Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.522/2002
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2A.522/2002 /bmt

Urteil vom 15. Januar 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Müller, Merkli,
Gerichtsschreiber Feller.

M.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Annegret Lautenbach-Koch,
Postfach 169, 8126 Zumikon,

gegen

Migrationsamt des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 86/88, Postfach, 5001 Aarau,
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 70,
Postfach, 5001 Aarau.

Ausweisung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts im
Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 20. September 2002.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die kroatische Staatsangehörige M.________, geboren am 15. April 1955,
reiste am 16. März 1972, als Siebzehnjährige, in die Schweiz ein. Sie hat
eine Niederlassungsbewilligung. Aus einer im Jahr 1978 geschlossenen und 1987
geschiedenen Ehe stammen eine Tochter (geboren 1978) und ein Sohn (geboren
1983). Am 1. Juni 1991 heiratete M.________ ein zweites Mal; Schritte zur
Scheidung dieser kinderlos gebliebenen Ehe sind eingeleitet.

Die Bezirksanwaltschaft Zürich bestrafte M.________ am 2. Juli 1991 wegen
Diebstahls, fortgesetzten Betruges und fortgesetzter Urkundenfälschung mit 14
Tagen Gefängnis bedingt. Die Fremdenpolizei des Kantons Aargau nahm diese
Verurteilung zum Anlass, M.________ zu verwarnen und ihr für den Fall
weiterer wesentlicher Bestrafung die Anordnung geeigneter
fremdenpolizeilicher Massnahmen anzudrohen (Verfügung vom 22. Januar 1992).
Am 26. März 1998 wurde M.________ wegen Verdachts, gegen das
Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben, in Untersuchungshaft genommen.
Mit Urteil vom 26. April 2000 erkannte das Bezirksgericht Zürich sie der
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1
Abs. 3, 4 und 6 in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 BetmG für schuldig
(bandenmässige Einfuhr grosser Mengen Heroin in die Schweiz im Zeitraum Ende
1997 Anfang 1998) und bestrafte sie mit fünf Jahren Zuchthaus.

1.2 Am 4. Juli 2001 wies die Fremdenpolizei des Kantons Aargau M.________ auf
unbestimmte Dauer aus der Schweiz aus. Die gegen diese Verfügung erhobene
Einsprache blieb erfolglos (Einspracheentscheid vom 26. Februar 2002). Am 20.
September 2002 wies das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau
die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab.

1.3 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 23. Oktober 2002 stellt M.________
die Anträge, das Urteil des Rekursgerichts vom 20. September 2002 sei
vollumfänglich aufzuheben und es sei ihr der weitere Aufenthalt in der
Schweiz zu bewilligen, eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben
und sie sei zu verwarnen (Androhung der Ausweisung), subeventualiter sei das
angefochtene Urteil aufzuheben und sie sei für eine auf zwei Jahre befristete
Dauer aus der Schweiz auszuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht
sie um persönliche Befragung und Anhörung sowie um Einholung eines Berichts
der Universität Bern, integrierter forensisch-psychiatrischer Dienst IFPD,
betreffend Legalprognose bzw. Zumutbarkeit einer Ausreise. Am 25. Oktober
2002 reichte sie eine schriftliche Stellungnahme des sie behandelnden Arztes
zur Frage der Ausweisung ein.

Das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau beantragt Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Migrationsamt (früher Fremdenpolizei)
des Kantons Aargau hat auf Vernehmlassung verzichtet. Am 15. November 2002
hat es einen Bericht des Bundesamtes für Flüchtlinge vom 8. November 2002
eingereicht, welcher sich zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in
Kroatien äussert; der Bericht ist der Beschwerdeführerin zur Kenntis gebracht
worden. Das Bundesamt für Ausländerfragen stellt den Antrag, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.

1.4 Mit Verfügung vom 18. November 2002 hat der Präsident der II.
öffentlichrechtlichen Abteilung dem Gesuch der Beschwerdeführerin, der
Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, entsprochen.

2.
2.1 Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann der Ausländer aus der Schweiz unter
anderem dann fremdenpolizeirechtlich ausgewiesen werden, wenn er wegen eines
Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Diesen
Ausweisungsgrund erfüllt die Beschwerdeführerin. Die Ausweisung soll nach
Art. 11 Abs. 3 ANAG nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen
angemessen erscheint. Für die Beurteilung der Angemessenheit erklärt Art. 16
Abs. 3 ANAV namentlich als wichtig die Schwere des Verschuldens des
Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie die ihm und
seiner Familie drohenden Nachteile. Unter diesem letzten Gesichtspunkt können
auch die Beziehungen zwischen volljährigen Personen in die Interessenabwägung
miteinbezogen werden, vorliegend die Beziehungen der Beschwerdeführerin zu
ihren volljährigen Kindern.

2.2 Die Beschwerdeführerin ist wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu einer
Zuchthausstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Es handelte sich dabei um
ein schwerwiegendes Verbrechen, und das Rekursgericht hat, unter Bezugnahme
auf die Beurteilung durch das Strafgericht, zutreffend festgestellt, dass das
Verschulden der Beschwerdeführerin in fremdenpolizeirechtlicher Sicht sehr
schwer wiegt. Sie hat nicht bloss als Gehilfin und als ihrem Ehemann völlig
untergeordnete Person, sondern als Mittäterin gehandelt und auch
Eigeninitiative entwickelt. Sie hat sich, ohne selber süchtig zu sein, um des
damit verbundenen finanziellen Vorteils Willen, am In-Verkehrbringen von sehr
grossen Mengen von Heroin beteiligt. Sie hat in zweifacher Hinsicht den
qualifizierten Straftatbestand erfüllt (nach der Menge und wegen des
bandenmässigen Vorgehens). Die Würdigung des Verhaltens der
Beschwerdeführerin wird in den Erwägungen des Strafurteils einleuchtend
begründet. Weshalb sie darauf verzichtet hat, das Strafurteil anzufechten,
ist unter diesen Umständen unerheblich und liesse sich ohnehin nicht
zuverlässig eruieren. Das Rekursgericht erwähnt zu Recht auch die
Verurteilung vom 2. Juli 1991; die Beschwerdeführerin wurde wegen Diebstahls
sowie fortgesetzten Betrugs und fortgesetzter Urkundenfälschung verurteilt,
weil sie eine nicht ihr zustehende Kundenkarte benutzte und mit gefälschter
Unterschrift Waren erwarb. Auch damals zeigte die Beschwerdeführerin die
Bereitschaft, um eines finanziellen Vorteils Willen in nicht zu
vernachlässigender Weise kriminelle Energie einzusetzen, und zwar aus eigenem
Antrieb, ohne dass sie unter dem Einfluss einer anderen Person gehandelt
hätte. Bei der Gewichtung des Verschuldens ist diese erste Straftat
mitzuberücksichtigen, dies umso mehr, als der Beschwerdeführerin nach der
entsprechenden Verurteilung für weiteres Fehlverhalten
fremdenpolizeirechtliche Massnahmen angedroht worden waren.

Das Rekursgericht hat das öffentliche Interesse an der Ausweisung der
Beschwerdeführerin angesichts von deren Verschulden und der Art des letzten
begangenen Verbrechens zu Recht als sehr gross bezeichnet.

2.3 Was die privaten Interessen der Beschwerdeführerin daran betrifft, in der
Schweiz bleiben zu dürfen, hat das Rekursgericht alle massgeblichen
Gesichtspunkte berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Es ist von einer
langjährigen Anwesenheit in der Schweiz ausgegangen, hat aber richtig
hervorgehoben, dass die Beschwerdeführerin nicht eine Ausländerin der
"zweiten Generation" ist, sondern ihre Jugend-, Schul- und auch erste
Berufsausbildungszeit in ihrer Heimat verbracht hat. Bei dieser Kategorie von
Ausländern erscheint eine Ausweisung nach Begehung eines gravierenden
Betäubungsmitteldelikts eher angebracht (BGE 125 II 521 E. 2b S. 523 f.; 122
II 433 E. 2c S. 436 f.); es müssen dann jedenfalls besonders ins Gewicht
fallende Umstände in den persönlichen Verhältnissen vorliegen, damit sich
eine Ausweisung als unangemessen im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG erweist.

Die Beschwerdeführerin muss bei einer Ausweisung nicht in ein ihr weitgehend
unbekanntes Land ausreisen. Sie ist der dort gesprochenen Sprache kundig.
Unter anderem steht fest, dass sie Kontakte zu einer dort lebenden
Halbschwester hat. Es darf auch vermutet werden, dass die in der Schweiz
erworbenen beruflichen und sprachlichen Kenntnisse ihr in ihrer Heimat von
einem gewissen Nutzen sein könnten. Was die Beziehungen zur Schweiz betrifft,
so hat das Rekursgericht nicht übersehen, dass die Beschwerdeführerin sowohl
in sprachlicher wie auch beruflicher Hinsicht recht weitgehend integriert
sein dürfte. Dies vermag aber die Interessenlage ebenso wenig in
entscheidendem Masse zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu beeinflussen wie
die Tatsache, dass ihre beiden Kinder (wie offenbar auch eine Tante) in der
Schweiz wohnen und sie insbesondere zur Tochter gute Kontakte pflegt; die
Kinder sind volljährig, und von einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis
kann keine Rede sein (vgl. BGE 120 Ib 257 E. 1d und e S. 260 ff. zur
Bedeutung von Art. 8 EMRK für die Massgeblichkeit von familiären Beziehungen
unter Volljährigen im Hinblick auf anwesenheitsrechtliche Entscheidungen).

Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin sodann spricht bei
Berücksichtigung des Berichts des Bundesamtes für Flüchtlinge vom 8. November
2002 über das Gesundheitswesen und die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten
in Kroatien nicht gegen eine Ausweisung. Dies ist auch von Bedeutung für die
geltend gemachte Suizidgefährdung. Diesem vorab durch das unmittelbare
Bevorstehen der Ausweisung bzw. durch die Angst vor deren Vollzug ausgelösten
Zustand ist im Übrigen durch Art, Vorbereitung und bis zu einem gewissen Grad
wohl auch durch die zeitliche Gestaltung des Vollzugs Rechnung zu tragen.
Grundsätzlich aber vermag die geltend gemachte mögliche - zur Zeit offenbar
aktuelle - Gefährdung der Beschwerdeführerin die Interessenlage im Hinblick
auf die Frage der Zulässigkeit und Verhältnismässigkeit der auf Dauer
angelegten fremdenpolizeirechtlichen Massnahme nicht entscheidend zu
beeinflussen. Dies lässt sich feststellen, ohne dass eine persönliche
Anhörung der Beschwerdeführerin, wozu unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 EMRK
(auch für das Rekursgericht, vgl. die zutreffenden Ausführungen in E. 7 des
angefochtenen Urteils) keine Verpflichtung bestand, oder die Einholung eines
spezifischen psychiatrischen Gutachtens unbedingt erforderlich wären; der für
die zu beantwortende Rechtsfrage massgebliche Sachverhalt ist vom
Rekursgericht umfassend genug und für das Bundesgericht verbindlich abgeklärt
worden (vgl. Art. 105 Abs. 2 OG).

2.4 Nach dem Gesagten ist dem Rekursgericht darin beizupflichten, dass dem
sehr grossen öffentlichen Interesse an einer Ausweisung der
Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Aufenthaltsdauer, der Anwesenheit ihrer
erwachsenen Kinder in der Schweiz, des Grades ihrer beruflichen und
sprachlichen Integration und der Resozialisierungsaussichten in der Schweiz
ein erhebliches privates Interesse gegenübersteht, welches jedoch unter
Berücksichtigung aller Umstände das öffentliche Interesse nicht aufzuwiegen
vermag.

Was die Frage einer allfälligen zeitlichen Begrenzung der Ausweisung bzw. die
Möglichkeit einer blossen Verwarnung betrifft, kann auf die zutreffenden
Ausführungen des Rekursgerichts (E. 4 und 5 des angefochtenen Urteils)
verwiesen werden, welchen nichts beizufügen ist (vgl. Art. 36a Abs. 3 OG).

2.5 Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten
der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und
153a OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Migrationsamt und dem
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau sowie dem Bundesamt für
Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Januar 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: