Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.271/2002
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2A.271/2002 /leb

Urteil vom 20. November 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Matter.

Steuerverwaltung des Kantons Bern, Abteilung Recht und Gesetzgebung, 3011
Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________ und B.________ C.________,
Beschwerdegegner,
Steuerrekurskommission des Kantons Bern,
Sägemattstrasse 2, Postfach 54, 3097 Liebefeld.

Direkte Bundessteuer pro 1989/1990, Verjährung;

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission
des Kantons Bern vom 23. April 2002.

Sachverhalt:

A.
A. ________ und B.________ C.________ wurden am 22. April 1991 für die
direkte Bundessteuer 1989/90 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr.
399'400.-- veranlagt. Dagegen erhoben sie Einsprache und beantragten, der
Eigenmietwert sei statt auf Fr. 22'100.-- auf maximal Fr. 16'300.--
festzusetzen. In der Folge beauftragte die Veranlagungsbehörde die Abteilung
"Amtliche Bewertung der Grundstücke und Wasserkräfte" (nachfolgend: Abteilung
amtliche Bewertung), den angefochtenen Mietwert zu überprüfen.

Am 26. April 1994 wurden den Eheleuten C.________ nach amtlicher Bewertung
ihrer Liegenschaft der sog. Protokollmietwert sowie der Mietwertfaktor
mitgeteilt, wogegen die Betroffenen mit Eingabe vom 26. Mai 1994 vorsorglich
Einsprache erhoben. Darauf liess ihnen die Abteilung amtliche Bewertung
folgendes Antwortschreiben vom 9. Juni 1994 zukommen:
"Eigenmietwert Grundstück Bern 2, Nr. 347, Hallerstrasse 35
Sehr geehrter Herr C.________
Ihr Schreiben vom 26.05.1994 haben wir erhalten und teilen Ihnen mit, dass
wir dies zur direkten Erledigung an die zuständige Amtsstelle
Veranlagungsbehörde Bern-Stadt
Gerechtigkeitsgasse 36
3011 Bern
weitergeleitet haben, die sich direkt mit Ihnen in Verbindung setzen wird.
Der Eigenmietwert ist Bestandteil der Einkommensveranlagung. Die Abteilung
amtliche Bewertung wird, falls notwendig, durch die Veranlagungsbehörde
beigezogen.
Wir bitten sie höflich um Kenntnisnahme und verbleiben mit freundlichen
Grüssen..."
Mit Brief vom 19. Dezember 1997 lud die Veranlagungsbehörde die Eheleute
C.________ zu einer Besprechung in ihren Amtsräumen zwecks Abklärung der
Verhältnisse ein. Am 22. Januar 2001 wurde die Einsprache teilweise
gutgeheissen.

Gegen den Einspracheentscheid erhoben die Eheleute C.________ Beschwerde und
Rekurs bei der Steuerrekurskommission des Kantons Bern, welche in Bezug auf
die direkte Bundessteuer die Beschwerde guthiess und feststellte, dass das
Recht zur Veranlagung der direkten Bundessteuer 1989/90 verjährt sei. Sie
erwog, dass vom 22. April 1991 (Veranlagungsverfügung) bis zum 19. Dezember
1997 (Einladung zur Besprechung), d.h. während mehr als fünf Jahren, keine
Einforderungshandlung erfolgt und die Steuerforderung somit verjährt sei.

B.
Mit Eingabe vom 31. Mai 2002 hat die Steuerverwaltung des Kantons Bern
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag,
der Entscheid der Steuerrekurskommission vom 23. April 2002 sei betreffend
die direkte Bundessteuer aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 22.
Januar 2001 zu bestätigen. Mit Bezug auf die Staatssteuer hat die
Steuerverwaltung beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde
eingereicht.

Die Steuerrekurskommission schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die
Eheleute C.________ beantragen, mangels Legitimation auf die Beschwerde nicht
einzutreten; allenfalls sei sie abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Eidgenössische
Steuerverwaltung schliesst sich den Anträgen der kantonalen Steuerverwaltung
an.

Nach Abschluss des Schriftenwechsels haben die Eheleute C.________ dem
Bundesgericht am 13. August 2002 unter dem Titel "Schlussbemerkungen" eine
zusätzliche Eingabe zukommen lassen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Bern ist -
soweit die direkte Bundessteuer betreffend - ein auf Steuerrecht des Bundes
gestütztes, letztinstanzliches kantonales Urteil, das mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden kann
(Art. 97 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG und Art. 98 lit. g OG sowie
Art. 112 Abs. 1 BdBSt bzw. Art. 146 DBG).

Die Legitimation der kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer zur
Beschwerde gegen den Entscheid der kantonalen Steuerrekurskommission ergab
sich nach der Rechtsprechung zum Bundesratsbeschluss über die direkte
Bundessteuer aus Art. 103 lit. a und c OG in Verbindung mit Art. 107 Abs. 1
und 112 Abs. 1 BdBSt (BGE 108 Ib 227 E. 1a S. 228, mit Hinweisen) und ist
jetzt im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer ausdrücklich verankert
(Art. 146 Satz 2 DBG). Als kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer
amtet im Kanton Bern die kantonale Steuerverwaltung (Art. 2 und 4 Abs. 1 lit.
e der bernischen Verordnung über den Vollzug der direkten Bundessteuer vom
19. Oktober 1994). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist
daher einzutreten. Die Einwände der Beschwerdegegner zur Befugnis der
kantonalen Steuerverwaltung, den Bundessteueranspruch geltend zu machen,
gehen fehl.

2.
Materiell ist streitig, ob die Steuerrekurskommission zu Recht angenommen
hat, dass während mehr als fünf Jahren - nämlich zwischen dem 22. April 1991
und dem 19. Dezember 1997 - keine Einforderungshandlung für die direkte
Bundessteuer 1989/90 erfolgt und somit die Veranlagungsverjährung eingetreten
sei.

2.1 Mit dem am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Gesetz vom 14. Dezember
1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) wurde der
Bundesratsbeschluss vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten
Bundessteuer (BdBSt) aufgehoben (Art. 201 DBG). Für die am 1. Januar 1995
noch nicht oder nicht rechtskräftig veranlagten Steuern früherer Jahre gelten
indessen die materiell-rechtlichen Bestimmungen des (alten)
Bundesratsbeschlusses weiter (Agner/Jung/Steinmann, Kommentar zum Gesetz über
die direkte Bundessteuer, Zürich 1995, N. 3 zu Art. 201). Die in Art. 120 f.
DBG enthaltenen Verjährungsbestimmungen sind zwar in systematischer Hinsicht
dem Fünften Titel des Gesetzes, dem Verfahrensrecht, zugeordnet. Indessen
handelt es sich bei der Verjährung um ein materiell-rechtliches Institut, das
unmittelbar den Bestand der Steuerforderung betrifft. Die Frage der
Verjährung ist daher nach den Bestimmungen des (alten) Bundesratsbeschlusses
zu beurteilen (vgl. BGE 126 II 1 E. 2a S. 2 f.).
2.2 Nach Art. 98 BdBSt erlischt das Recht, die Veranlagung einzuleiten, drei
Jahre nach Ablauf der Veranlagungsperiode. Im vorliegenden Fall wurde diese
Frist unbestrittenermassen eingehalten.

2.3 Nach Art. 128 BdBSt verjähren die Steuerforderungen in fünf Jahren. Die
Verjährung beginnt mit der Fälligkeit der Forderung. Ihr Lauf wird durch jede
Einforderungshandlung unterbrochen; er ruht, solange der Steuerpflichtige in
der Schweiz nicht betrieben werden kann.

2.3.1 Unter den Begriff der Einforderungshandlung im Sinne dieser Bestimmung
fallen nicht nur die eigentlichen Steuerbezugshandlungen, sondern auch alle
auf Feststellung des Steueranspruchs gerichteten Amtshandlungen, die dem
Steuerpflichtigen zur Kenntnis gebracht werden. Dazu gehören beispielsweise
die Zustellung des Steuererklärungsformulars, die Mahnung zur Einreichung
einer Steuererklärung, die Ankündigung und Vornahme von Bücheruntersuchungen,
die Eröffnung einer definitiven oder provisorischen Steuerveranlagung, die
Aufforderung oder Mahnung zur Zahlung usw. Auch die Zustellung einer
vorläufigen Steuerrechnung auf Grund der Steuererklärung stellt eine solche
Einforderungshandlung dar (vgl. BGE 126 II 1 E. 2c S. 3, mit weiteren
Verweisungen).

2.3.2 Es fragt sich, ob die Verjährungsunterbrechung auch durch eine amtliche
Mitteilung erfolgen kann, die lediglich eine spätere Veranlagung in Aussicht
stellt. In diesem Sinne hat das Bundesgericht kürzlich entschieden(vgl. BGE
126 II 1 E. 2f S. 4 f.), und zwar aus folgenden Gründen: Erstens ergäben sich
andernfalls Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich der Frage, welche
Amtshandlungen noch auf die Feststellung des Steueranspruchs gerichtet sind,
und welche nicht. Zweitens wären Abstimmungsprobleme gegenüber dem Bereich
der Befristung des Rechts, das Verfahren einzuleiten, zu befürchten, da Art.
98 BdBSt keine vergleichbaren Einschränkungen kennt und sich mit rein
formellen Mitteilungen begnügt. Drittens könnte sich eine engere
Begriffsfassung insofern kontraproduktiv für die Steuerpflichtigen auswirken,
als die Behörden in komplexen Verfahren fortan gezwungen sein könnten, auf
andere verjährungsunterbrechende Massnahmen zurückzugreifen, die zwar
zweifellos Einforderungshandlungen darstellen würden, aber für den
Pflichtigen mit bedeutend mehr Aufwand oder Risiken verbunden sein könnten:
Zu denken wäre an nur auf die Verjährungsunterbrechung ausgerichtete
Auskunftsanfragen, insbesondere aber an die Möglichkeit, dem Pflichtigen
trotz ungenügenden Entscheidgrundlagen eine Einschätzungsverfügung zukommen
zu lassen, was unter anderem zur Folge hätte, dass der Betroffene gezwungen
würde, dagegen Einsprache bzw. Beschwerde zu erheben. Aus Gründen der
Rechtssicherheit und der Transparenz erscheint es somit als gerechtfertigt,
den Begriff der Einforderungshandlung so weit zu fassen, dass er auch
Mitteilungen wie die hier streitige mit einschliessen kann, die zwar das
Veranlagungsverfahren nicht konkret weiterführen, aber dem Bürger den Willen
der Behörden kundtun, weiterhin auf das Geltendmachen der Steuerforderung
hinzuarbeiten.

2.3.3 Angesichts dieser Grundsätze müssen auch die hier streitigen
Mitteilungen als verjährungsunterbrechende Einforderungshandlungen eingestuft
werden.

Am 26. April 1994 liess die Abteilung amtliche Bewertung der kantonalen
Steuerverwaltung den Beschwerdegegnern nach Augenschein und Neufestsetzung
das "Mietwertblatt" zukommen, worauf insbesondere der "Protokollmietwert"
(Fr. 20'594.--) und der Mietwertfaktor (0.95 für die direkte Bundessteuer
1989/90) angegeben waren.

Nachdem die Beschwerdegegner gegen diese Mietwertfestsetzung vorsorglich
Einsprache erhoben hatten, teilte ihnen die Abteilung amtliche Bewertung mit
Antwortschreiben vom 9. Juni 1994 sinngemäss mit, dass ihre Einsprache
steuerverwaltungsintern an die zuständige Veranlagungsbehörde weitergeleitet
und eine weitere Behandlung im Rahmen des Einkommenssteuerverfahrens erfolgen
werde.

Mit jeder dieser beiden Amtshandlungen stellte die Steuerverwaltung den
Beschwerdeführern die Fortsetzung der Einkommenssteuerveranlagung in
Aussicht; dadurch wurde den Betroffenen der Wille der Behörden kundgetan,
auch zukünftig auf die Realisierung der Steuerforderung hinzuarbeiten.

2.3.4 Entgegen der Auffassung der Steuerrekurskommission ist nicht von
Belang, dass die Festlegung des amtlichen Liegenschaftswertes durch eine
andere Behörde und in einem separaten Verfahren erfolgt ist. Ebenso wenig
kommt es darauf an, ob die vorgenommene amtliche Bewertung von der
Veranlagungsbehörde vollumfänglich übernommen wird. Massgeblich ist einzig,
dass die Steuerbehörden Schritte im Hinblick auf die endgültige Festlegung
des Eigenmietwertes unternommen, den Pflichtigen eine spätere Veranlagung in
Aussicht gestellt und so klar gemacht haben, weiterhin auf die Realisierung
der Steuerforderung hinzuarbeiten.

2.3.5 Ebenso wenig vermögen die Einwendungen der Beschwerdegegner zu
überzeugen. Vorab kann angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE
126 II 1) das Argument nicht verfangen, die hier streitige Verjährungsfrage
sei durch das alte Bundesrecht nur lückenhaft geregelt. Unbehelflich sind
sodann die gesamten Ausführungen zur Rechtssicherheit und zur
Veranlagungsverjährung im Allgemeinen und Grundsätzlichen. Wesentlich ist
auch nicht, ob es sich bei der Weiterleitung an die Veranlagungsbehörde um
eine "Beförderungsmassnahme im technischen Sinne" gehandelt hat. Überdies
erscheint unzutreffend, wenn nicht sogar widersprüchlich, dass die
Beschwerdegegner in der Zusammenarbeit zwischen Veranlagungs- und
Schätzungsbehörde einerseits eine rechtsstaatlich unhaltbare
Verfahrensorganisation sehen (mit "faktischer Rechtsverweigerung" bis hin zu
mehrfacher "Täuschung"), andererseits aber verneinen, die Amtshandlungen der
Bewertungsabteilung könnten auf die Wahrung der Steuerforderung irgendwelche
Auswirkungen haben. Schliesslich kann auf die nachträgliche Eingabe der
Beschwerdeführer vom 13. August 2002 nicht eingetreten werden, da kein
zweiter Schriftenwechsel (Art. 93 Abs. 2 OG) angeordnet worden ist.

2.3.6 Gesamthaft ist somit festzuhalten, dass die Verjährungsfrist für die
direkte Bundessteuer 1989/90 nach der Veranlagungsverfügung vom 22. April
1991 spätestens ab dem 9. Juni 1994 neu zu laufen begann. Durch die Einladung
zur Besprechung mit Brief vom 19. Dezember 1997 wurde diese Frist rechtzeitig
unterbrochen. Der Einspracheentscheid vom 22. Januar 2001 erfolgte als
nächste Einforderungshandlung wiederum fristgemäss. Die
Veranlagungsverjährung ist somit noch nicht eingetreten.

3.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begründet. Der
vorinstanzliche Entscheid ist betreffend die direkte Bundessteuer (Ziff. 2
und 3 des Dispositivs) aufzuheben. Zu Recht wenden die Beschwerdegegner
indessen ein, dass eine Bestätigung des Einspracheentscheids schon deshalb
ausser Betracht fällt, weil die Steuerrekurskommission nur die
Verjährungsfrage geprüft hat, nicht aber die weiteren Einwände. Zwecks
Neubeurteilung ist die Sache somit an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die unterliegenden Beschwerdegegner
kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG i.V.m. Art. 153 und 153a OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass die Ziffern 2 und 3 des
Entscheids der Steuerrekurskommission vom 23. April 2002 - soweit die direkte
Bundessteuer betreffend - aufgehoben werden und die Sache an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird den Beschwerdegegnern unter
Solidarhaft auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Steuerrekurskommission des Kantons
Bern sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. November 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: