu
beseitigen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2A.281/2000 vom 3. Oktober 2000,
E. 1).

Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.

2.
2.1Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen,
wenn die Voraussetzungen von Art. 13b ANAG erfüllt sind. Danach ist
erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch
rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt (vgl. BGE 121 II 59
E. 2 S. 61; 122 II 148 ff.), dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender
Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist (BGE 125 II 369 E. 3a
S. 374, 377 E. 2a S. 379). Zudem muss einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG
genannten Haftgründe bestehen (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 3a S. 381;
124 II 1 E. 1 S. 3). Nach Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG kann Ausschaffungshaft
insbesondere verfügt werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass
sich der Ausländer der Ausschaffung entziehen will (Gefahr des
Untertauchens). Das trifft namentlich zu, wenn der Ausländer bereits einmal
untergetaucht ist, behördlichen Anordnungen keine Folge leistet, durch
erkennbar unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen
der Behörden erschwert oder sonst wie klar zu erkennen gibt, keinesfalls in
sein Herkunftsland zurückkehren zu wollen (BGE 125 II 369 E. 3b/aa S. 375).
Die Haft muss sich sodann auch als verhältnismässig erweisen (BGE 125 II 377
E. 4 S. 383; 119 Ib 193 E. 2c S. 198; vgl. auch BGE 122 II 148 E. 3 S. 153).

2.2 Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin kann das Bundesgericht in
rechtlicher Hinsicht die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber die Angemessenheit
eines Haftentscheides überprüfen (Art. 104 lit. a und c OG). Vor dem
Bundesgericht stellt sich damit im vorliegenden Zusammenhang lediglich die
Frage der Rechtmässigkeit der Haft. Dabei ist das Bundesgericht an den
Wegweisungsentscheid gebunden, sofern dieser nicht offensichtlich
rechtswidrig ist (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 OG sowie BGE 121 II 59
E. 2c).

3.
3.1Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass gegen den betreffenden
Ausländer ein Wegweisungsentscheid vorliegt, dessen Vollzug zurzeit noch
nicht möglich, jedoch absehbar ist. Die Wegweisung ist auch nicht
offensichtlich unzulässig, noch wurde sie dem Ausländer mangelhaft eröffnet.
Da es je nach den konkreten Umständen eines Einzelfalles nicht ausgeschlossen
ist, eine - vorweg angeordnete - Wegweisung erst zusammen mit dem
Haftrichterentscheid zu eröffnen (BGE 2A.90/2002 vom 4. März 2002, E. 1.5;
Urteil vom 20. Juli 2001, 2A.313/2001), ist es auch nicht unerlässlich, dass
dem Ausländer gegenüber vor einer allfälligen Inhaftierung genauere Angaben
über die Erfüllung seiner Ausreisepflicht gemacht worden sein müssen. Das
verkennt an sich auch der Haftrichter im vorliegenden Fall nicht. Er ist
indessen der Ansicht, die Auflagen und Obliegenheiten, welche dem Ausländer
im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit dem Vollzug der Wegweisung auferlegt
worden seien, müssten als unrealistisch und widersprüchlich beurteilt werden,
weshalb daraus, dass er diese nicht eingehalten habe, nicht geschlossen
werden dürfe, er missachte behördliche Anordnungen.

Zweifellos haben behördliche Anordnungen widerspruchsfrei zu ergehen und
realistisch zu sein. Im vorliegenden Fall hat das Amt für Migration dem
Ausländer am 30. April 2001 die Ausreisefrist auf den selben Tag bestätigt
und ihm gleichzeitig eine neue Frist von vier Tagen gesetzt, um die nötigen
Reisepapiere zu beschaffen. Mit ebenfalls am 30. April 2001 ergangener
Verfügung hat ihm parallel dazu das Bundesamt für Flüchtlinge eine neue
Ausreisefrist bis zum 10. Mai 2001 gesetzt. Das Vorgehen der Behörden
erscheint als wenig koordiniert, und es ist tatsächlich fraglich, ob es nicht
jedenfalls teilweise als widersprüchlich oder unrealistisch zu beurteilen
war. Für die Frage der Untertauchensgefahr ist dies aber nicht entscheidend.
Unklarheiten konnten lediglich im Hinblick auf die dem Ausländer gesetzten
Fristen bestehen. Statt zu versuchen, seinen Pflichten innert vernünftiger
Frist nachzukommen, ist der Ausländer jedoch untergetaucht. Sodann hatte er
bis zu seiner Anhaltung und Inhaftierung am 22. Januar 2002 genügend Zeit,
die ihm obliegenden Pflichten zu erfüllen. Zusammen mit dem Umstand, dass er
schon früher im Asylverfahren widersprüchliche Angaben zu seiner Identität
und Herkunft gemacht hat, wie aus dem Entscheid der Asylrekurskommission
hervorgeht, bestanden damit klarerweise genügend Anhaltspunkte dafür, dass
sich der Ausländer der Ausschaffung entziehen würde.

3.2 Ob eine Inhaftierung während laufender bzw. vom Bundesamt für Flüchtlinge
verlängerter Ausreisefrist verhältnismässig gewesen wäre, kann offen bleiben.
Nachdem der Ausländer nunmehr rund acht Monate Zeit gehabt hatte, der
Ausreiseaufforderung nachzukommen, lassen die erwähnten Unklarheiten
bezüglich der Ausreisefrist die in der Folge angeordnete Ausschaffungshaft
nicht als unverhältnismässig erscheinen.

3.3 Der angefochtene Entscheid verkennt somit die bundesgerichtliche
Rechtsprechung zur Untertauchensgefahr. Das Vorliegen einer solchen ist
entgegen der Auffassung des Haftrichters zu bejahen. Insoweit widerspricht
der angefochtene Entscheid dem durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung
konkretisierten Verständnis des bundesrechtlichen Begriffs der
Untertauchensgefahr. Die Anordnung von Ausschaffungshaft hätte sodann auch
als verhältnismässig beurteilt werden müssen. Damit ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben.

3.4 Im vorliegenden Verfahren sind keine Kosten zu verlegen und ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 156 Abs. 2 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 25. Januar 2002 wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben, und es wird keine Parteientschädigung
zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie
dem Amt für Migration des Kantons Luzern (für sich und für A.________)
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. April 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: