Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.429/2002
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2A.429/2002 /RrF

Urteil vom 8. Oktober 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Müller,
Gerichtsschreiber Wyssmann.

T. ________ AG, 8050 Zürich,
Beschwerdeführer,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern,
Eidgenössische Steuerrekurskommission,
Avenue Tissot 8, 1006 Lausanne.

Mehrwertsteuer; 1. Quartal 1995 bis 1. Quartal 1999,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Eidgenössischen
Steuerrekurskommission vom 27. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Nachdem über die Steuerpflicht der T.________ AG - jedenfalls für die
Perioden bis Ende 1995 - durch das Bundesgericht rechtskräftig entschieden
worden war (Urteil 2A.280/1998 vom 10. Februar 1999) und die Steuerpflichtige
in der Zwischenzeit ihrer Abrechnungs- und Zahlungspflicht nicht nachgekommen
war, setzte die Eidgenössische Steuerverwaltung die Mehrwertsteuer 1. Quartal
1995 bis 1. Quartal 1999 nach Ermessen fest. Eine Einsprache hiess die
Eidgenössische Steuerverwaltung am 11. April 2001 teilweise gut und setzte
die Mehrwertsteuerschuld gemäss der von der Steuerpflichtigen eingereichten
Abrechnungen auf Fr. 36'177.80 fest. Zudem beseitigte sie den in der
Betreibung gegen die T.________ AG erhobenen Rechtsvorschlag. Der mit
eingeschriebener Post zugestellte Einspracheentscheid wurde vom Postamt als
"nicht abgeholt" retourniert. Am 27. April 2001 wiederholte die Eidgenössiche
Steuerverwaltung die Zustellung mit gewöhnlicher Post.

B.
Am 25. März 2002 erhob die T.________ AG Beschwerde bei der Eidgenössischen
Steuerrekurskommission. Sie macht geltend, sie habe erst durch die
Fortsetzung der Betreibung vom Einspracheentscheid der Steuerverwaltung
Kenntnis erlangt, und  beantragt, der Einspracheentscheid sei ordnungsgemäss
zu eröffnen und die Beschwerdefrist sei wiederherzustellen. Sie macht
geltend, sie erhalte die Post über ein Postfach beim Postamt Zürich 50. Sie
habe weder im Postfach noch im Briefkasten je eine Abholeinladung
vorgefunden. Das Postamt-Gebäude sei in der fraglichen Zeit im Umbau gewesen.
Fehler bei der Postzustellung stünden nicht ausserhalb jeglicher
Wahrscheinlichkeit. Zudem sei es beim Postamt Zürich 50 üblich,
Abholeinladungen nicht vollständig (mit Absender, Gegenstand und
Aufgabestelle) auszufüllen. Auch würden für mehrere Sendungen
"Sammel-Abholscheine" ausgefüllt.

Mit Entscheid vom 27. Juni 2002 trat die Eidgenössische
Steuerrekurskommission auf die Beschwerde nicht ein.

C.
Die T.________ AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, der
Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission sei aufzuheben und die
Sache zur neuen Behandlung zurückzuweisen. Eventuell sei die Beschwerdefrist
wiederherzustellen.

Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt, sondern nur die Akten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt eine behördliche
Sendung nicht erst dann als zugestellt, wenn der Adressat sie tatsächlich in
Empfang genommen hat, sondern es genügt, dass sie in seinen Machtbereich
gelangt und er sie demzufolge zur Kenntnis nehmen kann. Wird der Empfänger
einer eingeschriebenen Briefpostsendung oder Gerichtsurkunde nicht
angetroffen und wird daher eine Abholungseinladung in seinen Briefkasten oder
in sein Postfach gelegt, so wird die Sendung in jenem Zeitpunkt als
zugestellt betrachtet, in welchem sie auf der Poststelle abgeholt wird.
Geschieht dies nicht innert der Abholfrist von sieben Tagen, so gilt die
Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt. Ein allfälliger zweiter
Versand und die spätere Entgegennahme der Sendung vermögen an diesem Ergebnis
- unter Vorbehalt des verfassungsmässigen Rechts auf Vertrauensschutz -
nichts zu ändern und sind rechtlich unbeachtlich (BGE 119 V 89 E. 4b/aa S.
94, mit Hinweisen; s.a. BGE 127 I 31 E. 2a/aa). Diese Zustellungsfiktion
rechtfertigt sich, weil die an einem Verfahren Beteiligten nach dem Grundsatz
von Treu und Glauben dafür zu sorgen haben, dass behördliche Akte sie
erreichen können. Diese Pflicht entsteht mithin als prozessuale Pflicht mit
der Begründung eines Verfahrensverhältnisses und gilt insoweit, als während
des hängigen Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der
Zustellung eines behördlichen Aktes gerechnet werden muss (BGE 123 III 492 E.
1 S. 493; 120 III 3 E. 1d; 119 V E. 4b/aa S. 94).

Diese Praxis findet in kantonalen und bundesrechtlichen Verfahren allgemein
Anwendung, wenn das entsprechende Verfahrensrecht selber keine Lösung
vorsieht (BGE 115 Ia 12 E. 3b S. 17; s. auch 119 V 89 E. 4b). Sie wurde von
der Eidgenössischen Steuerrekurskommission richtig wiedergegeben und ist
zwischen den Parteien nicht umstritten. Einzig streitig und zu prüfen ist, ob
es bei der Postzustellung zu Unregelmässigkeiten gekommen ist. Solches
behauptet die Beschwerdeführerin. Da der angefochtene Entscheid von einer
richterlichen Behörde stammt, überprüft das Bundesgericht
Tatsachenfeststellungen allerdings nur daraufhin, ob diese offensichtlich
unrichtig oder unvollständig sind oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen zustande gekommen sind (Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Den Akten kann entnommen werden,  dass die Post die fragliche Sendung mit dem
Einspracheentscheid nach Ablauf der Abholfrist an die Verwaltung mit dem
Vermerk "nicht abgeholt" zurückgesandt hat. Daraus lässt sich der Schluss
ziehen, dass das Postamt Zürich 50 in der Zwischenzeit der Beschwerdeführerin
die Postsendung mit dem Einspracheentscheid gemäss den postrechtlichen
Vorschriften avisiert und die Beschwerdeführerin die Sendung nicht abgeholt
hatte, wie die Vorinstanz zu Recht erwog.

Es ist zudem aktenmässig belegt, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung am
27. April 2001 den Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin mit
gewöhnlicher A-Post nochmals zustellte. Nichts deutet darauf hin, dass es bei
dieser zweiten Zustellung zu Unregelmässigkeiten gekommen wäre. Auf diese
Postzustellung reagierte die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht. Jedenfalls
wäre mit dieser Zustellung der Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin
formrichtig eröffnet worden und hätte die Einsprachefrist zu laufen begonnen.
Auch wenn bei uneingeschriebenen Postsendungen wiederholt Fehler bei der
Zustellung vorkommen können, ist es unwahrscheinlich, dass in Bezug auf die
gleiche Behörde und die gleiche Adressatin zwei Mal ein Irrtum oder Fehler
bei der Postzustellung erfolgt sein soll. Dazu kommt, dass die
Beschwerdeführerin sich bereits in einem früheren Verfahren darauf berief,
der damalige Entscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung sei ihr nicht
formrichtig eröffnet worden, weil ihr keine Abholeinladung in das Postfach
gelegt worden sei (vgl. Urteil 7B.236/2001 der Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts vom 20. Dezember 2001). Eine derartige
Häufung von Fehlern bei der Postzustellung ist nicht anzunehmen. Es müssten
deshalb schon konkretere Anhaltspunkte vorhanden sein, um davon ausgehen zu
können, der Entscheid sei der Beschwerdeführerin nicht zugekommen.

3.
Die Beschwerdeführerin wendet lediglich ein, das Postamt Zürich 50 sei im
Umbau gewesen und Abholungseinladungen würden in der Regel von diesem Postamt
unvollständig ausgefüllt. Auch sei die nicht abgeholte Postsendung um einen
Tag zu früh an die Eidgenössische Steuerverwaltung zurückgesandt worden. Zu
diesen Einwendungen hat die Vorinstanz bereits Stellung genommen und sie mit
haltbarer Begründung verworfen. Namentlich vermag die Beschwerdeführerin
Unregelmässigkeiten bei der Postzustellung infolge der Umbauarbeiten nicht
mit konkreten Hinweisen zu belegen. Dass in zwei Fällen im Jahre 2001
Abholeinladungen unvollständig ausgefüllt worden sind, lässt nicht den
Schluss zu, dass im Falle der Beschwerdeführerin überhaupt keine
Abholeinladung in das Postfach oder in den Briefkasten gelegt worden war.
Auch die von der Beschwerdeführerin angerufenen Zeugen, A.________ als
Verwaltungsrat und B.________ als Sekretärin, könnten nur bestätigen, was in
der Beschwerde bereits vorgebracht wurde oder hätte vorgebracht werden
müssen. Die Vorinstanz durfte ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör auf die Einvernahme dieser Personen verzichten.

Wenn die Vorinstanz die Beschwerde als verspätet erachtete und darauf nicht
eintrat, hat sie den massgeblichen Sachverhalt weder im Sinne von Art. 105
Abs. 2 OG mangelhaft festgestellt noch die massgeblichen Rechtsgrundsätze
nicht oder fehlerhaft angewendet. Dass bei dieser Sachlage auch die Frist
nicht wiederhergestellt werden durfte, ergibt sich aus Art. 24 des
Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR
172.021).

4.
Das führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit dem Entscheid
über die Beschwerde ist auch das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos geworden. Die Kosten des Verfahrens sind der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG.)

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Eidgenössischen
Steuerverwaltung sowie der Eidgenössischen Steuerrekurskommission schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Oktober 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: