Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.364/2002
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2A.364/2002 /leb

Urteil vom 6. November 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Merkli,
Gerichtsschreiber Schaub.

A. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Anwältin Béatrice Abegglen, Hauptgasse 35,
Postfach 139, 4502 Solothurn,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn,
4500 Solothurn, vertreten durch das Amt für öffentliche Sicherheit des
Kantons Solothurn, Ausländerfragen, 4500 Solothurn,
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, Amthaus 1,
4502 Solothurn.

Wiedererwägung der Ausweisung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 17. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Der aus dem Libanon stammende A.________ (geb. 1968) reiste am 6. Januar 1985
in die Schweiz ein und stellte hier ein Asylgesuch, das am 4. Oktober 1985
abgewiesen wurde. Gestützt auf eine erste, bis zum 15. November 1990 dauernde
Ehe mit einer Schweizerin erhielt er eine Aufenthaltsbewilligung. Am 5. April
1991 heiratete er die Schweizer Bürgerin B.________. Aus dieser Beziehung
gingen die drei Kinder C.________ (geb. 1990), D.________ (geb. 1991) und
E.________ (geb. 1993) hervor.

Am 6. Juni 1995 wurde A.________ festgenommen und in Untersuchungshaft
versetzt. Mit Urteil vom 23./24./27. und 28. Oktober 1997 bestrafte ihn das
Amtsgericht X.________ wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz, Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes,
Begünstigung, Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer und Fälschung von Ausweisen mit einer
Zuchthausstrafe von zehn Jahren; gleichzeitig verwies ihn das Amtsgericht für
zwölf Jahre des Landes.

Am 5. März 2001 wies das Departement des Innern des Kantons Solothurn
(nachfolgend Departement) A.________ auf den Tag seiner Entlassung aus dem
Strafvollzug für die Dauer von zwölf Jahren aus der Schweiz aus, was das
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (nachfolgend Verwaltungsgericht) auf
Beschwerde hin am 20. Juli 2001 bestätigte. Mit Urteil 2A.364/2001 vom 18.
Oktober 2001 hat das Bundesgericht die dagegen geführte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

B.
Mit Verfügung des Departements vom 25. Januar 2002 wurde A.________, weiteres
gutes Verhalten vorausgesetzt, per 12. Februar 2002 bedingt aus der
Strafanstalt entlassen bei einer Probezeit von fünf Jahren. Der Vollzug der
ausgesprochenen Landesverweisung wurde für die Dauer der Probezeit bedingt
aufgeschoben.

C.
A.________ ersuchte mit Schreiben vom 5. Februar 2002 beim Departement des
Innern um Wiedererwägung der Ausweisungsverfügung vom 5. März 2001. Das
Departement trat am 11. Februar 2002 auf das Gesuch nicht ein. Am 12. Februar
2002 wurde A.________ nach Beirut ausgeschafft. Mit Urteil vom 17. Juni 2002
wies das Verwaltungsgericht eine gegen die Verfügung vom 11. Februar 2002
gerichtete Beschwerde ab, nachdem es bereits mit Verfügung vom 27. Februar
2002 ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen
Aussichtslosigkeit abgewiesen hatte.

D.
Dagegen führt A.________ mit Eingabe vom 17. Juli 2002 beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, eventuell staatsrechtliche Beschwerde. Er
beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Juni 2002, mit dem die
Nichteintretensverfügung des Departements vom 11. Februar 2002 bestätigt
wurde, aufzuheben und die zuständige kantonale Instanz anzuweisen, auf das
Wiedererwägungsgesuch einzutreten. Zudem sei "die integrale unentgeltliche
Rechtspflege" zu gewähren unter Beiordnung von Rechtsanwältin Béatrice
Abegglen als unentgeltliche Rechtsbeiständin.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer hat eine "Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 97 ff
OG, eventuell staatsrechtliche Beschwerde" eingereicht. Er rügt, die
Vorinstanz habe mit der Bestätigung des Nichteintretensentscheides ihr
Ermessen überschritten bzw. missbraucht und den rechtserheblichen Sachverhalt
unvollständig festgestellt und damit Art. 8 BV verletzt.

1.1 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, welches
Rechtsmittel zulässig ist und in welchem Umfang darauf eingetreten werden
kann (BGE 128 I 46 E. 1a S. 48; 127 I 92 E. 1 S. 93; 127 II 198 E. 2 S. 201,
je mit Hinweisen).

Die staatsrechtliche Beschwerde setzt - neben der Erschöpfung des kantonalen
Instanzenzuges (Art. 86 OG) - voraus, dass die behauptete Rechtsverletzung
nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer
anderen Bundesbehörde gerügt werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG; absolute
Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde). Zu prüfen ist daher
zunächst, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 97 ff. OG zur
Verfügung steht (BGE 127 II 161 E. 1 S. 164, mit Hinweisen).

1.2 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gemäss Art. 97 OG in Verbindung mit
Art. 5 VwVG zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des
Bundes stützen oder hätten stützen sollen, sofern sie von einer der in Art.
98 f. OG genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in Art.
99-102 OG oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe
vorliegt. Gegen letztinstanzliche Entscheide über Ausweisungen nach Art. 10
ANAG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Art. 100 Abs. 1 lit. b
Ziff. 4 OG e contrario; BGE 114 Ib 1 E. 1a S. 2; vgl. auch BGE 125 II 105,
521).

1.3 Das Wiedererwägungsgesuch stützt sich auf § 28 des Solothurnischen
Gesetzes vom 15. November 1970 über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen
(Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG). Die Zulässigkeit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde trotz kantonalrechtlicher Verfügungsgrundlage
wird vom Bundesgericht im Bereich der Nichteintretensentscheide bejaht: Tritt
eine kantonale Behörde auf ein Rechtsmittel allein gestützt auf kantonales
Verfahrensrecht nicht ein und führt dies dazu, dass die korrekte Anwendung
von Bundesrecht nicht überprüft wird, die Durchsetzung von Bundesrecht somit
vereitelt werden könnte, so ist die Rüge, das kantonale Verfahrensrecht sei
in Art. 8, 9 oder 29 BV (früher: Art. 4 aBV) verletzender Weise angewendet
worden, ebenfalls mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde - und nicht mit
staatsrechtlicher Beschwerde - geltend zu machen, und zwar selbst dann, wenn
nicht eine Verletzung von materiellem Bundesverwaltungsrecht behauptet wird
(BGE 123 I 275 E. 2c S. 277; 120 Ib 379 E. 1b S. 382, mit Hinweisen).

1.4 Die Ausweisungsverfügung vom 5. März 2001 ist rechtskräftig. Das
Departement ist mit Verfügung vom 11. Februar 2002 auf das entsprechende
Wiedererwägungsgesuch vom 5. Februar 2002 nicht eingetreten, was das
Verwaltungsgericht mit Urteil vom 17. Juni 2002 bestätigte.

Damit liegt ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid einer richterlichen
Behörde nach Art. 98 lit. g in Verbindung mit 98a OG vor. Die Eingabe ist
demnach als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln. Hingegen kann darauf,
soweit sie als staatsrechtliche Beschwerde eingereicht wurde, wegen deren
Subsidiarität (Art. 84 Abs. 2 OG) nicht eingetreten werden.

2.
2.1 Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde können die Verletzung von
Bundesrecht - einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens -
und die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Hat jedoch - wie im
vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden, ist
das Bundesgericht an den festgestellten Sachverhalt gebunden, es sei denn,
dieser sei offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensbestimmungen erhoben worden (Art. 105 Abs. 2 OG). Das
Bundesgericht wendet im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde das
Bundesrecht von Amtes wegen an, d.h. es ist nicht an die Begründung der
Parteien gebunden (Art. 114 Abs. 1 OG am Ende): Es kann die Beschwerde auch
aus andern als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder den Entscheid
mit einer Begründung bestätigen, die von jener der Vorinstanz abweicht (BGE
128 II 145 E. 1.2.2 S. 150 f.; 127 II 264 E. 1b S. 268, mit Hinweisen).

2.2 Nach § 28 VRG kann auf schriftliches Gesuch einer Partei eine Verfügung
oder ein Entscheid durch diejenige Behörde, die rechtskräftig verfügt oder
entschieden hat, in Wiedererwägung gezogen werden, sofern neue erhebliche
Tatsachen oder Beweismittel vorliegen oder geltend gemacht werden (Abs. 1).
Gegen den Nichteintretensentscheid kann Beschwerde geführt werden (Abs. 2).

Nach Bundesverfassungsrecht besteht nur dann ein Anspruch auf Wiedererwägung,
wenn sich die Verhältnisse seit dem ersten Entscheid erheblich geändert haben
oder der Gesuchsteller Tatsachen und Beweismittel anführt, die ihm im
früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu
machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine
Veranlassung bestand (vgl. BGE 120 Ib 42 E. 2b S. 46 f., mit Hinweisen;
Urteil des Bundesgerichts 2A.383/2001 vom 23. November 2001 E. 2.e).
2.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, mit der Verfügung des Departements
des Innern des Kantons Solothurn vom 25. Januar 2002 betreffend die bedingte
Entlassung aus der Strafanstalt nach Art. 38 StGB sei die vom Amtsgericht
X.________ unbedingt ausgesprochene Landesverweisung in eine bedingt
aufgeschobene umgewandelt worden. Grundlegend verändert habe sich die
Situation durch die Begründung des Departements. Danach habe der
Beschwerdeführer einen tadellosen Führungsbericht und anscheinend aus dem
Strafvollzug die nötigen Lehren gezogen und sei gewillt, inskünftig ein
straffreies Leben zu führen. Mit dieser Begründung seien die "erheblichen
Zweifel" des Amtsgerichts an der Belehrbarkeit des Beschwerdeführers, welche
das Bundesgericht in seinem Urteil vom 18. Oktober 2001 angeführt hatte,
nicht nur relativiert, sondern annulliert. Während das Bundesgericht von
einer zumutbaren Ausreise nach Libanon ausgegangen sei, halte das Departement
nun fest, dass vor allem soziale Kontakte zu seiner Frau und seinen Kindern
vorhanden seien und diese ihm eine Stütze für die Zukunft sein könnten.
Angesichts der neuen Beurteilung des Beschwerdeführers durch das Departement
müsse die Angemessenheit nach Art. 11 Abs. 3 ANAG neu geprüft werden. Auch
könne er nun einen Aufenthaltsanspruch aus Art. 8 Ziff. 1 EMRK ableiten. Die
Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung des
Beschwerdeführers von der Schweiz und seinen privaten Interessen müsse
nochmals vorgenommen werden.

2.4 Der Beschwerdeführer beruft sich in seinem Wiedererwägungsgesuch
ausschliesslich auf die Beurteilung des Departements, die im Hinblick auf die
strafrechtliche Landesverweisung und die dort massgebende Prognose über ein
künftiges Wohlverhalten bzw. die Resozialisierungschancen vorgenommen worden
ist. Der konkreten Prognose über das Wohlverhalten sowie dem
Resozialisierungsgedanken des Strafrechts ist zwar im Rahmen der umfassenden
fremdenpolizeilichen Interessenabwägung ebenfalls Rechnung zu tragen, die
beiden Umstände geben aber nicht den Ausschlag (BGE 125 II 105 E. 2c S. 110,
mit Hinweisen). Das Departement hatte im Rahmen des Wiedererwägungsgesuchs
einzig zu prüfen, ob in Bezug auf die Interessenabwägung bei der
fremdenpolizeilichen Ausweisung neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen.

Neue erhebliche Tatsachen, die nicht schon im Verfahren, das mit Urteil des
Bundesgerichts 2A.364/2001 vom 18. Oktober 2001 abgeschlossen wurde, bekannt
waren, werden keine vorgebracht: Die Verfügung vom 25. Januar 2002
berücksichtigt bei der Frage der bedingten Entlassung und der Gewährung des
bedingten Aufschubs der strafrechtlichen Landesverweisung Tatsachen, die in
Bezug auf das Strafurteil von 1997, nicht aber bezüglich des
Ausweisungsverfahrens neu und erheblich sind. So wurde im
Ausweisungsverfahren bereits berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer für
den Strafvollzug mit einem guten Führungsbericht rechnen kann (Urteil des
Bundesgerichts 2A.364/2001 vom 18. Oktober 2001 E. 3.b)cc) S. 7). Dabei
verschwieg er im Wiedererwägungsgesuch, dass er am 14. Dezember 2000 wegen
Besitzes von Bargeld und portioniertem, abgepacktem Cannabiskraut
diszipliniert worden war. Er kann daraus, dass bis im Januar 2002 keine
weiteren Disziplinarmassnahmen gegen ihn notwendig waren, für das
Wiedererwägungsgesuch nichts ableiten. Auch wurde im Ausweisungsverfahren
erwogen, dass er nicht vertieft integriert war und mit der hiesigen
Bevölkerung kaum Kontakt hatte (a.a.O., E. 3.b)aa) S. 6). Die Erwägung des
Departements im Januar 2002, dass seine sozialen Kontakte vor allem zu seiner
Frau und seinen Kindern bestanden und diese ihm - hier in der Schweiz - eine
Stütze für die Zukunft sein könnten, stellt keine neue erhebliche Tatsache
dar. Für eine erneute Interessenabwägung hinsichtlich der öffentlichen
Ordnung und Sicherheit bestand damit keine Veranlassung. Es ist deshalb nicht
zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Nichteintretensentscheid des
Departements geschützt hat.

3.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist
abzuweisen. Aufgrund der publizierten Praxis und der Begründung der Vor-
instanzen konnte der Beschwerdeführer nicht ernsthaft mit einem Erfolg seiner
Beschwerde rechnen. Die gestellten Rechtsbegehren sind zum Vornherein als
aussichtslos zu betrachten (Art. 152 OG); das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ist infolgedessen abzuweisen. Entsprechend
dem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen, wobei seiner finanziellen Situation bei der
Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung getragen wird (Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). Auf die Zusprechung einer
Parteientschädigung besteht kein Anspruch (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement des Innern und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn sowie dem Bundesamt für
Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. November 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: