Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.133/2002
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Urteil vom 26. März 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

A. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Migrationsdienst des Kantons Bern, Eigerstrasse 73,
3011 Bern,
Haftgericht III Bern-Mittelland, Haftrichter 4, Amthaus, Hodlerstrasse 7,
3011 Bern.

Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG

(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Haftgerichts III
Bern-Mittelland vom 28. Februar 2002)
Sachverhalt:

A.
Der aus Russland stammende A.________, 1973 (alias B.________, alias
C.________I), reiste am 16. September 2000 illegal in die Schweiz ein. An der
Empfangsstelle Chiasso stellte er am 18. September 2000 ein Asylgesuch. Am 1.
Dezember 2000 verurteilte ihn das Untersuchungsrichteramt I Berner
Jura-Seeland wegen Diebstahls zu einer Busse von Fr. 150.--. Zwei Wochen
später auferlegte ihm die gleiche Behörde wegen SVG-Delikten eine weitere
Busse von Fr. 150.--, und am 6. Juni 2001 verurteilte sie ihn - erneut wegen
Diebstahls - zu einer Busse von Fr. 1'000.--.

Inzwischen war das Bundesamt für Flüchtlinge auf das Asylgesuch von
A.________ nicht eingetreten; gleichzeitig hatte das Bundesamt den
Gesuchsteller aus der Schweiz weggewiesen und ihn aufgefordert, das Land
sofort zu verlassen (Entscheid vom 4. April 2001).

Seit dem 23. April 2001 galt A.________ als untergetaucht.

B.
Am 24./26 Juli 2001 schrieb das Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland
A.________ international zur Verhaftung aus, weil er in X.________ auf
Landsleute geschossen haben soll (Fahndungsgrund: "Vorsätzlicher
Tötungsversuch"). Am 29. November 2001 wurde er von Österreich an die Schweiz
ausgeliefert, in Y.________ daktyloskopiert und nach Bern in
Untersuchungshaft überstellt.

Vom 11. Januar 2002 bis zum 22. Februar 2002 verbüsste A.________ "in
Unterbrechung der Untersuchungshaft" eine Haftstrafe (aus Bussen-
umwandlungen) von insgesamt 42 Tagen. Am 22. Februar 2002 wurde er noch
einmal durch den Untersuchungsrichter einvernommen und von diesem "zwecks
Ergreifen von fremdenpolizeilichen Massnahmen" ins Regionalgefängnis Bern
zurückversetzt.

C.
Gleichentags wurde A._________ gestützt auf die Haftanordnung des
Migrationsdienstes des Kantons Bern vom 19. Februar 2002 in Ausschaf-
fungshaft genommen. Der Haftrichter 4 am Haftgericht III Bern-Mittelland
prüfte und bestätigte die Haft am 25. Februar 2002. Seinen begründeten
Entscheid versandte er am 28. Februar 2002.

Hiergegen wandte sich A.________ mit einer undatierten, handschriftlichen, in
russischer Sprache verfassten Eingabe an das Bundesgericht (Posteingang

am 13. März 2002). Die Eingabe wurde von Amtes wegen übersetzt. A.________
verlangt, "in die Freiheit" entlassen zu werden, und macht geltend, er
befinde sich nicht auf seinen eigenen, "sondern auf Ihren Wunsch auf dem
Territorium der Schweiz". Nun solle er "wieder in die Sowjetunion abgeschoben
werden, damit dort das KGB mein Blut trinkt". Er habe Krebs und es reiche
"mit der Quälerei".

Der Haftrichter 4 am Haftgericht III Bern-Mittelland sowie der
Migrationsdienst des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesamt für Ausländerfragen hat sich innert Frist nicht geäussert.
A.________ hat von der Möglichkeit, sich ergänzend vernehmen zu lassen, nicht
Gebrauch gemacht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Bei Laieneingaben, welche sich gegen die Genehmigung der Ausschaffungshaft
richten, stellt das Bundesgericht keine hohen Anforderungen an die
Beschwerdebegründung (vgl. BGE 122 I 275 E. 3b S. 277). Ist daraus - wie hier
- ersichtlich, dass sich der Betroffene (zumindest auch) gegen seine Haft
wendet, nimmt es entsprechende Eingaben als Verwaltungsgerichts- beschwerden
entgegen.

2.
Der Beschwerdeführer gelangt in erster Linie mit Anliegen an das
Bundesgericht, welche die Asyl- und Wegweisungsfrage betreffen. Diese bildet
jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Haftrichter hatte
einzig die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haftanordnung zu überprüfen
(vgl. Art. 13c Abs. 2 ANAG). Vor dem Bundesgericht stellt sich damit
lediglich die Frage der Rechtmässigkeit der Haft (vgl. Art. 104 lit. a und c
OG). Auf Einwendungen des Beschwerdeführers, die nicht auf den Entscheid des
Haftrichters Bezug nehmen, kann daher nicht eingetreten werden.

3.
3.1 Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen,
sofern die Voraussetzungen von Art. 13b ANAG erfüllt sind. Danach ist im
Einzelnen unter anderem erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht
notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt
(vgl.  BGE  121  II  59 E. 2 S. 61; 125 II 369 E. 3a S. 374; 122 II 148 E. 1
S. 150), dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht
möglich, jedoch absehbar ist (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 2a S. 379).
Sodann muss einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG genannten Haftgründe bestehen
(BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 3a S. 381; 124 II 1 E. 1 S. 3) und die
Ausschaffung rechtlich und tatsächlich möglich sein (vgl. Art. 13c Abs. 5
lit. a ANAG; dazu BGE 125 II 217 E. 2 S. 220, 377 E. 5 S. 384). Auf Seiten
der Behörden sind die für den Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehrungen
(wie Identitäts- und Herkunftsabklärungen, Papierbeschaffung) umgehend zu
treffen (Art. 13b Abs. 3 ANAG, Beschleunigungsgebot; vgl. BGE 124 II 49 ff.).
3.2  Der  Beschwerdeführer  ist  im  Asylverfahren   weggewiesen   worden
(am
14. April 2001). Anschliessend galt er als untergetaucht. Offenbar reiste er
nach Österreich aus. Dort wurde er - weil er international zur Verhaftung
ausgeschrieben war - aufgegriffen und im November 2001 an die Schweiz
ausgeliefert. In Bern wurde er daraufhin in Untersuchungshaft genommen, wo er
(in Unterbrechung dieser Untersuchungshaft) eine Haftstrafe von 42 Tagen
Gefängnis verbüsste, bevor er wieder dem Untersuchungsrichter vorgeführt und
von diesem zwecks Ergreifen fremdenpolizeilicher Massnahmen ins Regional-
gefängnis Bern zurückversetzt wurde. Insoweit stellt sich die Frage, ob die
Ausschaffungshaft (noch) dem Vollzug einer konkreten Wegweisungs- verfügung
dient.

Die selbständige Ausreise eines Ausländers führt zum Vollzug eines
Wegweisungsentscheides, so dass dieser nach einer Wiedereinreise nicht mehr
Grundlage einer Ausschaffungshaft sein kann (Urteil 2A.305/2001 vom 18. Juli
2001, E. 3d). Auf den Wegweisungsentscheid des Bundesamtes für Flüchtlinge
vom 4. April 2001 lässt sich die vorliegend angeordnete Ausschaffungshaft
demnach nicht mehr stützen. Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug bzw. aus
der Untersuchungshaft fehlte dem Beschwerdeführer jedoch jedes
Anwesenheitsrecht in der Schweiz (vgl. Art. 1 ANAG). Als nunmehr illegal
anwesender ausländischer Staatsangehöriger konnte er von der zuständigen
Behörde jederzeit und ohne besonderes Verfahren zur Ausreise aus der Schweiz
verhalten oder nötigenfalls ausgeschafft werden (formlose Wegweisung, Art. 12
Abs. 1 ANAG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 ANAV).  Die Haftanordung des
(unter Vorbehalt des Vollzugs der strafrechtlichen Landesverweisung) für alle
fremdenpolizeilichen Obliegenheiten zuständigen kantonalen Migrationsdienstes
(vgl. Art. 1 und Art. 1a der bernischen Verord- nung vom 19. Juli 1972 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer) stützte sich zwar formell auf den
seinerzeitigen asylrechtlichen Wegweisungsentscheid vom 4. April 2001, der
mit der Ausreise des Beschwerdeführers nach Österreich an sich bereits
vollzogen war. In dieser Haftanordnung kann aber unter den gegebenen
Umständen zwanglos auch eine (neue) formlose Wegweisung des Beschwerdeführers
erblickt werden, wozu der Migrationsdienst nach dem Gesagten ohne weiteres
befugt war. Eine solche Interpretation der Haftanordnung lässt sich umso eher
vertreten, als die gleiche Behörde ihre Wegweisungsabsicht schon am 3.
Dezember 2001 kundgetan und der Kriminalabteilung  der  Kantonspolizei  Bern
mitgeteilt  hatte,sie werde "nach dem Urteil" gegen den Beschwerdeführer
einen "Ausschaffungsauftrag erstellen".

3.3 Wiewohl die für eine Rückreise nach Russland notwendigen Dokumente noch
nicht vorliegen, erscheint die Heimreise tatsächlich möglich, und es stehen
dem Wegweisungsvollzug auch keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Sodann
lässt sich den schweizerischen Behörden nicht vorwerfen, sie hätten es
unterlassen, rechtzeitig die für den Vollzug der Wegweisung notwendigen
Vorkehrungen zu treffen. Die ersten Massnahmen zur Papierbeschaffung sind
Ende Februar 2002 eingeleitet worden, womit dem Beschleunigungsgebot Genüge
getan ist: So lange noch eine Strafuntersuchung (offenbar wegen eines
Deliktes gegen Leib und Leben) gegen den Beschwerdeführer lief und es nicht
absehbar war, wann dieser aus der Untersuchungshaft bzw. im Falle einer
Verurteilung aus dem Strafvollzug entlassen würde, bestand für die fremden-
polizeilichen Organe keine Veranlassung, sich um den Beschwerdeführer zu
kümmern und die nötigen Schritte zur Besorgung von Reisepapieren bereits
während der laufenden Untersuchungshaft einzuleiten.

Es ist nachfolgend noch zu prüfen, ob die Haft sich auf einen der
gesetzlichen Haftgründe stützen lässt.

3.4   Der Haftrichter stützt die Haft auf den Haftgrund von Art. 13b Abs. 1
lit. c ANAG. Danach ist Ausschaffungshaft dann zulässig, wenn konkrete
Anzeichen befürchten lassen, dass der Ausländer sich der Ausschaffung
entziehen will, insbesondere weil sein bisheriges Verhalten darauf schliessen
lässt, dass er sich behördlichen Anordnungen widersetzt
(Untertauchensgefahr). Dies ist vorliegend der Fall: Der Beschwerdeführer
benutzt in Westeuropa verschiedene Identitäten; in der Schweiz ist er zudem
mehrfach straffällig geworden und hat so zum Ausdruck gebracht, dass er nicht
gewillt ist, sich an die hiesige Rechtsordnung zu halten. Sodann macht er
gegenüber den Behörden - auch in der Beschwerde an das Bundesgericht -
geltend, keinesfalls in sein Heimatland zurückkehren zu wollen. Soweit er
dartut, er wolle nach Österreich ausreisen, ist nicht einzusehen, wie er dies
ohne Reisepapiere auf legale Art und Weise tun könnte. Angesichts seines
gesamten bisherigen Verhaltens bietet der Beschwerdeführer keine Gewähr
dafür, dass er sich ohne Haft zu gegebener Zeit, d.h. bei Vorliegen der
Reisepapiere, für den Ausschaffungsvollzug zur Verfügung halten wird (vgl.
BGE 122 II 49 E. 2a S. 50 f.). Die Unter- tauchensgefahr wurde deshalb zu
Recht bejaht.

4.
Was die behauptete Krebserkrankung des Beschwerdeführers betrifft, so hätte
er sich damit an den zuständigen ärztlichen Dienst zu wenden. Dass er nicht
hafterstehungsfähig wäre, ist auf Grund seiner Vorbringen nicht anzunehmen.

Die Anordnung der Ausschaffungshaft erweist sich daher als mit dem
Bundesrecht vereinbar. Dass deren Dauer in der Urteilsformel des
angefochtenen Entscheides nicht festgehalten ist, ändert nichts. Es ist davon
auszugehen, dass der Haftrichter sie stillschweigend auf die in der ersten
Phase zulässige Höchstdauer von drei Monaten (vgl. Art. 13b Abs. 2 ANAG)
festgesetzt hat, was im konkreten Fall als angemessen erscheint.

5.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach dem Gesagten als unbegründet
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Verfahrensausgang
entsprechend würde der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). Es rechtfertigt sich angesichts seiner
Mittellosigkeit  jedoch,  von  der   Erhebung   einer   Gerichtsgebühr
abzusehen
(vgl. Art. 153a Abs. 1 OG). Der Migrationsdienst des Kantons Bern wird
ersucht, sicherzustellen, dass das vorliegende Urteil dem Beschwerdeführer
korrekt eröffnet und verständlich gemacht wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsdienst des Kantons
Bern, dem Haftgericht III Bern-Mittelland (Haftrichter 4) sowie dem Bundesamt
für Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt

Lausanne, 26. März 2002

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: