Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.90/2002
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2A.90/2002/bie

Urteil vom 4. März 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter
Merkli,
Gerichtsschreiber Uebersax.

E.________, 8058 Zürich, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Uffer, Dufourstrasse 32, 8008 Zürich,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, 8090 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Verlängerung der Ausschaffungshaft (Art. 13b ANAG)

(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter, vom 15. Februar 2002)
Sachverhalt:

A.
Der aus dem Libanon stammende E.________, geb. 1970, reiste am 8. April 2001
in die Schweiz ein und stellte zwei Tage später unter dem Namen A.________
ein Asylgesuch. Am 8. Mai 2001 wurde er wegen des Verdachts der Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft gesetzt. Nachdem er am
18. Juni 2001 sein Asylgesuch zurückgezogen hatte, schrieb das Bundesamt für
Flüchtlinge dieses am 21. Juni 2001 als durch Rückzug erledigt ab; es ordnete
keine Wegweisung an, sondern hielt fest, dafür sowie für allfällige weitere
fremdenpolizeilichen Massnahmen sei der Kanton Zürich zuständig.

Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 20. November 2001 wurde E.________
insbesondere wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz mit 18
Monaten Gefängnis bei bedingtem Vollzug sowie mit fünf Jahren
Landesverweisung unbedingt bestraft. Gleichentags verfügte der
Gerichtspräsident, E.________ sei aus der Sicherheitshaft zu entlassen und
dem Migrationsamt des Kantons Zürich zuzuführen. Am 21. November 2001 ordnete
dieses die Ausschaffungshaft an, welche mit Entscheid des Haftrichters am
Bezirksgericht Zürich vom 23. November 2001 bis zum 19. Februar 2002
bestätigt wurde.

B.
Am 12. Februar 2002 beantragte das Migrationsamt beim Bezirksgericht die
Verlängerung der Ausschaffungshaft. Mit Verfügung vom 15. Februar 2002
verlängerte der Haftrichter die Haft bis zum 19. Mai 2002.

C.
E.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit dem
Antrag, die Verfügung des Haftrichters über die Fortsetzung der
Ausschaffungshaft sei aufzuheben und er sei umgehend aus der Haft zu
entlassen; überdies sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.

Das Migrationsamt schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Der Haftrichter hat
auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Bundesamt für Ausländerfragen liess
sich innert Frist nicht vernehmen. E.________ hat sich mit weiterer Eingabe
vom 26. Februar 2002 nochmals zur Sache geäussert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die zuständige Behörde kann einen Ausländer zunächst für die Dauer von
drei Monaten in Ausschaffungshaft nehmen, wenn die Voraussetzungen von Art.
13b ANAG erfüllt sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher,
nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid
vorliegt (vgl. BGE 121 II 59 E. 2 S. 61; 122 II 148 ff.), dessen Vollzug
(z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist
(BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 2a S. 379). Stehen dem Vollzug der Weg-
oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die Haft mit
Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um höchstens sechs Monate
verlängert werden (Art. 13b Abs. 2 ANAG).

1.2 Als das Migrationsamt den Beschwerdeführer in Ausschaffungshaft nahm, war
er fremdenpolizeilich weder aus- noch weggewiesen worden. Bei der einzigen
vorher gegen ihn ergangenen Entfernungsmassnahme handelte es sich um die
unbedingt ausgesprochene strafrechtliche Landesverweisung. Der ursprüngliche
Haftrichterentscheid vom 23. November 2001, mit welchem die Anordnung der
Ausschaffungshaft bestätigt wurde, nennt denn auch diese Landesverweisung und
keine andere Entfernungsmassnahme als Grundlage für die Haft. Der
Beschwerdeführer wendet nun allerdings ein, die Landesverweisung sei nicht
vollziehbar gewesen, insbesondere weil noch keine Vollstreckungsverfügung
ergangen sei. Dies gelte auch für den Entscheid über die Fortsetzung der
Ausschaffungshaft, sei doch die Vollstreckungsverfügung dem Haftrichter bei
Fällung seines Verlängerungsentscheids am 15. Februar 2002 noch immer nicht
vorgelegen. Daran ändere nichts, dass das strafrichterliche Urteil am 29.
Januar 2002 rechtskräftig geworden und der Vollzug der Landesverweisung am
13. Februar 2002 angeordnet worden sei, habe der Haftrichter davon doch keine
Kenntnis gehabt.

1.3 Das Gesetz nennt die Landesverweisung nicht ausdrücklich als zulässige
Entfernungsmassnahme, die einer Ausschaffungshaft zugrunde liegen könnte. Das
Bundesgericht hat jedoch schon vor einiger Zeit - in Übereinstimmung mit dem
Schrifttum - entschieden, dass grundsätzlich auch eine strafrechtliche
Landesverweisung die Grundlage für eine Ausschaffungshaft bilden kann (Urteil
2A.405/1996 vom 29. August 1996, bestätigt mit den Urteilen 2A.1/1998 vom 23.
Januar 1998 und 2A.13/1999 vom 28. Januar 1999; Peter Uebersax,
Menschenrechtlicher Schutz bei fremdenpolizeilichen Einsperrungen, in recht
1995 S. 61; Alain Wurzburger, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en
matière de police des étrangers, in RDAF 53/1997 1 S. 329; Andreas Zünd,
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in
AJP 1995 S. 854; vgl. neuerdings auch Philip Grant, Les mesures de contrainte
en droit des étrangers, hrsg. von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Bern
2001, S. 12).

Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 13b ANAG ergibt, wonach eine
erstinstanzliche Entfernungsmassnahme für die Anordnung von Ausschaffungshaft
genügt, muss die verfügte Entfernungsmassnahme nicht vollstreckbar sein. Die
tatsächliche Ausschaffung hat einzig - aus Gründen der Verhältnismässigkeit -
in einer nahen Zukunft, d.h. jedenfalls innert der gesetzlich zulässigen
Haftdauer, als möglich zu erscheinen. Dies gilt nicht nur bei Aus- oder
Wegweisungen, sondern grundsätzlich auch bei der Landesverweisung, und zwar
unabhängig davon, dass bei dieser in der Regel eine getrennt von der
Anordnung der Landesverweisung zu treffende Vollstreckungsverfügung zu
ergehen hat (vgl. BGE 121 IV 345; 116 IV 105 E. 4 S. 115). Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts bildet eine unbedingt ausgesprochene
Landesverweisung selbst dann eine genügende Grundlage für die
Ausschaffungshaft, wenn noch keine Vollstreckungsverfügung ergangen ist,
sofern das Verhältnismässigkeitsprinzip gewahrt bleibt (Urteil 2A.1/1998 vom
23. Januar 1998).

1.4 Im vorliegenden Fall gibt es zurzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Landesverweisung nicht innert absehbarer Frist, insbesondere während der
möglichen Höchstdauer der Ausschaffungshaft, vollzogen werden könnte.
Entsprechende Zweifel bestanden auch nicht im jeweiligen Zeitpunkt der
haftrichterlichen Entscheide über die Anordnung bzw. Verlängerung der
Ausschaffungshaft. Sodann bestehen im Kanton Zürich - im Unterschied etwa zum
Kanton Bern - keine verschiedenen Zuständigkeiten für die Anordnung der Haft
je nach dem, ob sich diese auf eine strafrechtliche Landesverweisung oder
eine fremdenpolizeiliche Entfernungsmassnahme stützt. Auch wenn für die
Vollstreckungsverfügung bei einer Landesverweisung der Justizvollzug des
Kantons Zürich zuständig ist, bleibt die Kompetenz für die Anordnung von
Ausschaffungshaft beim Migrationsamt (vgl. § 1 der zürcherischen Verordnung
vom 4. Dezember 1996 zum Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht), das im Übrigen, wie der vorliegende Fall zeigt, vom
Justizvollzug in der Regel auch mit dem tatsächlichen Vollzug der
Landesverweisung beauftragt zu werden scheint. Der Beschwerdeführer macht im
Übrigen gar nicht geltend, die Haft sei nicht von der nach Art. 13c Abs. 1
ANAG kompetenten Behörde verfügt bzw. verlängert (Art. 13c Abs. 1 i.V.m. Art.
13b Abs. 2 ANAG) worden. Damit beruhte die Haft von Anfang an auf einer
zulässigen Grundlage und kann gestützt auf diese auch verlängert werden.

1.5 Unter diesen Umständen kann offen bleiben, inwieweit die
Wegweisungsverfügung, welche das Migrationsamt nachträglich getroffen hat,
nachdem es vom Haftrichter im Haftverlängerungsverfahren dazu angehalten
worden war, ebenfalls als Grundlage für die Ausschaffungshaft dienen könnte.
Nach der Rechtsprechung sind die Formerfordernisse bei der Anordnung einer so
genannt formlosen Wegweisung nach Art. 12 ANAG freilich gering, und es ist
insbesondere nicht von vornherein ausgeschlossen, eine - vorweg angeordnete -
Wegweisung zusammen mit dem Hafturteil zu eröffnen (Urteil des Bundesgerichts
2A.313/2001 vom 20. Juli 2001; vgl. auch Grant, a.a.O., S. 12). Wie dies und
das damit verbundene - eher ungewöhnliche - Vorgehen des Haftrichters im
vorliegenden Fall zu beurteilen wären, ist aber für die Frage der
Zulässigkeit der Haft nicht von Belang, nachdem sich die Ausschaffungshaft
bereits auf die Landesverweisung zu stützen vermag.

1.6 Schliesslich bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen der weiteren
Haftvoraussetzungen, insbesondere eines Haftgrundes, nicht. Es sind denn auch
keine Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen die Zulässigkeit der Haft bzw.
deren Verlängerung sprechen würden.

2.
2.1Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich als unbegründet und ist
abzuweisen.

2.2 Bei diesem Verfahrensausgang würde der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 156 Abs. 1 OG). Da der Beschwerdeführer bedürftig ist und sein
Rechtsbegehren aufgrund der publizierten Praxis nicht zum vornherein
aussichtslos war, ist dem gestellten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung zu entsprechen (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Das Bundesgericht erkennt im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt, und es
wird ihm Rechtsanwalt Marco Uffer als unentgeltlicher Rechtsbeistand
beigegeben.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Marco Uffer, wird für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- aus der
Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Zürich
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, sowie dem Bundesamt für
Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. März 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: