Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.582/2002
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2A.582/2002 /ErC

Urteil vom 30. April 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Hungerbühler, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Müller, Merkli,
Gerichtsschreiber Fux.

A. und B.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Hans Feldmann, Moosstrasse 2, 3073 Gümligen,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Bern,
Münstergasse 3, 3011 Bern,
Steuerrekurskommission des Kantons Bern,
Sägemattstrasse 2, Postfach 54, 3097 Liebefeld.

Direkte Bundessteuer 1999/2000,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission
des Kantons Bern vom

22. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
A.  und B.________ wurden von der Steuerverwaltung des Kantons Bern, Kreis
Oberland, mit Veranlagungsverfügung vom 1. März 2001 für die Steuerperiode
1999/2000 auf ein Einkommen von Fr. 351'477.-- bei der Staatssteuer bzw. von
Fr. 364'371.-- bei der direkten Bundessteuer veranlagt. Mit Eingabe vom 27.
März 2001 erhob die von ihnen bevollmächtigte C.________ Treuhand AG in ihrem
Namen Einsprache und beantragte die Herabsetzung des steuerbaren Einkommens
auf Fr. 107'080.-- bei der Staatssteuer bzw. Fr. 192'561.-- bei der direkten
Bundessteuer. In der Folge verlangte die Steuerverwaltung weitere Unterlagen
und wies die Einsprecher darauf hin, dass sie im Einspracheverfahren einen
Betrag von Fr. 68'000.-- aufrechnen werde.

B.
Am 27. April 2001 richtete die Steuerverwaltung folgendes eingeschrieben
versandte Schreiben an die C.________ Treuhand AG:
"A. und B.________

1999/2000
Staats- und Gemeindesteuern, direkte Bundessteuer

Sehr geehrte Damen und Herren

In der Beilage stellen wir Ihnen die oben genannten Verfügungen zu. Aus
Gründen unserer elektronischen Datenverarbeitung werden wir die Verfügungen
der/den von Ihnen vertretenen Person(en) in einem späteren Zeitpunkt
zusätzlich auch noch uneingeschrieben zustellen.

Aus den getroffenen Veranlagungen resultiert eine Steuerschuld für
________________________________________________________
Jahr    Betrag
________________________________________________________
Staats- und Gemeindesteuern:   1999  99'824.35
2000  99'448.15
Direkte Bundessteuer   1999  41'046.00
2000  41'046.00
________________________________________________________

Bitte beachten Sie zwecks Vermeidung von Missverständnissen, dass die
30-tägige Rechtsmittelfrist mit der Zustellung der vorliegenden,
eingeschriebenen Verfügung zu laufen beginnt. Soweit über die Sache hiermit
entschieden worden ist, ist eine Anfechtung der später zugestellten,
uneingeschriebenen Verfügung nicht mehr möglich.

....
Beilage:  Einspracheverfügungen für die Staats- und
Gemeindesteuern und direkte Bundessteuer der Veranlagungsperiode 1999/2000
Rechtsmittelbelehrung

Kopie: A. und B.________"

C.
Gegen die Einspracheverfügung vom 27. April 2001 erhob die C.________
Treuhand AG mit Eingabe vom 28. Mai 2001 namens der Eheleute A. und
B.________ Rekurs an die Steuerrekurskommission des Kantons Bern, mit
folgendem Rechtsbegehren:
"Staats- und Gemeindesteuern mit Bussenverfügung

Die Busse, die auf der Einspracheverfügung der Staats- und Gemeindesteuern
aufgeführt ist, sei von Fr. 300.00 auf Fr. Null herabzusetzen.

(Die Veranlagungen für das Einkommen und das Vermögen der Staats- und
Gemeindesteuern sowie das Einkommen der direkten Bundessteuer sind nicht
bestritten.)"
Dem Schreiben waren zwei als "Veranlagungsverfügung" bezeichnete
Computerausdrucke beigelegt, gemäss welchen das steuerbare Einkommen wie
angekündigt im Jahresdurchschnitt um Fr. 34'000.-- erhöht und neu auf Fr.
385'477.-- bzw. Fr. 398'371.-- festgesetzt wurde, wobei zur Begründung auf
zwei Schreiben der Steuerverwaltung vom 29. März und 11. April 2001 verwiesen
wurde. Zusätzlich wurde den Einsprechern im einen der beiden Ausdrucke
gestützt auf Art. 178 des bernischen Gesetzes vom 29. Oktober 1944 über die
direkten Staats- und Gemeindesteuern eine Ordnungsbusse von Fr. 300.--
auferlegt, weil sie die verlangten Unterlagen nicht eingereicht hatten.

D.
Inzwischen, nämlich am 22. Mai 2001, waren den Eheleuten A. und B.________
die Steuerrechnungen bzw. die Einspracheverfügungen der Perioden 1999/2000
zugestellt worden.
Mit Eingabe vom 20. Juni 2001 "ergänzte" die C.________ Treuhand AG ihren
Rekurs vom 28. Mai 2001, wobei sie nunmehr folgende Rechtsbegehren stellte:
"1. Staats- und Gemeindesteuern

a) Die Busse, die auf der Einspracheverfügung der Staats- und Gemeinde-
steuern aufgeführt ist, sei von Fr. 300.00 auf Fr. Null herabzusetzen.
(Dieses Begehren, welches einen strittigen Sachverhalt der direkten Bundes-
steuer betrifft, wurde schon mit dem Rekurs vom 28. Mai 2001 erwähnt und
begründet.).
b) Das steuerpflichtige Einkommen von Fr. 385'400 (Fr. 385'477) laut
Einspracheverfügung vom 22.5.2001 Rückseite und Schreiben vom 27.4.2001 sei
um Fr. 257'300 (Fr. 257'291) auf Fr. 128'100 (Fr. 128'186) herabzusetzen.
Laut Einspracheverfügung vom 22.5.2001, welche die Steuerpflichtigen erhalten
haben, beträgt das steuerpflichtige Einkommen auf der Vorderseite Fr. 351'400
und auf der Rückseite Fr. 385'477 !, siehe Beilage 1)

2. Direkte Bundessteuer

Das steuerpflichtige Einkommen von Fr. 398'300 (Fr. 398'371) sei um Fr.
257'300 (Fr. 257'291) auf Fr. 141'000 (Fr. 141'080) herabzusetzen."
Mit Entscheid vom 22. Oktober 2002 hiess die Steuerrekurskommission den
Rekurs gegen die Bussenverfügung gut und hob die Ordnungsbusse von Fr. 300.--
auf. Auf die weiteren Begehren trat sie nicht ein.

E.
A. und B.________ haben am 29. November 2002 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, den Entscheid der
Rekurskommission, soweit er auf Nichteintreten auf die Rekursbegehren zur
direkten Bundessteuer lautet, aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen zur materiellen Behandlung gemäss Eingabe der C.________
Treuhand AG vom 20. Juni 2001 (Herabsetzung des steuerbaren Einkommens auf
Fr. 141'000.--).
Die Steuerrekurskommission des Kantons Bern beantragt unter Hinweis auf den
angefochtenen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
sei. Die Steuerverwaltung des Kantons Bern und die Eidgenössische
Steuerverwaltung beantragen in ihren Vernehmlassungen die Abweisung der
Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführer fechten die Steuerveranlagung 1999/2000 ausdrücklich nur
mit Bezug auf die direkte Bundessteuer an.

1.1 Die damalige Vertreterin der Beschwerdeführer hatte in ihrer
Rekurseingabe vom 28. Mai 2001, die sich gegen die Einspracheverfügungen vom
27. April 2001 richtete, ausdrücklich erklärt, die Veranlagung für das
Einkommen der direkten Bundessteuer werde nicht bestritten. Gleichwohl focht
sie in ihrer Rekursergänzung vom 20. Juni 2001, nachdem den Beschwerdeführern
die Veranlagung auch persönlich mitgeteilt worden war, die Veranlagung der
direkten Bundessteuer an. Die Vorinstanz ist auf die entsprechenden Begehren
nicht eingetreten, weil die Rekursergänzung erst nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist eingereicht worden sei; einzig die Einspracheverfügung vom
27. April 2001 stelle eine anfechtbare Verfügung dar; die aus technischen
Gründen erst am 22. Mai 2001 an die Beschwerdeführer persönlich verschickten
Schreiben hätten als blosse Bestätigungen der Einspracheverfügung keine
Rechtswirkung.

1.2 Diese Begründung ist nicht zu beanstanden. Die Steuerverwaltung wies in
ihrem Schreiben vom 27. April 2001 an die C.________ Treuhand AG ausdrücklich
darauf hin, dass sie die Veranlagungsverfügungen den von dieser vertretenen
Personen in einem späteren Zeitpunkt zusätzlich auch noch uneingeschrieben
zustellen werde, dass die 30-tägige Rechtsmittelfrist aber mit der Zustellung
der vorliegenden, eingeschriebenen Verfügung zu laufen beginne. Die
Beschwerdeführer machen zu Recht nicht geltend, die Verfügung hätte nicht an
die von ihnen bevollmächtigte Vertreterin zugestellt werden dürfen. Unter
diesen Umständen vermochte die zusätzliche Zustellung der Verfügung an die
Beschwerdeführer persönlich keine neue Rechtsmittelfrist zu eröffnen, worauf
im Begleitschreiben übrigens ausdrücklich hingewiesen worden war. Anders
könnte es sich höchstens dann verhalten, wenn die Einspracheverfügung vom 27.
April 2001 als geradezu nichtig betrachtet werden müsste. Davon gehen
sinngemäss auch die Beschwerdeführer aus.

2.
2.1 Die Einspracheverfügung weist unbestrittenermassen Mängel auf. Fehlerhafte
Verwaltungsakte sind indessen im Allgemeinen nicht nichtig, sondern bloss
anfechtbar. Nur in seltenen Fällen gelten Verwaltungsverfügungen als nichtig,
d.h. entfalten sie keinerlei Rechtswirkungen. Nach der Rechtsprechung kann
dies zutreffen, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer wiegt, wenn
er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn überdies die
Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet
wird. Als Nichtigkeitsgründe fallen hauptsächlich schwer wiegende
Verfahrensfehler in Betracht (wie z.B. der Umstand, dass der Betroffene keine
Gelegenheit hatte, am Verfahren teilzunehmen; das Fehlen der gesetzlich
vorgeschriebenen Form der Eröffnung) sowie die funktionelle oder sachliche
Unzuständigkeit der verfügenden Behörde. Inhaltliche Mängel der Verfügung
haben nur ausnahmsweise die Nichtigkeit zur Folge (BGE 122 I 97 E. 3a/aa S.
99 mit Hinweisen; vgl. BGE 127 II 32 E. 3g S. 48; ASA 59 S. 638).

2.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Verfügung vom 27 April 2001 sei
mit zahlreichen Form- oder Eröffnungsfehlern behaftet: Sie sei insbesondere
nicht als Einspracheverfügung bezeichnet gewesen, habe keine Unterschrift und
keine Rechtsmittelbelehrung enthalten und es sei auch der Steuersatz nicht
angegeben worden; bei den kantonalen Steuern sei überdies auch die Angabe des
Steuerbetrags fehlerhaft gewesen; schliesslich sei nicht klar gewesen,
welcher der beigelegten Computerausdrucke die kantonalen Steuern und welcher
die direkten Bundessteuer betroffen habe.

2.3 Soweit diese Mängel überhaupt bestehen, wiegen sie keineswegs schwer: So
trifft es zwar zu, dass die betreffenden Computerausdrucke als
Veranlagungsverfügungen bezeichnet sind. Die Beschwerdeführer konnten aber
nicht darüber im Zweifel sein, dass es sich in Wirklichkeit um
Einspracheverfügungen handelte, wird doch im Text ausdrücklich erklärt, dass
die Einsprache vom 27. März 2001 abgewiesen werde, und ist auch im
Beilagenvermerk des Schreibens vom 27. April 2001 von solchen Verfügungen die
Rede. Dieses Schreiben ist sodann vom Vorsteher-Stellvertreter des
Steueramtes unterzeichnet; weshalb diese Unterschrift nicht auch die
beigelegten Ausdrucke decken soll, legen die Beschwerdeführer nicht dar und
ist auch nicht erkennbar. Es trifft im Weiteren zu, dass das dem Schreiben
vom 27. April 2001 beigelegte Formular zwar keine genügende
Rechtsmittelbelehrung enthält (vgl. Art. 35 Abs. 2 VwVG; immerhin wird im
Schreiben auf die Rechtsmittelfrist hingewiesen). Das Fehlen der in Art. 116
Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer
(DBG; SR 642.11) vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung hat indessen
regelmässig nicht die Nichtigkeit der betreffenden Verfügung zur Folge. Diese
wird im Gegenteil wirksam, wenn der Steuerpflichtige durch den Mangel keinen
Nachteil erleidet, was namentlich dann der Fall ist, wenn der
Steuerpflichtige trotz des Mangels rechtzeitig das zutreffende Rechtsmittel
ergreift (BGE 114 Ib 112 E. 2a S. 115 f. mit Hinweis; Martin Zweifel, in:
Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, I/2b, Basel 2000, N. 47 zu Art.
116 DBG). So verhält es sich hier, hat doch das Fehlen der
Rechtsmittelbelehrung die Beschwerdeführer nicht daran gehindert, die
Einspracheverfügung rechtzeitig bei der zuständigen Steuerrekurskommission
anzufechten. Das Gleiche gilt für die weiteren gerügten Formmängel, die im
Ergebnis für die Beschwerdeführer ebenfalls ohne negative Folgen geblieben
sind. Was die fehlende Angabe des Steuersatzes betrifft (vgl. dazu Art. 130
Abs. 1 DBG), ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass dem Schreiben vom 27
April 2001 zusammen mit dem Computerausdruck immerhin der Steuerbetrag und
das steuerbare Einkommen entnommen werden konnten, woraus sich der Steuersatz
durch einfache mathematische Operation errechnen liess. Auch aus diesem
(ohnehin nicht schwer wiegenden) Mangel ist den Beschwerdeführern kein
Nachteil erwachsen. Unter diesen Umständen kann von einer nichtigen Verfügung
nicht die Rede sein.

3.
Die Vorinstanz hat die Rekursergänzung vom 20. Juni 2001 somit zu Recht als
verspätet betrachtet. Die Beschwerde erweist sich demzufolge als unbegründet.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Kosten den Beschwerdeführern
aufzuerlegen (Art. 153, 153a und 156 Abs. 1 OG). Es ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Steuerverwaltung und der
Steuerrekurskommission des Kantons Bern sowie der Eidgenössischen
Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. April 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: