Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.502/2002
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2A.502/2002 /RrF

Urteil vom 23. Oktober 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Hungerbühler, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Müller, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Merz.

A. ________, alias B.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Raess, Ilgenstrasse
22, Am Römerhof, Postfach 218,
8030 Zürich,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45,
8090 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Fortsetzung der Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b Abs. 2 ANAG,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 24. September 2002.

Sachverhalt:

A.
Der gemäss eigenen Angaben aus dem von Pakistan verwalteten Teil Kaschmirs
stammende A.________ alias B.________ (geb. 1977) reiste im Juni 2002 illegal
in die Schweiz ein und wurde im Flughafen Zürich-Kloten angehalten. Sein
Asylgesuch lehnte das Bundesamt für Flüchtlinge am 28. Juni 2002 ab und
verfügte seine Wegweisung, wobei einer allfälligen Beschwerde die
aufschiebende Wirkung entzogen wurde. Die Schweizerische Asylrekurskommission
wies am 2. Juli 2002 ein Gesuch von A.________ um Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ab. Gleichentags wurde er gestützt auf Art. 13b des
Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAG; SR 142.20) in Ausschaffungshaft genommen. Die Haftrichterin
des Bezirksgerichts Zürich bestätigte am 4. Juli 2002 die Haftanordnung bis
zum 1. Oktober 2002. Auf Antrag des Migrationsamtes des Kantons Zürich (im
Folgenden: Migrationsamt) bewilligte der Haftrichter des Bezirksgerichts
Zürich am 24. September 2002 die Verlängerung der Ausschaffungshaft bis zum
1. Januar 2003.

B.
Mit Postaufgabe vom 9. Oktober 2002 hat A.________ beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, den Entscheid des
Haftrichters vom 24. September 2002 aufzuheben und ihn unverzüglich aus der
Haft zu entlassen.

C.
Das Migrationsamt beantragt Abweisung der Beschwerde. Der Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Abteilung
Vollzugsunterstützung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (im
Folgenden: Abteilung Vollzugsunterstützung) hat sich vernehmen lassen, jedoch
keinen Antrag gestellt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Wurde ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger
Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann die zuständige kantonale
Behörde (Art. 13c Abs. 1 ANAG) einen Ausländer mit Zustimmung der kantonalen
richterlichen Behörde (Art. 13c Abs. 2 ANAG) zur Sicherstellung von dessen
Vollzug in Ausschaffungshaft nehmen, wenn die Voraussetzungen von Art. 13b
ANAG (siehe auch Art. 13c Abs. 3 ANAG) erfüllt sind, insbesondere wenn ein
gesetzlicher Haftgrund gemäss Art. 13b Abs. 1 ANAG vorliegt. Gemäss Art. 13c
Abs. 5 lit. a ANAG ist die Haft zu beenden bzw. nicht zu bewilligen, wenn
sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Auf Seiten der Behörden sind die
für den Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehrungen (wie Identitäts- und
Herkunftsabklärungen, Papierbeschaffung) umgehend zu treffen (Art. 13b Abs. 3
ANAG, Beschleunigungsgebot). Die Haft darf höchstens drei Monate dauern;
stehen dem Vollzug der Wegweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die
Haft mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um höchstens sechs
Monate verlängert werden (Art. 13b Abs. 2 ANAG).

1.2 Gegen den Beschwerdeführer liegt ein Wegweisungsentscheid des Bundesamtes
für Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vor, dessen Vollzug zurzeit mangels
Reisepapieren nicht möglich ist. Der Beschwerdeführer stellt sodann nicht in
Abrede, dass der Haftgrund des Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG
(Untertauchensgefahr) gegeben ist; insoweit kann auf die Haftrichterverfügung
vom 4. Juli 2002 verwiesen werden. Für die Annahme, dass der Vollzug der
Ausschaffung rechtlich oder tatsächlich unmöglich sein sollte, bestehen
vorderhand keine Anhaltspunkte. Der Beschwerdeführer rügt indes, das
Beschleunigungsgebot sei verletzt worden.

2.
2.1 Nach dem aus Art. 13b Abs. 3 ANAG abgeleiteten Beschleunigungsgebot haben
die zuständigen Behörden zielstrebig auf den Wegweisungsvollzug
hinzuarbeiten. Andernfalls ist die Ausschaffungshaft mit der einzig
zulässigen Zielsetzung der Zwangsmassnahmen, nämlich die Ausschaffung des
Ausländers sicherzustellen, nicht vereinbar und verstösst gegen Art. 5 Ziff.
1 lit. f EMRK, weil das Ausweisungsverfahren nicht mehr als "schwebend" im
Sinne dieser Bestimmung gelten kann. Ob das Beschleunigungsgebot verletzt
wurde, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei kann ein
widersprüchliches oder unkooperatives Verhalten des Betroffenen
mitberücksichtigt werden. Doch auch ohne dessen Mitwirkung müssen die
Vollzugsbehörden versuchen, die Identität des Ausländers festzustellen und
die für seine Ausschaffung erforderlichen Papiere zu beschaffen. Das
Bundesgericht hat eine Verletzung des Beschleunigungsgebots bejaht, wenn
während rund zwei Monaten keinerlei Vorkehren mehr im Hinblick auf die
Ausschaffung getroffen wurden, ohne dass die Verzögerung in erster Linie auf
das Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen selber zurückging
(BGE 124 II 49 E. 3a S. 50 f., mit Hinweisen). Dies bedeutet nicht, dass die
Behörden während einer Dauer von knapp unter zwei Monaten entweder gar nichts
zu unternehmen brauchen oder bloss ein paar Abklärungen treffen müssen,
hingegen die erfolgversprechendsten Vorkehren vorerst unterlassen dürfen.
Gerade die bekannte Tatsache, dass die ausländischen Behörden sich oft mit
einer Antwort Zeit lassen, gebietet, so schnell wie möglich an sie zu
gelangen, da sonst viel Zeit ungenutzt verstreicht und das Risiko steigt,
dass der Ausländer innerhalb der maximal zulässigen Haftdauer von neun
Monaten nicht ausgeschafft werden kann (Urteil des Bundesgerichts 2A.115/2002
vom 19. März 2002, E. 3d).

2.2
2.2.1Der Beschwerdeführer wurde am 2. Juli 2002 in Ausschaffungshaft
genommen. Am 13. Juli 2002 ersuchten die kantonalen Behörden um
Vollzugsunterstützung beim Bundesamt für Flüchtlinge (vgl. Verordnung vom 11.
August 1999 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen
Personen, VVWA; SR 142.281). Am 30. Juli 2002 füllte der Beschwerdeführer das
für die diplomatische Vertretung von Pakistan notwendige Antragsformular aus,
welches direkt an das Bundesamt weiter geleitet wurde. Mit Schreiben vom 9.
August 2002 teilte die Abteilung Vollzugsunterstützung mit, sie wolle
abklären, ob eine Befragung in Sachen "Kashmir" stattfinden soll. Auf
Nachfrage des Migrationsamtes antwortete sie am 29. August 2002, es bedürfe
weiterer Abklärungen; dazu werde ein Länderexperte zu der angegebenen
Herkunftsregion des Beschwerdeführers gesucht. Am 12. September 2002 wurde
der Beschwerdeführer von der Kantonspolizei Zürich mit Blick auf die
bevorstehende Haftverlängerung angehört. Auf erneute Rückfrage des
Migrationsamtes erklärte die Abteilung Vollzugsunterstützung am 19. September
2002, sie sei noch daran, den erwähnten Experten zu engagieren. Am 24.
September 2002 fand die Verhandlung zur Haftverlängerung beim Haftrichter
statt.

2.2.2 Aus dem genannten Ablauf ergibt sich noch keine Verletzung des
Beschleunigungsgebots. Der Beschwerdeführer hat den Behörden keine
Ausweispapiere vorgewiesen und bereits im Asylverfahren wenig glaubhafte
Ausführungen gemacht. Wegen der unvollständigen Angaben des
Beschwerdeführers, unter anderem im Zusammenhang mit dem von ihm am 30. Juli
2002 ausgefüllten Antragsformular, ist nicht zu beanstanden, dass das
Bundesamt vor Kontaktierung der ausländischen Behörden einen Länderexperten
zu Rate ziehen wollte. Dass wegen der Suche nach diesem Experten aus dem
pakistanischen Kaschmir, die offenbar nicht einfach war, zwischen dem 9.
August 2002 und dem Tag der Haftrichterverhandlung vom 24. September 2002 -
ausser einer erneuten polizeilichen Befragung am 12. September 2002, d.h.
rund viereinhalb Wochen später - einstweilen keine weiteren Vorkehrungen
getroffen wurden, erscheint vorliegend mit Blick auf die unsichere
Ausgangslage daher vertretbar. Dies umso mehr, als für den Beschwerdeführer
inzwischen ein Vorführdatum auf der pakistanischen und der indischen
Botschaft organisiert werden konnte (15. Oktober 2002). Die Beschwerde
erweist sich daher als unbegründet und ist abzuweisen.

3.
Im Haftverlängerungsverfahren hat der (mittellose) Ausländer (auf Gesuch hin)
Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 122 I 49 E. 2c/cc S.
53). Da der Beschwerdeführer bedürftig ist, wird sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gutgeheissen (vgl. Art. 152
Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Dr. Markus Raess wird als amtlicher Vertreter des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 1'500.--
ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Zürich
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, sowie dem Bundesamt für
Flüchtlinge schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Oktober 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: