Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.235/2002
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1A.235/2002 /dxc

Urteil vom 13. März 2003

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Féraud, Bundesrichter Fonjallaz
sowie Gerichtsschreiber Härri.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Bundesanwaltschaft,
Taubenstrasse 16, 3003 Bern.

Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Kanada;
Zeugnisverweigerungsrecht; Anfechtbarkeit einer Zwischenverfügung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung der Schweizerischen
Bundesanwaltschaft vom 6. November 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 29. September 1995 ersuchte das kanadische Ministerium der Justiz in einem
Rechtshilfeverfahren die Schweizer Behörden um die Befragung von Rechtsanwalt
X.________ als Zeuge.

Nachdem das Verfahren während längerer Zeit sistiert worden war, befragte die
Schweizerische Bundesanwaltschaft am 6. November 2002 X.________. Dabei
verweigerte dieser unter Hinweis auf das Anwaltsgeheimnis Aussagen zur Sache.
Die Bundesanwaltschaft forderte ihn deshalb im Sinne einer Zwischenverfügung
nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in
Strafsachen (IRSG; SR 351.1) auf, auszusagen, da ihm im vorliegenden Fall
kein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe (Protokoll der Einvernahme S. 6).

B.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung
der Bundesanwaltschaft vom 6. November 2002 aufzuheben; die
Bundesanwaltschaft sei anzuweisen, sein Zeugnisverweigerungsrecht zu
beachten.

C.
Die Bundesanwaltschaft hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesamt für Justiz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

X. ________ hat eine Stellungnahme zur Vernehmlassung der Bundesanwaltschaft
eingereicht. Er hält an seinem Antrag fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten
Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 128 II 311 E. 1 mit
Hinweisen).

1.2 Die angefochtene Verfügung schliesst das Rechtshilfeverfahren weder ganz
noch teilweise ab. Es handelt sich um eine Zwischenverfügung.

Gemäss Art. 80g IRSG unterliegt die Verfügung der ausführenden Bundesbehörde,
mit der das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen wird, zusammen mit den
vorangehenden Zwischenverfügungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht (Abs. 1). Die der Schlussverfügung vorangehende
Zwischenverfügung, die einen unmittelbaren und nicht wieder gutzumachenden
Nachteil gemäss Art. 80e lit. b bewirkt, kann selbständig mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (Abs. 2). Nach Art. 80e lit.
b IRSG können mit einer Beschwerde angefochten werden der Schlussverfügung
vorangehende Zwischenverfügungen, die einen unmittelbaren und nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken: 1. durch die Beschlagnahme von
Vermögenswerten und Wertgegenständen; oder 2. durch die Anwesenheit von
Personen, die am ausländischen Prozess beteiligt sind.

Nach der Rechtsprechung ist die selbständige Anfechtung von
Zwischenentscheiden nur ausnahmsweise zulässig (BGE 128 II 353 E. 3 S. 354/5;
211 E. 2.1 S. 215). Ein unmittelbarer und nicht wieder gutzumachender
Nachteil kann nur in den beiden in Art. 80e lit. b IRSG genannten Fällen
angenommen werden; die Aufzählung in lit. b Ziff. 1 und 2 ist grundsätzlich
abschliessend (BGE 127 II 198 E. 2b S. 203 mit Hinweis).

1.3 Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Beschlagnahme von
Vermögenswerten und Wertgegenständen; ebenso wenig um die Anwesenheit von
Personen, die am ausländischen Prozess beteiligt sind. Die Verfügung der
Beschwerdegegnerin vom 6. November 2002 ist deshalb nicht selbständig
anfechtbar.

1.4 Dazu, hier die Beschwerde zuzulassen, obwohl die Voraussetzungen nach
Art. 80e lit. b IRSG nicht gegeben sind, besteht kein Anlass. Wie das
Bundesgericht bereits in BGE 126 II 495 befunden hat, sprechen überwiegende
Gründe selbst in Fällen einer in das Anwaltsgeheimnis eingreifenden
Zwischenverfügung gegen die selbständige Anfechtbarkeit (E. 5e/dd S. 504
ff.). Daran ist hier festzuhalten. Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis, das
für die selbständige Anfechtbarkeit der bundesanwaltschaftlichen
Zwischenverfügung spräche, ist nicht ersichtlich.

Sollte der Beschwerdeführer aussagen, gelangten damit seine Angaben den
kanadischen Behörden noch nicht zur Kenntnis. Die Mitarbeiter der
Beschwerdegegnerin sind an das Amtsgeheimnis gebunden und die Herausgabe des
Protokolls der Einvernahme an die kanadischen Behörden käme erst nach
Rechtskraft der Schlussverfügung in Betracht (vgl. BGE 127 II 198 E. 4a S.
206). Die Schlussverfügung kann aber, wie dargelegt, zusammen mit den
vorangehenden Zwischenverfügungen angefochten werden. Sollte der
Beschwerdeführer die Schlussverfügung - gegebenenfalls mit den vorangehenden
Zwischenverfügungen - anfechten, so würde damit vor einer Herausgabe des
Protokolls auf entsprechende Rüge hin gerichtlich geprüft, ob ein
Zeugnisverweigerungsrecht besteht und deshalb den kanadischen Behörden die
Aussagen nicht zur Kenntnis gebracht werden dürfen (zur Legitimation des
Zeugen insoweit BGE 126 II 258 E. 2d/bb S. 261 mit Hinweisen).

Sollte dagegen der Beschwerdeführer die Aussage trotz Androhung von Strafe
nach Art. 292 StGB weiterhin verweigern, so hätte der Strafrichter vor einer
Verurteilung in Anwendung dieser Bestimmung zu prüfen, ob ein
Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Nach der Rechtsprechung hat der
Strafrichter eine freie Prüfungsbefugnis, wenn - wie hier - gegen die
Verfügung keine Beschwerde an ein Verwaltungsgericht möglich ist (BGE 98 IV
106 E. 3; vgl. auch Christof Riedo, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler
Kommentar, Strafgesetzbuch II, 2003, Art. 292 N. 64 ff., insb. 68 und 74).
Der Beschwerdeführer könnte also strafrechtlich nicht verurteilt werden, ohne
dass zuvor die Frage des Zeugnisverweigerungsrechts vom Richter geprüft
worden wäre.

1.5 Auf die Beschwerde ist somit nicht einzutreten.

2.
Die Bundesanwaltschaft wies den Beschwerdeführer (Protokoll der Einvernahme
S. 6) unzutreffend darauf hin, gegen ihre Zwischenverfügung sei die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde möglich.

Gemäss Art. 107 Abs. 3 OG dürfen den Parteien aus unrichtiger
Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen. Die unrichtige
Rechtsmittelbelehrung kann jedoch nicht zur Zulässigkeit eines Rechtsmittels
führen, das nach dem Gesetz nicht zur Verfügung steht  (BGE 119 IV 330 E. 1c
S. 334 mit Hinweis). In Betracht käme im vorliegenden Fall somit einzig ein
Absehen von der Auferlegung von Kosten und die Zusprechung einer
Parteientschädigung an den Beschwerdeführer (vgl. BGE 122 V 200 E. 3 S. 205;
Urteil 1A.53/2001 vom 26. April 2001 E. 3).

Nach der Rechtsprechung geniesst jedoch nur Vertrauensschutz, wer die
Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht kennt und sie auch bei
gebührender Aufmerksamkeit nicht hätte erkennen können. Bloss ein grober
Fehler einer Partei oder ihres Vertreters soll aber dazu führen, eine falsche
Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen. Ein solcher wird nach der Praxis dann
bejaht, wenn der Private oder sein Anwalt die Mängel der Belehrung schon
allein durch Konsultierung des massgeblichen Verfahrensrechts hätte erkennen
können (BGE 124 I 255 E. 1a/aa mit Hinweis). Bei der Beurteilung, ob ein im
dargelegten Sinne erheblicher Fehler einer Partei vorliege, darf an die
Sorgfalt eines Rechtsanwalts ein strengerer Massstab angelegt werden als an
jene eines rechtsunkundigen, nicht vertretenen Beschwerdeführers (vgl.
sinngemäss BGE 124 I 255 E. 1a/cc; 106 Ia 13 E. 4).

Der Beschwerdeführer hätte die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung allein
aufgrund des Gesetzestextes (Art. 80g i.V.m. Art. 80e IRSG) erkennen können.
Das Absehen von Kosten und die Zusprechung einer Entschädigung rechtfertigt
sich deshalb nicht.

3.
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtsgebühr (Art. 156 Abs. 1 OG). Da die
erhobenen Rügen hier inhaltlich nicht zu prüfen waren, wird eine reduzierte
Gerichtsgebühr erhoben. Diese wird auf Fr. 2'000.-- festgesetzt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Schweizerischen
Bundesanwaltschaft und dem Bundesamt für Justiz, Abteilung internationale
Rechtshilfe, Sektion Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. März 2003

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: