Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.236/2002
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2A.236/2002 /bie

Urteil vom 27. Mai 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter
Merkli,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

P. ________, zzt. Flughafengefängnis Kloten, Postfach, 8058 Zürich,
Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwältin S.________, 8036 Zürich,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich,
Berninastrasse 45, 8090 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter,
Kasernenstrasse 49, Postfach, 8026 Zürich.

Auschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG

(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 25. April 2002)
Sachverhalt:

A.
P. ________, geboren 1972, reiste am 16. Januar 2002 von Delhi herkommend
ohne Reisepapiere in die Schweiz ein. Im Transitbereich des Flughafens
Zürich-Kloten wurde er angehalten. Am 18. Januar 2002 stellte er dort ein
Asylgesuch. Er gab an, er stamme aus Nepal und könne nicht in sein Heimatland
zurückkehren, weil er befürchte, erneut in Auseinandersetzungen zwischen den
staatlichen Sicherheitskräften und der maoistischen Guerilla zu geraten. Am
29. Januar 2002 lehnte das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) das Asylgesuch ab
und wies P.________ aus der Schweiz weg. Dieser erhob hiergegen Beschwerde
bei der Schweizerischen Asylrekurskommission. Das entsprechende Verfahren ist
hängig. Mit Zwischenverfügung vom 1. Februar 2002 lehnte es die
Schweizerische Asylrekurskommission ab, die vom BFF entzogene aufschiebende
Wirkung der Beschwerde wieder herzustellen.

B.
Am 4. Februar 2002 ordnete das Migrationsamt des Kantons Zürich gegen
P.________ Ausschaffungshaft an. Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich
prüfte und bewilligte die Ausschaffungshaft bis zum 1. Mai 2002.

Am 7. Februar 2002 ersuchte die Flughafenpolizei des Kantons Zürich die
Fachabteilung für Vollzugsunterstützung im Bundesamt für Flüchtlinge um Hilfe
bei der Dokumentenbeschaffung. Am 19. Februar 2002 erhielt die
Flughafenpolizei von der Fachabteilung ein Passantragsformular der
nepalesischen Botschaft, welches sie von P.________ ausfüllen liess. Am 6.
März 2002 stellte die Flughafenpolizei bei der Fachabteilung erneut ein
Gesuch um Vollzugsunterstützung. Die Fachabteilung organisierte daraufhin für
den 27. März 2002 eine Vorführung von P.________ bei der nepalesischen
Botschaft in Genf, wo - am selben Tag - auch das Passantragsformular
übergeben werden sollte. In der Botschaft Nepals machte P.________ dann
allerdings geltend, er sei kein Nepali, sondern Staatsangehöriger von Bhutan.

C.
Am 23. April 2002 beantragte das kantonale Migrationsamt dem Haftrichteramt
des Bezirksgerichts Zürich die Verlängerung der Ausschaffungshaft um 3
Monate. Zwei Tage später wurde P.________ vom Haftrichter in dieser Sache
angehört. Für die Haftrichterverhandlung wurde ihm Rechtsanwältin E.________
als unentgeltliche Rechtsbeiständin beigegeben. Diese widersetzte sich der
Verlängerung der Ausschaffungshaft nicht (vgl. Protokoll der Anhörung vom 25.
April 2002, S. 5). Anschliessend bewilligte der Haftrichter die Verlängerung
der Ausschaffungshaft bis zum 1. August 2002.

D.
Mit Eingabe vom 14. Mai 2002 führt P.________, vertreten durch Rechtsanwältin
S.________ (Advokaturbüro G.________, Zürich), Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht. Er beantragt, die Verfügung des Haftrichters vom 25.
April 2002 aufzuheben. Im Weiteren sei er unverzüglich aus der Haft zu
entlassen, und es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
zu bewilligen.

Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet. Das Migrationsamt des Kantons Zürich beantragt Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Ausländerfragen hat sich innert Frist nicht
geäussert, und der Beschwerdeführer liess dem Bundesgericht mitteilen, auf
eine weitere Stellungnahme werde verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen bzw.
in dieser belassen, sofern die Voraussetzungen von Art. 13b ANAG erfüllt
sind. Danach ist im Einzelnen unter anderem erforderlich, dass ein
erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder
Ausweisungsentscheid vorliegt (vgl. BGE 121 II 59 E. 2 S. 61; 125 II 369 E.
3a S. 374; 122 II 148 E. 1 S. 150), dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender
Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist (BGE 125 II 369 E. 3a
S. 374, 377 E. 2a S. 379). Sodann muss einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG
genannten Haftgründe bestehen (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 3a S. 381;
124 II 1 E. 1 S. 3) und die Ausschaffung rechtlich und tatsächlich möglich
sein (vgl. Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG; dazu BGE 125 II 217 E. 2 S. 220, 377
E. 5 S. 384). Auf Seiten der Behörden sind die für den Vollzug der Wegweisung
notwendigen Vorkehrungen (wie Identitäts- und Herkunftsabklärungen,
Papierbeschaffung) umgehend zu treffen (Art. 13b Abs. 3 ANAG,
Beschleunigungsgebot; vgl. BGE 124 II 49 ff.). Die Haft darf höchstens drei
Monate dauern; stehen dem Vollzug der Wegweisung besondere Hindernisse
entgegen, so kann die Haft mit Zustimmung der kantonalen richterlichen
Behörde um höchstens sechs Monate verlängert werden (Art. 13b Abs. 2 ANAG).
Im Haftverlängerungsverfahren hat der (mittellose) Ausländer (auf Gesuch hin)
Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 122 I 49 E. 2c/cc S.
53).

2.
2.1In seiner Verfügung vom 25. April 2002, 08.20 Uhr, hatte der zuständige
Haftricher erwogen, nach Einsicht in das Gesuch des Migrationsamtes um
Haftverlängerung erweise sich die Bestellung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes als notwendig. Er setzte die mündliche Verhandlung auf den
Nachmittag desselben Tages an und bestellte dem Beschwerdeführer
Rechtsanwältin E.________ als unentgeltliche Rechtsbeiständin.

Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe bereits am 5. April 2002
Rechtsanwältin S.________ mandatiert. Diese habe am 8. April 2002 -
substituiert durch lic.iur. D.________ - beim Migrationsamt des Kantons
Zürich ein Gesuch um Akteneinsicht gestellt und sich durch Einreichung einer
Vollmacht als Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers legitimiert. Das
Migrationsamt habe es dann aber unterlassen, ihr den Antrag auf Verlängerung
der Haft zu eröffnen. Das Amt habe  die Vollmacht auch nicht an den
Haftrichter weitergeleitet. Der Beschwerdeführer sei deshalb an der
mündlichen Verhandlung nicht rechtsgenüglich vertreten gewesen, zumal die ihm
vom Haftrichter beigeordete unentgeltliche Rechtsbeiständin seine Interessen
überhaupt nicht gewahrt habe.

2.2 Gemäss Art. 13d Abs. 1 ANAG kann der Verhaftete mit seinem
Rechtsvertreter mündlich und schriftlich verkehren. Daraus ergibt sich, dass
der Ausländer im Haftanordnungs- und Haftprüfungsverfahren einen
rechtskundigen Vertreter beiziehen kann (BGE 122 II 154 E. 2c S.157). Dies
bedeutet, dass die Behörden einem Ausländer auf dessen Ersuchen hin den
Kontakt zu einem Anwalt oder anderen Rechtsvertreter ermöglichen müssen, wenn
ein solcher konkret erwähnt und bezeichnet wird.

2.3 Vorliegend befindet sich das Schreiben des Advokaturbüros G.________ vom
8. April 2002, mit welchem dem Migrationsamt eine Vollmacht zugestellt wurde,
nicht bei den vom Migrationsamt eingereichten Akten, ebenso wenig die
dazugehörige Vollmacht. Offenbar handelt es sich dabei um die gleiche
Vollmacht wie die für das bundesgerichtliche Verfahren eingereichte, die der
Beschwerdeführer am 5. April 2002 unterzeichnet hatte. Aus dem
Antwortschreiben des Migrationsamtes vom 11. April 2002 an das Advokaturbüro
G.________ ist aber zu folgern, dass eine solche Vollmacht tatsächlich
eingereicht worden ist. Damit wäre das Migrationsamt verpflichtet gewesen,
die bezeichnete Anwältin als gewählte Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers
zu behandeln, und diese hätte vom Haftrichter richtigerweise auch für die
Verhandlung vom 25. April 2002 beigezogen werden müssen. Aus welchem Grund
dies nicht geschah bzw. weshalb es zur Ernennung einer anderen
unentgeltlichen Rechtsbeiständin kam, ist nicht bekannt, zumal sich die im
bundesgerichtlichen Verfahren zur Vernehmlassung eingeladenen kantonalen
Behörden hierzu erstaunlicherweise nicht geäussert haben.

2.4 An der Haftrichterverhandlung war der Beschwerdeführer - wie ausgeführt -
durch eine amtlich bestellte Anwältin vertreten. Er hätte an sich Gelegenheit
und Anlass gehabt, auf das bereits bestehende Mandatsverhältnis hinzuweisen.
Offenbar hat er aber - gemäss unwidersprochener Darstellung in der
Beschwerdeschrift - entschuldbarerweise selber nicht gemerkt, dass die
erschienene Anwältin nicht die von ihm beauftragte war. Auf Grund der
Aktenlage (vgl. E. 2.3) sowie des Umstandes, dass die kantonalen Behörden zu
dieser Sachverhaltsdarstellung keine Stellung genommen haben, ist davon
auszugehen, dass sie im fraglichen Punkt zutrifft.

3. Indem der Haftrichter die Haftverhandlung durchführte, ohne die vom
Beschwerdeführer beauftragte Vertreterin hierzu einzuladen, verletzte er
dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Dass der
Haftrichter vom bestehenden Mandatsverhältnis offenbar keine Kenntnis hatte,
ändert nichts; der begangene Fehler wurde durch den Beizug einer amtlich
bestellten Anwältin nicht geheilt. Die Beschwerde ist in diesem Punkt
begründet und der Entscheid des Haftrichters deshalb aufzuheben.

4.
4.1Der Beschwerdeführer beantragt seine unverzügliche Entlassung aus der
Haft. Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften bei der Haftprüfung
führt indessen auch zur Haftentlassung. Es kommt darauf an, welche Bedeutung
einerseits den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des
Betroffenen und andererseits dem Interesse an einer reibungslosen
Durchsetzung der Ausschaffung zukommt (BGE 122 II 154 E. 3a S. 158; 125 II
369 E. 2e S. 374).

4.2 Im vorliegenden Falle hat der Haftrichter rechtzeitig auf Grund einer
mündlichen Verhandlung über das Gesuch um Haftverlängerung befunden und dem
Beschwerdeführer für dieses Verfahren einen amtlich bestellten
unentgeltlichen Rechtsbeistand beigegeben. Der Entscheid über die
Verlängerung der Haft genügt insofern in formeller Hinsicht den gesetzlichen
und verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der vom Haftrichter bejahte
Haftgrund (Untertauchensgefahr) wird mit der vorliegenden Beschwerde
ausdrücklich nicht bestritten. Gerügt wird einzig eine Verletzung des
Beschleunigungsgebotes (durch versehentliches Liegenlassen eines
Passantragsformulars). Auf Grund der vorliegenden Akten lässt sich dieser
Vorwurf, der an der Haftrichterverhandlung nicht zur Sprache gekommen war,
nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres belegen. Die beantragte sofortige
Haftentlassung des Beschwerdeführers erscheint daher nicht gerechtfertigt.
Der durch die Missachtung des bestehenden Mandatsverhältnisses begangene
Fehler wird dadurch in ausreichender Weise sanktioniert, dass der Haftrichter
über die Haftverlängerung unter Beizug der vom Beschwerdeführer gewählten
Rechtsvertreterin auf Grund einer neuen Verhandlung ohne Verzug nochmals zu
entscheiden hat. Dem Begehren um sofortige Haftentlassung ist nicht zu
entsprechen.

Es wird Sache des Haftrichters sein, die Einhaltung des
Beschleunigungsgebotes - unter Berücksichtigung des dannzumaligen Standes der
Dinge - in einer neuen Verhandlung zu prüfen und sich mit den entsprechenden
Vorbringen des Beschwerdeführers bzw. denjenigen seiner mandatierten
Rechtsvertreterin auseinander zu setzen.

5.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist teilweise gutzuheissen und der
angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zur unverzüglichen
Durchführung einer neuen mündlichen Verhandlung an den Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde
abzuweisen.

Entsprechend dem Verfahrensausgang ist keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art.
156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Zürich den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen und der
Entscheid des Bezirksgerichts Zürich (Haftrichter) vom 25. April 2002
aufgehoben.

2.
Die Sache wird zur unverzüglichen Durchführung einer neuen mündlichen
Verhandlung an den Haftrichter zurückgewiesen.

3.
Das Begehren um sofortige Entlassung aus der Haft wird abgewiesen.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

6.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als
gegenstandslos abgeschrieben.

7.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Migrationsamt des Kantons
Zürich sowie dem Bezirksgericht Zürich (Haftrichter) und dem Bundesamt für
Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Mai 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: