Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.400/2002
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2A.400/2002 /leb

Urteil vom 1. November 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Feller.

A. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Herrn Ljubomir Golic, Beratungsbüro,
Laufenstrasse 42, 4053 Basel,

gegen

Migrationsamt des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 86/88, 5001 Aarau,
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 70,
Postfach, 5001 Aarau.

Familiennachzug,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts im
Ausländerrecht des Kantons Aargau
vom 19. Juli 2002.

Sachverhalt:

A.
Der kroatische Staatsangehörige A.________ reiste am 7. Januar 1991 zwecks
Ausübung einer Erwerbstätigkeit in die Schweiz ein. Am 1. Oktober 2001 wurde
ihm die Niederlassungsbewilligung erteilt. Er war in seiner Heimat
verheiratet. Zusammen mit seiner Ehefrau hat A.________ zwei Söhne, geboren
am 18. Juni 1981 und am 13. August 1984. Mit Urteil des Gemeindegerichts
Pozega, Kroatien, vom 16. Juli 2001 wurde die Ehe geschieden. Der jüngere,
1984 geborene Sohn, B.________, wurde unter die elterliche Sorge des Vaters,
A.________, gestellt; der Mutter wurde an jedem zweiten Wochenende ein
Besuchsrecht eingeräumt.

Am 5. November 2001 stellte A.________ ein Gesuch um Familiennachzug für
B.________, welches die Fremdenpolizei des Kantons Aargau am 28. Februar 2002
ablehnte. Der Rechtsdienst der Fremdenpolizei wies die gegen diese Verfügung
erhobene Einsprache am 5. Juni 2002 ab. Mit Urteil vom 19. Juli 2002 wies das
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab.

B.
Mit Eingabe vom 21. August 2002 erhob A.________ beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts vom 19.
Juli 2002 mit dem Antrag, dem nachgesuchten Familiennachzug zu entsprechen
und die vorinstanzlichen Entscheide aufzuheben. Er ersuchte um Ansetzen einer
angemessenen Frist für die Nachreichung einer verbesserten
Beschwerdebegründung. Der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
teilte dem Vertreter des Beschwerdeführers am 23. August 2002 mit, dass die
Beschwerdeschrift den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht genüge; die
gesetzliche Beschwerdefrist könne nicht richterlich erstreckt werden, stehe
indessen angesichts der Regel von Art. 34 Abs. 1 lit. b OG in der Zeit vom
15. Juli bis und mit 15. August still und laufe nicht vor dem 16. September
2002 (Montag) ab, was eine Ergänzung der Beschwerde bis zu diesem Datum
ermögliche. Unter Hinweis darauf, dass das angefochtene Urteil nach einer
ersten provisorischen Durchsicht vollumfänglich der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung entspreche, wurde dem Beschwerdeführer aber Gelegenheit
eingeräumt, die Beschwerde bis zum 16. September 2002 kostenlos
zurückzuziehen. Mit Eingabe vom 15. September 2002 hat der Beschwerdeführer
eine ergänzende Beschwerdebegründung eingereicht und zudem durch Einzahlung
des Kostenvorschusses bekundet, dass er an der Beschwerde festhält.

Das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau beantragt, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das
Migrationsamt (Fremdenpolizei) des Kantons Aargau hat unter Hinweis auf die
Erwägungen des Rekursgerichts auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt
für Ausländerfragen als zuständige Bundesbehörde beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer stützt sein Begehren um Familiennachzug für seinen Sohn
B.________ auf Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG. Danach haben ledige Kinder unter
18 Jahren Anspruch auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung ihrer
Eltern, wenn sie mit diesen zusammen wohnen. Diese Bestimmung ist - dem
Grundsatz nach und unter bestimmten Bedingungen - analog (vgl. BGE 125 II 585
E. 2c S. 589 unten) - auch auf den Fall anwendbar, dass nur ein Elternteil
die Niederlassungsbewilligung hat und Kinder aus der Heimat nachziehen will,
ohne dass damit ein Zusammenleben der gesamten Familie in der Schweiz
beabsichtigt wird (grundlegend BGE 118 Ib 153 E. 2b S. 159; dazu nachfolgend
E. 2.1).

Der Beschwerdeführer hat die Niederlassungsbewilligung, und er stellte das
Familiennachzugsgesuch, als sein Sohn 17 Jahre und zwei Monate alt war.
Insofern sind die Voraussetzungen für eine Berufung auf Art. 17 Abs. 2 ANAG
erfüllt; insbesondere ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter dem
Gesichtspunkt von Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG in Verbindung mit Art. 17
Abs. 2 ANAG zulässig, obwohl der Sohn des Beschwerdeführers mittlerweile über
18 Jahre alt ist und sich - im Hinblick auf die Bewilligungsfrage - nicht
(mehr) auf Art. 8 EMRK berufen kann (vgl. BGE 120 Ib 257 E. 1f S. 262 f.)

2.
2.1 B.________ soll zu seinem Vater in die Schweiz ziehen, während seine
Mutter und die Grossmutter, die teilweise die Verantwortung für seine
Betreuung mit trug, gleich wie der nunmehr 21jährige Bruder in Kroation
bleiben. Zweck des in Art. 17 Abs. 2 ANAG geregelten Familiennachzugs ist es,
das Leben in der Familiengemeinschaft (Gesamtfamilie) zu ermöglichen. Soweit
es nicht um die Zusammenführung der Gesamtfamilie geht, lehnt es das
Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung ab, einen bedingungslosen Anspruch
auf Nachzug der Kinder anzunehmen (nebst BGE 118 Ib 153 E. 2b S. 159 s. BGE
126 II 329 E. 2b S. 331; 125 II 585 E. 2a S. 586 f.; 124 II 361 E. 3a S.
366). Die Rechtsprechung (s. neuestens auch Urteil 2A.510/2002 vom 11. März
2002 E. 4.5.) lässt sich wie folgt zusammenfassen: Für die Änderung der
Betreuungsverhältnisse müssen hinreichende Gründe vorliegen und konkret
belegt werden. Erste, für sich allein aber nicht genügende Voraussetzung ist,
dass der in der Schweiz lebende Elternteil die vorrangige familiäre Beziehung
zum nachzuziehenden Kind hat. Erforderlich ist, dass sich der Familiennachzug
zur Pflege dieser Beziehung und im Hinblick auf die Betreuungsbedürftigkeit
des Kindes (nunmehr) als notwendig erweist. Dabei ist insbesondere auf die
bisherigen Betreuungsverhältnisse (Betreuung durch den anderen Elternteil,
Grosseltern oder volljährige Geschwister) und diesbezüglich eingetretene
Änderungen zu achten und sind die Art und die Intensität der Integration des
Kindes in seiner Heimat zu berücksichtigen, wobei zu prüfen ist, wie es sich
im Vergleich hierzu mit den Aussichten einer Integration in der Schweiz
verhält. Zu vermeiden ist, dass das Kind ohne Notwendigkeit aus der gewohnten
Umgebung herausgerissen wird. Es liegt auf der Hand, dass die Anforderungen
an die Bewilligung einer nachträglichen Einreise eines Kindes zu einem
Elternteil besonders dann hoch sind, wenn das entsprechende Gesuch erst kurz
vor Erreichen des 18. Altersjahres gestellt wird. Diesfalls müssen ganz
besondere Umstände vorliegen, wird doch das einzige Art. 17 Abs. 2 ANAG zu
Grunde liegende Ziel, das familiäre Zusammenleben zu ermöglichen, verfehlt,
wenn der in der Schweiz niedergelassene Elternteil das bald volljährige Kind
erst zu sich holen will, nachdem er jahrelang - freiwillig - von ihm getrennt
gelebt hat. Ernsthaft kann sich die Frage des nachträglichen Familiennachzugs
bei Kindern, die während mehrerer Jahre im Ausland von sonstigen
Familienangehörigen (anderer Elternteil, Grosseltern) betreut wurden, in der
Regel bloss dann stellen, wenn sie zum Zeitpunkt der Gesuchstellung noch
längst nicht 18 Jahre alt sind.

Das Rekursgericht hat diese Grundsätze richtig wiedergegeben. Es ist zu
prüfen, ob es sie im vorliegenden Fall richtig gehandhabt hat.

2.2 Das Rekursgericht hat den im Hinblick auf die zu entscheidende
Rechtsfrage erheblichen Sachverhalt weder offensichtlich falsch,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
ermittelt. Insbesondere verfügte es auch ohne persönliche Anhörung von
B.________ über genügend für die Entscheidfindung massgebliche Angaben. Seine
tatsächlichen Feststellungen sind mithin für das Bundesgericht verbindlich
(vgl. Art. 105 Abs. 2 OG). In tatsächlicher Hinsicht ist von Folgendem
auszugehen:

Der Beschwerdeführer reiste 1991 in die Schweiz ein und erhielt die
Aufenthaltsbewilligung. B.________, damals sieben Jahre alt, blieb zusammen
mit seinem älteren Bruder und der Mutter, der Ehefrau des Beschwerdeführers,
in Kroatien zurück. Das vorliegend streitige Gesuch um Familiennachzug wurde
im November 2001 gestellt, nach einer Trennung von zehn Jahren. Die Beziehung
zwischen dem Beschwerdeführer und B.________ wurde seit 1991 im Rahmen des
Möglichen kontinuierlich gepflegt, durch häufige Telefongespräche und durch
offenbar monatliche Besuche des Beschwerdeführers in Kroatien. B.________ und
sein Bruder wurden in Kroatien durch die Ehefrau des Beschwerdeführers
betreut. Ferner kümmerte sich auch die Mutter des Beschwerdeführers, d.h. die
Grossmutter von B.________, um dessen Erziehung, wobei der Anteil der
Grossmutter an der Betreuung in den letzten Jahren zunahm und zuletzt
vorrangig gewesen zu sein scheint; ab einem bestimmten Zeitpunkt wohnte
B.________ bei ihr. Die Grossmutter ist heute bald 70 Jahre alt, und gemäss
medizinischem Bericht vom Frühjahr 2002 ist sie gesundheitlich angeschlagen
und wegen ihrer Krankheiten zu physischer Arbeit sowie zur Arbeit mit Kindern
und zur Sorge für dieselben untauglich. Auf diese Gesundheitssituation machte
der Beschwerdeführer allerdings weder im Nachzugsgesuch noch in späterer
Korrespondenz mit der Fremdenpolizei aufmerksam; erst im Einspracheverfahren
kam er darauf zu sprechen, ohne darzulegen, welche konkreten Probleme sich
neu eingestellt haben sollen. Bei B.________ selber besteht ein
Geburtsgebrechen (Brustdeviation), und er hatte sich 1993 deswegen einer
Operation zu unterziehen. Allerdings führt er gemäss Angaben des Vertreters
des Beschwerdeführers im kantonalen Einspracheverfahren ein nahezu normales
Leben; zwar kann er keine körperlich stark belastende Tätigkeiten ausüben,
absolviert jedoch in seiner Heimat eine Lehre als Koch.

Ausgehend von dieser Situation durfte das Rekursgericht den Schluss ziehen,
dass in Bezug auf die Betreuungsbedürftigkeit von B.________ keine gerade auf
den Zeitpunkt, da das Nachzugsgesuch gestellt wurde, wirksam werdenden
entscheidenden Veränderungen eingetreten waren. Wenn offenbar die
Betreuungskapazitäten der Grossmutter gesundheitlich bedingt nach und nach
abnehmen, steht dem die Tatsache gegenüber, dass mit zunehmendem Alter von
B.________ auch die Notwendigkeit eigentlicher Kinderbetreuung kontinuierlich
abnimmt. Im Übrigen ist nie behauptet worden, dass die Ehefrau des
Beschwerdeführers überhaupt keine Aufsichts- und Betreuungsaufgaben
übernehmen kann. Besondere Umstände (bezüglich der Betreuungssituation oder
in andererlei Hinsicht), die grundsätzlich Voraussetzung für eine Bewilligung
des nachträglichen Familiennachzugs kurz vor Erreichen des 18. Lebensjahrs
sind, sind nicht dargetan worden. Einziger Grund für das Gesuch ist die
Tatsache, dass der Sohn sich dem Vater näher fühlt als der Mutter (oder der
Grossmutter). Dies genügt, wenn auch der Nachzugswunsch nachvollziehbar sein
mag, nach feststehender Rechtsprechung für die Erteilung der
Niederlassungsbewilligung an den Sohn von vornherein nicht. Dies umso
weniger, als einerseits trotz Ablehnung des Gesuchs wie schon bis anhin
offensichtlich die Möglichkeit zu ausreichender und auch altersangemessener
Kontaktpflege zwischen Vater und Sohn besteht und andererseits B.________ in
Kroatien eine Berufslehre absolviert. Letzteres zeigt, dass er in das
Sozialleben in seiner Heimat integriert ist; bei einer Einreise in die
Schweiz mit mittlerweile mehr als 18 Jahren müsste er sich demgegenüber
erstmals in einem - trotz offenbar in der Schule erworbener Deutschkenntnisse
- völlig neuen Umfeld einleben.

2.3 Der angefochtene Entscheid verletzt nach dem Gesagten Bundesrecht nicht.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet
und ist - im vereinfachten Verfahren (Art. 36a OG) - abzuweisen.

3.
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt und dem
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau sowie dem Bundesamt für
Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. November 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: