Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.564/2002
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2A.564/2002 /leb

Urteil vom 17. Dezember 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler,
Gerichtsschreiber Wyssmann.

Steueramt des Kantons Aargau, 5004 Aarau,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner,
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer,
Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau.

Staats- und Gemeindesteuern 1999/2000,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 2. Kammer,
vom 18. September 2002.

Sachverhalt:
A.________ lebte in den Bemessungsjahren 1997 und 1998 mit seiner damaligen
Lebenspartnerin und den beiden gemeinsamen Kindern in Wohngemeinschaft, wobei
er im Wesentlichen für die Bedürfnisse des Haushaltes aufkam. Seine
Lebensgefährtin war nicht erwerbstätig.

Mit Verfügung vom 5. Oktober 2000 wurde A.________ von der Steuerkommission
X.________ für die Staats- und Gemeindesteuern 1999/2000 mit einem
steuerbaren Einkommen von Fr. 76'100.- veranlagt. Die Steuerkommission
gewährte den Kinderabzug und brachte den Einkommenssteuertarif A für ledige
Steuerpflichtige zur Anwendung. Die am 1. Januar 1995 in Kraft getretene
Fassung von § 17 Abs. 3 des hier noch anwendbaren Steuergesetzes vom 13.
Dezember 1983 (aStG), der ledigen Steuerpflichtigen mit Kindern Anspruch auf
den günstigeren Tarif B ("Ehegattentarif") einräumt, wenn sie allein mit
Kindern leben, fand keine Anwendung, weil der Steuerpflichtige nicht allein
mit Kindern zusammenlebe, sondern in Partnerschaft. Die gegen diese
Veranlagung erhobene Einsprache, es sei Tarif B anzuwenden, wies die
Steuerkommission ab. Mit Entscheid vom 11. Oktober 2001 bestätigte das
Steuerrekursgericht des Kantons Aargau diese Veranlagung.

Der Steuerpflichtige führte Beschwerde beim Verwaltungsgerichts des Kantons
Aargau. Dieses hiess die Beschwerde gut und wies die Sache an die
Steuerkommission zurück mit der Auflage, die Veranlagung unter Anwendung von
Tarif B vorzunehmen. Es erwog, die Revision von § 17 Abs. 3 aStG im Jahre
1994 habe die Mehrbelastung doppelt verdienender Ehepaare mit Kindern
gegenüber Doppelverdiener-Konkubinatspaaren mit Kindern beseitigt. Die
Änderung habe jedoch in Verhältnissen, wo nur ein Partner erwerbstätig sei,
eine zum Teil massive Mehrbelastung der Konkubinatspaare mit Kindern
gegenüber Ehepaaren mit Kindern zur Folge. Zudem verstosse die Beschränkung
des Tarifs B auf ledige Person, die allein mit Kindern zusammenleben, gegen
Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR
642.14), der diese Einschränkung nicht vorsehe (Urteil vom 18. September
2002).

Hiergegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Steueramtes des
Kantons Aargau mit dem Antrag, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei
aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Zu prüfen ist vorab, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist. Der
Beschwerdeführer (Kantonales Steueramt) leitet seine Beschwerdebefugnis aus
Art. 73 Abs. 1 und 2 StHG ab. Er macht geltend, das Verwaltungsgericht habe
seinen Entscheid auf Art. 11 Abs. 1 StHG gegründet, mithin auf Bundesrecht,
weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig sei.

Gemäss Art. 73 Abs. 1 StHG kann gegen Entscheide letzter kantonaler
Instanzen, die eine in den Titeln 2-5 und 6 in Kapitel 1 des
Steuerharmonisierungsgesetzes geregelte Materie betreffen,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden. Beschwerdebefugt ist nach
Absatz 2 auch die nach dem kantonalen Recht zuständige Behörde. Art. 72 Abs.
1 des am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Steuerharmonisierungsgesetzes
räumt den Kantonen indessen eine Frist von acht Jahren ein, das heisst bis 1.
Januar 2001, um ihre Gesetzgebung den Vorgaben des
Steuerharmonisierungsgesetzes anzupassen. Nach feststehender Rechtsprechung
steht während dieser Frist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 72
StHG nicht offen, selbst wenn der Kanton sein Steuergesetz dem Bundesrecht
bereits angepasst, harmonisiert haben sollte (BGE 123 II 588 E. 2d; s. auch
124 I 145 E. 1a und Urteil 2A.404/2002 vom 28. November 2002 E. 1). Die
vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche sich gegen einen Entscheid
betreffend die Steuerveranlagung 1999/2000 richtet, ist nach dieser
Rechtsprechung nicht zulässig.

2.
Der Beschwerdeführer hat diese Rechtsprechung nicht übersehen. Er beruft sich
jedoch auf die seither ergangenen Urteile, in denen das Bundesgericht erkannt
habe, dass es den Kantonen bereits während der Anpassungsfrist verwehrt sei,
ihr Steuerrecht in einer dem Steuerharmonisierungsgesetz klar
widersprechenden Weise zu ändern. Er folgert daraus, dass die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde bereits während dieser Anpassungsfrist zulässig
sein müsse, soweit ein Ent- oder Disharmonisierungsverbot bestehe. Der
Beschwerdeführer fasste die betreffenden Urteile (BGE 124 I 101 und 145)
richtig zusammen, doch ergeben sich daraus nicht die von ihm gezogenen
Schlüsse:

- In BGE 124 I 145 ging es um eine staatsrechtliche Beschwerde, die sich
gegen ein neues Steuergesetz, also einen Erlass richtete. Das Bundesgericht
liess die Frage offen, wieweit die Kantone während der Anpassungsfrist
harmonisierungswidriges oder entharmonisierendes Recht neu setzen dürfen. Es
musste die Frage nicht entscheiden, weil das Steuerharmonisierungsgesetz dem
kantonalen Gesetzgeber in Bezug auf die umstrittene Regelung keine engeren
Schranken gesetzt hätte, als sie bereits im verfassungsmässigen
Gleichheitsgebot enthalten waren (BGE a.a.O. E. 2 und 3).

- In BGE 124 I 101 war sodann ein Beschluss des Grossen Rates des Kantons
Schaffhausen, der eine kantonale Volksinitiative für die "steuerliche
Gleichbehandlung für Mieterinnen und Mieter" ungültig erklärt hatte, mit
Stimmrechtsbeschwerde angefochten worden. Das Bundesgericht erwog, ein Kanton
verletze seine spezifische bundesstaatliche Treupflicht (vgl. BGE 118 Ia 195
E. 5a) jedenfalls dann, wenn er während der Anpassungsfrist von Art. 72 Abs.
1 StHG seine Gesetzgebung gezielt in einer den Vorschriften des
Steuerharmonisierungsgesetzes klar widersprechenden Weise ändere. Das gleiche
gelte um so mehr, wenn er eine derartige entharmonisierende Gesetzesänderung
kurz vor dem Ablauf der Anpassungsfrist vornehme und damit die Einhaltung
dieser Frist ernsthaft gefährde oder gar illusorisch werden lasse. Die
Einführung des in der Initiative vorgesehenen Abzuges verstosse klar gegen
die Steuerharmonisierungsgrundsätze des Gesetzes. Die Initiative sei deshalb
vom Grossen Rat zu Recht als ungültig erklärt worden (BGE a.a.O. E. 4 und 5).
Das Bundesgericht hat in diesem Urteil aber nicht erkannt, das Dis- oder
Entharmonisierungsverbot gelte allgemein schon während der Anpassungsfrist.
Es hat lediglich auf eine Stimmrechtsbeschwerde hin erwogen, der Grosse Rat
habe zulässigerweise die Initiative als ungültig erklärt, weil sie gegen
Bundesrecht verstosse.

Keines der beiden Urteile lässt somit den Schluss zu, das Disharmonisierungs-
oder Entharmonisierungsverbot gelte allgemein schon während der
Anpassungsfrist. Diese Urteile betrafen auch keine
Verwaltungsgerichtsbeschwerden, sondern ausschliesslich staatsrechtliche
Beschwerden, davon eine Stimmrechtsbeschwerde. Mit dieser Rechtsprechung
lässt sich die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in der
Übergangsfrist offensichtlich nicht begründen.

3.
Zu demselben Schluss gelangte das Bundesgericht bereits im Entscheid
2P.1/1998 vom 23. Dezember 1998 (publ. in StR 54/1999 S. 414). Zu beurteilen
war die staatsrechtliche Beschwerde einer Steuerpflichtigen, die mit ihren
Kindern und einem Partner zusammenlebte und die nach dem für Alleinstehende
geltenden Tarif besteuert wurde, da der günstigere Familientarif
Einelternfamilien nur gewährt wird, wenn der Steuerpflichtige allein mit
Kindern zusammenlebt. Das Bundesgericht wies die staatsrechtliche Beschwerde
ab, mit welcher die Beschwerdeführerin geltend gemacht hatte, der Kanton
Solothurn habe sein Steuerrecht während der Anpassungsfrist in einer dem
Steuerharmonisierungsgesetz widersprechenden Weise geändert. Es erwog, die in
BGE 124 I 101 und 145 entwickelte Rechtsprechung könne auf den vorliegenden
Fall nicht übertragen werden, da sich diese Urteile auf eine
Stimmrechtsbeschwerde bzw. ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle
bezögen, wo es Sinn mache, dem Steuerharmonisierungsgesetz widersprechendes
kantonales Recht während der Übergangsfrist gar nicht erst in Kraft treten zu
lassen bzw. aufzuheben. Im Rahmen der konkreten Normenkontrolle, das heisst
bei der Überprüfung von Entscheiden darauf hin, ob die ihnen zugrundeliegende
kantonale Norm inhaltlich mit der bundesrechtlichen Steuerharmonisierungsnorm
vereinbar ist, habe die Gutheissung der Beschwerde indessen nicht zur Folge,
dass die als harmonisierungswidrig erkannte Norm aufgehoben würde bzw. gar
nicht erst in Kraft trete. Der Erfolg der Beschwerde könne vielmehr nur darin
bestehen, dass der betreffenden Norm im konkreten Fall die Anwendung versagt
würde. Dann stelle sich aber die Frage, welche andere Norm an deren Stelle zu
treten hätte. Das harmonisierte Bundesrecht könne es nicht sein, da dieses
vor Ablauf der Anpassungsfrist nicht direkt anwendbar sei (vgl. Art. 72 Abs.
2 StHG). Auch der Rückgriff auf das frühere kantonale Recht sei
ausgeschlossen, da dieses durch den kantonalen Gesetzgeber aufgehoben worden
sei und durch Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde nicht wieder in
Kraft gesetzt werde (BGE a.a.O., E. 4c/cc).

Diese Überlegungen treffen auch für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu.
Diese steht nur für die konkrete Normenkontrolle offen. Bei deren Gutheissung
könnte das als harmonisierungswidrig erkannte kantonale Recht ebenfalls nicht
angewendet werden und stünde nicht fest, welches Recht an dessen Stelle zu
treten hätte. Es besteht folglich kein Grund, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Durchsetzung des Dis- oder
Entharmonisierungsverbots in der Übergangsfrist zuzulassen.

4.
Es geht vorliegend auch nicht um einen Anwendungsfall des Ent- oder
Disharmonisierungsverbots. Es ist unbestritten, dass das Verwaltungsgericht
nicht "entharmonisierte", sondern mit Blick auf die vom Bundesgericht zur so
genannten Ehegattenbesteuerung entwickelten Grundsätze und unter Berufung auf
Art. 11 StHG eine bundesrechtskonforme Lösung angestrebt hat. In der
Beschwerde (S. 8 ff.) wird nur geltend gemacht, eine Dis- bzw.
Entharmonisierung durch den Gesetzgeber liege nicht vor und müsste im Übrigen
hingenommen werden. Mit diesem Einwand geht es dem Beschwerdeführer um die
richtige Anwendung des Steuerharmonisierungsgesetzes, wofür die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde während der Übergangsfrist nicht offen steht.

Die Beschwerde ist offensichtlich unzulässig und im vereinfachten Verfahren
nach Art. 36a OG ohne Beizug von Akten und Vernehmlassungen zu erledigen. Da
es um Vermögensinteressen des Kantones geht, ist der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 2, e contrario, OG). Eine
Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer (Kantonales
Steueramt Aargau) auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Dezember 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: